Marx, Das Kapital Buch 1 (1867)

Karl Marx (1818-1883) Title Page of the 1st ed. of vol. 1 of Das Kapital (1867)

Introduction

This is the first German edition of volume 1 of Karl Marx’s multi-volume work Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie which appeared between 1867 and 1894. Only this volume appeared in Marx’s lifetime. The others were edited and published by Friedrich Engels posthumously. A facsimile PDF of this book can be seen here.

An English translation by Friedrich Engels and Ernest Untermann of the 4th revised edition (1909) can be found here.

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Source

Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Von Karl Marx. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. (Hamburg: Otto Meissner, 1867; New-York: L. W. Schmidt).

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Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. (1867)

Inhalt des ersten Bandes.

Vorwort VII

Erstes Buch. Der Produktionsprozess des Kapitals.

Erstes Kapitel. Waare und Geld 1

Zweites Kapitel. Die Verwandlung von Geld in Kapital 106

Drittes Kapitel. Die Produktion des absoluten Mehrwerths 141

Viertes Kapitel. Die Produktion des relativen Mehrwerths 291

Fünftes Kapitel. Weitere Untersuchungen über die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerths 496

Sechstes Kapitel. Der Accumulationsprozess des Kapitals 551

Nachtrag zu den Noten 757

Anhang zu Kapitel I, 1. Die Werthform 764


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Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie.
Von Karl Marx.
Erster Band. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals.
Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten.
Hamburg Verlag von Otto Meissner. 1867. New-York: L. W. Schmidt. 24 Barclay-Street.

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Gewidmet meinem unvergesslichen Freunde, dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats, Wilhelm Wolff. Geb. zu Tarnau, 21. Juni 1809. Gest. im Exil zu Manchester 9. Mai 1864.


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Inhalt des ersten Bandes.
Seite
Vorwort VII
Erstes Buch. Der Produktionsprozess des Kapitals. Erstes Kapitel. Waare und Geld 1
1) Die Waare 1
2) Der Austauschprozess der Waaren 45
3) Das Geld und die Waarencirkulation 55
A. Mass der Werthe 55
B. Cirkulationsmittel 63
a) Die Metamorphose der Waaren 63
b) Der Umlauf des Geldes 74
c) Die Münze. Das Werthzeichen 85
C. Geld 91
a) Schatzbildung 91
b) Zahlungsmittel 96
c) Weltgeld 103
Zweites Kapitel. Die Verwandlung von Geld in Kapital 106
1) Die allgemeine Formel des Kapitals 106
2) Widersprüche der allgemeinen Formel 117
3) Kauf und Verkauf der Arbeitskraft 129
Drittes Kapitel. Die Produktion des absoluten Mehrwerths 141
1) Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess 141
2) Constantes Kapital und variables Kapital 165
3) Die Rate des Mehrwerths 178
4) Der Arbeitstag 198
5) Rate und Masse des Mehrwerths 281
Viertes Kapitel. Die Produktion des relativen Mehrwerths 291
1) Begriff des relativen Mehrwerths 291
2) Cooperation 302
3) Theilung der Arbeit und Manufaktur 318
4) Maschinerie und grosse Industrie 355

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Seite
Fünftes Kapitel. Weitere Untersuchungen über die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerths 496
1) Absoluter und relativer Mehrwerth 496
2) Grössenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth 505
A. Grösse des Arbeitstags und Intensivität der Arbeit constant, Produktivkraft der Arbeit variabel 506
B. Constanter Arbeitstag, constante Produktivkraft der Arbeit, Intensivität der Arbeit variabel 510
C. Produktivkraft und Intensivität der Arbeit constant, Arbeitstag variabel 511
D. Gleichzeitige Variationen in Länge des Arbeitstags, Produktivkraft und Intensivität der Arbeit 513
3) Verschiedene Formeln für die Rate des Mehrwerths 516
4) Werth, resp. Preis der Arbeitskraft in der verwandelten Form des Arbeitslohns 520
a) Die Formverwandlung 520
b) Die beiden Grundformen des Arbeitslohns: Zeitlohn und Stücklohn 529
Sechstes Kapitel. Der Accumulationsprozess des Kapitals 551
1) Die kapitalistische Accumulation 552
a) Einfache Reproduktion 552
b) Verwandlung von Mehrwerth in Kapital 567
c) Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Accumulation 599
2) Die s. g. ursprüngliche Accumulation 699
3) Die moderne Kolonisationstheorie 745
Nachtrag zu den Noten 757
Anhang zu Kapitel I, 1. Die Werthform 764


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Vorwort.

Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum übergebe, bildet die Fortsetzung meiner 1859 veröffentlichten Schrift: „ Zur Kritik der politischen Oekonomie“. Die lange Pause zwischen Anfang und Fortsetzung ist einer langjährigen Krankheit geschuldet, die meine Arbeit wieder und wieder unterbrach.

Der Inhalt jener früheren Schrift ist resümirt im ersten Kapitel dieses Bandes. Es geschah diess nicht nur des Zusammenhangs und der Vollständigkeit wegen. Die Darstellung ist verbessert. Soweit es der Sachverhalt irgendwie erlaubte, sind viele früher nur angedeutete Punkte hier weiter entwickelt, während umgekehrt dort ausführlich Entwickeltes hier nur angedeutet wird. Die Abschnitte über die Geschichte der Werthund Geldtheorie fallen jetzt natürlich ganz weg. Jedoch findet der Leser der früheren Schrift in den Noten zum ersten Kapitel neue Quellen zur Geschichte jener Theorie eröffnet.

Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständniss des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Waare enthält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen. Was nun näher die Analyse der Werthsubstanz und der Werthgrösse betrifft, so habe ich


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sie möglichst popularisirt(FN 1). Anders mit der Analyse der Werthform. Sie ist schwerverständlich, weil die Dialektik viel schärfer ist als in der ersten Darstellung. Ich rathe daher dem nicht durchaus in dialektisches Denken eingewohnten Leser, den Abschnitt von p. 15 (Zeile 19 von oben) bis Ende p. 34 ganz zu überschlagen, und statt dessen den dem Buch zugefügten Anhang: „ Die Werthform“ zu lesen. Dort wird versucht, die Sache so einfach und selbst so schulmeisterlich darzustellen, als ihre wissenschaftliche Fassung erlaubt. Nach Beendigung des Anhangs kann der Leser dann im Text wieder fortfahren mit p. 35.

Die Werthform, deren fertige Gestalt die Geldform, ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht, während andrerseits die Analyse viel inhaltsvollerer und komplicirterer Formen wenigstens annähernd gelang. Warum? Weil der ausgebildete Körper leichter zu studiren ist als die Körperzelle. Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann ausserdem weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen. Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Waarenform des Arbeitsprodukts oder die Werthform der Waare die ökonomische Zellenform. Dem Ungebildeten scheint sich ihre Analyse in blossen Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es handelt sich dabei


(FN 1) Es schien diess um so nöthiger, als selbst der Abschnitt von F. Lassalle’s Schrift gegen Schultze-Delitzsch, worin er „die geistige Quintessenz“ meiner Entwicklung über jene Themate zu geben erklärt, bedeutende Missverständnisse enthält. En passant. Wenn F. Lassalle die sämmtlichen allgemeinen theoretischen Sätze seiner ökonomischen Arbeiten, z. B. über den historischen Charakter des Kapitals, über den Zusammenhang zwischen Produktionsverhältnissen und Produktionsweise u. s. w. u. s. w. fast wörtlich, bis auf die von mir geschaffene Terminologie hinab, aus meinen Schriften entlehnt hat, und zwar ohne Quellenangabe, so war diess Verfahren wohl durch Propagandarücksichten bestimmt. Ich spreche natürlich nicht von seinen Detailausführungen und Nutzanwendungen, mit denen ich nichts zu thun habe.

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in der That um Spitzfindigkeiten, aber nur so wie es sich in der mikrologischen Anatomie darum handelt.

Mit Ausnahme des Abschnitts über die Werthform wird man daher diess Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.

Der Physiker beobachtet Naturprozesse entweder dort, wo sie in der prägnantesten Form und von störenden Einflüssen mindest getrübt erscheinen, oder, wo möglich, macht er Experimente unter Bedingungen, welche den reinen Vorgang des Prozesses sichern. Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktionsund Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist bis jetzt England. Diess der Grund, warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisäisch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrieund Ackerbauarbeiter, oder sich optimistisch dabei beruhigen, dass in Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muss ich ihm zurufen: De te fabula narratur!

An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Nothwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen. Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft!

Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion völlig bei uns eingebürgert ist, z. B. in den eigentlichen Fabriken, sind die Zustände viel schlechter als in England, weil das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt. In allen andren Sphären quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinentalen Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Produktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben den modernen Nothständen drückt uns eine ganze Reihe vererbter Nothstände, entspringend aus der Fortvegetation alterthümlicher,


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überlebter Produktionsweisen mit ihrem Gefolg von zeitwidrigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Wir leiden nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den Todten. Le mort saisit le vif!

Im Vergleich zur englischen ist die sociale Statistik Deutschlands und des übrigen kontinentalen Westeuropa’s elend. Dennoch lüftet sie den Schleier grade genug, um hinter demselben ein Medusenhaupt ahnen zu lassen. Wir würden vor unsren eignen Zuständen erschrecken, wenn unsre Regierungen und Parlamente, wie in England, periodische Untersuchungskommissionen über die ökonomischen Verhältnisse bestallten, wenn diese Kommissionen mit derselben Machtvollkommenheit, wie in England, zur Erforschung der Wahrheit ausgerüstet würden, wenn es gelänge, zu diesem Behuf ebenso sachverständige, unparteiische und rücksichtslose Männer zu finden, wie die Fabrikinspektoren Englands sind, seine ärztlichen Berichterstatter über „Public Health“ (Oeffentliche Gesundheit), seine Untersuchungskommissäre über die Exploitation der Weiber und Kinder, über Wohnungsund Nahrungszustände u. s. w. Perseus brauchte eine Nebelkappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir ziehen die Nebelkappe tief über Aug’ und Ohr, um die Existenz der Ungeheuer wegläugnen zu können.

Man muss sich nicht darüber täuschen. Wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke für die europäische Mittelklasse läutete, so der amerikanische Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts für die europäische Arbeiterklasse. In England ist der Umwälzungsprozess mit Händen greifbar. Auf einem gewissen Höhepunkt muss er auf den Kontinent rückschlagen. Dort wird er sich in brutaleren oder humaneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiterklasse selbst. Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den jetzt herrschenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräumung aller gesetzlich kontrolirbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der Arbeiterklasse hemmen. Ich habe desswegen u. a. der Geschichte, dem Inhalt und den Resultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in die-


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sem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der anderen lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist, — und es ist der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen — kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.

Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andre kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den Einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.

Auf dem Gebiet der politischen Oekonomie begegnet die freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die englische Hochkirche z. B. verzeiht eher den Angriff auf 30 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf ihres Geldeinkommens. Heutzutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit der Kritik überlieferter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z. B. auf das in den letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: „ Correspondence with Her Majesty’s Missions Abroad, regarding Industrial Questions and Trade’s Unions.“ Die auswärtigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren Worten aus, dass in Deutschland, Frankreich, kurz allen Kulturstaaten des europäischen Kontinents, eine Umwandlung der be-


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stehenden Verhältnisse von Kapital und Arbeit ebenso fühlbar und ebenso unvermeidlich ist als in England. Gleichzeitig erklärte jenseits des transatlantischen Oceans Herr Wade, Vicepräsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in öffentlichen Meetings: Nach Beseitigung der Sklaverei trete die Umwandlung der Kapitalund Grundeigenthumsverhältnisse auf die Tagesordnung! Es sind diess Zeichen der Zeit, die sich nicht verstecken lassen durch Purpurmäntel oder schwarze Kutten. Sie bedeuten nicht, dass morgen Wunder geschehn werden. Sie zeigen, wie selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, dass die jetzige Gesellschaft kein fester Krystall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begriffener Organismus ist.

Der zweite Band dieser Schrift wird den Cirkulationsprozess des Kapitals ( Buch II) und die Gestaltungen des Gesammtprozesses ( Buch III), der abschliessende dritte Band ( Buch IV) die Geschichte der Theorie behandeln.

Jedes Urtheil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber den Vorurtheilen der s. g. öffentlichen Meinung, der ich nie Koncessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des grossen Florentiners: Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!

London, 25. Juli 1867.

Karl Marx.


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Erstes Buch. Der Produktionsprozess des Kapitals.

Erstes Kapitel. Waare und Geld.

1) Die Waare.

Der Reichthum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Waarensammlung“(FN 1), die einzelne Waare als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Waare.

Die Waare ist zunächst ein äusserer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgend einer Art befriedigt. Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z. B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache(FN 2). Es handelt sich hier auch nicht darum, wie die Sache das menschliche Bedürfniss befriedigt, ob unmittelbar als Lebensmittel, d. h. als Gegenstand des Genusses, oder auf einem Umweg, als Produktionsmittel.

Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier u. s. w., ist unter doppeltem


(FN 1) Karl Marx: „ Zur Kritik der Politischen Oekonomie. Berlin 1859“, p. 4.
(FN 2) „Desire implies want; it is the appetite of the mind, and as natural as hunger to the body . . . . the greatest number (of things) have their value from supplying the wants of the mind.“ Nicholas Barbon: „ A Discourse on coining the new money lighter, in answer to Mr. Locke’s Considerations etc. London 1696“, p. 2, 3.
I. 1

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Gesichtspunkt zu betrachten, nach Qualität und Quantität. Jedes solche Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschiedenen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken, ist geschichtliche That(FN 3). So ist die Findung gesellschaftlicher Masse für die Quantität der nützlichen Dinge. Die Verschiedenheit der Waarenmasse entspringt theils aus der verschiedenen Natur der zu messenden Gegenstände, theils aus Convention.

Die Nützlichkeit eines Dings für das menschliche Leben macht es zum Gebrauchswerth(FN 4). Abkürzend nennen wir das nützliche Ding selbst oder den Waarenkörper, wie Eisen, Weizen, Diamant u. s. w., Gebrauchswerth, Gut, Artikel. Bei Betrachtung der Gebrauchswerthe wird stets quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle Leinwand, Tonne Eisen u. s. w. Die Gebrauchswerthe der Waaren liefern das Material einer eignen Disciplin, der Waarenkunde(FN 5). Der Gebrauchswerth verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Consumtion. Gebrauchswerthe bilden den stofflichen Inhalt des Reichthums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des — Tauschwerths.

Der Tauschwerth erscheint zunächst als das quantitative Verhältniss, die Proportion, worin sich Gebrauchswerthe einer Art gegen


(FN 3) „Things have an intrinsick vertue (diess bei Barbon die specifische Bezeichnung für Gebrauchswerth), which in all places have the same vertue; as the loadstone to attract iron“ (l. c. p. 16). Die Eigenschaft des Magnets, Eisen anzuziehn, wurde erst nützlich, sobald man vermittelst derselben die magnetische Polarität entdeckt hatte.
(FN 4) „The natural worth of anything consists in its fitness to supply the necessities, or serve the conveniences of human life.“ ( John Locke: „ Some Considerations on the Consequences of the Lowering of Interest. 1691“ in „ Works edit. Lond. 1777“ V. II p. 28). Im 17. Jahrhundert finden wir noch häufig bei englischen Schriftstellern „ Worth“ für Gebrauchswerth und „ Value“ für Tauschwerth, ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germanisch und die reflectirte Sache romanisch auszudrücken.
(FN 5) In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die fictio juris, dass jeder Mensch als Waarenkäufer eine encyklopädische Waarenkenntniss besitzt.

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Gebrauchswerthe anderer Art austauschen(FN 6), ein Verhältniss, das beständig mit Zeit und Ort wechselt. Der Tauschwerth scheint daher etwas Zufälliges und rein Relatives, ein der Waare innerlicher, immanenter Tauschwerth (valeur intrinsèque) also eine contradictio in adjecto (FN 7). Betrachten wir die Sache näher.

Eine einzelne Waare, ein Quarter Weizen z. B. tauscht sich in den verschiedensten Proportionen mit andern Artikeln aus. Dennoch bleibt sein Tauschwerth unverändert, ob in x Stiefelwichse, y Seide, z Gold u. s. w. ausgedrückt. Er muss also von diesen seinen verschiedenen Ausdrucksweisen unterscheidbar sein.

Nehmen wir ferner zwei Waaren, z. B. Weizen und Eisen. Welches immer ihr Austauschverhältniss, es ist stets darstellbar in einer Gleichung, worin ein gegebenes Quantum Weizen irgend einem Quantum Eisen gleichgesetzt wird, z. B. 1 Quarter Weizen = a Ctr. Eisen. Was besagt diese Gleichung? Dass derselbe Werth in zwei verschiednen Dingen, in 1 Qrtr. Weizen und ebenfalls in a Ctr. Eisen existirt. Beide sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine, noch das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwerth, muss also, unabhängig von dem andern, auf diess Dritte reducirbar sein.

Ein einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche diess. Um den Flächeninhalt aller gradlinigen Figuren zu bestimmen und zu vergleichen, löst man sie in Dreiecke auf. Das Dreieck selbst reducirt man auf einen von seiner sichtbaren Figur ganz verschiednen Ausdruck — das halbe Produkt seiner Grundlinie mit seiner Höhe. Ebenso sind die Tauschwerthe der Waaren zu reduciren auf ein Gemeinsames, wovon sie ein Mehr oder Minder darstellen.

Dass die Substanz des Tauschwerths ein von der physisch-handgreiflichen Existenz der Waare oder ihrem Dasein als Gebrauchswerth


(FN 6) „La valeur consiste dans le rapport d’échange qui se trouve entre telle chose et telle autre, entre telle mesure d’une production et telle mesure d’une autre.“ ( Le Trosne: „De L’Intérêt Social“. Physiocrates. ed. Daire. Paris 1846. p. 889.)
(FN 7) „Nothing can have an intrinsick value“ (N. Barbon l. c. p. 16), oder wie Butler sagt: „The value of a thing Is just as much as it will bring.“
1*

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durchaus Verschiednes und Unabhängiges, zeigt ihr Austauschverhältniss auf den ersten Blick. Es ist charakterisirt eben durch die Abstraktion vom Gebrauchswerth. Dem Tauschwerth nach betrachtet ist nämlich eine Waare grade so gut als jede andre, wenn sie nur in richtiger Proportion vorhanden ist(FN 8).

Unabhängig von ihrem Austauschverhältniss oder von der Form, worin sie als Tausch-Werthe erscheinen, sind die Waaren daher zunächst als Werthe schlechthin zu betrachten(FN 9).

Als Gebrauchsgegenstände oder Güter sind die Waaren körperlich verschiedne Dinge. Ihr Werth sein bildet dagegen ihre Einheit. Diese Einheit entspringt nicht aus der Natur, sondern aus der Gesellschaft. Die gemeinsame gesellschaftliche Substanz, die sich in verschiednen Gebrauchswerthen nur verschieden darstellt, ist — die Arbeit.

Als Werthe sind die Waaren nichts als krystallisirte Arbeit. Die Masseinheit der Arbeit selbst ist die einfache Durchschnittsarbeit, deren Charakter zwar in verschiednen Ländern und Kulturepochen wechselt, aber in einer vorhandnen Gesellschaft gegeben ist. Komplicirtere Arbeit gilt nur als potenzirte oder vielmehr multiplicirte einfache Arbeit, so dass z. B. ein kleineres Quantum komplicirter Arbeit gleich einem grösseren Quantum einfacher Arbeit. Wie diese Reduktion geregelt wird, ist hier gleichgültig. Dass sie beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Waare mag das Produkt der komplicirtesten Arbeit sein. Ihr Werth setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Arbeit dar.

Ein Gebrauchswerth oder Gut hat also nur einen Werth, weil Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisirt ist. Wie nun die Grösse seines Werthes messen? Durch das Quantum der


(FN 8) „One sort of wares are as good as another, if the value be equal. There is no difference or distinction in things of equal value … One hundred pounds worth of lead or iron, is of as great a value as one hundred pounds worth of silver and gold.“ (N. Barbon l. c. p. 53 u. 7.)
(FN 9) Wenn wir künftig das Wort „ Werth“ ohne weitere Bestimmung brauchen, so handelt es sich immer vom Tauschwerth.

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in ihm enthaltenen „werthbildenden Substanz“, der Arbeit. Die Quantität der Arbeit selbst misst sich an ihrer Zeitdauer und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren Massstab an bestimmten Zeittheilen, wie Stunde, Tag u. s. w.

Es könnte scheinen, dass wenn der Werth einer Waare durch das während ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto werthvoller seine Waare, weil er desto mehr Arbeitszeit zu ihrer Verfertigung braucht. Aber nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zählt als werthbildend. Gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt um irgend einen Gebrauchswerth mit den vorhandnen gesellschaftlich normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensivität der Arbeit herzustellen. Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in England z. B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in der That nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines früheren Werths.

Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich nothwendiger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchswerths gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit, welche seine Wert hgrösse bestimmt. Die einzelne Waare gilt hier überhaupt als Durchschnittsexemplar ihrer Art(FN 10). Waaren, worin gleich grosse Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Werthgrösse. Der Werth einer Waare verhält sich zum Werth jeder andern Waare, wie die zur Produktion der einen nothwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der andern nothwendigen Arbeitszeit. „Als Werthe sind alle Waaren nur bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit(FN 11).


(FN 10) „Toutes les productions d’un même genre ne forment proprement qu’une masse, dont le prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières“. ( Le Trosne l. c. p. 893.)
(FN 11) K. Marx l. c. p. 6.

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Die Werthgrösse einer Waare bliebe daher constant, wäre die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit constant. Letztere wechselt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter andern durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Combination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. Dasselbe Quantum Arbeit stellt sich z. B. mit günstiger Jahreszeit in 8 Bushel Weizen dar, mit ungünstiger in nur 4. Dasselbe Quantum Arbeit liefert mehr Metalle in reichhaltigen, als in armen Minen u. s. w. Diamanten kommen selten in der Erdrinde vor und ihre Findung kostet daher im Durchschnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Volumen viel Arbeit dar. Jacob bezweifelt, dass Gold jemals seinen vollen Werth bezahlt hat. Noch mehr gilt diess vom Diamant. Nach Eschwege hatte 1823 die achtzigjährige Gesammtausbeute der brasilischen Diamantgruben noch nicht den Werth des 1½jährigen Durchschnittsprodukts der brasilischen Zuckeroder Kaffeepflanzungen erreicht. Mit reichhaltigeren Gruben würde dasselbe Arbeitsquantum sich in mehr Diamanten darstellen und ihr Werth sinken. Gelingt es mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann sein Werth unter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: Je grösser die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm krystallisirte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Werth. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto grösser die zur Herstellung eines Artikels nothwendige Arbeitszeit, desto grösser sein Werth. Die Werthgrösse einer Waare wechselt also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirklichenden Arbeit.

Wir kennen jetzt die Substanz des Werths. Es ist die Arbeit. Wir kennen sein Grössenmass. Es ist die Arbeitszeit. Seine Form, die den Werth eben zum Tausch-Werth stempelt, bleibt zu analysiren. Vorher jedoch sind die bereits gefundenen Bestimmungen etwas näher zu entwickeln.

Ein Ding kann Gebrauchswerth sein, ohne Tauschwerth


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zu sein. Es ist diess der Fall, wenn sein Dasein für den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz u. s. w. Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Waare zu sein. Wer durch sein Produkt sein eignes Bedürfniss befriedigt, schafft zwar Gebrauchswerth, aber nicht Waare. Um Waare zu produciren, muss er nicht nur Gebrauchswerth produciren, sondern Gebrauchswerth für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswerth. Endlich kann kein Ding Werth sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Werth.

Ursprünglich erschien uns die Waare als ein Zwieschlächtiges, Gebrauchswerth und Tauschwerth. Näher betrachtet wird sich zeigen, dass auch die in der Waare enthaltene Arbeit zwieschlächtig ist. Dieser Punkt, der von mir zuerst kritisch entwickelt wurde(FN 12), ist der Springpunkt, um den sich das Verständniss der politischen Oekonomie dreht.

Nehmen wir zwei Waaren, etwa einen Rock und 10 Ellen Leinwand. Der erstere habe den zweifachen Werth der letzteren, so dass wenn 10 Ellen Leinwand = W, der Rock = 2 W.

Der Rock ist ein Gebrauchswerth, der ein besondres Bedürfniss befriedigt. Um ihn hervorzubringen, bedarf es einer bestimmten Art zweckmässig produktiver Thätigkeit. Sie ist bestimmt nach Zweck, Operationsweise, Gegenstand, Mitteln und Resultat. Die Arbeit, deren Nützlichkeit sich so im Gebrauchswerth ihres Produkts oder darin darstellt, dass ihr Produkt ein Gebrauchswerth ist, heisse hier der Vereinfachung halber kurzweg nützliche Arbeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist sie stets betrachtet in Bezug auf den Nutzeffekt, dessen Hervorbringung sie bezweckt.

Wie Rock und Leinwand qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, so sind die ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ verschieden — Schneiderarbeit und Weberei. Wären jene Dinge nicht qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe und daher Produkte qualitativ verschiedner nützlicher Arbeiten, so könnten sie sich über-


(FN 12) l. c. p. 12, 13 und passim.

[0027 : 8]

haupt nicht als Waaren gegenübertreten. Rock tauscht sich nicht aus gegen Rock, derselbe Gebrauchswerth nicht gegen denselben Gebrauchswerth.

In der Gesammtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerthe oder Waarenkörper erscheint eine Gesammtheit eben so mannigfaltiger, nach Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten — eine gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Waarenproduktion, obgleich Waarenproduktion nicht umgekehrt Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitstheilung. In der altindischen Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich getheilt, ohne dass die Produkte zu Waaren werden. Oder, ein näher liegendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die Arbeit systematisch getheilt, aber diese Theilung nicht dadurch vermittelt, dass die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte selbstständiger und von einander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waaren gegenüber.

Man hat also gesehn : In dem Gebrauchswerth jeder Waare steckt eine bestimmte zweckmässig produktive Thätigkeit oder nützliche Arbeit. Gebrauchswerthe können sich nicht als Waaren gegenübertreten, wenn nicht qualitativ verschiedne nützliche Arbeiten in ihnen stecken. In einer Gesellschaft, deren Produkte allgemein die Form der Waare annehmen, d. h. in einer Gesellschaft von Waarenproducenten, entwickelt sich dieser qualitative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig von einander als Privatgeschäfte selbstständiger Producenten betrieben werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Theilung der Arbeit.

Dem Rock ist es übrigens gleichgültig, ob er vom Schneider oder vom Kunden des Schneiders getragen wird. In beiden Fällen wirkt er als Gebrauchswerth. Ebensowenig ist das Verhältniss zwischen dem Rock und der ihn producirenden Arbeit an und für sich dadurch verändert, dass die Schneiderarbeit eigne Profession wird, selbstständiges Glied der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit. Wo ihn das Kleidungsbedürfniss zwang, hat der Mensch Jahrtausende lang geschneidert, bevor aus einem Menschen ein Schneider ward. Aber das Dasein von Rock, Leinwand, jedem nicht von Natur vorhandnen Element des stofflichen Reichthums, musste immer vermittelt sein durch eine spezielle, zweckmässig produktive Thätigkeit, die besondere Naturstoffe besondern menschlichen Bedürfnissen


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assimilirt. Als Bildnerin von Gebrauchswerthen, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnothwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln.

Die Gebrauchswerthe Rock, Leinwand u. s. w., kurz die Waarenkörper, sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. Zieht man die Gesammtsumme aller verschiedenen nützlichen Arbeiten ab, die in Rock, Leinwand u. s. w. stecken, so bleibt stets ein materielles Substrat zurück, das ohne Zuthun des Menschen von Natur vorhanden ist. Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern(FN 13). Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr producirten Gebrauchswerthe, des stofflichen Reichthums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.

Gehn wir nun von der Waare, so weit sie Gebrauchsgegenstand, über zum WaarenWerth.

Nach unsrer Unterstellung hat der Rock den doppelten Werth der Leinwand. Diess ist aber nur ein quantitativer Unterschied, der uns zunächst noch nicht interessirt. Wir erinnern daher, dass wenn der Werth eines Rockes doppelt so gross als der von 10 Ellen Leinwand, 20 Ellen Leinwand dieselbe Werthgrösse haben wie ein Rock.


(FN 13) „Tutti i fenomeni dell’ universo, sieno essi prodotti della mano dell’ uomo, ovvero delle universali leggi della fisica, non ci danno idea di attuale creazione, ma unicamente di una modificazione della materia. Accostare e separare sono gli unici elementi che l’ingegno umano ritrova analizando l’idea della riproduzione; e tanto e riproduzione di valore ( Gebrauchswerth, obgleich Verri hier in seiner Polemik gegen die Physiokraten selbst nicht recht weiss, von welcher Sorte Werth er spricht) e di richezze se la terra, l’aria e l’acqua ne campi si transmutino in grano, come se colla mano dell’ uomo il glutine di un insetto si transmuti in velluto, ovvero alcuni pezzetti di metallo si organizzino a formare una ripetizione“. ( Pietro Verri: „ Meditazioni sulla Economia Politica“ (zuerst gedruckt 1773) in der Ausgabe der italienischen Oekonomen von Custodi, Parte Moderna, t. XV p. 22.)

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Als Werthe sind Rock und Leinwand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdrücke gleichartiger Arbeit. Aber Schneiderarbeit und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbeiten. Es giebt jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch abwechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur Modificationen der Arbeit desselben Individuums und noch nicht besondre feste Functionen verschiedner Individuen sind, ganz wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der Augenschein lehrt ferner, dass in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Formwechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muss gehn. Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneiderarbeit und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Thätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand u. s. w., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, menschliche Arbeitskraft zu verausgaben. Allerdings muss die menschliche Arbeitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form verausgabt zu werden. Der Werth der Waaren aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft überhaupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Banquier eine grosse, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle spielt(FN 14), so steht es hier auch mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt. Die Arbeitskraft eines Bauernknechts gelte z. B. für einfache Arbeitskraft, ihre Verausgabung daher für einfache Arbeit oder menschliche Arbeit ohne weitern Schnörkel, Schneiderarbeit dagegen für


(FN 14) Vgl. Hegel, „ Philosophie des Rechts. Berlin 1840“, p. 250, §. 190.

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Verausgabung höher entwickelter Arbeitskraft. Während sich der Arbeitstag des Bauernknechts daher etwa im Werthausdruck von ½ W, stellt sich der Arbeitstag des Schneiders im Werthausdrucke von W dar(FN 15). Dieser Unterschied ist jedoch nur quantitativ. Wenn der Rock das Produkt eines Arbeitstags des Schneiders, hat er denselben Werth wie das Produkt von 2 Arbeitstagen des Bauernknechts. So zählt aber die Schneiderarbeit immer nur als multiplicirte Bauernarbeit. Die verschiednen Proportionen, worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Masseinheit reducirt sind, werden durch einen gesellschaftlichen Prozess hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt und scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben. Der Vereinfachung halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeitskraft unmittelbar für einfache Arbeitskraft, wodurch nur die Mühe der Reduktion erspart wird.

Wie also in den Werthen Rock und Leinwand von dem Unterschied ihrer Gebrauchswerthe abstrahirt ist, so in der Arbeit, die diese Werthe darstellen, von dem Unterschied der nützlichen Formen, worin sie das einemal Schneiderarbeit ist, das andremal Weberei. Wie die Gebrauchswerthe Rock und Leinwand Verbindungen zweckbestimmter, produktiver Thätigkeiten mit Tuch und Garn sind, die Werthe Rock und Leinwand dagegen blosse gleichartige Arbeitsgallerten, so gilt auch die in diesen Werthen enthaltene Arbeit nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn, sondern nur als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. Bildungselemente der Gebrauchswerthe Rock und Leinwand sind Schneiderarbeit und Weberei eben durch ihre verschiednen Qualitäten, Substanz des Roc kwerths und Leinwan dwerths sind sie nur, soweit von ihrer besondern Qualität abstrahirt wird und beide gleiche Qualität besitzen, die Qualität menschlicher Arbeit.

Rock und Leinwand sind aber nicht nur Werthe überhaupt, sondern Werthe von bestimmter Grösse und nach unsrer Unterstellung ist der Rock doppelt so viel werth, als 10 Ellen Leinwand. Woher diese


(FN 15) Der Leser muss aufmerken, dass hier nicht vom Lohn oder Werth die Rede ist, den der Arbeiter etwa für einen Arbeitstag erhält, sondern vom Waaren werth, worin sich sein Arbeitstag vergegenständlicht. Die Kategorie des Arbeitslohns existirt überhaupt noch nicht auf dieser Stufe unsrer Darstellung.

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Verschiedenheit ihrer Werthgrössen? Daher dass die Leinwand nur halb so viel Arbeit enthält, als der Rock, sodass zur Produktion des letztern die Arbeitskraft während doppelt soviel Zeit verausgabt werden muss, als zur Produktion der erstern.

Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth die in der Waare enthaltne Arbeit nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die Werthgrösse nur quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche Arbeit ohne weitere Qualität reducirt ist. Dort handelt es sich um das Wie und Was der Arbeit, hier um ihr Wie Viel, ihre Zeitdauer. Da die Werthgrösse einer Waare nur das Quantum der in ihr enthaltnen Arbeit misst, müssen Waaren in gewisser Proportion stets gleich grosse Werthe sein.

Bleibt die Produktivkraft sage aller zur Produktion eines Rocks erheischten nützlichen Arbeiten unverändert, so steigt die Werthgrösse der Röcke mit ihrer eignen Quantität. Wenn 1 Rock x, stellen 2 Röcke 2 x Arbeitstage dar u. s. w. Nimm aber an, die zur Produktion eines Rocks nothwendige Arbeitszeit steige auf das Doppelte oder falle um die Hälfte. Im ersten Fall hat ein Rock soviel Werth als vorher zwei Röcke, im letztern Fall haben zwei Röcke nur so viel Werth, als vorher einer, obgleich in beiden Fällen ein Rock nach wie vor dieselben Dienste leistet und die in ihm enthaltne nützliche Arbeit nach wie vor von derselben Güte bleibt. Aber das in seiner Produktion verausgabte Arbeits quantum hat sich verändert.

Ein grössres Quantum Gebrauchswerth bildet an und für sich grössern stofflichen Reichthum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei Röcken kann man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen u. s. w. Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichthums ein gleichzeitiger Fall seiner Werthgrösse entsprechen. Diese gegensätzliche Bewegung entspringt aus der zwieschlächtigen Bestimmung der Arbeit. Produktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher, konkreter Arbeit. Sie drückt in der That nur den Wirkungsgrad zweckbestimmter produktiver Thätigkeit in gegebnem Zeitraum aus. Die nützliche Arbeit wird daher reichere oder dürftigere Produktenquelle im direkten Verhältniss zum Steigen oder Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Produktivkraft die im Werth dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht. Da die Produktivkraft der


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konkreten nützlichen Form der Arbeit angehört, kann sie natürlich die Arbeit nicht mehr berühren, sobald von ihrer konkreten nützlichen Form abstrahirt wird. Dieselbe Arbeit stellt sich daher in denselben Zeiträumen stets in derselben Werthgrösse dar, wie immer die Produktivkraft wechsle. Aber sie liefert in demselben Zeitraum verschiedne Quanta Gebrauchswerthe, mehr wenn die Produktivkraft steigt, weniger, wenn sie sinkt. Im erstern Fall kann es geschehn, dass 2 Röcke weniger Arbeit enthalten als früher einer. Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Arbeit und daher die Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerthe vermehrt, kann also die Werthgrösse selbst der vermehrten Gesammtmasse vermindern, wenn er nämlich die zu ihrer Produktion nothwendige Arbeitszeit abkürzt. Ebenso umgekehrt.

Aus dem Bisherigen folgt, dass in der Waare zwar nicht zwei verschiedene Sorten Arbeit stecken, wohl aber dieselbe Arbeit verschieden und selbst entgegengesetzt bestimmt ist, je nachdem sie auf den Gebrauchswerth der Waare als ihr Produkt oder auf den WaarenWerth als ihren bloss gegenständlichen Ausdruck bezogen wird. Wie die Waare vor allem Gebrauchsgegenstand sein muss, um Werth zu sein, so muss die Arbeit vor allem nützliche Arbeit, zweckbestimmte produktive Thätigkeit sein, um als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft und daher als menschliche Arbeit schlechthin zu zählen.

Da bisher nur noch Werthsubstanz und Werthgrösse bestimmt, wenden wir uns jetzt zur Analyse der Werthform.

Kehren wir zunächst wieder zurück zur ersten Erscheinungsform des Waaren werths.

Wir nehmen zwei Quanta Waaren, die gleichviel Arbeitszeit zu ihrer Produktion kosten, also gleiche Werthgrössen sind, und wir haben 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke, oder 40 Ellen Leinwand sind zwei Röcke werth. Wir sehn, dass der Werth der Leinwand in einem bestimmten Quantum von Röcken ausgedrückt ist. Der Werth einer Waare, so dargestellt im Gebrauchswerth einer andern Waare, heisst ihr relativer Werth.

Der relative Werth einer Waare kann wechseln, obgleich ihr Werth constant bleibt. Umgekehrt kann ihr relativer Werth constant bleiben,


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obgleich ihr Werth wechselt. Die Gleichung: 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke setzt nämlich voraus, dass beide Waaren gleich viel Arbeit kosten. Mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der sie hervorbringenden Arbeiten wechselt aber die zu ihrer Produktion nothwendige Arbeitszeit. Betrachten wir den Einfluss solcher Wechsel auf den relativen Werth.

I. Der Werth der Leinwand wechsle, während der Rock werth constant bleibt. Verdoppelt sich die zur Produktion der Leinwand verausgabte Arbeitszeit, etwa in Folge zunehmender Unfruchtbarkeit des flachstragenden Bodens, so verdoppelt sich ihr Werth. Statt 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke, hätten wir: 40 Ellen Leinwand = 4 Röcke, da 2 Röcke jetzt nur halb so viel Arbeitszeit enthalten als 40 Ellen Leinwand. Nimmt dagegen die zur Produktion der Leinwand nothwendige Arbeitszeit um die Hälfte ab, etwa in Folge verbesserter Webstühle, so sinkt der Leinwan dwerth um die Hälfte. Demgemäss jetzt: 40 Ellen Leinwand = 1 Rock. Der relative Werth der Waare A, d. h. ihr Werth ausgedrückt in der Waare B, steigt und fällt also direkt wie der Werth der Waare A, bei gleichbleibendem Werth der Waare B.

II. Der Werth der Leinwand bleibe constant, während der Rock werth wechsle. Verdoppelt sich unter diesen Umständen die zur Produktion des Rockes nothwendige Arbeitszeit, etwa in Folge ungünstiger Wollschur, so haben wir statt 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke jetzt: 40 Ellen Leinwand = 1 Rock. Fällt dagegen der Werth des Rocks um die Hälfte, so 40 Ellen Leinwand = 4 Röcke. Bei gleichbleibendem Werth der Waare A, fällt oder steigt daher ihr relativer, in der Waare B ausgedrückter Werth im umgekehrten Verhältniss zum Werthwechsel von B.

Vergleicht man die verschiedenen Fälle sub I und II, so ergiebt sich, dass derselbe Wechsel des relativen Werths aus ganzentgegengesetzten Ursachen entspringen kann. So wird aus 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke 1) die Gleichung 40 Ellen Leinwand = 4 Röcke, entweder weil der Werth der Leinwand sich verdoppelt oder der Werth der Röcke um die Hälfte fällt, und 2) die Gleichung 40 Ellen Leinwand = 1 Rock, entweder weil der Werth


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der Leinwand um die Hälfte sinkt oder der Werth des Rockes auf das Doppelte steigt.

III. Die zur Produktion von Leinwand und Rock nothwendigen Arbeitsquanta wechseln gleichzeitig, in derselben Richtung und derselben Proportion. In diesem Falle nach wie vor 40 Ellen Leinwand = 2 Röcke, wie immer ihre Werthe verändert seien. Man entdeckt ihren Werthwechsel, sobald man sie mit einer dritten Waare vergleicht, deren Werth constant blieb. Stiegen oder fielen die Werthe aller Waaren gleichzeitig und in derselben Proportion, so blieben ihre relativen Werthe unverändert. Ihren wirklichen Werthwechsel ersähe man daraus, dass in derselben Arbeitszeit nun allgemein ein grösseres oder kleineres Waarenquantum als vorher geliefert würde.

IV. Die zur Produktion von Leinwand und Rock resp. nothwendigen Arbeitszeiten, und daher ihre Werthe, mögen gleichzeitig in derselben Richtung wechseln, aber in ungleichem Grad, oder in entgegengesetzter Richtung u. s. w. Der Einfluss aller möglichen derartigen Combinationen auf den relativen Werth einer Waare ergiebt sich einfach durch Anwendung der Fälle I., II. und III.

Wir haben eben untersucht, wie weit Wechsel in der relativen Werthgrösse einer Waare, der Leinwand, einen Wechsel ihrer eignen Werthgrösse wiederspiegelt, und überhaupt den relativen Werth nur nach seiner quantitativen Seite betrachtet. Wir wenden uns jetzt zu seiner Form. Wenn der relative Werth Darstellungsform des Werths, ist der Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren, wie x Waare A = y Waare B oder 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, die einfache Form desrelativen Werths.

I. Erste oder einfache Form des relativen Werths: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock. (x Waare A = y Waare B.)

Diese Form ist etwas schwierig zu analysiren, weil sie einfach ist(FN 16). Die in ihr enthaltenen unterschiedenen Bestimmungen sind verhüllt, unentwickelt, abstrakt und daher nur durch einige Anstrengung der Abstraktionskraft auseinanderund festzuhalten. So viel ergiebt sich


(FN 16) Sie ist gewissermassen die Zellenform oder, wie Hegel sagen würde, das An sich des Geldes.

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aber auf den ersten Blick, dass die Form dieselbe bleibt, ob 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder 20 Ellen Leinwand = x Röcke(FN 17).

Leinwand kömmt auf die Welt in Gestalt eines Gebrauchswerths oder nützlichen Dings. Ihre steifleinene Körperlichkeit oder Naturalform ist daher nicht ihre Werthform, sondern deren grades Gegentheil. Ihr eignes Werthsein zeigt sie zunächst dadurch, dass sie sich auf eine andre Waare, den Rock, als ihr Gleichesbezieht. Wäre sie nicht selbst Werth, so könnte sie sich nicht auf den Rock als Werth, als Ihresgleichen, beziehn. Qualitativ setzt sie sich den Rock gleich, indem sie sich auf ihn bezieht als Vergegenständlichung gleichartiger menschlicher Arbeit, d. h. ihrer eignen Werthsubstanz, und sie setzt sich nur einen Rock gleich statt x Röcke, weil sie nicht nur Werth überhaupt, sondern Werth von bestimmter Grösse ist, ein Rock aber grade soviel Arbeit enthält als 20 Ellen Leinwand. Durch diese Beziehung auf den Rock schlägt die Leinwand verschiedne Fliegen mit einer Klappe. Indem sie die andre Waare sich als Werth gleichsetzt, bezieht sie sich auf sich selbst als Werth. Indem sie sich auf sich selbst als Werth bezieht, unterscheidet sie sich zugleich von sich selbst als Gebrauchswerth. Indem sie ihre Werthgrösse — und Werthgrösse ist beides, Werth überhaupt und quantitativ gemessner Werth — im Rocke ausdrückt, giebt sie ihrem Werthsein eine von ihrem unmittelbaren Dasein unterschiedne Werthform. Indem sie sich so als ein in sich selbst Differenzirtes darstellt, stellt sie sich erst wirklich als Waare dar — nützliches Ding, das zugleich Werth ist. Soweit die Leinwand Gebrauchswerth, ist sie ein selbstständiges Ding. Ihr Werth erscheint dagegen nur im Verhältniss zu andrer Waare, dem Rocke z. B., ein Verhältniss, worin die Waarenart Rock ihr qualitativ gleichgesetzt wird und daher in bestimmter Quantität


(FN 17) Die wenigen Oekonomen, die sich, wie J. Bailey, mit der Analyse der Werth form beschäftigt haben, konnten zu keinem Resultat kommen, einmal, weil sie Werthform und Werth verwechseln, zweitens, weil sie, unter dem rohen Einfluss des praktischen Bürgers, von vorn herein ausschliesslich die quantitative Bestimmtheit ins Auge fassen. „The command of quantity .... constitutes value“. („ Money and its Vicissitudes“. Lond. 1837, p. 11.) Verfasser: J. Bailey.

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gleichgilt, sie ersetzt, mit ihr austauschbar ist. Eigne, vom Gebrauchswerth unterschiedne Form erhält der Werth daher nur durch seine Darstellung als Tauschwerth.

Der Ausdruck des Leinwand werths im Rocke prägt dem Rocke selbst eine neue Form auf. In der That, was besagt die Werthform der Leinwand? Dass der Rock mit ihr austauschbar ist. Wie er geht oder liegt, mit Haut und Haaren, in seiner Naturalform Rock besitzt er jetzt die Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit andrer Waare, die Form eines austauschbaren Gebrauchswerths oder Aequivalents. Die Bestimmung des Aequivalents enthält nicht nur, dass eine Waare Werth überhaupt ist, sondern dass sie in ihrer dinglichen Gestalt, in ihrer Gebrauchsform, andrer Waare als Werth gilt und daher unmittelbar als Tauschwerth für die andre Waare da ist.

Als Werth besteht die Leinwand nur aus Arbeit, bildet eine durchsichtig krystallisirte Arbeitsgallerte. In der Wirklichkeit ist dieser Krystall jedoch sehr trüb. Soweit Arbeit in ihm zu entdecken, und nicht jeder Waarenkörper zeigt die Spur der Arbeit, ist es nicht unterschiedslose menschliche Arbeit, sondern Weberei, Spinnerei u. s. w., die auch keineswegs seine einzige Substanz bilden, vielmehr mit Naturstoffen verquickt sind. Um Leinwand als bloss dinglichen Ausdruck menschlicher Arbeit festzuhalten, muss man von allem absehn, was sie wirklich zum Ding macht. Gegenständlichkeit der menschlichen Arbeit, die selbst abstrakt ist, ohne weitere Qualität und Inhalt, ist nothwendig abstrakte Gegenständlichkeit, ein Gedankending. So wird das Flachsgewebe zum Hirngespinnst. Aber Waaren sind Sachen. Was sie sind, müssen sie sachlich sein oder in ihren eignen sachlichen Beziehungen zeigen. In der Produktion der Leinwand ist ein bestimmtes Quantum menschlicher Arbeitskraft verausgabt worden. Ihr Werth ist der bloss gegenständliche Reflex der so verausgabten Arbeit, aber er reflektirt sich nicht in ihrem Körper. Er offenbart sich, erhält sinnlichen Ausdruck durch ihr Werthverhältniss zum Rock. Indem sie ihn als Werth sich gleichsetzt, während sie sich zugleich als Gebrauchsgegenstand von ihm unterscheidet, wird der Rock die Erscheinungsform des LeinwandWerths im Gegensatz zum

I. 2

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LeinwandKörper, ihre Werthform im Unterschied von ihrer Naturalform(FN 18).

In dem relativen Werthausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder x Leinwand ist y Roc kwerth, gilt der Rock zwar nur als Werth oder Arbeitsgallerte, aber eben dadurch gilt die Arbeitsgallerte als Rock, der Rock als die Form, worin menschliche Arbeit gerinnt(FN 18a). Der Gebrauchswerth Rock wird nur zur Erscheinungsform des Leinwand-Werths, weil sich die Leinwand auf das Rockmaterial als unmittelbare Materiatur abstrakter menschlicher Arbeit bezieht, also Arbeit gleicher Art wie die in ihr selbst vergegenständlichte. Der Gegenstand Rock gilt ihr als sinnlich handgreifliche Gegenständlichkeit gleichartiger menschlicher Arbeit, daher als Werth in Naturalform. Da sie als Werth gleichen Wesens mit dem Rock ist, wird die Naturalform Rock so zur Erscheinungsform ihres eignen Werths. Aber die im Gebrauchswerth Rock dargestellte Arbeit ist nicht menschliche Arbeit schlechthin, sondern eine bestimmte, nützliche Arbeit, Schneiderarbeit. Menschliche Arbeit schlechthin, Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, ist zwar jeder Bestimmung fähig, aber an und für sich unbestimmt. Verwirklichen, vergegenständlichen kann sie sich nur, sobald die menschliche Arbeitskraft in bestimmter Form verausgabt wird, als bestimmte Arbeit, denn nur der bestimmten Arbeit steht ein Naturstoff gegenüber, ein äusseres Material, worin sie sich vergegenständlicht. Bloss der Hegel’sche „ Begriff“ bringt es fertig, sich ohne äussern Stoff zu objektiviren(FN 19).


(FN 18) Man spricht desshalb vom Rockwerth der Leinwand, wenn man ihren Werth in Röcken, von ihrem Kornwerth, wenn man ihn in Korn darstellt u. s. w. Jeder solcher Ausdruck besagt, dass es ihr Werth ist, der in den Gebrauchswerthen Rock, Korn u. s. w. erscheint.
(FN 18a) In gewisser Art gehts dem Menschen wie der Waare. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt kommt, noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin Ich, bespiegelt sich der Mensch zuerst nur in einem andern Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seinesgleichen, bezieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch der Paul mit Haut und Haaren, in seiner paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des genus Mensch.
(FN 19) „Der Begriff, welcher zunächst nur subjektiv ist, schreitet, ohne dass es

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Die Leinwand kann sich nicht auf den Rock als Werth oder incarnirte menschliche Arbeit beziehn, ohne sich auf Schneiderarbeit als die unmittelbare Verwirklichungsform menschlicher Arbeit zu beziehen. Was jedoch die Leinwand am Gebrauchswerth Rock interessirt, ist weder seine wollne Behäbigkeit, noch sein zugeknöpftes Wesen, noch irgend eine andre nützliche Qualität, die ihn zum Gebrauchswerth stempelt. Er dient ihr nur dazu, ihre Werthgegenständlichkeit im Unterschied von ihrer steifleinenen Gebrauchsgegenständlichkeit darzustellen. Sie hätte denselben Zweck erreicht, wenn sie ihren Werth in Assa Fötida oder Poudrette oder Stiefelwichse ausgedrückt. Die Schneiderarbeit gilt ihr daher ebenfalls nicht, sofern sie zweckmässig produktive Thätigkeit, nützliche Arbeit, sondern nur sofern sie als bestimmte Arbeit Verwirklichungsform, Vergegenständlichungsweise menschlicher Arbeit überhaupt ist. Drückte die Leinwand ihren Werth statt im Rock in Stiefelwichse aus, so gälte ihr auch statt Schneidern Wichsen als die unmittelbare Verwirklichungsform abstrakter menschlicher Arbeit(FN 19a). Erscheinungsform des Werths oder Aequivalent wird ein Gebrauchswerth oder Waarenkörper also nur dadurch, dass sich eine andere Waare auf die in ihm enthaltne konkrete, nützliche Arbeitsart als die unmittelbare Verwirklichungsform abstrakter menschlicher Arbeit bezieht.

Wir stehn hier bei dem Springpunkt aller Schwierigkeiten, welche das Verständniss der Werthform hindern. Es ist relativ leicht, den Werth der Waare von ihrem Gebrauchswerth zu unterscheiden, oder die den Gebrauchswerth formende Arbeit von derselben Arbeit, so weit sie bloss als Verausgabung mensehlicher Arbeitskraft im Waarenwerth berechnet wird. Betrachtet man Waare oder Arbeit in der einen Form, so nicht in der andern und vice versa. Diese abstrakten Gegensätze fallen von selbst auseinander und sind daher leicht auseinander zu halten. An-


dazu eines äusseren Materials oder Stoffs bedarf, seiner eignen Thätigkeit gemäss dazu fort, sich zu objektiviren.“ Hegel, „ Logik“ p. 367 in der „ Encyklopädie: Erster Theil. Berlin 1840.“
(FN 19a) Sofern man nämlich populär die Bereitung der Wichse selbst Wichsen heisst.
2*

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ders mit der Werthform, die nur im Verhältniss von Waare zu Waare existirt. Der Gebrauchswerth oder Waarenkörper spielt hier eine neue Rolle. Er wird zur Erscheinungsform des Waare nwerths, also seines eignen Gegentheils. Ebenso wird die im Gebrauchswerth enthaltene konkrete nützliche Arbeit zu ihrem eignen Gegentheil, zur blossen Verwirklichungsform abstrakter menschlicher Arbeit. Statt auseinanderzufallen, reflektiren sich die gegensätzlichen Bestimmungen der Waare hier in einander. So befremdlich diess auf ersten Blick, erweist es sich bei weiterem Nachdenken als nothwendig. Die Waare ist von Haus aus ein zwieschlächtig Ding, Gebrauchswerth und Werth, Produkt nützlicher Arbeit und abstrakte Arbeitsgallerte. Um sich darzustellen als das was sie ist, muss sie daher ihre Form verdoppeln. Die Form eines Gebrauchswerths besitzt sie von Natur. Es ist ihre Naturalform. Werthform erwirbt sie erst im Umgang mit andren Waaren. Aber ihre Werthform muss selbst wieder gegenständliche Form sein. Die einzigen gegenständlichen Formen der Waaren sind ihre Gebrauchsgestalten, ihre Naturalformen. Da nun die Naturalform einer Waare, der Leinwand z. B., das grade Gegentheil ihrer Werthform ist, muss sie eine andre Naturalform, die Naturalform einer andern Waare zu ihrer Werthform machen. Was sie nicht unmittelbar für sich selbst, kann sie unmittelbar für andre Waare und daher auf einem Umweg für sich selbst thun. Sie kann ihren Werth nicht in ihrem eignen Körper oder in ihrem eignen Gebrauchswerth ausdrücken, aber sie kann sich auf einen andern Gebrauchswerth oder Waarenkörper als unmittelbares Werthdasein beziehn. Sie kann sich nicht zu der in ihr selbst, wohl aber zu der in andrer Waarenart enthaltenen konkreten Arbeit als blosser Verwirklichungsform abstrakter menschlicher Arbeit verhalten. Sie braucht dazu nur die andre Waare sich als Aequivalent gleichzusetzen. Der Gebrauchswerth einer Waare existirt überhaupt nur für eine andre Waare, soweit er in dieser Weise zur Erscheinungsform ihres Werths dient. Betrachtet man in dem einfachen relativen Werthausdrucke: x Waare A = y Waare B nur das quantitative Verhältniss, so findet man auch nur die oben entwickelten Gesetze über die Bewegung des relativen Werths, die alle darauf beruhn, dass die Werthgrösse der Waaren durch die zu ihrer Produktion nothwendige Arbeitszeit bestimmt ist. Betrachtet man aber das Werthverhältniss der beiden Waaren nach seiner qualitativen Seite,


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so entdeckt man in jenem einfachen Werthausdruck das Geheimniss der Werthform und daher, in nuce, des Geldes(FN 20).

Unsre Analyse hat gezeigt, dass der relative Werthausdruck einer Waare zwei verschiedne Werthformen einschliesst. Die Leinwand drückt ihren Werth und ihre bestimmte Werthgrösse im Rock aus. Sie stellt ihren Werth dar im Werthverhältniss zu einer andern Waare, daher als Tauschwerth. Andrerseits die andre Waare, der Rock, worin sie ihren Werth relativ ausdrückt, erhält eben dadurch die Form eines mit ihr unmittelbar austauschbaren Gebrauchswerths oder Aequivalents. Beide Formen, relative Werthform der einen Waare, Aequivalentform der andern, sind Formen des Tauschwerths. Beide sind in der That nur Momente, wechselseitig durcheinander bedingte Bestimmungen, desselben relativen Werthausdrucks, aber polarisch vertheilt auf die zwei gleichgesetzten Waarenextreme.

Quantitative Bestimmtheit ist nicht in der Aequivalentform einer Waare eingeschlossen. Das bestimmte Verhältniss z. B., worin Rock Aequivalent von Leinwand ist, entspringt nicht aus seiner Aequivalentform, der Form seiner unmittelbaren Austauschbarkeit mit der Leinwand, sondern aus der Bestimmung der Werthgrösse durch Arbeitszeit. Die Leinwand kann ihren eignen Werth nur in Röcken darstellen, indem sie sich auf ein bestimmtes Rockquantum als gegebenes Quantum krystallisirter menschlicher Arbeit bezieht. Aendert sich der Roc kwerth, so ändert sich auch diese Beziehung. Damit sich aber der relative Werth der Leinwand ändere, muss er vorhanden sein, und er kann nur gebildet werden bei gegebenem Rockwerth. Ob die Leinwand ihren eignen Werth nun in 1, 2 oder x Röcken darstellt, hängt unter dieser Voraussetzung ganz von der Werthgrösse einer Elle Leinwand und der Ellenanzahl ab, deren Werth in Rockform dargestellt werden soll. Die Werthgrösse einer Waare kann sich nur im Gebrauchswerth einer andern Waare ausdrücken, als relativer Werth. Die Form eines


(FN 20) Es ist kaum verwunderlich, dass die Oekonomen, ganz unter dem Einfluss stofflicher Interessen, den Formgehalt des relativen Werthausdrucks übersehn haben, wenn vor Hegel die Logiker von Profession sogar den Forminhalt der Urtheilsund Schlussparadigmen übersahen.

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unmittelbar austauschbaren Gebrauchswerths oder Aequivalents erhält eine Waare dagegen umgekehrt nur als das Material, worin der Werth einer andern Waare ausgedrückt wird.

Diese Unterscheidung ist getrübt durch eine charakteristische Eigenthümlichkeit des relativen Werthausdrucks in seiner einfachen oder ersten Form. Die Gleichung: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, oder 20 Ellen Leinwand sind einen Rock werth, schliesst nämlich offenbar die identische Gleichung ein: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, oder 1 Rock ist 20 Ellen Leinwand werth. Der relative Werthausdruck der Leinwand, worin der Rock als Aequivalent figurirt, enthält also rückbezüglich den relativen Werthausdruck des Rocks, worin die Leinwand als Aequivalent figurirt.

Obgleich beide Bestimmungen der Werthform oder beide Darstellungsweisen des Waare nwerths als Tauschwerth nur relativ sind, scheinen beide nicht in demselben Grad relativ. Im relativen Werth der Leinwand: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, ist der Tauschwerth der Leinwand ausdrücklich als ihre Beziehung auf eine andre Waare dargestellt. Der Rock seinerseits ist zwar auch nur Aequivalent, so weit sich die Leinwand auf ihn als Erscheinungsform ihres eignen Werths und daher mit ihr unmittelbar Austauschbares bezieht. Nur innerhalb dieser Beziehung ist er Aequivalent. Aber er verhält sich passiv. Er ergreift keine Initiative. Er findet sich in Beziehung, weil sich auf ihn bezogen wird. Der Charakter, der ihm aus dem Verhältniss mit der Leinwand erwächst, erscheint daher nicht als Resultat seiner Beziehung, sondern ohne sein Zuthun vorhanden. Noch mehr. Die bestimmte Art und Weise, wie sich die Leinwand auf ihn bezieht, ist ganz dazu gemacht, es ihm „anzuthun“, wäre er auch noch so bescheiden und keineswegs das Produkt eines „tailor run mad with pride“. Die Leinwand bezieht sich nämlich auf den Rock als sinnlich existirende Materiatur der menschlichen Arbeit in abstracto und daher als vorhandnen Werthkörper. Er ist diess nur, weil und sofern sich die Leinwand in dieser bestimmten Weise auf ihn bezieht. Sein Aequivalentsein ist so zu sagen nur eine Reflexionsbestimmung der Leinwand. Aber es scheint grade umgekehrt. Einerseits giebt er sich selbst nicht die Mühe sich zu beziehn. Andrerseits bezieht sich die Leinwand auf ihn, nicht um ihn zu etwas zu machen, sondern weil er ohne sie etwas ist.


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Das fertige Produkt der Beziehung der Leinwand auf den Rock, seine Aequivalentform, seine Bestimmtheit als unmittelbar austauschbarer Gebrauchswerth, scheint ihm daher auch ausserhalb der Beziehung zur Leinwand dinglich anzugehören, ganz wie etwa seine Eigenschaft warm zu halten. In der ersten oder einfachen Form des relativen Werths: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, ist dieser falsche Schein noch nicht befestigt, weil sie unmittelbar auch das Gegentheil aussagt, dass der Rock Aequivalent der Leinwand und dass jede der beiden Waaren diese Bestimmtheit nur besitzt, weil und sofern die andre sie zu ihrem relativen Werthausdruck macht(FN 21).

In der einfachen Form des relativen Werths oder dem Ausdrucke der Aequivalenz zweier Waaren, ist die Form entwicklung des Werths für beide Waaren gleichmässig, obgleich jedesmal in entgegengesetzter Richtung. Der relative Werthausdruck ist ferner mit Bezug auf jede der beiden Waaren einheitlich, denn die Leinwand stellt ihren Werth nur in einer Waare dar, dem Rocke und vice versa, aber für beide Waaren ist dieser Werthausdruck doppelt, verschieden für jede derselben. Endlich ist jede der beiden Waaren nur Aequivalent für die andre einzelne Waarenart. also nur einzelnes Aequivalent.

Solche Gleichung, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, oder zwanzig Ellen Leinwand sind einen Rock werth, drückt offenbar den Werth der Waare nur ganz beschränkt und einseitig aus. Vergleiche ich die Leinwand z. B., statt mit Röcken, mit andern Waaren, so erhalte ich auch andre relative Werthausdrücke, andre Gleichungen, wie 20 Ellen Leinwand = u Kaffee, 20 Ellen Leinwand = v Thee u. s. w. Die Leinwand hat eben so viele verschiedne relative Werthausdrücke, als es von ihr verschiedne Waaren giebt und die Zahl ihrer relativen Werthausdrücke wächst beständig mit der Zahl neu auftretender Waarenarten(FN 22).


(FN 21) Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eignes Ding. Dieser Mensch ist z. B. nur König, weil sich andre Menschen als Unterthanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Unterthanen zu sein, weil er König ist.
(FN 22) „The value of any commodity denoting its relation in exchange, we may speak of it as .... cornvalue, clothvalue, according to the commodity with which

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Die erste Form 20 Ellen Leinwand = 1 Rock gab zwei relative Ausdrücke für den Werth zweier Waaren. Diese zweite Form giebt für den Werth derselben Waare die bunteste Mosaik relativer Ausdrücke. Auch scheint weder für den Ausdruck der Werth grösse irgend etwas gewonnen, denn in 20 Ellen Leinwand = 1 Rock ist die Werthgrösse der Leinwand, die ja in jedem Ausdrucke dieselbe bleibt, eben so erschöpfend dargestellt als in 20 Ellen Leinwand = u Thee u. s. w., noch für die Formbestimmung des Aequivalents, denn in 20 Ellen Leinwand = u Kaffee u. s. w., sind Kaffee u. s. w. nur einzelne Aequivalente, ganz wie es der Rock war.

Dennoch birgt diese zweite Form eine wesentliche Fortentwicklung. Es liegt darin nämlich nicht nur, dass die Leinwand ihren Werth zufällig bald in Rücken ausdrückt, bald in Kaffee u. s. w., sondern dass sie ihn sowohl in Röcken als in Kaffee u. s. w. ausdrückt, entweder in dieser Waare oder jener oder der dritten u. s. w. Die Weiterbestimmung zeigt sich, sobald diese zweite oder entfaltete Form des relativen Werthausdrucks in ihrem Zusammenhang dargestellt wird. Wir erhalten dann:

II. Zweite oder entfaltete Form des relativen Werths:

20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee oder = v Thee oder = x Eisen oder = y Weizen oder = u. s. w. u. s. w.
z Waare A = u Waare B oder = v Waare C oder = w Waare D oder = x Waare E oder = y Waare F oder = u. s. w.

Zunächst bildet offenbar die erste Form das Grundelement der


it is compared; and then there are a thousand different kinds of value, as many kinds of value as there are commodities in existence, and all are equally real and equally nominal.“ („ A Critical Dissertation on the Nature, Measure and Causes of Value: chiefly in reference to the writings of Mr. Ricardo and his followers. By the Author of Essays on the Formation etc. of Opinions. London 1825“, p. 39). S. Bailey, der Verfasser dieser anonymen Schrift, die ihrer Zeit viel Lärm in England machte, bildet sich ein durch diesen Hinweis auf die kunterbunten relativen Ausdrücke desselben WaarenWerths alle Begriffsbestimmung des Werths vernichtet zu haben. Dass er übrigens, trotz eigner Bornirtheit, wunde Flecken der Ricardo’schen Theorie sondirt hat, bewies die Gereiztheit, womit die Ricardo’sche Schule ihn angriff, z. B. in der Westminster Review.

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zweiten, denn letztere besteht aus vielen einfachen relativen Werthausdrücken, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, 20 Ellen Leinwand = u Kaffee u. s. w.

In der ersten Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann es zufällige Thatsache scheinen, dass diese zwei Waaren in diesem bestimmten quantitativen Verhältnisse austauschbar sind. In der zweiten Form leuchtet dagegen sofort ein von der zufälligen Erscheinung wesentlich unterschiedner und sie bestimmender Hintergrund durch. Der Werth der Leinwand bleibt gleich gross, ob in Rock oder Kaffee oder Eisen u. s. w. dargestellt, in zahllos verschiednen Waaren, den verschiedensten Besitzern angehörig. Das zufällige Verhältniss zweier individueller Waarenbesitzer fällt fort. Es wird offenbar, dass nicht der Austausch die Werthgrösse der Waare, sondern umgekehrt die Werthgrösse der Waare ihre Austauschverhältnisse regulirt.

In dem Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock galt der Rock als Erscheinungsform der in der Leinwand vergegenständlichten Arbeit. So wurde die in der Leinwand enthaltene Arbeit der im Rock enthaltnen gleichgesetzt und daher als gleichartige menschliche Arbeit bestimmt. Indess trat diese Bestimmung nicht ausdrücklich hervor. Unmittelbar setzt die erste Form die in der Leinwand enthaltne Arbeit nur der Schneiderarbeit gleich. Anders die zweite Form. In der endlosen, stets verlängerbaren Reihe ihrer relativen Werthausdrücke bezieht sich die Leinwand auf alle möglichen Waarenkörper als blosse Erscheinungsformen der in ihr selbst enthaltenen Arbeit. Hier ist der Leinwand Werth daher erst wahrhaft dargestellt als Werth, d. h. Krystall menschlicher Arbeit überhaupt.

Die zweite Form besteht aus einer Summe von lauter Gleichungen der ersten Form. Jede dieser Gleichungen, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock schliesst aber auch die Rückbeziehung ein: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, wo der Rock seinen Werth in der Leinwand und eben dadurch die Leinwand als Aequivalent darstellt. Da diess nun von jedem der zahllosen relativen Werthausdrücke der Leinwand gilt, erhalten wir:

III. Dritte, umgekehrte oder rückbezogene zweite Form des relativen Werths:


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1 Rock = 20 Ellen Leinwand.
u Kaffee = 20 Ellen Leinwand.
v Thee = 20 Ellen Leinwand.
x Eisen = 20 Ellen Leinwand.
y Weizen = 20 Ellen Leinwand.
u. s. w. = 20 Ellen Leinwand.

Der relative Werthausdruck der Waaren kehrt hier zurück in seiner ursprünglichen Gestalt: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand. Jedoch ist diese einfache Gleichung jetzt weiter entwickelt. Ursprünglich enthielt sie nur, dass der Rock werth durch seinen Ausdruck in einer andern Waare eine vom Gebrauchswerth Rock oder dem Rockkörper selbst unterschiedne und unabhängige Form erhält. Jetzt stellt dieselbe Form den Rock auch allen andern Waaren gegenüber als Werth dar und ist daher seine allgemein gültige Werthform. Nicht nur der Rock, sondern Kaffee, Eisen, Weizen, kurz alle andern Waaren drücken ihren Werth jetzt im Material Leinwand aus. Alle stellen sich so einander als dieselbe Materiatur menschlicher Arbeit dar. Sie sind nur noch quantitativ verschieden, wesswegen 1 Rock, u Kaffee, x Eisen u. s. w., d. h. verschiedne Quanta dieser verschiednen Dinge = 20 Ellen Leinwand, gleich demselben Quantum vergegenständlichter menschlicher Arbeit. Durch ihren gemeinschaftlichen Werthausdruck im Material Leinwand unterscheiden sich also alle Waaren als Tauschwerthe von ihren eignen Gebrauchswerthen und beziehn sich zugleich auf einander als Werthgrössen, setzen sich qualitativ gleich und vergleichen sich quantitativ. Erst in diesem einheitlichen relativen Werthausdruck erscheinen sie alle für einander als Werthe und erhält ihr Werth daher erst seine entsprechende Erscheinungsform als Tauschwerth. Im Unterschied zur entfalteten Form des relativen Werths (Form II), die den Werth einer Waare im Umkreis aller andern Waaren darstellt, nennen wir diesen einheitlichen Werthausdruck die allgemeine relative Werthform.

In der Form II: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee oder = v Thee oder = x Eisen u. s. w., worin die Leinwand ihren relativen Werthausdruck entfaltet, bezieht sie sich auf jede einzelne Waare, Rock, Kaffee u. s. w. als ein besondres Aequivalent und


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auf alle zusammen als den Umkreis ihrer besondern Aequivalentformen. Ihr gegenüber gilt keine einzelne Waarenart noch als Aequivalent schlechthin, wie im einzelnen Aequivalent, sondern nur als besondres Aequivalent, wovon das eine das andre ausschliesst. In der Form III, welche die rückbezogene zweite Form und also in ihr eingeschlossen ist, erscheint die Leinwand dagegen als die Gattungsform des Aequivalents für alle andern Waaren. Es ist als ob neben und ausser Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren, die gruppirt die verschiednen Geschlechter, Arten, Unterarten, Familien u. s. w. des Thierreichs bilden, auch noch das Thier existirte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs. Ein solches Einzelne, das in sich selbst alle wirklich vorhandenen Arten derselben Sache einbegreift, ist ein Allgemeines, wie Thier, Gott u. s. w. Wie die Leinwand daher einzelnes Aequivalent wurde, dadurch dass sich eine andre Waare auf sie als Erscheinungsform des Werths bezog, so wird sie als allen Waaren gemeinschaftliche Erscheinungsform des Werths das allgemeine Aequivalent, allgemeiner Werthleib, allgemeine Materiatur der abstrakten menschlichen Arbeit. Die in ihr materialisirte besondre Arbeit gilt daher jetzt als allgemeine Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit, als allgemeine Arbeit.

Bei der Darstellung des Werths der Waare A in der Waare B, wodurch die Waare B einzelnes Aequivalent wird, war es gleichgültig, von welcher besondern Sorte die Waare B. Nur musste die Körperlichkeit der Waare B andrer Art sein als die der Waare A, daher auch Produkt andrer nützlicher Arbeit. Indem der Rock seinen Werth in Leinwand darstellte, bezog er sich auf Leinwand als die verwirklichte menschliche Arbeit, und eben dadurch auf Leineweberei als die Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit, aber die besondre Bestimmtheit, welche Leineweberei von andern Arbeitsarten unterscheidet, war durchaus gleichgültig. Sie musste nur andrer Art sein als die Schneiderarbeit und im übrigen eine bestimmte Arbeitsart. Anders sobald die Leinwand allgemeines Aequivalent wird. Dieser Gebrauchswerth in seiner besondern Bestimmtheit, wodurch er Leinwand im Unterschied von allen andern Waarenarten, Kaffee, Eisen u. s. w., wird jetzt die allgemeine Werthform aller andern Waaren und daher allgemeines Aequivalent. Die


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in ihm dargestellte besondre nützliche Arbeitsart gilt daher jetzt als allgemeine Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit, als allgemeine Arbeit, grade soweit sie Arbeit von besondrer Bestimmtheit ist, Leineweberei im Unterschied nicht nur von Schneiderarbeit, sondern von Kaffeebau, Minenarbeit und allen andern Arbeits arten. Umgekehrt gelten alle andren Arbeitsarten, im relativen Werthausdruck der Leinwand, des allgemeinen Aequivalents ( Form II), nur noch als besondre Verwirklichungsformen der menschlichen Arbeit.

Als Werthe sind die Waaren Ausdrücke derselben Einheit, der abstrakten menschlichen Arbeit. In der Form des Tauschwerths erscheinen sie einander als Werthe und beziehn sich auf einander als Werthe. Sie beziehn sich damit zugleich auf die abstrakte menschliche Arbeit als ihre gemeinsame gesellschaftliche Substanz. Ihr gesellschaftliches Verhältniss besteht ausschliesslich darin einander als nur quantitativ verschiedne, aber qualitativ gleiche und daher durch einander ersetzbare und mit einander vertauschbare Ausdrücke dieser ihrer gesellschaftlichen Substanz zu gelten. Als nützliches Ding besitzt eine Waare gesellschaftliche Bestimmtheit, soweit sie Gebrauchswerth für andre ausser ihrem Besitzer ist, also gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt. Aber gleichgültig, auf wessen Bedürfnisse ihre nützlichen Eigenschaften sie beziehn, sie wird durch dieselben immer nur auf menschliche Bedürfnisse bezogener Gegenstand, nicht Waare für andre Waaren. Nur was blosse Gebrauchsgegenstände in Waaren verwandelt, kann sie als Waaren auf einander beziehn und daher in gesellschaftlichen Rapport setzen. Es ist diess aber ihr Werth. Die Form, worin sie sich als Werthe, als menschliche Arbeitsgallerte gelten, ist daher ihre gesellschaftliche Form. Gesellschaftliche Form der Waare und Werthform oder Form der Austauschbarkeit sind also eins und dasselbe. Ist die Naturalform einer Waare zugleich Werthform, so besitzt sie die Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit andern Waaren und daher unmittelbar gesellschaftliche Form.

Die einfache relative Werthform ( Form I) 1 Rock = 20 Ellen Leinwand unterscheidet sich von der allgemeinen relati


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ven Werthform 1 Rock = 20 Ellen Leinwand nur dadurch, dass diese Gleichung jetzt ein Glied der Reihe bildet

1 Rock = 20 Ellen Leinwand
u Kaffee = 20 Ellen Leinwand
v Thee = 20 Ellen Leinwand
u. s. w.

Sie unterscheidet sich also in der That nur dadurch, dass die Leinwand aus einem einzelnen zum allgemeinen Aequivalent fortentwickelt ist. Wenn also im einfachen relativen Werthausdrucke nicht die Waare, die ihre Werthgrösse ausdrückt, sondern die Waare, worin Werthgrösse ausgedrückt wird, die Form unmittelbarer Austauschbarkeit, Aequivalentform, also unmittelbar gesellschaftliche Form erhält, so gilt dasselbe für den allgemeinen relativen Werthausdruck. Aber in der einfachen relativen Werthform ist dieser Unterschied nur noch formell und verschwindend. Wenn in 1 Rock = 20 Ellen Leinwand der Rock seinen Werth relativ, nämlich in Leinwand ausdrückt und die Leinwand dadurch Aequivalentform erhält, so schliesst dieselbe Gleichung unmittelbar die Rückbeziehung ein: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, worin der Rock die Aequivalentform erhält und der Werth der Leinwand relativ ausgedrückt wird. Diese gleichmässige und gegenseitige Entwicklung der Werthform beider Waaren als relativer Werth und als Aequivalent findet jetzt nicht länger statt. Wird die allgemeine relative Werthform 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, wo die Leinwand allgemeines Aequivalent, umgekehrt in 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, so wird der Rock dadurch nicht allgemeines Aequivalent für alle andern Waaren, sondern nur ein besondres Aequivalent der Leinwand. Allgemein ist die relative Werthform des Rocks nur, weil sie zugleich die relative Werthform aller andern Waaren. Was vom Rock, gilt vom Kaffee u. s. w. Es folgt daher, dass die allgemeine relative Werthform der Waaren sie selbst von der allgemeinen Aequivalentform ausschliesst. Umgekehrt ist eine Waare, wie Leinwand, sobald sie die allgemeine Aequivalentform besitzt, von der allgemeinen relativen Werthform ausgeschlossen. Die allgemeine, mit den andern Waaren einheitliche relativc Werthform der Leinwand wäre: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand. Diess ist aber eine Tautologie, welche die Werthgrösse dieser in allgemeiner Aequivalentform und daher in stets austauschbarer Form


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befindlichen Waare nicht ausdrückt. Vielmehr wird die entfaltete relative Werthform: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee oder = v Thee oder = u. s. w. jetzt zum specifischen relativen Werthausdrucke des allgemeinen Aequivalents.

In dem allgemeinen relativen Werthausdruck der Waaren besitzt jede Waare, Rock, Kaffee, Thee u. s. w. eine von ihrer Naturalform verschiedne Werthform, nämlich die Form Leinwand. Und eben in dieser Form beziehn sie sich auf einander als Austauschbare und in quantitativ bestimmten Verhältnissen Austauschbare, denn wenn 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, u Kaffee = 20 Ellen Leinwand u. s. w., so ist auch 1 Rock = u Kaffee u. s. w. Indem alle Waaren sich in einer und derselben Waare als Werthgrössen bespiegeln, wiederspiegeln sie sich wechselseitig als Werthgrössen. Aber die Naturalformen, die sie als Gebrauchsgegenstände besitzen, gelten ihnen wechselseitig nur auf diesem Umweg, also nicht unmittelbar als Erscheinungsformen des Werths. Sowie sie unmittelbar sind, sind sie daher nicht unmittelbar austauschbar. Sie besitzen also nicht die Form unmittelbarer Austauschbarkeit für einander oder ihre gesellschaftlich gültige Form ist eine vermittelte. Umgekehrt. Indem alle andern Waaren auf Leinwand als Erscheinungsform des Werths sich beziehen, wird die Naturalform der Leinwand die Form ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit allen Waaren, daher unmittelbar ihre allgemein gesellschaftliche Form.

Eine Waare erhält nur die allgemeine Aequivalentform, weil und sofern sie allen andern Waaren zur Darstellung ihrer allgemeinen relativen, daher nicht unmittelbaren Werthform dient. Waaren müssen sich aber relative Werthform überhaupt geben, weil ihre Naturalformen nur ihre Gebrauchswerthformen, und sie müssen sich einheitliche, daher allgemeine relative Werthform geben, um sich alle als Werthe, als gleichartige Gallerten menschlicher Arbeit auf einander zu beziehen. Eine Waare befindet sich daher nur in der Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit allen andern Waaren und daher in unmittelbar gesellschaftlicher Form, weil und sofern alle andern Waaren sich nicht darin befinden, oder weil die Waare überhaupt sich von Haus aus nicht in unmittelbar austauschbarer oder gesellschaftlicher Form befindet,


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indem ihre unmittelbare Form die Form ihres Gebrauchswerths, nicht ihres Werthes.

Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit in der That keineswegs an, dass sie eine gegensätzliche Waarenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Austauschbarkeit ebenso unzertrennlich, wie die Positivität eines Magnetpols von der Negativität des andern. Man kann sich daher einbilden, man könne allen Waaren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken, wie man sich auch einbilden kann, man könne alle Arbeiter zu Kapitalisten machen. In der That aber sind allgemeine relative Werthform und allgemeine Aequivalentform die gegensätzlichen, sich wechselweis voraussetzenden und wechselweis abstossenden Pole derselben gesellschaftlichen Form der Waaren(FN 23).

Als unmittelbar gesellschaftliche Materiatur der Arbeit ist die Leinwand, das allgemeine Aequivalent, Materiatur unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit, während die andern Waarenkörper, welche ihren Werth in Leinwand darstellen, Materiaturen nicht unmittelbar gesellschaftlicher Arbeiten sind.

In der That sind alle Gebrauchswerthe nur Waaren, weil Produkte von einander unabhängiger Privatarbeiten, Privatarbeiten, die jedoch als besondere, wenn auch verselbständigte, Glieder des naturwüchsigen Systems der Theilung der Arbeit stofflich von einander abhängen. Sie hängen so gesellschaftlich zusammen grade durch ihre Verschiedenheit, ihre besondre Nützlichkeit. Eben desswegen produciren sie qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe. Wenn


(FN 23) Für den Kleinbürger, der in der Form der Waarenproduktion das nec plus ultra menschlicher Freiheit und individueller Unabhängigkeit erblickt, wäre es natürlich sehr wünschenswerth, zugleich der mit dieser Form verbundnen Missstände überhoben zu sein, namentlich auch der nicht unmittelbaren Austauschbarkeit der Waaren. Die Ausmalung dieser Philisterutopie bildet Proudhon’s Socialismus, der, wie ich anderswo gezeigt, nicht einmal das Verdienst der Originalität besitzt, vielmehr lange vor ihm von Bray, Gray und Andern weit besser entwickelt wurde. Diess verhindert solche Weisheit nicht, heutzutage unter dem Namen der „science“ in Frankreich zu grassiren. Nie hat eine Schule mehr als die Proudhon’sche mit dem Wort „science“ um sich geworfen, denn „wo Begriffe fehlen, Da stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein.“

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nicht, so würden diese Gebrauchswerthe nicht zu Waaren für einander. Andrerseits macht diese verschiedne nützliche Qualität Produkte noch nicht zu Waaren. Producirt eine bäuerliche Familie für ihren eignen Consum Rock und Leinwand und Weizen, so treten diese Dinge der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber nicht sich selbst wechselseitig als Waaren. Wäre die Arbeit unmittelbar gesellschaftliche, d. h. gemeinsame Arbeit, so erhielten die Produkte den unmittelbar gesellschaftlichen Charakter eines Gemeinprodukts für ihre Producenten, aber nicht den Charakter von Waaren für einander. Indess haben wir hier nicht weit zu suchen, worin die gesellschaftliche Form der in den Waaren enthaltenen und von einander unabhängigen Privatarbeiten besteht. Sie ergab sich bereits aus der Analyse der Waare. Ihre gesellschaftliche Form ist ihre Beziehung auf einander als gleiche Arbeit, also, da die Gleichheit toto coelo verschiedner Arbeiten nur in einer Abstraktion von ihrer Ungleichheit bestehen kann, ihre Beziehung auf einander als menschliche Arbeit überhaupt, Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft, was alle menschlichen Arbeiten, welches immer ihr Inhalt und ihre Operationsweise, in der That sind. In jeder gesellschaftlichen Arbeitsform sind die Arbeiten der verschiednen Individuen auch als menschliche auf einander bezogen, aber hier gilt diese Beziehung selbst als die specifisch gesellschaftliche Form der Arbeiten. Nun besitzt aber keine dieser Privatarbeiten in ihrer Naturalform diese specifisch gesellschaftliche Form abstrakter menschlicher Arbeit, so wenig wie die Waare in ihrer Naturalform die gesellschaftliche Form blosser Arbeitsgallerte, oder des Werthes, besitzt. Dadurch aber dass die Naturalform einer Waare, hier der Leinwand, allgemeine Aequivalentform wird, weil sich alle andern Waaren auf dieselbe als Erscheinungsform ihres eignen Werths beziehn, wird auch die Leinweberei zur allgemeinen Verwirklichungsform abstrakter menschlicher Arbeit oder zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Der Massstab der „Gesellschaftlichkeit“ muss aus der Natur der jeder Produktionsweise eigenthümlichen Verhältnisse, nicht aus ihr fremden Vorstellungen entlehnt werden. Wie vorhin gezeigt ward, dass die Waare von Natur die unmittelbare Form allgemeiner Austauschbarkeit ausschliesst und die allgemeine Aequivalentform daher nur gegensätzlich entwickeln kann, so gilt dasselbe für die in den Waaren


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steckenden Privatarbeiten. Da sie nicht unmittelbar gesellschaftliche Arbeit sind, so ist erstens die gesellschaftliche Form eine von den Naturalformen der wirklichen nützlichen Arbeiten unterschiedne, ihnen fremde, und abstrakte Form, und zweitens erhalten alle Arten Privatarbeit ihren gesellschaftlichen Charakter nur gegensätzlich, indem sie alle einer ausschliesslichen Art Privatarbeit, hier der Leineweberei, gleichgesetzt werden. Dadurch wird letztere die unmittelbare und allgemeine Erscheinungsform abstrakter menschlicher Arbeit und so Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Sie stellt sich daher auch unmittelbar in einem gesellschaftlich geltenden und allgemein austauschbaren Produkt dar.

Der Schein, als ob die Aequivalentform einer Waare aus ihrer eignen dinglichen Natur entspringe, statt blosser Reflex der Beziehungen der andern Waaren zu sein, befestigt sich mit der Fortbildung des einzelnen Aequivalents zum allgemeinen, weil die gegensätzlichen Momente der Werthform sich nicht mehr gleichmässig für die auf einander bezognen Waaren entwickeln, weil die allgemeine Aequivalentform eine Waare als etwas ganz apartes von allen andern Waaren scheidet und endlich weil diese ihre Form in der That nicht mehr das Produkt der Beziehung irgend einer einzelnen andern Waare ist.

Indess ist auf unserm jetzigen Standpunkt das allgemeine Aequivalent noch keineswegs verknöchert. Wie wurde in der That die Leinwand in das allgemeine Aequivalent verwandelt? Dadurch, dass sie ihren Werth erst in einer einzelnen Waare (Form I), dann in allen andern Waaren der Reihe nach relativ darstellte (Form II), und so rückbezüglich alle andern Waaren in ihr ihre Werthe relativ darstellten (Form III). Der einfache relative Werthausdruck war der Keim, woraus sich die allgemeine Aequivalentform der Leinwand entwickelte. Innerhalb dieser Entwicklung ändert sie die Rolle. Sie beginnt damit, ihre Werthgrösse in einer andern Waare darzustellen und endet damit zum Material für den Werthausdruck aller andern Waaren zu dienen. Was von der Leinwand, gilt von jeder Waare. In ihrem entfalteten relativen Werthausdrucke (Form II), der nur aus ihren vielen, einfachen Werthausdrücken besteht, figurirt die Leinwand noch nicht als allgemeines Aequivalent. Vielmehr bildet hier jeder andre Waarenkörper ihr Aequivalent, ist daher unmittelbar austauschbar mit ihr und kann also die Stelle mit ihr wechseln.

I. 3

[0053 : 34]

Wir erhalten daher schliesslich:

Form IV:

20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = u Kaffee oder = v Thee oder = x Eisen oder = y Weizen oder = u. s. w.
1 Rock = 20 Ellen Leinwand oder = u Kaffee oder = v Thee oder = x Eisen oder = y Weizen oder = u. s. w.
u Kaffee = 20 Ellen Leinwand oder = 1 Rock oder = v Thee oder = x Eisen oder = y Weizen oder = u. s. w.
v Thee = u. s. w.

Aber jede dieser Gleichungen rückbezogen ergiebt Rock, Kaffee, Thee u. s. w. als allgemeines Aequivalent, daher den Werthausdruck in Rock, Kaffee, Thee u. s. w. als allgemeine relative Werthform aller andern Waaren. Die allgemeine Aequivalentform kommt immer nur einer Waare zu im Gegensatz zu allen andern Waaren; aber sie kommt jeder Waare im Gegensatz zu allen andern zu. Stellt aber jede Waare ihre eigne Naturalform allen andern Waaren gegenüber als allgemeine Aequivalentform, so schliessen alle Waaren alle von der allgemeinen Aequivalentform aus und daher sich selbst von der gesellschaftlich gültigen Darstellung ihrer Werthgrössen.

Man sieht: die Analyse der Waare ergiebt alle wesentlichen Bestimmungen der Werthform und die Werthform selbst in ihren gegensätzlichen Momenten, die allgemeine relative Werthform, die allgemeine Aequivalentform, endlich die nie abschliessende Reihe einfacher relativer Werthausdrücke, welche erst eine Durchgangsphase in der Entwicklung der Werthform bildet, um schliesslich in die specifisch relative Werthform des allgemeinen Aequivalents umzuschlagen. Aber die Analyse der Waare ergab diese Formen als Waarenformen überhaupt, die also auch jeder Waare zukommen, nur gegensätzlich, so dass wenn die Waare A sich in der einen Formbestimmung befindet, die Waaren B, C u. s. w. ihr gegenüber die andere annehmen. Das entscheidend Wichtige aber war den inneren nothwendigen Zusammenhang zwischen Wert hform, Wert hsubstanz und Wert hgrösse zu entdecken, d. h. ideell ausgedrückt, zu beweisen, dass die Wert hform aus dem Wert hbegriff entspringt(FN 24).


(FN 24) Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Oekonomie, dass es ihr nie gelang, aus der Analyse der Waare und specieller des Waaren werths

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Eine Waare scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergiebt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voller metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Als blosser Gebrauchswerth ist sie ein sinnliches Ding, woran nichts Mysteriöses, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, dass ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigen oder dass sie erst als Produkt menschlicher Arbeit diese Eigenschaften erhält. Es liegt absolut nichts räthselhaftes darin, dass der Mensch durch seine Thätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z. B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinn-


die Form des Werths, die ihn eben zum Tauschwerth macht, herauszufinden. Grade in ihren besten Repräsentanten, wie A. Smith und Ricardo, behandelt sie die Werth form als etwas ganz Gleichgültiges oder der Natur der Waare selbst Aeusserliches. Der Grund ist nicht allein, dass die Analyse der Werthgrösse ihre Aufmerksamkeit ganz absorbirt. Er liegt tiefer. Die Werthform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondre Art gesellschaftlicher Produktionsweise und damit zugleich historisch charakterisirt wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man nothwendig auch das Specifische der Werth form, also der Waarenform, weiter entwickelt der Geldform, Kapitalform u. s. w. Man findet daher bei Oekonomen, welche über das Mass der Werthgrösse durch Arbeitszeit durchaus übereinstimmen, die kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von Geld, d. h. der fertigen Gestalt des allgemeinen Aequivalents. Diess tritt schlagend hervor z. B. bei der Behandlung des Bankwesens, wo mit den gemeinplätzlichen Definitionen des Geldes nicht mehr ausgereicht wird. Im Gegensatz entsprang daher ein restaurirtes Merkantilsystem (Ganilh u. s. w.), welches im Werth nur die gesellschaftliche Form sieht oder vielmehr nur ihren substanzlosen Schein. — Um es ein für allemal zu bemerken, verstehe ich unter klassischer politischer Oekonomie alle Oekonomie seit W. Petty, die den innern Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsverhältnisse erforscht, im Gegensatz zur Vulgärökonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren Zusammenhangs herumtreibt, für eine plausible Verständlichmachung der so zu sagen gröbsten Phänomene und den bürgerlichen Hausbedarf das von der wissenschaftlichen Oekonomie längst gelieferte Material stets von neuem wiederkaut, im Uebrigen aber sich darauf beschränkt, die banalen und selbstgefälligen Vorstellungen der bürgerlichen Produktionsagenten von ihrer eignen besten Welt zu systematisiren, pedantisiren und als ewige Wahrheiten zu proklamiren.
3*

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liches Ding. Aber sobald er als Waare auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füssen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andern Waaren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne(FN 25).

Der mystische Charakter der Waare entspringt also nicht aus ihrem Gebrauchswerth. Er entspringt ebensowenig aus den Werth bestimmungen, für sich selbst betrachtet. Denn erstens, wie verschieden die nützlichen Arbeiten oder produktiven Thätigkeiten sein mögen, es ist eine physiologische Wahrheit, dass sie Funktionen eines specifisch menschlichen Organismus im Unterschied von andern Organismen sind, und dass jede solche Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre Form, wesentlich Verausgabung von menschlichem Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan u. s. w. ist. Was zweitens der Bestimmung der Werthgrösse zu Grunde liegt, die Zeitdauer jener Verausgabung oder die Quantität der Arbeit, so ist die Quantität sogar sinnfällig von der Qualität der Arbeit unterscheidbar. In allen Zuständen musste die Arbeit szeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen interessiren, obgleich nicht gleichmässig auf verschiednen Entwicklungsstufen. Endlich, sobald die Menschen in irgend einer Weise für einander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form.

Nehmen wir den Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muss daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabriciren, Lama zähmen, fischen, jagen u. s. w. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derartige Thätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiss er, dass sie nur verschiedne Bethätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Noth selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu vertheilen. Ob die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner Gesammtthätigkeit ein-


(FN 25) Man erinnert sich, dass China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle übrige Welt still zu stehn schien — pour encourager les autres.

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nimmt, hängt ab von der grössern oder geringern Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihm das und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichniss der Gebrauchsgegenstände, die er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichthum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig, dass selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werths enthalten.

Setzen wir nun an die Stelle Robinson’s einen Verein freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinson’s Arbeit wiederholen sich, nur gesellschaftlich, statt individuell. Ein wesentlicher Unterschied tritt jedoch ein. Alle Produkte Robinson’s waren sein ausschliesslich persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesammtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Theil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Theil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muss daher unter sie vertheilt werden. Die Art dieser Vertheilung wird wechseln mit der besondern Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Waarenproduktion setzen wir voraus, der Antheil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmässige Vertheilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Mass des individuellen Antheils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Theil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Ar-


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beitsprodukten blieben hier durchsichtig einfach, in der Produktion sowohl als in der Distribution.

Woher also der räthselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es die Form der Waare annimmt?

Wenn die Menschen ihre Produkte auf einander als Werthe beziehn, sofern diese Sachen für bloss sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten, so liegt darin zugleich umgekehrt, dass ihre verschiednen Arbeiten nur als gleichartige menschliche Arbeit gelten in sachlicher Hülle. Sie beziehn ihre verschiednen Arbeiten auf einander als menschliche Arbeit, indem sie ihre Produkte auf einander als Werthe beziehn. Die persönliche Beziehung ist versteckt durch die sachliche Form. Es steht daher dem Werth nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Um ihre Produkte auf einander als Waaren zu beziehn, sind die Menschen gezwungen, ihre verschiednen Arbeiten abstrakt menschlicher Arbeit gleichzusetzen. Sie wissen das nicht, aber sie thun es, indem sie das materielle Ding auf die Abstraktion Werth reduciren. Es ist diess eine naturwüchsige und daher bewusstlos instinktive Operation ihres Hirns, die aus der besondern Weise ihrer materiellen Produktion und den Verhältnissen, worin diese Produktion sie versetzt, nothwendig herauswächst. Erst ist ihr Verhältniss praktisch da. Zweitens aber, weil sie Menschen sind, ist ihr Verhältniss als Verhältniss für sie da. Die Art, wie es für sie da ist, oder sich in ihrem Hirn reflektirt, entspringt aus der Natur des Verhältnisses selbst. Später suchen sie durch die Wissenschaft hinter das Geheimniss ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung eines Dings als Werth ist ihr Produkt, so gut wie die Sprache. Was nun ferner die Werthgrösse betrifft, so werden die unabhängig von einander betriebenen, aber, weil Glieder der naturwüchsigen Theilung der Arbeit, allseitig von einander abhängigen Privatarbeiten dadurch fortwährend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Mass reducirt, dass sich in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt(FN 26).


(FN 26) „Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der

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Die Bestimmung der Werthgrösse durch die Arbeitszeit ist daher unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Waarenwerthe verstecktes Geheimniss. Die eigne gesellschaftliche Bewegung der Produzenten besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Controle sie stehn, statt sie zu controliren. Was nun endlich die Werthform betrifft, so ist es ja grade diese Form, welche die gesellschaftlichen Beziehungen der Privatarbeiter und daher die gesellschaftlichen Bestimmtheiten der Privatarbeiten sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel u. s. w. beziehn sich auf Leinwand als allgemeine Materiatur abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel u. s. w. diese Waaren auf die Leinwand als allgemeines Aequivalent beziehn, erscheint ihnen die gesellschaftliche Beziehung ihrer Privatarbeiten genau in dieser verrückten Form.

Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Oekonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise.

Die Privatproduzenten treten erst in gesellschaftlichen Contakt vermittelst ihrer Privatprodukte, der Sachen. Die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Arbeiten sind und erscheinen daher nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten, sondern als sachliche Verhältnisse der Personen oder gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen. Die erste und allgemeinste Darstellung der Sache als eines gesellschaftlichen Dings ist aber die Verwandlung des Arbeitsprodukts in Waare.

Der Mysticismus der Waare entspringt also daraus, dass den Privatproduzenten die gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Privatarbeiten als gesellschaftliche Naturbestimmtheiten der Arbeitsprodukte, dass die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse der Personen als gesellschaftliche Verhält-


Bewusstlosigkeit der Betheiligten beruht.“ ( Friedrich Engels: „ Umrisse zu Einer Kritik der Nationalökonomie“, p. 103 in „ Deutsch-Französische Jahrbücher, herausgegeben von Arnold Ruge und Karl Marx. Paris 1849.“)

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nisse der Sachen zu einander und zu den Personen erscheinen. Die Verhältnisse der Privatarbeiter zur gesellschaftlichen Gesammtarbeit vergegenständlichen sich ihnen gegenüber und existiren daher für sie in den Formen von Gegenständen. Für eine Gesellschaft von Waarenproducenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältniss darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waaren, also als Werthen zu verhalten, und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten auf einander zu beziehn als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christenthum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus u. s. w., die entsprechendste Religionsform. In den altasiatischen, antiken u. s. w. Produktionsweisen spielt die Verwandlung des Produkts in Waare, und daher das Dasein der Menschen als Waarenproduzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten. Eigentliche Handelsvölker existiren nur in den Intermundien der alten Welt, wie Epikurs Götter, oder wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Jene alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind ausserordentlich viel einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit Andern noch nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschaftsund Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zu einander und zur Natur. Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wieder in den alten Naturund Volksreligionen. Der religiöse Wiederschein der wirklichen Welt kann nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zu einander und zur Natur darstellen. Die Verhältnisse können sich aber nur als das darstellen, was sie sind. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster planmässiger Controle steht. Dazu ist jedoch eine materielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller Existenzbedingungen,


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welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind.

Die politische Oekonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen(FN 27), Werth und Werthgrösse analysirt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum sich die Arbeit im Werth und das Mass der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Werthgrösse darstellt? Formen, denen es auf der Stirn geschrieben steht, dass sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozess die Menschen, der Mensch noch


(FN 27) Das Unzulängliche in Ricardo’s Analyse der Werthgrösse — und es ist die beste — wird man aus dem dritten und vierten Buch dieser Schrift ersehn. Was aber den Werth überhaupt betrifft, so unterscheidet die klassische politische Oekonomie nirgendwo ausdrücklich und mit klarem Bewusstsein Arbeit, die sich in Werth, von derselben Arbeit, soweit sie sich im Gebrauchswerth ihres Produkts darstellt. Sie macht natürlich den Unterschied thatsächlich, da sie die Arbeit das einemal quantitativ, das andremal qualitativ betrachtet. Aber es fällt ihr nicht ein, dass bloss quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre qualitative Einheit oder Gleichheit voraussetzt, also ihre Reduktion auf abstrakt menschliche Arbeit. Ricardo z. B. erklärt sich einverstanden mit Destutt de Tracy, wenn dieser sagt: „As it is certain that our physical and moral faculties are alone our original riches, the employment of those faculties, labour of some kind, is our original treasure, and that it is always from this employment — that all those things are created which we call riches … It is certain too, that all those things only represent the labour which has created them, and if they have a value, or even two distinctvalues, they can only derive them from that (the value) of the labour from which they emanate.“ ( Ricardo: „ The Principles of Pol. Econ. 3 ed. Lond. 1821“, p. 334). Wir deuten nur an, dass Ricardo dem Destutt seinen eignen tieferen Sinn unterschiebt. Destutt sagt in der That zwar einerseits, dass alle Dinge, die den Reichthum bilden, „ die Arbeit repräsentiren, die sie geschaffen hat“, aber andrerseits, dass sie ihre „ zwei verschiedenen Werthe“ (Gebrauchswerth und Tauschwerth) vom „ Werth der Arbeit“ erhalten. Er fällt damit in die Flachheit der Vulgärökonomie, die den Werth einer Waare (hier der Arbeit) voraussetzt, um dadurch hinterher den Werth der anderen Waaren zu bestimmen. Ricardo liest ihn so, dass sowohl im Gebrauchswerth als Tauschwerth sich Arbeit (nicht Werth der Arbeit) darstellt. Er selbst aber scheidet sowenig den zwieschlächtigen Charakter der Arbeit, die doppelt dargestellt ist, dass er in dem ganzen Kapitel: „ Value and Riches, Their Distinctive Properties“ sich mühselig mit den Trivialitäten eines J. B. Say herumschlagen muss. Am Ende ist er daher auch ganz erstaunt, dass Destutt zwar mit ihm selbst über Arbeit als Werthquelle und dennoch andererseits mit Say über den Werthbegriff harmonire

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nicht den Produktionsprozess bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewusstsein für eben so selbstverständliche Naturnothwendigkeit als die produktive Arbeit selbst. Vorbürgerliche Formen des gesellschaftlichen Produktionsorganismus werden daher von ihr behandelt, wie etwa von den Kirchenvätern vorchristliche Religionen(FN 28).

Wie sehr ein Theil der Oekonomen von dem der Waarenwelt anklebenden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u. a. der langweilig abgeschmackte Zank über die Rolle der Natur in der Bildung des Tauschwerths. Da Tauschwerth eine bestimmte gesellschaft-


(FN 28) „Les économistes ont une singulière manière de procéder. Il n’y a pour eux que deux sortes d’institution, celles de l’art et celles de la nature. Les institutions de la féodalité sont des institutions artificielles, celles de la bourgeoisie sont des institutions naturelles. Ils ressemblent en’ ceci aux théologiens, qui eux aussi établissent deux sortes de religion. Toute religion qui n’est pas la leur est une invention des hommes, tandis que leur propre religion est une émanation de dieu. — Ainsi il y a eu de l’histoire, mais il n’y en a plus.“ ( Karl Marx: „ Misère de la Philosophie. Réponse à la Philosophie de la Misère par M. Proudhon. 1847“, p. 113.) Wahrhaft drollig ist Herr Bastiat, der sich einbildet, die alten Griechen und Römer hätten nur von Raub gelebt. Wenn man aber viele Jahrhunderte durch von Raub lebt, muss doch beständig etwas zu rauben da sein oder der Gegenstand des Raubes sich fortwährend reproduciren. Es scheint daher, dass auch Griechen und Römer einen Produktionsprozess hatten, also eine Oekonomie, welche ganz so die materielle Grundlage ihrer Welt bildete, wie die bürgerliche Oekonomie die der heutigen Welt. Oder meint Bastiat etwa, dass eine Produktionsweise, die auf der Sklavenarbeit beruht, auf einem Raubsystem ruht? Er stellt sich dann auf gefährlichen Boden. Wenn ein Denkriese wie Aristoteles in seiner Würdigung der Sklavenarbeit irrte, warum sollte ein Zwergökonom, wie Bastiat, in seiner Würdigung der Lohnarbeit richtig gehn? — Ich ergreife diese Gelegenheit, um einen Einwand, der mir beim Erscheinen meiner Schrift „ Zur Kritik der Pol. Oekonomie. 1859“ von einem deutsch-amerikanischen Blatte gemacht wurde, kurz abzuweisen. Es sagte, meine Ansicht, dass die bestimmte Produktionsweise und die ihr jedesmal entsprechenden Produktionsverhältnisse, kurz „die ökonomische Struktur der Gesellschaft die reale Basis sei, worauf sich ein juristischer und politischer Ueberbau erhebe, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprächen“, dass „die Produktionsweise des materiellen Lebens den socialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt bedinge“, — alles diess sei zwar richtig für die heutige Welt, wo die materiellen Interessen, aber nicht für das Mittelalter, wo der Katholicismus, und für Athen und Rom, wo

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liche Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Naturstoff enthalten als etwa der Wechselkurs.

Als allgemeinste und unentwickeltste Form der bürgerlichen Produktion, welche desswegen auch schon in früheren Produktionsperioden erscheint, obgleich nicht in derselben herrschenden, also charakteristischen Weise, war die Waarenform noch relativ leicht zu durchschauen. Aber konkretere Formen, wie das Kapital z. B.? Der Fetischismus der klassischen Oekonomie wird hier handgreiflich.

Um jedoch nicht vorzugreifen, genüge hier noch ein Beispiel bezüglich der Waarenform selbst. Man hat gesehn, dass in der Beziehung von Waare auf Waare, z. B. von Stiefel auf Stiefelknecht, der Gebrauchswerth des Stiefelknechts, also die Nützlichkeit seiner wirklichen dinglichen Eigenschaften dem Stiefel durchaus gleichgültig ist. Nur als Erscheinungsform ihres eignen Werths interessirt die Stiefel waare der Stiefelknecht. Könnten die Waaren also sprechen, so würden sie sagen, unser Gebrauchswerth mag den Menschen interessiren. Er kömmt uns nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukömmt, ist unser Werth. Unser eigner Verkehr als Waarendinge beweist das. Wir beziehn uns nur als Tauschwerthe auf einander. Man höre nun, wie der Oekonom aus der Waarenseele heraus spricht: „ Werth (Tauschwerth) ist Eigenschaft der Dinge, Reichthum (Gebrauchswerth) des Menschen. Werth in diesem Sinn schliesst nothwendig Austausch ein, Reichthum nicht(FN 29).“


die Politik herrschten. Zunächst ist es befremdlich, dass Jemand vorauszusetzen beliebt, diese weltbekannten Redensarten über Mittelalter und antike Welt seien irgend Jemand unbekannt geblieben. So viel ist klar, dass das Mittelalter nicht vom Katholicismus und die antike Welt nicht von der Politik leben konnten. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben gewannen, erklärt umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholicismus ihre Rollen spielten. Es gehört übrigens wenig Bekanntschaft z. B. mit der Geschichte der römischen Republik dazu, um zu wissen, dass die Geschichte des Grundeigenthums ihre Geheimgeschichte bildet. Andererseits hat schon Don Quixote den Irrthum gebüsst, dass er die fahrende Ritterschaft mit allen ökonomischen Formen der Gesellschaft gleich verträglich wähnte.
(FN 29)Value is a property of things, riches of man. Value, in this sense, necessarily implies exchanges, riches do not.“ „ Observations on some verbal Disputes in Pol. Econ., particularly relating to value and to offer and demand. Lond. 1821“, p. 16.

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„Reichthum (Gebrauchswerth) ist ein Attribut des Menschen, Werth ein Attribut der Waaren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist reich; eine Perle oder Diamant ist werthvoll … Eine Perle oder Diamant hat Werth als Perle oder Diamant(FN 30).“ Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwerth in Perle oder Diamant entdeckt. Unsere Verfasser, die besondern Anspruch auf kritische Tiefe machen, finden aber, dass der Gebrauchswerth der Sachen unabhängig von ihren sachlichen Eigenschaften, dagegen ihr Tauschwerth ihnen als Sachen zukömmt. Was sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, dass der Gebrauchswerth der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisirt, also im unmittelbaren Verhältniss zwischen Ding und Mensch, ihr Werth umgekehrt nur im Austausch, d. h. in einem gesellschaftlichen Prozess. Wer erinnert sich hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt: „Ein gut aussehender Mann zu sein, ist eine Gabe der Umstände, aber Lesen und Schreiben zu können, kömmt von Natur(FN 31)“.

Die Waare ist unmittelbare Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, also zweier Entgegengesetzten. Sie ist daher ein unmittelbarer Widerspruch. Dieser Widerspruch muss sich entwickeln, sobald sie nicht wie bisher analytisch bald unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchswerths, bald unter dem Gesichtspunkt des Tauschwerths betrachtet, sondern als ein Ganzes wirklich auf andere Waaren bezogen wird. Die wirkliche Beziehung der Waaren aufeinander ist aber ihr Austauschprozess.


(FN 30) „Riches are the attribute of man, value is the attribute of commodities. A man or a community is rich, a pearl or a diamond is valuable … A pearl or a diamond is valuable as a pearl or diamond.“ S. Bailey l. c. p. 165.
(FN 31) Der Verfasser der „ Observations“ und S. Bailey beschuldigen Ricardo, er habe den Tauschwerth aus einem nur Relativen in etwas Absolutes verwandelt. Umgekehrt. Er hat die Scheinrelativität, die diese Dinge, Diamant und Perlen z. B., als Tauschwerthe besitzen, auf das hinter dem Schein verborgene wahre Verhältniss reducirt, auf ihre Relativität als blosse Ausdrücke menschlicher Arbeit. Wenn die Ricardianer dem Bailey grob, aber nicht schlagend antworteten, so nur weil sie bei Ricardo selbst keinen Aufschluss über den inneren Zusammenhang zwischen Werth und Tauschwerth fanden.

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2) Der Austauschprozess der Waaren.

Die Waaren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Waarenbesitzern. Die Waaren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andern Worten sie nehmen(FN 32). Um diese Dinge als Waaren auf einander zu beziehn, müssen die Waarenhüter sich aufeinander als Personen beziehn, deren Willen ein Dasein in jenen Dingen hat, sodass Jeder nur mit seinem Willen und dem Willen des andern, beide also nur mit ihrem gemeinschaftlichen Willen sich die fremde Waare aneignen, indem sie die eigne veräussern und die eigne veräussern, um sich die fremde anzueignen. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigenthümer anerkennen. Diess Rechtsverhältniss, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist nur das Willensverhältniss, worin sich das ökonomische Verhältniss wiederspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältniss selbst gegeben(FN 33). Die Personen beziehn sich hier nur auf einander, indem sie gewisse Sachen als Waaren auf einander beziehn. Alle Bestimmungen dieser Beziehung sind also in der


(FN 32) Im 12. durch seine Frömmigkeit so berufenen Jahrhundert kommen unter diesen Waaren oft sehr zarte Dinge vor. So zählt ein französischer Dichter jener Zeit unter den Waaren, die sich auf dem Markt von Landit einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackergeräthen, Häuten u. s. w. auch „femmes folles de leur corps“ auf.
(FN 33) Proudhon schöpft erst sein Ideal der Gerechtigkeit, der justice éternelle, aus den der Waarenproduktion entsprechenden Rechtsverhältnissen, wodurch, nebenbei bemerkt, auch der für alle Spiessbürger so tröstliche Beweis geliefert wird, dass die Form der Waarenproduktion ebenso ewig ist als die Gerechtigkeit. Dann umgekehrt will er die wirkliche Waarenproduktion und das ihr entsprechende wirkliche Recht diesem Ideal gemäss ummodeln. Was würde man von einem Chemiker denken, der, statt die wirklichen Gesetze des Stoffwechsels zu studiren, und auf Basis derselben bestimmte Aufgaben zu lösen, den Stoffwechsel durch die „ewigen Ideen“ der „naturalité“ und der „affinité“ ummodeln wollte? Weiss man etwa mehr über den „Wucher“, wenn man sagt, er widerspreche der „justice éternelle“ und der „équite éternelle“ und der „mutualité éternelle“ und andern vérités éternelles“, als die Kirchenväter wussten, wenn sie sagten, er

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Bestimmung der Sache als Waare enthalten. Der eine Mensch existirt hier nur für den andern als Repräsentant von Waare und daher als Waarenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, dass die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.

Was den Waarenbesitzer namentlich von der Waare unterscheidet, ist der Umstand, dass ihr der Gebrauchswerth jeder andern Waare nur als Erscheinungsform ihres eignen Werths gilt. Geborner Leveller und Cyniker steht sie daher stets auf dem Sprung mit jeder andern Waare, sei selbe auch ausgestattet mit mehr Unannehmlichkeiten als Maritorne, nicht nur die Seele, sondern den Leib zu wechseln. Diesen der Waare mangelnden Sinn für das Konkrete des Waare nkörpers ergänzt der Waarenbesitzer durch seine eignen fünf und mehr Sinne. Seine Waare hat für ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswerth. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswerth für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswerth Träger von Tauschwerth und so Tauschmittel zu sein(FN 34). Darum will er sie veräussern für Waare, deren Gebrauchswerth ihm genüge thut. Alle Waaren sind NichtGebrauchswerthe für ihre Besitzer, Gebrauchswerthe für ihre Nicht-Besitzer. Sie müssen also allseitig die Hände wechseln. Aber dieser Händewechsel bildet ihren Austausch und ihr Austausch bezieht sie als Werthe auf einander und realisirt sie als Werthe. Die Waaren müssen sich daher als Werthe realisiren, bevor sie sich als Gebrauchswerthe realisiren können.

Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerthe bewähren, bevorsie sich als Werthe realisiren können. Denn die auf


widerspreche der „grâce éternelle“, der „foi éternelle“, der „volonté éternelle de dieu“?
(FN 34) „Denn zweifach ist der Gebrauch jeden Guts. — Der eine ist dem Ding als solchem eigen, der andere nicht, wie einer Sandale zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein. Beides sind Gebrauchswerthe der Sandale, denn auch wer die Sandale mit dem ihm Mangelnden, z. B. der Nahrung austauscht, benutzt die Sandale als Sandale. Aber nicht in ihrer natürlichen Gebrauchsweise. Denn sie ist nicht da des Austausches wegen.“ ( Aristoteles, de Rep. l. 1. c. 9.)

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sie verausgabte menschliche Arbeit zählt nur, soweit sie in nützlicher Form verausgabt und zwar nützliche Arbeit für andre ist. Ob sie andern nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen.

Jeder Waarenbesitzer will seine Waare nur veräussern gegen andre Waare, deren Gebrauchswerth sein Bedürfniss befriedigt. Sofern ist der Austausch für ihn nur individueller Prozess. Andrerseits will er seine Waare als Werth realisiren, also in jeder ihm beliebigen andern Waare von demselben Werth, ob seine eigne Waare nun für den Besitzer der andern Waare Gebrauchswerth habe oder nicht. Sofern ist der Austausch für ihn allgemein gesellschaftlicher Prozess. Aber derselbe Prozess kann nicht gleichzeitig für alle Waarenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein.

Sehn wir näher zu, so gilt jedem Waarenbesitzer jede fremde Waare als besondres Aequivalent seiner Waare, seine Waare daher als allgemeines Aequivalent aller andern Waaren. Da aber alle Waarenbesitzer dasselbe thun, ist keine Waare allgemeines Aequivalent und besitzen die Waaren daher auch keine allgemeine relative Werthform, worin sie sich als Werthe gleichsetzen und als Werthgrössen vergleichen. Sie stehn sich daher überhaupt nicht gegenüber als Waaren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerthe.

In ihrer Verlegenheit denken unsre Waarenbesitzer wie Faust. Im Anfang war die That. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Waarennatur bethätigen sich im Naturinstinkt der Waarenbesitzer. Sie können ihre Waaren nur als Werthe und darum nur als Waaren auf einander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf irgend eine andre Waare als allgemeines Aequivalent beziehn. Das ergab die Analyse der Waare. Aber nur die gesellschaftliche That kann eine bestimmte Waare zum allgemeinen Aequivalent machen. Die gesellschaftliche Action aller andern Waaren schliesst daher eine bestimmte Waare aus, worin sie allseitig ihre Werthe darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser Waare gesellschaftlich gültige Aequivalentform. Allgemeines Aequivalent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Prozess zur specifisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Waare. So wird sie — Geld. „Illi unum consilium habent et virtutem


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et potestatem suam bestiae tradunt. Et ne quis possit emere aut vendere, nisi qui habet characterem aut nomen bestiae, aut numerum nominis ejus.“ (Apocalypse.)

Der Geldkrystall ist nothwendiges Produkt des Austauschprozesses der Waaren. Der immanente Widerspruch der Waare als unmittelbarer Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, als Produkt nützlicher Privatarbeit, die ein nur vereinzeltes Glied eines naturwüchsigen Gesammtsystems der nützlichen Arbeiten oder der Theilung der Arbeit bildet, und als unmittelbar gesellschaftliche Materiatur abstrakter menschlicher Arbeit — dieser Widerspruch ruht und rastet nicht, bis er sich zur Verdopplung der Waare in Waare und Geld gestaltet hat. In demselben Masse daher, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waaren, vollzieht sich die Verwandlung von Waare in Geld(FN 35).

Der unmittelbare Produktenaustausch hat einerseits die Form des einfachen relativen Werthausdrucks und hat sie andrerseits noch nicht. Jene Form war: x Waare A = y Waare B. Die Form des unmittelbaren Produktenaustauschs ist: x Gebrauchsgegenstand A = y Gebrauchsgegenstand B(FN 36). Die Dinge A und B sind hier nicht Waaren vor dem Austausch, sondern werden es erst durch denselben. Die erste Weise, worin ein Gebrauchsgegenstand der Möglichkeit nach Tauschwerth ist, ist sein Dasein als Nicht-Gebrauchswerth, als die unmittelbaren Bedürfnisse seines Besitzers überschiessendes Quantum von Gebrauchswerth. Dinge sind an und für sich dem Menschen äusserlich und daher veräusserlich. Damit diese Veräusserung wechselseitig, brauchen Menschen nur stillschweigend als Privateigenthümer jener ver-


(FN 35) Danach beurtheile man die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Socialismus, der die Waarenproduktion verewigen und zugleich den „Gegensatz von Geld und Waare“, also das Geld selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensowohl könnte man den Papst abschaffen, und den Katholicismus bestehn lassen. Das Nähere hierüber sieh in meiner Schrift: „ Zur Kritik der Pol. Oekonomie“ p. 61 sq.
(FN 36) So lange noch nicht zwei verschiedene Gebrauchsgegenstände ausgetauscht, sondern, wie wir das bei Wilden oft finden, eine chaotische Masse von Dingen als Aequivalent für ein Drittes angeboten wird, steht der unmittelbare Produktenaustausch selbst erst in seiner Vorhalle.

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äusserlichen Dinge und eben dadurch als von einander unabhängige Personen einander gegenübertreten. Solch ein Verhältniss wechselseitiger Fremdheit existirt jedoch nicht für die Glieder eines naturwüchsigen Gemeinwesens, habe es nun die Form einer patriarchalischen Familie, einer altindischen Gemeinde, eines Inkastaates u. s. w. Der Waarenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Contakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im auswärtigen, werden sie auch rückschlagend im innern Gemeinleben zu Waaren. Ihr quantitatives Austauschverhältniss ist zunächst ganz zufällig. Austauschbar sind sie durch den Willensakt ihrer Besitzer sie wechselseitig zu veräussern. Sie erhalten daher die Form Austauschbarer, bevor sie als Werthe entwickelt sind. Indess setzt sich das Bedürfniss für fremde Gebrauchsgegenstände allmälig fest. Die beständige Wiederholung des Austauschs macht ihn zu einem regelmässigen gesellschaftlichen Prozess. Im Laufe der Zeit muss daher wenigstens ein Theil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf des Austauschs producirt werden. Von diesem Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der Nützlichkeit der Dinge für den unmittelbaren Bedarf und ihrer Nützlichkeit zum Austausch. Ihr Gebrauchswerth scheidet sich von ihrem Tauschwerthe. Andrerseits wird das quantitative Verhältniss, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst abhängig. Die Gewohnheit fixirt sie als Werth grössen.

Im unmittelbaren Produktenaustausch ist jede Waare unmittelbar Tauschmittel für ihren Besitzer, Aequivalent für ihren Nichtbesitzer, jedoch nur so weit sie Gebrauchswerth für ihn. Der Tauschartikel erhält also noch keine von seinem eignen Gebrauchswerth oder dem individuellen Bedürfniss der Austauscher unabhängige Werthform. Die Nothwendigkeit dieser Form entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und Mannigfaltigkeit der in den Austauschprozess eintretenden Waaren. Die Aufgabe entspringt gleichzeitig mit den Mitteln ihrer Lösung. Ein Verkehr, welcher die Waarenbesitzer treibt, ihre eigenen Artikel mit verschiedenen andern Artikeln auszutauschen und daher zu vergleichen, findet niemals statt, ohne dass verschiedene Waaren von verschiedenen Waarenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit einer und derselben dritten Waarenart ausgetauscht und als Werthe verglichen werden. Solche dritte Waare, indem sie Aequivalent für verschiedene andere Waaren wird, erhält

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unmittelbar, wenn auch in engen Grenzen, allgemeine oder gesellschaftliche Aequivalentform. Diese allgemeine Aequivalentform entsteht und vergeht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Contakt, der sie ins Leben rief. Abwechselnd und flüchtig kommt sie dieser und jener Waare zu. Mit der Entwicklung des Waarenaustauschs heftet sie sich aber ausschliesslich fest an besondere Waarenarten, oder krystallisirt zur Geldform. An welcher Waarenart sie kleben bleibt, ist zunächst zufällig. Jedoch entscheiden im Grossen und Ganzen zwei Umstände. Die Geldform heftet sich entweder an die wichtigsten Eintauschartikel aus der Fremde, welche in der That naturwüchsige Erscheinungsformen des Tauschwerths der einheimischen Produkte sind. Oder an den Gebrauchsgegenstand, welcher das Hauptelement des einheimischen veräusserlichen Besitzthums bildet, wie Vieh z. B. Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform, weil all ihr Hab und Gut sich in beweglicher, daher unmittelbar veräusserlicher Form befindet, und weil ihre Lebensweise sie beständig mit fremden Gemeinwesen in Contakt bringt, daher zum Produktenaustausch sollicitirt. Die Menschen haben oft den Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven zum ursprünglichen Geldmaterial gemacht, aber niemals den Grund und Boden. Solche Idee konnte nur in bereits ausgebildeter bürgerlicher Gesellschaft aufkommen. Sie datirt vom letzten Drittheil des 17. Jahrhunderts und ihre Ausführung, auf nationalem Massstab, wurde erst ein Jahrhundert später in der bürgerlichen Revolution der Franzosen versucht.

In demselben Verhältniss, worin der Waarenaustausch seine nur lokalen Bande sprengt, der Waaren werth sich daher zur Materiatur menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waaren über, die von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Aequivalents taugen, auf die edlen Metalle.

Dass nun, „obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von Natur Gold und Silber ist“(FN 37), zeigt die Congruenz ihrer Natureigenschaften mit seinen Funktionen(FN 38). Bisher kennen wir aber nur


(FN 37) Karl Marx l. c. p. 135. „I metalli .... naturalmente moneta.“ ( Galiani: „ Della Moneta“ in Custodi’s Sammlung Parte Moderna, t. III, p. 72.)
(FN 38) Das Nähere darüber in meiner eben citirten Schrift, Abschnitt: „Die edlen Metalle “.

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die eine Funktion des Geldes, als Erscheinungsform des Waare nwerths zu dienen oder als das Material, worin die Werthgrössen der Waaren sich gesellschaftlich ausdrücken. Adäquate Erscheinungsform von Werth oder Materiatur abstrakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann nur eine Materie sein, deren sämmtliche Exemplare dieselbe gleichförmige Qualität besitzen. Andrerseits, da der Unterschied der Werthgrössen rein quantitativ ist, verschiedne Quanta geronnener Arbeitszeit ausdrückt, muss die Geldwaare rein quantitativer Unterschiede fähig, also nach Willkühr theilbar und aus ihren Theilen wieder zusammensetzbar sein. Gold und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur.

Der Gebrauchswerth der Geldwaare verdoppelt sich. Neben ihrem besondern Gebrauchswerth als Waare, wie Gold z. B. zum Ausstopfen hohler Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln u. s. w. dient, erhält sie einen formalen Gebrauchswerth, der aus ihren specifischen gesellschaftlichen Funktionen entspringt.

Da alle andern Waaren nur besondere Aequivalente des Geldes, das Geld ihr allgemeines Aequivalent, verhalten sie sich als besondre Waaren zum Geld als der allgemeinen Waare(FN 39).

Man hat gesehn, dass die Geldform nur der an einer Waare festhaftende Reflex der Beziehungen aller andern Waaren. Dass Geld Waare ist(FN 40), ist also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fertigen Gestalt ausgeht, um sie hinterher zu analysiren. Der Austauschprozess giebt der Waare, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Werth,


(FN 39) „Il danaro è la merce universale.“ ( Verri l. c. p. 16.)
(FN 40) „Silver and gold themselves, which we may call by the general name of Bullion, are … commodities … raising and falling in ‥ value … Bullion then may be reckoned to be of higher value, where the smaller weight will purchase the greater quantity of the product or manufacture of the country etc.“ („ A Discourse of the General Notions of Money, Trade, and Exchange, as they stand in relations to eachother. By a Merchant. Lond. 1695“, p. 7.) „Silver and gold, coined or uncoined, tho’ they are used for a measure of all other things, are no less a commodity than wine, oyl, tobacco, cloth or stuffs.“ („ A Discourse concerning Trade, and that in particular of the East-Indies etc., London 1689“, p. 2.) „The stock and riches of the kingdom cannot properly be confined to money, nor ought gold and silver to be excluded from being merchandize.“ („ The East India Trade a most Profitable Trade. London 1677“, p. 4.)
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sondern ihre spezifische Wert hform. Die Verwechslung beider Bestimmungen verleitete dazu, den Werth von Gold und Silber für imaginär zu halten(FN 41). Weil Geld in bestimmten Funktionen durch blosse Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, entsprang der andere Irrthum, es sei ein blosses Zeichen. Andrerseits lag darin die Ahnung, dass die Geldform des Dings ihm selbst äusserlich und blosse Erscheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. In diesem Sinn wäre jede Waare ein Zeichen, weil als Werth nur sachliche Hülle der auf sie verausgabten menschlichen Arbeit(FN 42). Indem man aber die gesellschaft-


(FN 41) „L’oro e l’argento hanno valore come metalli anteriori all’ essere moneta.“ ( Galiani l. c.) Locke sagt: „Die allgemeine Uebereinstimmung der Menschen legte dem Silber, wegen seiner Qualitäten, die es zum Geld geeignet machten, einen imaginären Werth bei.“ Dagegen Law: „Wie könnten verschiedene Nationen irgend einer Sache einen imaginären Werth geben … oder wie hätte sich dieser imaginäre Werth erhalten können?“ Wie wenig er selbst aber von der Sache verstand: „Das Silber tauschte sich aus nach dem Gebrauchswerth, den es hatte, also nach seinem wirklichen Werth; durch seine Bestimmung als Geld erhielt es einen zuschüssigen Werth (une valeur additionnelle).“ ( Jean Law: „ Considérations sur le numéraire et le commerce“ in E. Daire’s Edit. der „ Économistes Financiers du XVIII. siècle“ p. 470.)
(FN 42) „L’argent en (des denrées) est le signe.“ (V. de Forbonnais: „ Eléments du Commerce. Nouv. Edit. Leyde 1766“, t. II, p. 143.) „Comme signe il est attiré par les denrées.“ (l. c. p. 155.) „L’argent est un signe d’une chose et la représente.“ ( Montesquieu: „Esprit des Lois“. Oeuvres Lond. 1767, t. II, p. 2.) „L’argent n’est pas simple signe, car il est lui-même richesse; il ne représente pas les valeurs, il les équivaut.“ ( Le Trosne l. c. p. 910.) „Betrachtet man den Begriff des Werths, so wird die Sache selbst nur als ein Zeichen angesehn und sie gilt nicht als sie selber, sondern als was sie werth ist.“ (Hegel l. c. p. 100.) Lange vor den Oekonomen brachten die Juristen die Vorstellung von Geld als blossem Zeichen und dem nur imaginären Werth der edlen Metalle in Schwung, im Sykophantendienst der königlichen Gewalt, deren Münzverfälschungsrecht sie das ganze Mittelalter hindurch auf die Traditionen des römischen Kaiserreichs und die Geldbegriffe der Pandekten stützten. „Qu’aucun puisse ni doive faire doute“, sagt ihr gelehriger Schüler, Philipp von Valois, in einem Dekret von 1346, „que à nous et à notre majesté royale n’appartienne seulement … le mestier, le fait, l’état, la provision et toute l’ordonnance des monnaies, de donner tel cours, et pour tel prix comme il nous plait et bon nous semble.“ Es war römisches Rechtsdogma, dass der Kaiser den Gel dwerth dekretirt. Es

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lichen Charaktere, welche Sachen oder die sachlichen Charaktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf Grundlage einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für blosse Zeichen, erklärt man sie zugleich für willkührliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es war diess beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den räthselhaften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsprozess es noch nicht entziffern konnte, vorläufig wenigstens den Schein der Fremdheit abzustreifen.

Es ward vorhin bemerkt, dass die Aequivalentform einer Waare die quantitative Bestimmung ihrer Werth grösse nicht einschliesst. Weiss man, dass Gold Geld, daher mit allen andern Waaren unmittelbar austauschbar ist, so weiss man desswegen nicht, wie viel z. B. 10 Pfund Gold werth sind. Wie jede Waare kann das Geld seine eigne Werthgrösse nur relativ in andern Waaren ausdrücken. Sein eigner Werth ist bestimmt durch die zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit und drückt sich in dem Quantum jeder andern Waare aus, worin gleichviel Arbeitszeit geronnen ist(FN 43). Diese Festsetzung seiner relativen Werthgrösse findet statt an seiner Produktionsquelle in unmittelbarem Tauschhandel. Sobald es als Geld in den Austauschprozess eintritt, ist sein Werth bereits gegeben. Wenn es schon in den letzten Decennien des 17. Jahrhunderts weit überschrittener Anfang der Geldanalyse, zu wissen, dass Geld Waare ist, so aber auch nur der Anfang. Die Schwierigkeit


war ausdrücklich verboten, das Geld als Waare zu behandeln. „Pecunias vero nulli emere fas erit, nam in usu publico constitutas oportet non esse mercem.“ Gute Auseinandersetzung hierüber von G. F. Pagnini: „ Saggio sopra il giusto pregio delle cose. 1751“, bei Custodi Parte Moderna, t. II. Namentlich im zweiten Theil der Schrift polemisirt Pagnini gegen die Herren Juristen.
(FN 43) „If a man can bring to London an ounce of silver out of the earth in Peru, in the same time that he can produce a bushel of corn, then one is the natural price of the other; now if by reason of new and more easier mines a man can procure two ounces of silver as easily as he formerly did one, the corn will be as cheap at 10 shillings the bushel, as it was before at 5 shillings, caeteris paribus.“ William Petty: „ A Treatise on Taxes and Contributions. Lond. 1667“, p. 31.

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liegt nicht darin zu begreifen, dass Geld Waare, sondern wie, warum, wodurch Waare Geld ist(FN 44).

Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Ausdruck des Tauschwerths: x Waare A = y Waare B, das Ding, worin die Werthgrösse eines andern Dings dargestellt wird, seine Aequivalentform unabhängig von dieser Beziehung als gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint. Wir verfolgten die Befestigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine Aequivalentform mit der Naturalform einer besondern Waarenart verwachsen oder zur Geldform krystallisirt ist. Eine Waare scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andern Waaren allseitig ihre Werthe in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werthe in ihr darzustellen, weil sie Geldist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und lässt keine Spur zurück. Ohne ihr Zuthun finden die Waaren ihre eigne Werthgestalt fertig vor als einen ausser und neben ihnen existirenden Waarenkörper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Eingeweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Incarnation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. Das bloss atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozess und daher die von ihrer Controle und ihrem bewussten individuellen Thun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen Produk-


(FN 44) Nachdem Herr Professor Roscher uns belehrt: „Die falschen Definitionen von Geld lassen sich in zwei Hauptgruppen theilen: solche, die es für mehr, und solche, die es für weniger halten als eine Waare,“ folgt ein kunterbunter Katalog von Schriften über das Geldwesen, wodurch auch nicht die entfernteste Einsicht in die wirkliche Geschichte der Theorie durchschimmert, und dann die Moral: „Zu leugnen ist übrigens nicht, dass die meisten neueren Nationalökonomen die Eigenthümlichkeiten, welche das Geld von andern Waaren unterscheiden (also doch mehr oder weniger als Waare?) nicht genug im Auge behalten haben … Insofern ist die halbmercantilistische Reaktion von Ganilh etc. nicht ganz unbegründet.“ ( Wilhelm Roscher: „ Die Grundlagen der Nationalökonomie. 3. Aufl. 1858“, p. 207—10.) Mehr — weniger — nicht genug — insofern — nicht ganz! Welche Begriffsbestimmungen! Und dergleichen eklektische Professoralfaselei tauft Herr Roscher bescheiden „die anatomisch-physiologische Methode“ der politischen Oekonomie! Eine Entdeckung ist ihm jedoch geschuldet, nämlich, dass Geld „eine angenehme Waare“ ist.

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tionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, dass ihre Arbeitsprodukte allgemein die Waarenform annehmen. Das Räthsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Räthsel des Waarenfetischs selbst.

3) Das Geld oder die Waarencirculation.
A. Mass der Werthe.

Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die Geldwaare voraus.

Dadurch dass sich die Waaren in Gold ihren allgemeinen relativen Werthausdruck geben, funktionirt das Gold ihnen gegenüber als Mass der Werthe. Die Waaren werden nicht durch das Geld commensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waaren als Werthe vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich commensurabel sind, können sie sich alle in irgend einer dritten Waare messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Werthmass oder Geld verwandeln. Geld als Werthmass ist aber nothwendige Erscheinungsform des immanenten Werthmasses der Waaren, der Arbeitszeit(FN 45).

Der einfache relative Werthausdruck der Waaren in Geld — x Waare A = y Geldwaare — ist ihr Preis. In ihren Preisen erscheinen die Waaren erstens als Werthe, qualitativ Gleiche,


(FN 45) Die Frage, warum das Geld nicht unmittelbar die Arbeitszeit selbst repräsentirt, so dass z. B. eine Papiernote x Arbeitsstunden vorstellte, kömmt ganz einfach auf die Frage heraus, warum auf Grundlage der Waarenproduktion die Arbeitsprodukte sich als Waaren darstellen müssen, denn die Darstellung der Waare schliesst ihre Verdopplung in Waare und Geldwaare ein. Oder warum Privatarbeit nicht als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, als ihr Gegentheil, behandelt werden kann. Ich habe den seichten Utopismus eines „Arbeitsgelds“ auf Grundlage der Waarenproduktion anderswo ausführlicher erörtert. (l. c. p. 61 sqq.) Hier sei noch bemerkt, dass z. B. das Owensche „Arbeitsgeld“ ebensowenig „Geld“ ist, wie etwa eine Theatermarke. Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Waarenproduktion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitscertifikat konstatirt nur den individuellen Antheil des Producenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Theil des Gemeinprodukts. Aber es fällt Owen nicht ein, die Waarenproduktion einerseits vorauszusetzen und dennoch andrerseits ihre nothwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen.

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Materiatur derselben Arbeit oder dieselbe Materiatur der Arbeit, Gold, zweitens als quantitativ bestimmte Werthgrössen, denn in der Proportion, worin sie gleich bestimmten Goldquanta, sind sie einander gleich oder stellen gleiche Arbeitsquanta vor. Andrerseits wird der entfaltete relative Werthausdruck oder die endlose Reihe relativer Werthausdrücke zur spezifisch relativen Werthform der Geldwaare. Diese Reihe ist aber jetzt schon gegeben in den Waarenpreisen. Man lese die Quotationen eines Preiscourants rückwärts und man findet die Werthgrösse des Geldes in allen möglichen Waaren dargestellt. Die Reihe hat auch neuen Sinn erhalten. Das Gold, weil Geld, besitzt bereits in seiner Naturalform die allgemeine Aequivalentform oder die Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit unabhängig von seinen relativen Werthausdrücken. Ihre Reihe stellt jetzt daher zugleich, ausser seiner Werthgrösse, die entfaltete Welt des stofflichen Reichthums oder der Gebrauchswerthe vor, worin es unmittelbar umsetzbar ist. Geld hat dagegen keinen Preis. Um an dieser einheitlichen relativen Werthform der andern Waaren theilzunehmen, müsste es auf sich selbst als sein eignes Aequivalent bezogen werden.

Für die Bewegung der Waarenpreise gelten die früher gegebnen Gesetze des einfachen relativen Werthausdrucks. Die Waare npreise können nur allgemein steigen, bei gleichbleibendem Gel dwerth, wenn die Waare nwerthe steigen, bei gleichbleibenden Waare nwerthen, wenn der Gel dwerth fällt. Umgekehrt. Die Waare npreise können nur allgemein fallen, bei gleichbleibendem Geldwerth, wenn die Waare nwerthe fallen, bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der Gel dwerth steigt. Es folgt daher keineswegs, dass steigender Geldwerth proportionelles Sinken der Waarenpreise und fallender Geldwerth proportionelles Steigen der Waarenpreise bedingt. Diess gilt nur für Waaren von unverändertem Werth. Solche Waaren z. B., deren Werth gleichmässig und gleichzeitig steigt mit dem Geldwerth, behalten dieselben Preise. Steigt ihr Werth langsamer oder rascher als der Geldwerth, so wird der Fall oder das Steigen ihrer Preise beschränkt durch die Differenz zwischen ihrer Werthbewegung und der des Geldes u. s. w.

Die preisbestimmte Waare hat doppelte Form, reelle und vorgestellte oder ideelle. Ihre wirkliche Gestalt ist die eines Ge-


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brauchsgegenstandes, eines Produkts konkreter nützlicher Arbeit, z. B. Eisen. Ihre Werthgestalt, ihre Erscheinungsform als Materiatur eines bestimmten Quantums gleichartiger menschlicher Arbeit, ist ihr Preis, ein Quantum Gold. Aber Gold ist vom Eisen verschiednes Ding und in seinem Preise bezieht das Eisen sich selbst auf Gold als ein andres Ding, das jedoch ihm WerthGleiches ist. Der Preis oder die Geldform der Waare existirt nur in dieser gleichsetzenden Beziehung, also so zu sagen nur in ihrem Kopfe, und ihr Besitzer muss seine Zunge in ihren Kopf stecken oder ihr Papierzettel anhängen, um ihren Preis für die Aussenwelt vorzustellen(FN 46). Die Form ihres Werths ist daher vorgestellte, ideelle Geldform im Unterschied zur handgreiflich reellen Körperform ihres Gebrauchswerths. Da die Waaren so ihre Werthe nur ideell im Geld ausdrücken, drücken sie dieselben auch in nur vorgestelltem oder ideellem Geld aus. Mass der Werthe ist das Geld daher nur als vorgestelltes ideelles Geld. Jeder Waarenbesitzer weiss, dass er kein wirkliches Gold verbraucht, wenn er Waaren in Gold schätzt oder dem Waare nwerth die Form des Waare npreises giebt. Obgleich nun das Geld als Werthmass nur ideell funktionirt, hängt der Preis dennoch ganz vom reellen Geldmaterial ab. Denn eine Waare, eine Tonne Eisen z. B., wird in ihrem Preise als Materiatur eines bestimmten Quantums Arbeit auf bestimmtes Quantum Geldmaterial als Materiatur desselben Quantums Arbeit bezogen, aber dasselbe Quantum Arbeit materialisirt sich in ganz verschiednen Quanta Gold, Sil-


(FN 46) Der Wilde oder Halbwilde braucht die Zunge anders. Kapitain Parry bemerkt z. B. von den Bewohnern an der Westküste der Baffinsbay: „In this case (beim Produktenaustausch) .... they licked it (the thing represented to them) twice to their tongues after which they seemed to consider the bargain satisfactorily concluded.“ Ebenso beleckte bei den östlichen Eskimos der Eintauscher jedesmal den Artikel beim Empfang desselben. Wenn die Zunge so im Norden als Organ der Aneignung, ist es kein Wunder, dass der Bauch im Süden als Organ des accumulirten Eigenthums gilt und der Kaffer den Reichthum eines Mannes nach seinem Fettwanst schätzt. Die Kaffern sind grundgescheute Kerle, denn während der britische „ Board of Health“ in seinem Bericht von 1864 den Mangel eines grossen Theils der Arbeiterklasse an fettbildenden Substanzen beklagt, machte ein Dr. Harvey, der jedoch nicht die Blutcirculation erfunden hat, in demselben Jahre sein Glück durch Puff-Recepte, die der Bourgeoisie und Aristokratie Fettüberflusseslast abzutreiben versprachen

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ber oder Kupfer. Der Werth einer Tonne Eisen erhält also ganz verschiedne Preisausdrücke, je nachdem Gold, Silber oder Kupfer als Werthmass funktionirt.

Die preisbestimmten Waaren stellen sich alle dar in der Form: a Waare A = x Gold; b Waare B = z Gold, c Waare C = y Gold u. s. w., wo a, b, c bestimmte Masse der Waarenarten A, B, C, x, z, y bestimmte Masse des Goldes. Die Waare nwerthe sind daher verwandelt in vorgestellte Goldquanta von verschiedner Grösse, also, trotz der wirren Buntheit der Waarenkörper, in gleichnamige Grössen, Goldgrössen. Verschiedne Goldquanta, weil gleichnamige Grössen, vergleichen und messen sich unter einander, indem sie auf ein fixirtes Quantum Gold als ihre Masseinheit bezogen werden. Diese Masseinheit selbst wird durch weitere Eintheilung in aliquote Theile zum Massstab fortentwickelt. Solche Massstäbe besassen Gold, Silber, Kupfer bereits in ihren Metallgewichten, bevor sie Geld wurden. Ihr vorgefundener metallischer Gewichtmassstab dient daher ursprünglich auch stets in ihrer Geldfunktion.

Die Geldnamen der Metallgewichte trennen sich jedoch nach und nach von ihren ursprünglichen Gewichtnamen aus verschiedenen Gründen, darunter historisch entscheidend: 1) Einführung fremden Geldes bei minder entwickelten Völkern, wie z. B. im alten Rom Silberund Goldmünzen zuerst als ausländische Waaren circulirten. Die Namen dieses fremden Gelds sind von den einheimischen Gewichtnamen verschieden. 2) Mit der Entwicklung des Reichthums wird das minder edle Metall durch das edlere aus der Funktion des Werthmasses verdrängt, Kupfer durch Silber, Silber durch Gold, so sehr diese Reihenfolge aller poetischen Chronologie widersprechen mag(FN 46a). Pfund war nun z. B. Geldname für ein wirkliches Pfund Silber. Sobald Gold das Silber als Werthmass verdrängt, hängt sich derselbe Name vielleicht an u. s. w. Pfund Gold, je nach dem Werthverhältniss von Gold und Silber. Pfund als Geldname und als gewöhnlicher Gewichtname des Goldes sind jetzt getrennt. 3) Die Jahrhunderte lang fortgesetzte Geldfälschung der Fürsten, welche vom ursprünglichen Gewicht der Geldmünzen in der That nur den Namen zurückliess.


(FN 46a) Sie ist übrigens auch nicht von allgemein historischer Gültigkeit.

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Diese historischen Prozesse machen die Trennung des Geldnamens der Metallgewichte von ihrem gewöhnlichen Gewichtnamen zur Volksgewohnheit. Bei definitiver Reglung des Geldmassstabs, die einerseits rein conventionell ist, andrerseits gesetzlicher Allgemeinheit und Zwangsgültigkeit bedarf, versteht es sich zuletzt von selbst, dass die Staatsautorität einen bestimmten Gewichttheil des edlen Metalls, z. B. eine Unze Gold, als Gewichteinheit fixirt und diese abtheilt in aliquote Theile, denen sie beliebige legale Taufnamen beilegt, wie Pfund, Thaler u. s. w. Solcher aliquote Theil, der dann als die eigentliche Masseinheit des Geldes gilt, wird weiter getheilt und untergetheilt in andre aliquote Theile, die ihrerseits gesetzliche Taufnamen erhalten, wie Shilling, Penny u. s. w. Nach wie vor bleiben bestimmte Metallgewichte Massstab des Metallgelds. Was sich geändert, ist Eintheilung und Namengebung.

Die Waaren verwandeln Gold in das Mass der Werthe, indem sie allseitig ihre Werthe in ihm ausdrücken. So erhalten ihre Werthgrössen die Form der Preise oder vorgestellter Goldquanta. Diese Verwandlung von Werth in Preis einmal vollbracht, wird es technisch nothwendig, das Mass der Werthe weiter zu bestimmen zum Massstab der Preise. Beide Funktionen sind durchaus verschieden. Als Massstab der Preise kann und muss ein bestimmtes Quantum Gold fixirt werden, grade wie der Massstab andrer gleichnamiger Grössen. Der Werthwechsel des Goldes ändert nichts am Werthverhältniss seiner verschiednen Gewichttheile unter einander und die gesetzlich fixirten Taufnamen dieser Theile ändern nichts an ihrem Gewicht. Der Massstab der Preise misst aber nur verschiedne Quanta Gold an einem fixirten Goldquantum, nicht den Werth eines Goldquantums durch das Gewicht des andern.

Der Werthwechsel des Goldes verhindert auch nicht seine Funktion als Werthmass. Er trifft alle Waaren gleichzeitig, lässt also, caeteris paribus, ihre wechselseitigen relativen Werthe unverändert, obgleich sie sich nun alle in höheren oder niedrigeren Goldpreisen als zuvor ausdrücken.

Die Waaren stellen ihre Werthe jetzt nicht nur gleichnamig als Gold, sondern in denselben gesellschaftlich gültigen Rechennamen des Goldmassstabs, wie Pfd. St. s. d. u. s. w., dar. Das Geld dient als Rechengeld, so oft es gilt eine Sache als Werth und daher in Geldform zu fixiren.


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Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äusserlich und daher erlischt auch ihre Begriffsbestimmung in ihm. Ich weiss nichts vom Menschen, wenn ich weiss, dass ein Mensch Jakobus heisst. Ebenso verschwindet in den Geldnamen Pfund, Thaler, Frank, Dukat u. s. w. jede Spur des Werthverhältnisses. Die Wirre über den Geheimsinn dieser kabbalistischen Zeichen ist um so grösser als die Geldnamen zugleich den Werth der Waaren und aliquote Theile eines Goldgewichts, des Geldmassstabs, und das eine nur darstellen, weil das andre(FN 47). Andrerseits ist es nothwendig, dass der Werth im Unterschied von den bunten Körpern der Waaren sich zu dieser begriffslos sachlichen, aber auch einfach gesellschaftlichen Form fortentwickle.

Der Preis ist der Geldname der in der Waare vergegenständlichten Arbeitszeit. Die Aequivalenz der Waare und des Geldquantums, dem ihr Preis sie gleichsetzt, ist daher eine Tautologie(FN 48), wie ja überhaupt der relative Werthausdruck einer Waare stets der Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren ist. Wenn aber der Preis als Exponent der Werthgrösse der Waare Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld ist, so folgt nicht umgekehrt, dass der Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld nothwendig der Exponent ihrer Werthgrösse ist. Gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit


(FN 47) Vgl. „Theorieen von der Masseinheit des Geldes“ in „ Zur Kritik der pol. Oekon. etc.“, p. 53 sqq. Die Phantasien über Erhöhung oder Erniedrigung des „ Münzpreises“, die darin besteht, die gesetzlichen Geldnamen für gesetzlich fixirte Gewichttheile Gold oder Silber auf grössere oder kleinere Gewichttheile von Staatswegen zu übertragen und demgemäss auch etwa ¼ Unze Gold statt in 20 künftig in 40 sh. zu prägen — diese Phantasien, soweit sie nicht ungeschickte Finanzoperationen gegen Staatsund Privatgläubiger, sondern ökonomische „Wunderkuren“ bezwecken, hat Petty so erschöpfend behandelt in „ Quantulumcumque concerning Money. To the Lord Marquis of Halifax. 1682“, dass schon seine unmittelbaren Nachfolger, Sir Dudley North und John Locke, von Späteren gar nicht zu reden, ihn nur verflachen konnten. „If the wealth of a nation“, sagt er u. A., „could be decupled by a Proclamation, it were strange that such proclamations have not long since been made by our Governors.“ (l. c. p. 36.)
(FN 48) „Ou bien, il faut consentir à dire qu’une valeur d’un million en argent vaut plus qu’une valeur égale en marchandises.“ ( Le Trosne l. c. p. 922), also „qu’une valeur vaut plus qu’une valeur égale.“

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von gleicher Grösse stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfd. St. (ungefähr ½ Unze Gold) dar. Die 2 Pfd. St. sind Geldausdrücke der Werthgrösse des Quarter Weizen, oder sein Preis. Erlauben nun die Umstände, ihn zu 3 Pfd. St., oder zwingen sie ihn zu 1 Pfd. St. zu notiren, so sind 1 Pfd. St. und 3 Pfd. St. als Ausdrücke der Wert hgrösse des Weizens zu klein oder zu gross, aber sie sind dennoch Preise desselben, denn erstens sind sie seine Werthform, Geld, und zweitens Exponente seines Austauschverhältnisses mit Geld. Bei gleichbleibenden Produktionsbedingungen oder gleichbleibender Produktivkraft der Arbeit muss nach wie vor zur Reproduktion des Quarter Weizen gleich viel gesellschaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. Dieser Umstand hängt weder vom Willen des Weizenproduzenten noch der andern Waarenbesitzer ab. Die Werthgrösse der Waare drückt also ein nothwendiges, ihrem Bildungsprozess immanentes Verhältniss zur gesellschaftlichen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Werthgrösse in Preis erscheint diess nothwendige Verhältniss als Austauschverhältniss der Waare mit einer andern ausser ihr existirenden Waare. Diese Form kann aber ebensowohl die Werthgrösse der Waare als das zufällige Verhältniss ausdrücken, worin sie unter gegebnen Umständen veräusserlich ist. Die Möglichkeit quantitativer Incongruenz zwischen Preis und Werthgrösse, oder der Abweichung des Preises von der Werthgrösse, ist also in der Preisform selbst gegeben. Es ist diess kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann.

Die Preisform lässt jedoch nicht nur die Möglichkeit quantitativer Incongruenz zwischen Werthgrösse und Preis, d. h. zwischen der Werthgrösse und ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen qualitativen Widerspruch beherbergen, so dass der Preis überhaupt aufhört, Werthausdruck zu sein, obgleich Geld nur die Werthform der Waaren ist. Dinge, die an und für sich keine Waaren sind, z. B. Gewissen, Ehre u. s. w., können ihren Besitzern gegen Geld veräusserlich sein und so durch ihren Preis die Waarenform erhalten. Ein Ding kann daher formell einen Preis haben, ohne einen Werth zu haben. Der Preisausdruck wird hier imaginär, wie gewisse Grössen der Mathematik oder das „unendliche Urtheil“ der Logik. Wo wir jedoch für


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wesentliche Produktionsverhältnisse derartige imaginäre Preisform finden, wie z. B. Preis des Grund und Bodens, obgleich der Boden, weil keine menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, auch keinen Werth hat, wird die tiefere Analyse unter der imaginären Form stets ein wirkliches Werthverhältniss oder von ihm abgeleitete Beziehung verborgen finden.

Doch kehren wir zurück zum normalen Waarenpreis, der uns hier allein noch bekannt ist. Der Preis ist die nurideelle Werthgestalt der Waare. Er drückt also zugleich aus, dass sie noch nicht reelle Werthgestalt besitzt oder dass ihre Naturalform nicht ihre allgemeine Aequivalentform ist. Die ideelle Werthgestalt der Waare ist ferner Preis, d. h. nur vorgestellte oder ideelle Goldgestalt. Er drückt also aus, dass, um die Wirkung eines Tauschwerths oder allgemeinen Aequivalents auf andre Waaren auszuüben, sie ihren natürlichen Leib abstreifen, sich aus nur vorgestelltem Gold in wirkliches Gold verwandeln muss, obgleich diese Transsubstantiation ihr „saurer“ ankommen mag als dem hegel’schen „Begriff“ der Uebergang aus der Nothwendigkeit in die Freiheit oder einem Hummer das Sprengen seiner Schale, oder dem Kirchenvater Hieronymus das Abstreifen des alten Adam(FN 49). Neben ihrer reellen Gestalt, Eisen z. B., kann die Waare im Preis ideelle Werthgestalt oder vorgestellte Goldgestalt besitzen, aber sie kann nicht zugleich wirklich Eisen und wirklich Gold sein. Für ihre Preisgebung genügt es, vorgestelltes Gold ihr gleichzusetzen. Durch Gold ist sie zu ersetzen, damit sie ihrem Besitzer den Dienst eines allgemeinen Aequivalents leiste. Träte der Besitzer des Eisens z. B. dem Besitzer einer weltlustigen Waare gegenüber, und verwiese ihn auf den Eisen preis, der Geld form sei, so würde der Weltlustige antworten, wie im Himmel der heilige Petrus dem Dante, der ihm die Glaubens formeln hergesagt:


(FN 49) Wenn Hieronymus in seiner Jugend viel mit dem materiellen Fleisch zu ringen hatte, wie sein Wüstenkampf mit schönen Frauenbildern zeigt, so im Alter mit dem geistigen Fleisch. „Ich glaubte mich“, sagt er z. B., „im Geist vor dem Weltrichter. „Wer bist du?“ fragte eine Stimme. „Ich bin ein Christ.“ „Du lügst“, donnerte der Weltrichter. „ Du bist nur ein Ciceronianer!“

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„Assai bene è trascorsa D’esta moneta già la lega e’l peso, Ma dimmi se tu l’hai nella tua borsa.“

Die Preisform schliesst die Veräusserlichkeit der Waaren gegen Geld und die Nothwendigkeit dieser Veräusserung ein. Die Preisbestimmung der Waaren hat andrerseits eine im Austauschprozess befindliche Waare, das Gold, bereits zu Geld gemacht. Im ideellen Mass der Werthe lauert daher das harte Geld.

B. Circulationsmittel.
a) Die Metamorphose der Waaren.

Man sah, dass der Austauschprozess der Waaren widersprechende und einander ausschliessende Beziehungen einschloss. Die Entwicklung der Waare, die wir eben betrachtet, hebt diese Widersprüche nicht auf, aber sie schafft die Form, worin sie sich bewegen können. Diess ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen. Es ist z. B. ein Widerspruch, dass ein Körper beständig in einen andern fällt und eben so beständig von ihm weg flieht. Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich eben so sehr verwirklicht als löst.

Soweit der Austauschprozess der Waaren sie aus der Hand, worin sie Nicht-Gebrauchswerthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, ist er gesellschaftlicher Stoffwechsel. Das Produkt einer nützlichen Arbeitsweise ersetzt das der andern. Einmal angelangt zur Stelle, wo sie als Gebrauchswerth gilt, dient die Waare als Gebrauchsgegenstand oder fällt in die Sphäre der Consumtion aus der Sphäre des Waarenaustauschs. Letztre allein interessirt uns hier. Wir haben also den ganzen Prozess nach der Formseite zu betrachten, also nur den Formwechsel oder die Metamorphose der Waaren, welche den gesellschaftlichen Stoffwechsel vermittelt.

Die durchaus mangelhafte Auffassung dieses Formwechsels, der Funktionen des Geldes, der daraus entspringenden verschiednen Formbestimmtheiten, die das Geld aus seinen verschiednen Funktionen schöpft, ist, abgesehn von Unklarheit über den Werthbegriff selbst, dem Umstand geschuldet, dass jeder Formwechsel einer Waare sich im Austausch zweier Waaren, der Waare und der Geldwaare, darstellt. Hält man an diesem stofflichen Moment, dem Austausch von Waare und Gold, allein fest,


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so übersieht man grade, was man sehn soll, nämlich was sich mit der Form zuträgt. Man übersieht, dass die Bestimmung des Goldes als Geld bereits eine Formbestimmung ist, die ihm nicht als blosser Waare gehört, dass die andern Waaren sich in ihren Preisen selbst auf das Gold als ihre eigne Geldgestalt beziehn, und dass es seinerseits nur die allgemeine unmittelbare Aequivalentform erhält, weil die Waaren überhaupt sich eine allgemeine relative Werthform geben müssen.

Die Waaren gehn zunächst unvergoldet, unverzuckert, wie der Kamm ihnen gewachsen ist, den Austauschprozess ein. Er produzirt die Verdopplung der Waare in Waare und Geld, ein äusserer Gegensatz, worin sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswerth und Tauschwerth darstellen. In diesem Gegensatz treten die Waaren als Gebrauchswerthe dem Geld als Tauschwerth gegenüber. Andrerseits sind beide Seiten des Gegensatzes Waaren, also Einheiten von Gebrauchswerth und Werth. Aber diese Einheit von Unterschieden stellt sich auf jedem der beiden Pole umgekehrt dar und stellt dadurch zugleich deren Wechselbeziehung dar. Die Waare ist reell Gebrauchswerth, ihr Werthdasein erscheint nur ideell im Preis, der sie auf das gegenüberstehende Gold als ihre reelle Werthgestalt bezieht. Umgekehrt gilt das Goldmaterial nur als Werthmateriatur Geld. Es ist reell daher all gemeines Aequivalent, Tauschwerth. Sein Gebrauchswerth erscheint nur noch ideell in der Reihe der relativen Werthausdrücke, worin es sich auf die gegenüberstehenden Waaren als den Umkreis seiner reellen Gebrauchsgestalten bezieht. Diese gegensätzlichen Formen der Waaren sind die wirklichen Bewegungsformen ihres Austauschprozesses.

Begleiten wir nun irgend einen Waarenbesitzer, unsern altbekannten Leinweber z. B., zur Scene des Austauschprozesses, dem Waare nmarkt. Seine Waare, 20 Ellen Leinwand, ist preisbestimmt. Ihr Preis ist 2 Pfd. St. Er tauscht sie aus gegen 2 Pfd. St., und, Mann von altem Schrot und Korn, tauscht die 2 Pfd. St. wieder aus gegen eine Familienbibel vom selben Preis. Die Leinwand, für ihn nur Waare, Werthträger, wird entäussert gegen Gold, ihre Werthgestalt, und aus dieser Gestalt rückveräussert gegen eine andere Waare, die Bibel, die aber als Gebrauchsgegenstand in’s Weberhaus wandern und dort Erbauungsbedürfnisse befrie-


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digen soll. Der Austauschprozess der Waare vollzieht sich also in zwei entgegengesetzten und einander ergänzenden Metamorphosen — Verwandlung der Waare in Geld und ihre Rückverwandlung aus Geld in Waare(FN 50). Die Momente der Waarenmetamorphose sind zugleich Händel des Waarenbesitzers — Verkauf, Austausch der Waare mit Geld, Kauf, Austausch des Gelds mit Waare, und Einheit beider Akte: Verkaufen um zu kaufen.

Besieht sich der Leinweber nun das Endresultat des Handels, so besitzt er Bibel statt Leinwand, statt seiner ursprünglichen Waare eine andre vom selben Werth, aber verschiedner Nützlichkeit. In gleicher Weise eignet er sich seine verschiednen Lebensund Produktionsmittel an. Von seinem Standpunkt vermittelt der ganze Prozess, die Geldwerdung der Leinwand und die Waarenwerdung des Geldes, Verkauf und Kauf, nur den Austausch seines Arbeitsprodukts mit fremdem Arbeitsprodukt, den Produktenaustausch.

Der Austauschprozess der Waare vollzieht sich also in folgendem Formwechsel: Waare — Geld — Waare. W — G — W.

Nach ihrem stofflichen Inhalt ist die Bewegung W — W, Austausch von Waare gegen Waare, Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit, in dessen Resultat der Prozess selbst erlischt.

W — G. Erste Metamorphose der Waare oder Verkauf: Das Ueberspringen des Waare nwerths aus dem Waarenleib in den Goldleib ist, wie ich es anderswo bezeichnet, der salto mortale der Waare. Misslingt er, so ist zwar nicht die Waare geprellt, wohl aber der Waarenbesitzer. Die gesellschaftliche Theilung der Arbeit macht seine Arbeit ebenso einseitig als seine Bedürfnisse vielseitig. Eben desswegen dient ihm sein Produkt nur als Tauschwerth, allgemeines Aequivalent. Allgemeine, gesellschaftlich gültige Aequivalentform erhält es


(FN 50) „Ἐϰ δὲ τοῦ … πυϱὸς ἀνταμείβεσϑαι πάντα, φησὶν ὁ Ἡϱάϰλειτος, ϰαὶ πῦϱ ἁπάντων, ὥςπεϱ χϱυσοῦ χϱήματα ϰαὶ χϱημάτων χϱυσός.“ (F. Lassalle: „ Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln. Berlin 1858“, Bd. I, p. 222.) Lassalle’s Note zu dieser Stelle, p. 224, n. 3, erklärt das Geld unrichtig für blosses Werthzeichen.
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aber nur im Geld und das Geld befindet sich in fremder Tasche. Um es herauszuziehn, muss die Waare vor allem Gebrauchswerth für den Geldbesitzer sein, die auf sie verausgabte Arbeit also in gesellschaftlich nützlicher Form verausgabt sein oder sich als Glied der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit bewähren. Aber die Theilung der Arbeit ist ein naturwüchsiger Produktionsorganismus, dessen Fäden hinter dem Rücken der Waarenproducenten gewebt wurden und sich fortweben. Vielleicht ist die Waare Produkt einer neuen Arbeitsweise, die ein neu aufgekommenes Bedürfniss zu befriedigen vorgiebt oder auf eigne Faust ein Bedürfniss erst hervorrufen will. Gestern noch eine Funktion unter den vielen Funktionen eines und desselben Waarenproducenten, reisst sich eine besondre Arbeitsverrichtung heute vielleicht los von diesem Zusammenhang, verselbstständigt sich und schickt eben desswegen ihr Theilprodukt als selbstständige Waare zu Markt. Die Umstände mögen reif oder unreif sein für diesen Scheidungsprozess. Das Produkt befriedigt heute ein gesellschaftliches Bedürfniss. Morgen wird es vielleicht ganz oder theilweise von einer ähnlichen Produktenart aus seinem Platze verdrängt. Ist auch die Arbeit, wie die unsres Leinwebers, patentirtes Glied der gesellschaftlichen Arbeitstheilung, so ist damit noch keineswegs der Gebrauchswerth grade seiner 20 Ellen Leinwand garantirt. Wenn das gesellschaftliche Bedürfniss für Leinwand, und es hat sein Mass, wie alles andre, bereits durch nebenbuhlerische Leinweber gesättigt ist, wird das Produkt unsres Freundes überschüssig, überflüssig und damit nutzlos. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, aber er beschreitet nicht den Markt, um Präsente zu machen. Gesetzt aber der Gebrauchswerth seines Produkts bewähre sich und Geld werde daher angezogen von der Waare. Aber nun fragt sich’s, wie viel Geld? Die Antwort ist allerdings schon anticipirt im Preis der Waare, dem Exponenten ihrer Werthgrösse. Wir sehn ab von etwaigen rein subjektiven Rechenfehlern des Waarenbesitzers, die auf dem Markt sofort objectiv corrigirt werden. Er soll auf sein Produkt nur den gesellschaftlich nothwendigen Durchschnitt von Arbeitszeit verausgabt haben. Der Preis der Waare ist also nur Geldname des in ihr vergegenständlichten Quantums gesellschaftlicher Arbeit. Aber ohne Erlaubniss und hinter dem Rücken unsres Leinwebers geriethen die altverbürgten Produktionsbedingungen der Leinweberei in Gährung. Was gestern zweifelsohne gesellschaftlich nothwendige Ar-


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beitszeit zur Produktion einer Elle Leinwand war, hört heute auf es zu sein, wie der Geldbesitzer eifrigst demonstrirt aus den Preisquotationen verschiedner Nebenbuhler unsres Freundes. Zu seinem Unglück giebt’s viele Weber auf der Welt. Gesetzt endlich jedes auf dem Markt vorhandne Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Trotzdem kann die Gesammtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesammtquantum Leinwand, zum Normalpreis von 2 Sh. per Elle, nicht zu absorbiren, so beweist das, dass ein zu grosser Theil der gesellschaftlichen Gesammtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heisst’s: Mitgefangen, mitgehangen. Alle Leinwand auf dem Markt gilt nur als ein Handelsartikel, jedes Stück nur als aliquoter Theil. Und in der That ist der Werth jeder individuellen Elle ja auch nur die Materiatur desselben gesellschaftlich bestimmten Quantums gleichartiger menschlicher Arbeit.

Man sieht, die Waare liebt das Geld, aber „the course of true love runs never smooth.“ Ebenso naturwüchsig zufällig, wie die qualitative, ist die quantitative Gliederung des gesellschaftlichen Produktionsorganismus, der seine membra disjecta im System der Theilung der Arbeit darstellt. Unsere Waarenbesitzer entdecken daher, dass dieselbe Theilung der Arbeit, die sie zu unabhängigen Privatproducenten, den gesellschaftlichen Produktionsprozess und ihre Verhältnisse in diesem Prozess von ihnen selbst unabhängig macht, dass die Unabhängigkeit der Personen von einander sich in einem System allseitiger sachlicher Abhängigkeit ergänzt.

Die Theilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Waare und macht dadurch seine Verwandlung in Geld nothwendig. Sie macht es zugleich zufällig, ob diese Transsubstantiation gelingt. Hier ist jedoch das Phänomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang also vorauszusetzen. Wenn es übrigens überhaupt vorgeht, die Waare also nicht unverkäuflich ist, findet stets ihr Formwechsel statt, obgleich abnormal in diesem Formwechsel Substanz — Werthgrösse — eingebüsst oder zugesetzt werden mag.

Dem einen Waarenbesitzer ersetzt Gold seine Waare und dem an-

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dern Waare sein Gold. Das sinnfällige Phänomen ist der Händeoder Stellenwechsel von Waare und Gold, von 20 Ellen Leinwand und 2 Pfd. St., d. h. ihr Austausch. Aber womit tauscht sich die Waare aus? Mit ihrer eignen allgemeinen Werthgestalt. Und womit das Gold? Mit einer besondern Gestalt seines Gebrauchswerths. Warum tritt Gold der Leinwand als Geld gegenüber? Weil ihr Preis von 2 Pfd. St. oder ihr Geldname sie bereits auf Gold als Geld bezieht. Die Entäusserung der ursprünglichen Waarenform vollzieht sich durch die Veräusserung der Waare, d. h. in dem Augenblicke, wo ihr Gebrauchswerth das in ihrem Preis nur vorgestellte Gold wirklich anzieht. Die Realisirung des Preises oder der nur ideellen Werthform der Waare ist daher zugleich umgekehrt Realisirung des nur ideellen Gebrauchswerths des Geldes, die Verwandlung von Waare in Geld zugleich Verwandlung von Geld in Waare. Der eine Prozess ist zweiseitiger Prozess, vom Pol des Waarenbesitzers Verkauf, vom Gegenpol des Geldbesitzers Kauf. Oder Verkauf ist Kauf, W — G zugleich G — W(FN 51).

Wir kennen bisher kein andres ökonomisches Verhältniss der Menschen zu einander ausser dem von Waarenbesitzern, ein Verhältniss, worin sie fremdes Arbeitsprodukt nur aneignen, indem sie eignes entfremden. Einem Waarenbesitzer kann der andre daher nur als Geldbesitzer gegenübertreten, entweder weil sein Arbeitsprodukt von Natur die Geldform besitzt, also Geldmaterial ist, Gold u. s. w., oder weil seine eigne Waare sich bereits gehäutet und ihre ursprüngliche Gebrauchsform abgestreift hat. Um als Geld zu funktioniren, muss das Gold natürlich an irgend einem Punkt in den Waarenmarkt eintreten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo es sich als unmittelbares Arbeitsprodukt mit anderm Arbeitsprodukt von demselben Werth austauscht. Aber von diesem Augenblick funktionirt es nur als wirkliches Geld, weil es beständig realisirter Waarenpreis ist(FN 52).


(FN 51) „Toute vente est achat“ (Dr. Quesnay: „Dialogues sur le Commerce et les Travaux des Artisans“. Physiocrates, ed. Daire, I. Partie, Paris 1846, p. 170), oder, wie Quesnay in seinen „ Maximes Générales“ sagt: „Vendre est acheter.“
(FN 52) „Le prix d’une marchandise ne pouvant pas être payé que par le prix d’une autre marchandise.“ ( Mercier de la Rivière: „L’Ordre na-

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Abgesehn vom Austausch des Golds mit Waare an seiner Produktionsquelle, ist das Gold in der Hand jedes Waarenbesitzers die entäusserte Gestalt seiner veräusserten Waare, Produkt des Verkaufs oder der ersten Waarenmetamorphose W — G(FN 53). Ideelles Geld oder Werthmass wurde das Gold, weil alle Waaren ihre Werthe in ihm massen und es so vorstellungsweise zu ihrer entäusserten Gebrauchsgestalt oder Werthgestalt machten. Reelles Geld wird es, weil die Waaren durch ihre allseitige Veräusserung es zu ihrer wirklich entäusserten oder verwandelten Gebrauchsgestalt und daher zu ihrer wirklichen Werthgestalt machen. In ihrer Werthgestalt streift die Waare jede Spur ihres naturwüchsigen Gebrauchswerths und der besondern nützlichen Arbeit ab, welcher sie den Ursprung verdankt, um sich in die gleichförmige gesellschaftliche Materiatur unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu verpuppen. Man sieht dem Geld daher nicht an, welchen Schlags die in es verwandelte Waare. Eine sieht in ihrer Geldform grade aus wie die andre. Geld mag daher Dreck sein, obgleich Dreck nicht Geld ist. Wir wollen annehmen, dass die zwei Goldfüchse, wogegen unser Leineweber seine Waare veräussert, die verwandelte Gestalt eines Quarters Weizen sind. Der Verkauf der Leinwand, W — G, ist zugleich ihr Kauf, G — W. Aber als Verkauf der Leinwand beginnt dieser Prozess eine Bewegung, die mit seinem Gegentheil endet, mit dem Kauf der Bibel; als Kauf der Leinwand endet er eine Bewegung, die mit seinem Gegentheil begann, mit dem Verkauf des Weizens. W — G (Leinwand — Geld), die erste Phase von W — G — W (Leinwand — Geld — Bibel), ist zugleich G — W (Geld — Leinwand), die letzte Phase einer andern Bewegung W — G — W (Weizen — Geld — Leinwand). Die erste Metamorphose einer Waare, ihre Verwandlung aus der Waarenform in Geld, ist stets zugleich zweite entgegengesetzte Metamorphose einer andern Waare, ihre Rückverwandlung aus der Geldform in Waare(FN 54).


turel et essentiel des sociétés politiques“. Physiocrates, ed. Daire, II. Partie, p. 554.)
(FN 53) „Pour avoir cet argent, il faut avoir vendu.“ (l. c. p. 543.)
(FN 54) Ausnahme, wie vorher bemerkt, bildet der Gold resp. Silberproducent, der sein Produkt austauscht, ohne es vorher verkauft zu haben.

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G — W. Zweite oder Schlussmetamorphose der Waare. Kauf. — Weil die entäusserte Gestalt aller andern Waaren oder das Produkt ihrer allgemeinen Veräusserung, ist Geld die absolut veräusserliche Waare. Es liest alle Preise rückwärts und spiegelt sich so in allen Waarenleibern als dem hingebenden Material seiner eignen Waarenwerdung. Zugleich zeigen die Preise, die Liebesaugen, womit ihm die Waaren winken, die Schranke seiner Verwandlungsfähigkeit, nämlich seine eigne Quantität. Da die Waare in ihrer Geldwerdung verschwindet, sieht man dem Geld nicht an, wie es in die Hände seines Besitzers gelangt oder was in es verwandelt ist. Non olet, wessen Ursprungs auch immer. Als entäusserte Gestalt steht es den Waaren, ihm als der absolut veräusserlichen Waarengestalt steht die Waarenwelt gegenüber(FN 55).

G — W, der Kauf ist zugleich Verkauf, W — G, die letzte Metamorphose einer Waare daher zugleich die erste Metamorphose einer andern Waare. Für unsern Leinweber schliesst der Lebenslauf seiner Waare mit der Bibel, worin er die 2 Pfd. St. rückverwandelt hat. Aber der ursprüngliche Bibelbesitzer setzt die vom Leineweber gelösten 2 Pfd. St. in Kornbranntwein um, G — W, die Schlussphase von W — G — W (Leinwand — Geld — Bibel) ist zugleich W — G, die erste Phase von W — G — W (Bibel — Geld — Kornbranntwein). Da der Waarenproduzent nur ein einseitiges Produkt liefert, verkauft er es oft in grösseren Massen, während seine vielseitigen Bedürfnisse ihn zwingen, den realisirten Preis oder die gelöste Geldsumme beständig in zahlreiche Käufe zu zersplittern. Ein Verkauf mündet daher in viele Käufe verschiedner Waaren. Die Schlussmetamorphose einer Waare bildet so eine Summe von ersten Metamorphosen andrer Waaren.

Betrachten wir nun die Gesammtmetamorphose einer Waare, z. B. der Leinwand, so sehn wir zunächst, dass sie aus zwei entgegengesetzten und einander ergänzenden Bewegungen besteht, W — G und G — W. Die zwei entgegengesetzten Wandlungen vollziehn sich in zwei entgegengesetzten gesellschaftlichen Prozessen des Waarenbesitzers und reflektiren sich in zwei entgegengesetzten ökonomischen Charakteren dessel-


(FN 55) „Si l’argent représente, dans nos mains, les choses que nous pouvons désirer d’acheter, il y représente aussi les choses que nous avous vendues pour cet argent.“ ( Mercier de la Rivière l. c. p. 586.)

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ben. Als Agent des Verkaufs wird er Verkäufer, als Agent des Kaufs Käufer. Wie aber in jeder Wandlung der Waare ihre beiden Formen, Waarenform und Geldform, gleichzeitig existiren, nur auf entgegengesetzten Polen, so steht demselben Waarenbesitzer als Verkäufer ein andrer Käufer und als Käufer ein andrer Verkäufer gegenüber. Wie dieselbe Waare die zwei umgekehrten Wandlungen successiv durchläuft, aus Waare Geld und aus Geld Waare wird, so wechselt derselbe Waarenbesitzer die Rollen von Verkäufer und Käufer. Es sind diess also keine festen, sondern im Tauschprozess der Waaren beständig die Person wechselnden Charaktere.

Die Gesammtmetamorphose einer Waare unterstellt, in ihrer einfachsten Form, vier Extreme und drei Personae dramatis. Erst tritt der Waare das Geld als ihre entäusserte Gestalt gegenüber, die jenseits, in fremder Tasche, sachlich harte Realität besitzt. So tritt dem Waarenbesitzer ein Geldbesitzer gegenüber. Sobald die Waare nun in Geld verwandelt, wird letztres zu ihrer verschwindenden Aequivalentform, deren Gebrauchswerth oder Inhalt diesseits in andern Waarenkörpern existirt. Als Endpunkt der ersten Waarenwandlung ist das Geld zugleich Ausgangspunkt der zweiten. So der Verkäufer im ersten Act Käufer im zweiten, wo ihm ein dritter Waarenbesitzer als Verkäufer gegenübertritt(FN 56).

Die beiden umgekehrten Bewegungsphasen der Waarenmetamorphose bilden einen Kreislauf: Waarenform, Abstreifung der Waarenform, Rückkehr zur Waarenform. Allerdings ist die Waare selbst hier gegensätzlich bestimmt, am Ausgangspunkt Nicht-Gebrauchswerth, am Endpunkt Gebrauchswerth für ihren Besitzer, wie das Geld die Waare erst als festen Werthkrystall darstellt, um hinterher als ihre blosse Aequivalentform zu zerrinnen.

Die zwei Metamorphosen, die den Kreislauf einer Waare, bilden zugleich die umgekehrten Theilmetamorphosen zweier andren Waaren. Dieselbe Waare (Leinwand) eröffnet die Reihe ihrer eignen Metamorphosen und schliesst die Gesammtmetamorphose einer andern Waare (des Weizens). Während ihrer ersten Wandlung, dem Verkauf, spielt


(FN 56) „Il y a donc quatre termes et trois contractants, dont l’un intervient deux fois.“ ( Le Trosne l. c. p. 908.)

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sie diese zwei Rollen in eigner Person. Als Goldchrysalide dagegen, worin sie selbst den Weg alles Fleisches wandert, endet sie zugleich die erste Metamorphose einer dritten Waare. Der Kreislauf, den die Metamorphosenreihe jeder Waare bildet, verschlingt sich also unentwirrbar mit den Kreisläufen andrer Waaren. Der Gesammtprozess stellt sich dar als Waarencirculation.

Die Waarencirculation ist nicht nur formell, sondern wesentlich vom unmittelbaren Produktenaustausch unterschieden. Man werfe nur einen Rückblick auf den Vorgang. Der Leineweber hat unbedingt Leinwand mit Bibel vertauscht, eigne Waare mit fremder. Aber diess Phänomen ist nur wahr für ihn. Der Bibelagent, der dem Kühlen Heisses vorzieht, dachte nicht daran, Leinwand für Bibel einzutauschen, wie der Leineweber nicht davon weiss, dass Weizen gegen seine Leinwand eingetauscht worden ist u. s. w. Die Waare des B ersetzt die Waare des A, aber A und B tauschen nicht wechselseitig ihre Waaren aus. Es kann in der That vorkommen, dass A und B wechselweis von einander kaufen, aber solche besondre Beziehung ist keineswegs durch die allgemeinen Verhältnisse der Waarencirculation bedingt. Einerseits sieht man hier, wie der Waarenaustausch die individuellen und lokalen Schranken des unmittelbaren Produktenaustauschs durchbricht und den Stoffwechsel der menschlichen Arbeit entwickelt. Andrerseits entwickelt sich ein ganzer Kreis von den handelnden Personen uncontrolirbarer, gesellschaftlicher Naturzusammenhänge. Der Weber kann nur Leinwand verkaufen, weil der Bauer Weizen, Heisssporn nur die Bibel, weil der Weber Leinwand, der Destillateur nur gebranntes Wasser, weil der andre das Wasser des ewigen Lebens bereits verkauft hat u. s. w.

Der Circulationsprozess erlischt desswegen auch nicht, wie der unmittelbare Produktenaustausch, in dem Stellen oder Händewechsel der Gebrauchswerthe. Das Geld verschwindet nicht, weil es schliesslich aus der Metamorphosenreihe einer Waare herausfällt. Es schlägt immer nieder auf eine durch die Waaren geräumte Circulationsstelle. Z. B. in der Gesammtmetamorphose der Leinwand: Leinwand — Geld — Bibel fällt erst die Leinwand aus der Circulation, Geld tritt an ihre Stelle, fällt dann die Bibel aus der Circulation, Geld tritt an ihre Stelle. Der Ersatz von Waare durch Waare lässt zugleich an dritter Hand die Geldwaare hängen. Die Circulation schwitzt beständig Geld aus.


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Nichts kann alberner sein als das Dogma, die Waarencirculation bedinge ein nothwendiges Gleichgewicht der Verkäufe und Käufe, weil jeder Verkauf Kauf und vice versa. Meint diess, dass die Zahl der wirklich vollzognen Verkäufe gleich derselben Zahl von Käufen, so ist es platte Tautologie. Aber es soll beweisen, dass der Verkäufer seinen eignen Käufer zu Markt führt. Verkauf und Kauf sind ein identischer Act als Wechselbeziehung zweier polarisch entgegengesetzter Personen, des Waarenbesitzers und des Geldbesitzers. Sie bilden zweipolarisch entgegengesetzte Akte als Handlungen derselben Person. Die Identität von Verkauf und Kauf schliesst daher ein, dass die Waare nutzlos wird, wenn sie, in die alchymistische Retorte der Circulation geworfen, nicht als Geld herauskommt, nicht vom Waarenbesitzer verkauft, also vom Geldbesitzer gekauft wird. Jene Identität enthält ferner, dass der Prozess, wenn er gelingt, einen Ruhepunkt, einen Lebensabschnitt der Waare bildet, der länger oder kürzer währen kann. Da die erste Metamorphose der Waare zugleich Verkauf und Kauf, ist dieser Theilprozess zugleich selbstständiger Prozess. Der Käufer hat die Waare, der Verkäufer hat das Geld, d. h. eine Waare, die circulationsfähige Form bewahrt, ob sie früher oder später wieder auf dem Markt erscheine. Keiner kann verkaufen, ohne dass ein Andrer kauft. Aber keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat. Die Circulation sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produktenaustauschs eben dadurch, dass sie die hier vorhandne unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eignen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Verkauf und Kauf spaltet. Dass die selbstständig einander gegenübertretenden Prozesse eine innere Einheit bilden, heisst eben so sehr, dass ihre innere Einheit sich in äusseren Gegensätzen bewegt. Geht die äusserliche Verselbstständigung der innerlich Unselbstständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine — Krise. Der der Waare immanente Gegensatz von Gebrauchswerth und Tauschwerth, von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen muss, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personificirung der Sache und Versachlichung der Personen — dieser immanente Widerspruch erhält in den Gegensätzen der


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Waarenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen. Diese Formen schliessen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt der einfachen Waarencirculation noch gar nicht existiren(FN 57).

Als Vermittler der Waarencirculation erhält das Geld die Funktion des Circulationsmittels.

b) Der Umlauf des Geldes.

Der Formwechsel, worin sich der Stoffwechsel der Arbeitsprodukte vollzieht, W — G — W, bedingt, dass derselbe Werth als Waare den Ausgangspunkt des Prozesses bildet und zu demselben Punkt zurückkehrt als Waare. Diese Bewegung der Waaren ist daher Kreislauf. Andrerseits schliesst dieselbe Form den Kreislauf des Geldes aus. Ihr Resultat ist beständige Entfernung des Geldes von seinem Ausgangspunkt, nicht Rückkehr zu demselben. So lange der Verkäufer die verwandelte Gestalt seiner Waare festhält, das Geld, befindet sich die Waare im Stadium der ersten Metamorphose oder hat nur ihre erste Circulationshälfte zurückgelegt. Ist der Prozess, Verkaufen um zu kaufen, vervollständigt, so ist auch das Geld wieder aus der Hand ihres ursprünglichen Besitzers entfernt. Allerdings, wenn der Leinweber, nachdem er die Bibel gekauft, von neuem Leinwand verkauft, kehrt auch das


(FN 57) Vergleiche meine Bemerkungen über James Mill: „ Zur Kritik etc.“ p. 74—76. Zwei Punkte sind hier charakteristisch für die Methode der ökonomistischen Apologetik. Erstens die Identificirung von Waarencirculation und unmittelbarem Produktenaustausch durch einfache Abstraktion von ihren Unterschieden. Zweitens der Versuch, die Widersprüche des kapitalistischen Produktionsprozesses wegzuleugnen, indem man die Verhältnisse seiner Produktionsagenten in die einfachen Beziehungen auflöst, die aus der Waarencirculation entspringen. Waarenproduktion und Waarencirculation sind aber Phänomene, die den verschiedensten Produktionsweisen angehören, wenn auch in verschiednem Umfang und Tragweite. Man weiss also noch nichts von der differentia specifica dieser Produktionsweisen und kann sie daher nicht beurtheilen, wenn man nur die ihnen gemeinschaftlichen, abstrakten Kategorien der Waarencirculation kennt. In keiner andern Wissenschaft ausser der politischen Oekonomie herrscht ähnliche Wichtigthuerei mit elementarischer Gemeinplätzlichkeit. Z. B. J. B. Say nimmt sich heraus, über die Krisen abzuurtheilen, weil er weiss, dass die Waare Produkt ist.

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Geld in seine Hand zurück. Aber es kehrt nicht zurück durch den Circulationsprozess der ersten 20 Ellen Leinwand. Er hat es vielmehr aus den Händen des Leinwebers in die des Bibelverkäufers entfernt. Es kehrt nur zurück durch die Erneuerung oder Wiederholung desselben Circulationsprozesses für neue Waare, und endet hier wie dort mit demselben Resultat. Die dem Geld durch die Waarencirculation unmittelbar ertheilte Bewegungsform ist daher seine beständige Entfernung vom Ausgangspunkt, sein Lauf aus der Hand eines Waarenbesitzers in die eines andern, oder sein Umlauf (currency, cours de la monnaie).

Der Umlauf des Geldes zeigt beständige, eintönige Wiederholung desselben Prozesses. Die Waare steht stets auf Seite des Verkäufers, das Geld stets auf Seite des Käufers, als Kaufmittel. Es funktionirt als Kaufmittel, indem es den Preis der Waare realisirt. Indem es ihn realisirt, überträgt es die Waare aus der Hand des Verkäufers in die des Känfers, während es sich gleichzeitig aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers entfernt, um denselben Prozess mit einer andern Waare zu wiederholen. Dass diese einseitige Form der Geldbewegung aus der doppelseitigen Formbewegung der Waare entspringt, ist verhüllt. Die Natur der Waarencirculation selbst erzeugt den entgegengesetzten Schein. Die erste Metamorphose der Waare ist nicht nur als Bewegung des Geldes, sondern als ihre eigne Bewegung sichtbar, aber ihre zweite Metamorphose ist nur als Bewegung des Geldes sichtbar. In ihrer ersten Circulationshälfte wechselt die Waare den Platz mit dem Geld. Damit fällt zugleich ihre Gebrauchsgestalt aus der Circulation heraus, in die Consumtion(FN 58). Ihre Werthgestalt oder Geldlarve tritt an ihre Stelle. Die zweite Circulationshälfte durchläuft sie nicht mehr in ihrer eignen Naturalhaut, sondern in ihrer Goldhaut. Die Continuität der Bewegung fällt damit ganz auf die Seite des Geldes und dieselbe Bewegung, die für die Waare zwei entgegengesetzte Prozesse einschliesst, schliesst als eigne Bewegung des Geldes stets denselben Prozess ein, seinen Stellenwechsel mit stets andrer Waare. Das Resultat der Waarencirculation, Ersatz von Waare


(FN 58) Selbst wenn die Waare wieder und wieder verkauft wird, ein Phänomen, das hier noch nicht für uns existirt, fällt sie mit dem letzten definitiven Verkauf aus der Sphäre der Circulation in die der Consumtion, um hier als Lebensmittel oder als Produktionsmittel zu dienen.

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durch andre Waare, erscheint daher nicht durch ihren eignen Formwechsel vermittelt, sondern durch die Funktion des Geldes als Circulationsmittel, welches die an und für sich bewegungslosen Waaren circulirt, sie aus der Hand, worin sie Nicht-Gebrauchswerthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, stets in entgegengesetzter Richtung zu seinem eignen Lauf. Es entfernt die Waaren beständig aus der Circulationssphäre, indem es beständig an ihre Circulationsstelle tritt und sich damit von seinem eignen Ausgangspunkt entfernt. Obgleich daher die Geldbewegung nur Ausdruck der Waarencirculation, erscheint umgekehrt die Waarencirculation nur als Resultat der Geldbewegung(FN 59).

Andrerseits kommt dem Geld nur die Funktion des Circulationsmittels zu, weil es die verselbstständigte Werthgestalt der Waaren ist. Seine Bewegung als Circulationsmittel ist daher in der That nur ihre eigne Formbewegung. Diese muss sich daher auch sinnlich im Umlauf des Geldes wiederspiegeln. Der doppelte Formwechsel der Waare spiegelt sich wieder im zweimaligen Stellenwechsel desselben Geldstücks, wenn wir die Gesammtmetamorphose einer Waare, in der mehrmaligen Wiederholung seines Stellenwechsels, wenn wir die Verschlingung der zahllosen Metamorphosen in einander betrachten. Dieselben Geldstücke kommen als entäusserte Gestalt der Waare in die Hand des Verkäufers und verlassen sie als absolut veräusserliche Gestalt der Waare. Das Geld wirkt in derselben Weise als Kaufmittel, jedesmal gegenüber andrer Waare, in beiden Prozessen. Aber ihr innerer Zusammenhang, oder die doppelte Formbestimmtheit, die es in beiden Prozessen für dieselbe Waare hat, erscheint in der doppelten und gegensätzlichen Bewegung, die denselben Geldstücken aufgedrückt wird. Dieselben 2 Pfd. St., die beim Verkauf der Leinwand aus der Tasche des Weizenbauers in die Tasche des Leinwebers einwandern, wandern von ihr aus beim Kauf der Bibel. Es ist doppelter Stellenwechsel, und die Leinwand oder ihren Repräsentanten als Centrum betrachtet, in entgegengesetzter Richtung, positiver bei Einnahme des Geldes, negativer bei seiner Ausgabe. Finden dagegen nur einseitige Waarenmetamorphosen statt, blosse Verkäufe oder blosse Käufe, wie man will, so wechselt das-


(FN 59) „Il (l’argent) n’a d’autre mouvement que celui qui est imprimé par les productions.“ ( Le Trosne l. c. p. 885.)

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selbe Geld auch nur einmal den Platz. Sein zweiter Stellenwechsel drückt stets die zweite Metamorphose der Waare aus, ihre Rückverwandlung aus Geld. Es versteht sich übrigens ganz von selbst, dass alles diess nur für die hier betrachtete Form der einfachen Waarencirculation gilt.

Jede Waare, bei ihrem ersten Schritt in die Circulation, ihrem ersten Formwechsel, fällt aus der Circulation heraus, während stets neue Waare in sie eintritt. Das Geld dagegen als Circulationsmittel haust beständig in der Circulationssphäre und treibt sich beständig in ihr um. Es entsteht also die Frage, wie viel Geld diese Sphäre beständig absorbirt.

In einem Lande geht jeden Tag gleichzeitig, daher räumlich neben einander, eine ungeheure Anzahl einseitiger Waarenmetamorphosen vor, oder eine zahllose Masse zersplitterter Verkäufe, welche die von einander unabhängigen Waarenbesitzer vollziehen. In ihren Preisen sind die Waaren bereits bestimmten vorgestellten Geldquantis gleichgesetzt. Da nun die hier betrachtete, unmittelbare Circulationsform Waare und Geld einander stets leiblich gegenüberstellt, die eine auf den Pol des Verkaufs, das andre auf den Gegenpol des Kaufs, ist die für den Circulationsprozess der Waarenwelt erheischte Masse von Circulationsmitteln bereits durch die Preissumme der Waaren bestimmt. In der That stellt das Geld nur reell die in der Preissumme der Waaren bereits ideell ausgedrückte Goldsumme dar. Die Gleichheit dieser Summen versteht sich daher von selbst. Wir wissen jedoch, dass bei gleichbleibenden Werthen der Waaren ihre Preise mit dem Werthe des Goldes (des Geldmaterials) selbst wechseln, verhältnissmässig steigen, wenn er fällt, und fallen, wenn er steigt. Ob die Preissumme der Waaren so steige oder falle, die Masse des circulirenden Geldes muss gleichmässig steigen oder fallen. Der Wechsel in der Masse der Circulationsmittel entspringt hier allerdings aus dem Geld selbst, aber nicht aus seiner Funktion als Circulationsmittel, sondern aus seiner Funktion als Werthmass. Der Preis der Waaren wechselt erst umgekehrt wie der Werth des Geldes und dann wechselt die Masse der Circulationsmittel direkt wie der Preis der Waaren. Ganz dasselbe Phänomen würde sich ereignen, wenn z. B. nicht der Werth des Goldes sänke, sondern Silber es als Werthmass ersetzte, oder nicht der Werth des Silbers stiege, sondern Gold es aus der Funktion des Werthmasses verdrängte. In dem einen Fall müsste mehr Silber circuliren als vorher Gold, in dem andern weniger Gold als vorher


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Silber. In beiden Fällen hätte sich der Werth des Geldmaterials verändert, d. h. der Waare, die als Mass der Werthe funktionirt, daher der Preisausdruck der Waarenwerthe, daher die Masse des circulirenden Geldes, das zur Realisirung dieser Preise dient. Man hat gesehn, dass die Circulationssphäre der Waaren ein Loch hat, wodurch Gold (Silber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt als Waare von gegebnem Werth. Dieser Werth ist vorausgesetzt bei der Funktion des Geldes als Werthmass, also bei der Preisbestimmung. Sinkt nun z. B. der Werth des Werthmasses selbst, so erscheint diess zunächst im Preiswechsel der Waaren, die unmittelbar an den Produktionsquellen der edlen Metalle mit ihnen als Waaren ausgetauscht werden. Namentlich in minder entwickelten Zuständen der bürgerlichen Gesellschaft wird ein grosser Theil der andern Waaren noch längere Zeit in dem nun illusorisch gewordnen, veralteten Werth des Werthmasses geschätzt werden. Indess inficirt eine Waare die andre durch ihr relatives Werthverhältniss zu derselben, die Goldoder Silberpreise der Waaren gleichen sich allmählig aus in den durch ihre Werthe selbst bestimmten Proportionen, bis schliesslich alle Waarenwerthe dem neuen Werth des Geldmetalls entsprechend geschätzt werden. Dieser Ausgleichungsprozess ist begleitet von dem fortwährenden Wachsthum der edlen Metalle, welche im Ersatz für die direkt mit ihnen ausgetauschten Waaren einströmen. In demselben Mass daher, worin die berichtigte Preisgebung der Waaren sich verallgemeinert, oder ihre Werthe dem neuen, gesunkenen und bis zu einem gewissen Punkt fortsinkenden Werth des Metalls gemäss geschätzt werden, ist auch bereits seine zu ihrer Realisirung nothwendige Mehrmasse vorhanden. Einseitige Beobachtung der Thatsachen, welche der Entdeckung der neuen Goldund Silberquellen folgten, verleitete im 17. und namentlich im 18. Jahrhundert zum Trugschluss, die Waarenpreise seien gestiegen, weil mehr Gold und Silber als Circulationsmittel funktionirten. Im Folgenden wird der Werth des Goldes als gegeben vorausgesetzt, wie er in der That im Augenblick der Preisschätzung gegeben ist.

Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Circulationsmittel durch die zu realisirende Preissumme der Waaren bestimmt. Setzen wir nun ferner den Preis jeder Waarenart als gegeben voraus, so hängt die Preissumme der Waaren offenbar von der in Circulation befindlichen Waarenmasse ab. Es gehört wenig Kopfbrechens dazu, um


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zu begreifen, dass wenn 1 Quarter Weizen 2 Pfd. St., 100 Quarter 200 Pfd. St., 200 Quarter 400 Pfd. St. u. s. w. kosten, mit der Masse des Weizens daher die Geldmasse wachsen muss, die beim Verkauf den Platz mit ihm wechselt.

Die Waarenmasse als gegeben vorausgesetzt, fluthet die Masse des circulirenden Geldes auf und ab mit den Preisschwankungen der Waaren. Sie steigt und fällt, weil die Preissumme der Waaren in Folge ihres Preiswechsels zuoder abnimmt. Dazu ist keineswegs nöthig, dass die Preise aller Waaren gleichzeitig steigen oder fallen. Die Preissteigerung einer gewissen Anzahl leitender Artikel in dem einen, oder ihre Preissenkung in dem andern Fall, reicht hin, um die zu realisirende Preissumme aller circulirenden Waaren zu erhöhn oder zu senken, also auch mehr oder weniger Geld in Circulation zu setzen. Ob der Preiswechsel der Waaren wirkliche Werthwechsel wiederspiegelt oder blosse Schwankungen der Marktpreise, die Wirkung auf die Masse der Circulationsmittel bleibt dieselbe.

Es sei gegeben eine Anzahl zusammenhangsloser, gleichzeitiger und daher räumlich neben einander fallender Verkäufe oder Theilmetamorphosen, z. B. von 2 Quarter Weizen, 20 Ellen Leinwand, 1 Bibel, 4 Gallons Kornbranntwein. Wenn der Preis jedes Artikels 2 Pfd. St., die zu realisirende Preissumme daher 8 Pfd. St., so muss eine Geldmasse von 8 Pfd. St. in die Circulation eingehn. Bilden dieselben Waaren dagegen Glieder der uns bekannten Metamorphosenreihe: 1 Quarter Weizen — 2 Pfd. St. — 20 Ellen Leinwand — 2 Pfd. St. — 1 Bibel — 2 Pfd. St. — 4 Gallons Kornbranntwein — 2 Pfd. St., so circuliren dieselben 2 Pfd. St. die verschiedenen Waaren der Reihe nach, indem sie deren Preise der Reihe nach, also auch die Preissumme von 8 Pfd. St. realisiren, um schliesslich in der Hand des Destillateurs auszuruhn. Sie vollbringen vier Umläufe. Dieser wiederholte Stellenwechsel derselben Geldstücke stellt den doppelten Formwechsel der Waare dar, ihre Bewegung durch zwei entgegengesetzte Circulationsstadien und die Verschlingung der Metamorphosen verschiedner Waaren(FN 60). Die gegensätzlichen und einander


(FN 60) „Ce sont les productions qui le (l’argent) mettent en mouvement et le font circuler … La célérité de son mouvement (sc. de l’argent) supplée à sa quantité. Lorqu’il en est besoin, il ne fait que glisser d’une main dans l’autre sans s’arrêter un instant.“ ( Le Trosne l. c. p. 915, 916.)

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ergänzenden Phasen, wodurch dieser Prozess verläuft, können nicht räumlich neben einander fallen, sondern nur zeitlich auf einander folgen. Zeitabschnitte bilden daher das Mass seiner Dauer, oder die Anzahl der Umläufe derselben Geldstücke in gegebner Zeit misst die Geschwindigkeit des Geldumlaufs. Der Circulationsprozess jener vier Waaren dauere z. B. einen Tag. So ist die zu realisirende Preissumme: 8 Pfd. St., die Anzahl der Umläufe desselben Geldstücks während des Tags: 4 und die Masse des circulirenden Geldes: 2 Pfd. St., oder für einen gegebnen Zeitabschnitt des Circulationsprozesses: = Masse des als Circulationsmittel funktionirenden Geldes. Dies Gesetz gilt allgemein. Der Circulationsprozess eines Landes in einem gegebnen Zeitabschnitt umfasst zwar einerseits viele zersplitterte, gleichzeitige und räumlich neben einander fallende Verkäufe (resp. Käufe) oder Theilmetamorphosen, worin dieselben Geldstücke nur einmal die Stelle wechseln oder nur einen Umlauf vollziehn, andrerseits viele theils neben einander herlaufende, theils sich in einander verschlingende mehr oder minder gliederreiche Metamorphosenreihen, worin dieselben Geldstücke mehr oder minder zahlreiche Umläufe zurücklegen. Die Gesammtzahl der Umläufe aller in Circulation befindlichen gleichnamigen Geldstücke ergiebt jedoch die Durchschnittsanzahl der Umläufe des einzelnen Geldstücks oder die Durchschnittsgeschwindigkeit des Geldumlaufs. Die Geldmasse, die bei Beginn z. B. des täglichen Circulationsprozesses in ihn hineingeworfen wird, ist natürlich bestimmt durch die Preissumme der gleichzeitig und räumlich neben einander circulirenden Waaren. Aber innerhalb des Prozesses wird ein Geldstück so zu sagen für das andre verantwortlich gemacht. Beschleunigt das eine seine Umlaufsgeschwindigkeit, so erlahmt die des andern, oder es fliegt ganz aus der Circulationssphäre heraus, da diese nur eine Goldmasse absorbiren kann, welche multiplicirt mit der mittlern Umlaufsanzahl ihres einzelnen Elements gleich der zu realisirenden Preissumme ist. Wächst daher die Anzahl der Umläufe der Geldstücke, so nimmt ihre circulirende Masse ab. Nimmt die Anzahl ihrer Umläufe ab, so wächst ihre Masse. Weil die Masse des Geldes, die als Circulationsmittel funktioniren kann, bei gegebner Durchschnittsgeschwindigkeit gegeben ist, hat man daher z. B. nur eine bestimmte


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Quantität von Ein-Pfund-Noten in die Cirkulation hinein zu werfen, um eben so viele Sovereigns hinaus zu werfen, ein allen Banken wohlbekanntes Kunststück.

Wie im Geldumlauf überhaupt nur der Circulationsprozess der Waaren erscheint, so in der Geschwindigkeit des Geldumlaufs die Geschwindigkeit ihres Formwechsels, das continuirliche Ineinandergreifen der Metamorphosenreihen, die Hast des Stoffwechsels, das rasche Verschwinden der Waaren aus der Circulationssphäre und ihr ebenso rascher Ersatz durch neue Waaren. In der Geschwindigkeit des Geldumlaufs erscheint also die flüssige Einheit der entgegengesetzten und sich ergänzenden Phasen, Verwandlung der Gebrauchsgestalt in Werthgestalt und Rückverwandlung der Werthgestalt in Gebrauchsgestalt, oder der beiden Prozesse des Verkaufs und Kaufs. Umgekehrt erscheint in der Verlangsamung des Geldumlaufs die Trennung und gegensätzliche Verselbstständigung dieser Prozesse, die Stockung des Formwechsels und daher des Stoffwechsels. Woher diese Stockung entspringt, ist natürlich der Circulation selbst nicht anzusehn. Sie zeigt nur das Phänomen selbst. Der populären Anschauung, welche mit verlangsamtem Geldumlauf das Geld minder häufig auf allen Punkten der Circulationsperipherie erscheinen und verschwinden sieht, liegt es nah das Phänomen aus mangelnder Quantität der Circulationsmittel zu deuten(FN 61).


(FN 61) „Money being … the common measure of buying and selling, every body who has anything to sell, and cannot procure chapmen for it, is presently apt to think, that want of money in the kingdom, or country, is the cause why his goods do not go off; and so, want of money is the common cry; which is a great mistake … What do these people want, who cry out for money? … The Farmer complains ‥ he thinks that were more money in the country, he should have a price for his goods … Then it seems money is not his want, but a Price for his corn and cattle, which he would sell, but cannot … why cannot he get a price? … 1) Either there is too much corn and cattle in the country, so that most who come to market have need of selling, as he has, and few of buying: or, 2) There wants the usual vent abroad by Transportation . . . . Or, 3) The consumption fails, as when men, by reason of poverty, do not spend so much in their houses as formerly they did; wherefore it is not the increase of specifick money, which would at all advance the farmer’s goods, but the removal of any of these three causes, which do truly keep down the market ‥ The merchant and shopkeeper want money in the same manner, that is, they want a vent
I. 6

[0101 : 82]

Das Gesammtquantum des in jedem Zeitabschnitt als Circulationsmittel functionirenden Geldes ist also bestimmt einerseits durch die Preissumme der circulirenden Waarenwelt, andrerseits durch den langsamern oder raschern Fluss ihrer gegensätzlichen Circulationsprozesse, von dem es abhängt, der wievielte Theil jener Preissumme durch dieselben Geldstücke realisirt werden kann. Die Preissumme der Waaren hängt aber ab sowohl von der Masse als den Preisen jeder Waarenart. Die drei Faktoren der Preisbewegung, der circulirenden Waarenmasse und endlich der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes können aber in verschiedner Richtung und verschiednen Verhältnissen wechseln, die zu realisirende Preissumme, daher die durch sie bedingte Masse der Circulationsmittel, also sehr zahlreiche Combinationen untergehn. Wir zählen hier nur die in der Geschichte der Waarenpreise wichtigsten auf.

Bei gleichbleibenden Waarenpreisen kann die Masse der Circulationsmittel wachsen, weil die Masse der circulirenden Waaren zunimmt oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes abnimmt, oder beides zusammenwirkt. Die Masse der Circulationsmittel kann umgekehrt abnehmen mit abnehmender Waarenmasse oder zunehmender Circulationsgeschwindigkeit.

Bei allgemein steigenden Waarenpreisen kann die Masse der Circulationsmittel gleichbleiben, wenn die Masse der circulirenden Waaren in demselben Verhältniss abnimmt, worin ihr Preis zunimmt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes eben so rasch zunimmt als die Preiserhöhung, während die cirkulirende Waarenmasse constant bleibt.


for the goods they deal in, by reason that the markets fail … in a nation never thrives better, than when riches are tost from hand to hand.“ ( Sir Dudley North: „ Discourses upon Trade. Lond. 1691“, p. 11—15 passim.) Herrenschwand’s Schwindeleien kommen alle darauf hinaus, dass die aus der Natur der Waare entspringenden und daher in der Waarencirculation erscheinenden Widersprüche durch Vermehrung der Circulationsmittel beseitigt werden können. Aus der Volksillusion, welche Stockungen des Produktionsund Circulationsprozesses einem Mangel an Circulationsmitteln zuschreibt, folgt übrigens keineswegs umgekehrt, dass wirklicher Mangel an Circulationsmitteln, z. B. in Folge officieller Pfuschereien mit der „regulation of currency“, nicht seinerseits Stockungen hervorrufen kann.

[0102 : 83]

Die Masse der Circulationsmittel kann fallen, weil die Waarenmasse rascher aboder die Umlaufsgeschwindigkeit rascher zunimmt als die Preise.

Bei allgemein fallenden Waarenpreisen kann die Masse der Circulationsmittel gleichbleiben, wenn die Waarenmasse in demselben Verhältniss wächst, worin ihr Preis fällt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in demselben Verhältniss abnimmt wie die Preise. Sie kann wachsen, wenn die Waarenmasse rascher wächst oder die Circulationsgeschwindigkeit rascher abnimmt als die Waarenpreise fallen.

Die Variationen der verschiedenen Faktoren können sich wechselseitig compensiren, so dass ihrer beständigen Unstätigkeit zum Trotz die zu realisirende Gesammtsumme der Waarenpreise constant bleibt, also auch die circulirende Geldmasse. Man findet daher, namentlich bei Betrachtung etwas längerer Perioden, ein viel constanteres Durchschnittsniveau der in jedem Lande circulirenden Geldmasse und, mit Ausnahme starker Perturbationen, die periodisch aus den Produktionsund Handelskrisen, seltner aus einem Wechsel im Geldwerth selbst entspringen, viel geringere Abweichungen von diesem Durchschnittsniveau als man nach dem Augenschein erwarten sollte.

Das Gesetz, dass die Quantität der Circulationsmittel bestimmt ist durch die Preissumme der circulirenden Waaren und die Durchschnittsgeschwindigkeit des Geldumlaufs(FN 62), kann auch so ausgedrückt werden,


(FN 62) „There is a certain measure, and proportion of money requisite to drive the trade of a nation, more or less than which, would prejudice the same. Just as there is a certain proportion of farthings necessary in a small retail Trade, to change silver money, and to even such reckonings as cannot be adjusted with the smallest silver pieces … Now as the proportion of the number of farthings requisite in commerce is to be taken from the number of people, the frequency of their exchanges; as also, and principally, from the value of the smallest silver pieces of money; so in like manner, the proportion of money (gold and silver species) requisite to our trade, is to be likewise taken from the frequency of commutations, and from the bigness of payments.“ ( William Petty: „ A Treatise on Taxes and Contributions. Lond. 1667“, p. 17.) Die Hume’sche Theorie ward gegen J. Stenart u. A. vertheidigt von A. Young in seiner „ Political Arithmetic. Lond. 1774“, wo ein eignes Kapitel: „ Prices depend on quantity of money“, p.
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[0103 : 84]

dass bei gegebner Werthsumme der Waaren und gegebner Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Metamorphosen, die Quantität des umlaufenden Geldes oder des Geldmaterials von seinem eignen Werth abhängt. Die Illusion, dass umgekehrt die Waarenpreise durch die Masse der Circulationsmittel und letztre ihrerseits durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials bestimmt werden(FN 63), wurzelt bei ihren ursprünglichen Vertretern in der abgeschmackten Hypothese, dass Waaren ohne Preis und Geld ohne Werth in den Circulationsprozess eingehn,


112 sqq. Ich bemerke „ Zur Kritik etc. p. 149“: „Die Frage über die Quantität der circulirenden Münze beseitigt er (A. Smith) stillschweigend, indem er das Geld ganz falsch als blosse Waare behandelt.“ Diess gilt nur, soweit A. Smith ex officio das Geld behandelt. Gelegentlich jedoch, z. B. in der Kritik der früheren Systeme der Pol. Oekon., spricht er das Richtige aus: „The quantity of coin in every country is regulated by the value of the commodities which are to be circulated by it . . . . The value of goods annually bought and sold in any country requires a certain quantity of money to circulate and distribute them to their proper consumers, and can give employment to no more. The channel of circulation necessarily draws to itself a sum sufficient to fill it, and never admits any more.“ ( Wealth of Nations, l. IV. ch. I.) Aehnlich eröffnet A. Smith sein Werk ex officio mit einer Apotheose der Theilung der Arbeit. Hinterher, im letzten Buch über die Quellen des Staatseinkommens, reproducirt er gelegentlich A. Ferguson’s, seines Lehrers, Denunciation der Theilung der Arbeit.
(FN 63) „The prices of things will certainly rise in every nation, as the gold and silver increase amongst the people; and, consequently, where the gold and silver decrease in any nation, the prices of all things must fall proportionably to such decrease of money.“ ( Jacob Vanderlint: „ Money answers all Things“. Lond. 1734, p. 5.) Nähere Vergleichung zwischen Vanderlint und Hume’s „ Essays“ lässt mir nicht den geringsten Zweifel, dass Hume V.’s übrigens sehr bedeutende Schrift kannte und benutzte. Die Ansicht, dass die Masse der Circulationsmittel die Preise bestimmt, auch bei Barbon und noch viel älteren Schriftstellern. „No inconvenience“, sagt Vanderlint, „can arise by an unrestrained trade, but very great advantage … since, if the cash of the nation be decreased by it, which prohibitions are designed to prevent, those nations that get the cash will certainly find every thing advance in price, as the cash increases amongst them. And . . . . our manufactures and every thing else, will soon become so moderate as to turn the balance of trade in our favour, and thereby fetch the money back again.“ (l. c. p. 44.)

[0104 : 85]

wo sich dann ein aliquoter Theil des Waarenbreis mit einem aliquoten Theil des Metallbergs austausche(FN 64).

c) Die Münze. Das Werthzeichen.

Aus der Funktion des Geldes als Circulationsmittel entspringt seine


(FN 64) Dass jede einzelne Waarenart durch ihren Preis ein Element der Preissumme aller circulirenden Waaren bildet, ist selbstverständlich. Wie aber unter einander incommensurable Gebrauchswerthe sich en masse mit der in einem Land befindlichen Goldoder Silbermasse austauschen sollen, ist völlig unbegreiflich. Verschwindelt man die Waarenwelt in eine einzige Gesammtwaare, wovon jede Waare nur einen aliquoten Theil bildet, so kommt das schöne Rechenexempel heraus: Gesammtwaare = x Ctr. Gold, Waare A = aliquoter Theil der Gesammtwaare = demselben aliquoten Theil von x Ctr. Gold. Diess ehrlich heraus bei Montesquieu: „Si l’on compare la masse de l’or et de l’argent qui est dans le monde, avec la somme des marchandises qui y sont, il est certain que chaque denrée ou marchandise, en particulier, pourra être comparée à une certaine portion de l’autre. Supposons qu’il n’y ait qu’une seule denrée ou marchandise dans le monde, ou qu’il n’y ait qu’une seule qui s’achète, et qu’elle se divise comme l’argent; cette partie de cette marchandise répondra à une partie de la masse de l’argent; la moitié du total de l’une à la moitié du total de l’autre etc. . . . l’établissement du prix des choses dépend toujours fondamentalement de la raison du total des choses au total des signes.“ ( Montesquieu, l. c. t. III, p. 12, 13.) Ueber die Weiterentwicklung dieser Theorie durch Ricardo, seinen Schüler James Mill, Lord Overstone u. s. w. vgl. „ Zur Kritik u. s. w.“ p. 140—146 u. p. 150 seqq. Herr J. St. Mill versteht es, mit der ihm geläufigen eklektischen Logik, der Ansicht seines Vaters J. Mill und zugleich der entgegengesetzten zu sein. Vergleicht man den Text seines Compendiums: „ Princ. of Pol. Econ.“ mit der Vorrede (erste Ausgabe), worin er sich selbst als Adam Smith der Gegenwart ankündet, so weiss man nicht, was mehr bewundern, die Naivetät des Mannes oder die des Publikums, das ihn auf Treu und Glauben in den Kauf nahm als Adam Smith, zu dem er sich etwa verhält wie General Williams Kars von Kars zum Herzog von Wellington. Die weder umfangreichen noch gehaltreichen Originalforschungen des Herrn J. St. Mill im Gebiet der Pol. Oek. findet man alle in Reih’ und Glied aufmarschirt in seinem 1844 erschienenen Schriftchen: „ Some Unsettled Questions of Political Economy“. Locke spricht direkt den Zusammenhang zwischen der Werthlosigkeit von Gold und Silber und der Bestimmung ihres Werths durch Quantität aus. „Mankind having consented to put an imaginary value upon gold and silver … the intrinsick value, regarded in these metals, is nothing but the quantity.“ „ Some Considerations etc. 1691“. Works ed 1777, vol. II, p. 15.

[0105 : 86]

Münzgestalt. Der in dem Preise oder Geldnamen der Waaren vorgestellte Gewichtstheil Gold muss ihnen in der Circulation als gleichnamiges Goldstück oder Münze gegenübertreten. Wie die Feststellung des Massstabs der Preise, fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim. In den verschiedenen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Münzen tragen, auf dem Weltmarkt aber wieder ausziehn, erscheint die Scheidung zwischen den innern oder nationalen Sphären der Waarencirculation und ihrer allgemeinen Weltmarktssphäre.

Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre verwandelbar(FN 65). Der Weg aus der Münze ist aber zugleich der Gang zum Schmelztiegel. Im Umlauf verschleissen nämlich die Goldmünzen, die eine mehr, die andre weniger. Goldtitel und Goldsubstanz, Nominalgehalt und Realgehalt beginnen ihren Scheidungsprozess. Gleichnamige Goldmünzen werden von ungleichem Werth, weil verschiednem Gewicht. Das Gold als Circulationsmittel weicht ab vom Gold als Massstab der Preise, und hört damit auch auf wirkliches Aequivalent der Waaren zu sein, deren Preise es realisirt. Die Geschichte dieser Wirren bildet die Münzgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert. Die naturwüchsige Tendenz des Cirkulationsprozesses, das Goldsein der Münze in Goldschein oder die Münze in ein Symbol ihres officiellen Metallgehalts zu verwandeln, ist selbst anerkannt durch die modernsten Gesetze


(FN 65) Es liegt natürlich ganz jenseits meines Zwecks, Details wie Schlagschatz u. dgl. zu behandeln. Gegenüber dem romantischen Sykophanten Adam Müller jedoch, der „die grossartige Liberalität“ bewundert, womit die „ englische Regierung unentgeldlich münzt“, folgendes Urtheil Sir Dudley North’s: „Silver and gold, like other commodities, have their ebbings and flowings. Upon the arrival of quantities from Spain … it is carried into the Tower, and coined. Not long after there will come a demand for bullion, to be exported again. If there is none, but all happens to be in coin, what then? Melt it down again; there’s no loss in it, for the coining costs the owner nothing. Thus the nation has been abused, and made to pay for the twisting of straw, for asses to eat. If the merchant (North war selbst einer der grössten Kaufleute zu Charles II. Zeit) had to pay the price of the coinage, he would not have sent his silver to the Tower without consideration; and coined money would always keep a value above uncoined silver.“ ( North l. c. p. 18.)

[0106 : 87]

über den Grad des Metallverlustes, der ein Goldstück kursunfähig macht oder demonetisirt.

Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so enthält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner Münzfunktion durch Marken aus andrem Material oder Symbole zu ersetzen. Die technischen Hindernisse der Münzung ganz diminutiver Gewichtstheile des Goldes, resp. Silbers, und der Umstand, dass niedrigere Metalle ursprünglich statt der edleren, Silber statt des Goldes, Kupfer statt des Silbers, zum Werthmass dienen und daher als Geld circuliren im Augenblick, wo das edlere Metall sie entthront, erklären historisch die Rolle von Silberund Kupfermarken als Substitute der Goldmünze. Sie ersetzen das Gold in den Kreisen der Waarencirculation, worin die Münze am schnellsten circulirt und sich daher am schnellsten abnutzt, d. h. wo Käufe und Verkäufe unaufhörlich im kleinsten Massstab erneuert werden. Um die Festsetzung dieser Trabanten an der Stelle des Goldes selbst zu verhindern, werden gesetzlich die sehr niedrigen Proportionen bestimmt, worin sie allein an Zahlungsstatt für Gold angenommen werden müssen. Die besondern Kreise, worin die verschiednen Münzsorten umlaufen, laufen natürlich in einander. Die Scheidemünze erscheint neben dem Gold zur Zahlung von Bruchtheilen der kleinsten Goldmünze; das Gold tritt beständig in die Detailcirculation ein, wird aber durch Auswechslung mit Scheidemünze ebenso beständig herausgeworfen(FN 66).

Der Metallgehalt der Silberoder Kupfermarken ist willkührlich durch das Gesetz bestimmt. Im Umlauf verschleissen sie noch rascher als die


(FN 66) „If silver never exceed what is wanted for the smaller payments, it cannot be collected in sufficient quantities for the larger payments … the use of gold in the main payments necessarily implies also its use in the retail trade: those who have gold coin offering them for small purchases, and receiving with the commodity purchased a balance of silver in return; by which means the surplus of silver that would otherwise encumber the retail dealer, is drawn off and dispersed into general circulation. But if there is as much silver as will transact the small payments independent of gold, the retail dealer must then receive silver for small purchases; and it must of necessity accumulate in his hands.“ ( David Buchanan: „ Inquiry into the Taxation and Commercial Policy of Great Britain. Edinburgh 1844“, p. 248, 249.)

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Goldmünze. Ihre Münzfunktion wird daher faktisch durchaus unabhängig von ihrem Gewicht, d. h. von allem Werth. Das Münzdasein des Goldes scheidet sich völlig von seiner Werthsubstanz. Relativ werthlose Dinge, Papierzettel, können also an seiner Statt als Münze funktioniren. In den metallischen Gel dmarken ist der rein symbolische Charakter noch einigermassen versteckt. Im Papiergeld tritt er augenscheinlich hervor. Man sieht: ce n’est que le premier pas qui coûte.

Es handelt sich hier nur von Staatspapiergeld mit Zwangskurs. Es wächst unmittelbar aus der metallischen Circulation heraus. Creditgeld unterstellt dagegen Verhältnisse, die uns vom Standpunkt der einfachen Waarencirculation noch durchaus unbekannt sind. Im Vorbeigehn sei jedoch bemerkt, dass, wie eigentliches Papiergeld aus der Funktion des Geldes als Circulationsmittel entspringt, das Creditgeld in der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel seine naturwüchsige Wurzel besitzt(FN 67).

Papierzettel, denen Geldnamen, wie 1 Pfd. St., 5 Pfd. St. u. s. w. aufgedruckt sind, werden vom Staat äusserlich in den Circulationsprozess hineingeworfen. Soweit sie wirklich an der Stelle der gleichnamigen Goldsumme circuliren, spiegeln sich in ihrer Bewegung nur die Gesetze des


(FN 67) Der Finanzmandarine Wan-mao-in liess sich beigehn, dem Sohn des Himmels ein Projekt zu unterbreiten, welches versteckt auf Verwandlung der chinesischen Reichsassignaten in convertible Banknoten hinzielte. Im Bericht des Assignaten-Comités von April 1854 erhält er gehörig den Kopf gewaschen. Ob er auch die obligate Tracht Bambushiebe erhielt, wird nicht gemeldet. „Das Comité“, lautet es am Schluss des Berichts, „hat sein Projekt aufmerksam erwogen und findet, dass alles in ihm auf den Vortheil der Kaufleute ausgeht und nichts für die Krone vortheilhaft ist.“ („ Arbeiten der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft zu Peking über China. Aus dem Russischen von Dr. K. Abel und F. A. Mecklenburg. Erster Band. Berlin 1858“, p. 47 sq.) Ueber die beständige Entmetallung der Goldmünzen durch ihren Umlauf sagt ein „Governor“ der Bank of England als Zeuge vor dem „House of Lords’ Committee“ (über „Bankacts“): „Jedes Jahr wird eine frische Klasse von Souverainen (diess nicht politisch, sondern der Sovereign ist Name des Pfd. St.) zu leicht. Die Klasse, welche das eine Jahr als vollwichtig passirt, verliert durch den Verschleiss hinreichend, um das nächste Jahr die Wagschale gegen sich zu drehn.“ (H. o. Lords’ Committee 1848, n. 429.)

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Geldumlaufs selbst wieder. Ein spezifisches Gesetz der Papiercirculation kann nur aus ihrem Repräsentationsverhältniss zum Gold entspringen. Und diess Gesetz ist einfach diess, dass die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität zu beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp. Silber) wirklich circuliren müsste. Nun schwankt zwar das Goldquantum, welches die Circulationssphäre absorbiren kann, beständig über oder unter ein gewisses Durchschnittsniveau. Jedoch sinkt die Mass des circulirenden Mediums in einem gegebnen Land nie unter ein gewisses Minimum, das sich erfahrungsmässig feststellt. Dass diese Minimalmasse fortwährend ihre Bestandtheile wechselt, d. h. aus stets andern Goldstücken besteht, ändert natürlich nichts an ihrem Umfang und ihrem constanten Umtrieb in der Circulationssphäre. Sie kann daher durch Papiersymbole ersetzt werden. Werden dagegen heute alle Circulationskanäle zum vollen Grad ihrer Geldabsorptionsfähigkeit mit Papiergeld gefüllt, so können sie in Folge der Schwankungen der Waarencirculation morgen übervoll sein. Alles Mass geht verloren. Ueberschreitet aber das Papier sein Mass, d. h. die Quantität von Goldmünze gleicher Denomination, welche circuliren könnte, so stellt es, von der Gefahr allgemeiner Discreditirung abgesehn, innerhalb der Waarenwelt dennoch nur die durch ihre immanenten Gesetze bestimmte, also auch allein repräsentirbare Goldquantität vor. Stellt die Papierzettelmasse z. B. je 2 Unzen Gold, statt je 1 Unze dar, so werden ihre Geldnamen faktisch, sage etwa von 1 Pfd. St. per ¼ Unze, zu Namen von ⅛ Unzen herabgesetzt. Die Wirkung ist dieselbe, als wäre das Gold in seiner Funktion als Mass der Preise verändert worden. Dieselben Werthe, die sich daher vorher im Preise von 1 Pfd. St., drücken sich jetzt im Preise von 2 Pfd. St. aus.

Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhältniss zu den Waaren werthen besteht nur darin, dass sie ideell in denselben Goldquanta ausgedrückt sind, welche vom Papier symbolisch sinnlich dargestellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentirt, die, wie alle andern Waarenquanta, auch Werthquanta, ist es Werthzeichen.

Es fragt sich schliesslich, warum das Gold durch blosse werthlose Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann? Es ist aber, wie man gesehn, nur so ersetzbar, soweit es in seiner Funktion als Münze oder Circulationsmittel isolirt oder verselbstständigt wird. Nun findet die Verselbststän-


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digung dieser Funktion zwar nicht für die einzelnen Goldmünzen statt, obgleich sie in dem Fortcirculiren verschlissener Goldstücke erscheint. Blosse Münze oder Circulationsmittel sind die Goldstücke grade nur so lang sie sich wirklich im Umlauf befinden. Was aber nicht für die einzelne Goldmünze, gilt für die vom Papiergeld ersetzbare Minimalmasse Gold. Sie haust beständig in der Circulationssphäre, funktionirt fortwährend als Circulationsmittel und existirt daher ausschliesslich als Träger dieser Funktion. Ihre Bewegung stellt also nur das fortwährende Ineinanderumschlagen der entgegengesetzten Prozesse der Waarenmetamorphose W — G — W dar, worin der Waare ihre Werthgestalt nur gegenübertritt, um sofort wieder zu verschwinden. Die selbstständige Darstellung des Tauschwerths der Waare ist hier nur flüchtiges Moment. Sofort wird sie wieder durch andere Waare ersetzt. Daher genügt auch die bloss symbolische Existenz des Geldes in einem Prozess, der es beständig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein funktionelles Dasein absorbirt so zu sagen sein materielles. Verschwindend objektivirter Reflex der Waarenpreise funktionirt es nur noch als Zeichen seiner selbst und kann daher auch durch Zeichen ersetzt werden(FN 68). Nur bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen objektiv gesellschaftlichen Gültigkeit und diese erhält das Papiersymbol durch den Zwangskurs. Nur innerhalb der von den Grenzen eines Gemeinwesens umschriebnen oder innern Circulationssphäre gilt dieser Staatszwang, aber auch nur hier geht das Geld völlig auf in seine Funktion als Circulationsmittel oder Münze, und kann daher im Papiergeld eine von seiner Metallsubstanz äusserlich getrennte und bloss funktionelle Existenzweise erhalten.


(FN 68) Daraus, dass Gold und Silber als Münze oder in der ausschliesslichen Funktion als Circulationsmittel zu Zeichen ihrer selbst werden, leitet Nicholas Barbon das Recht der Regierungen her „to raise money“, d. h., z. B. einem Quantum Silber, das Groschen hiess, den Namen eines grössern Silberquantums wie Thaler zu geben, und so den Gläubigern Groschen statt Thaler zurückzuzahlen. „Money does wear and grow lighter by often telling over … It is the denomination and currency of the money that men regard in bargaining, and not the quantity of silver … ’Tis the publick authority upon the metal that makes it money.“ (N. Barbon l. c. p. 29, 30, 25.)

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C. Geld.

Die Waare, welche als Werthmass und daher auch, persönlich oder durch Stellvertreter, als Circulationsmittel funktionirt, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld. Als Geld funktionirt es, einerseits wo es in seiner goldnen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen muss, daher als Geldwaare, also weder bloss ideell, wie im Werthmass, noch repräsentationsfähig, wie im Circulationsmittel; andrerseits, wo seine Funktion, ob es selbe nun in eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe, es als alleinige Werthgestalt oder allein adäquates Dasein des Tauschwerths allen andern Waaren als blossen Gebrauchswerthen gegenüber fixirt.

a) Schatzbildung.

Der continuirliche Kreislauf der zwei entgegengesetzten Waarenmetamorphosen oder der flüssige Umschlag von Verkauf und Kauf erscheint im rastlosen Umlauf des Geldes oder seiner Funktion als perpetuum mobile der Circulation. Es wird immobilisirt, oder verwandelt sich, wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble, aus Münze in Geld, sobald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf nicht durch nachfolgenden Kauf ergänzt wird.

Mit der ersten Entwicklung der Waarencirculation selbst entwickelt sich die Nothwendigkeit und die Leidenschaft, das Produkt der ersten Metamorphose, die verwandelte Gestalt der Waare oder ihre Goldpuppe festzuhalten(FN 69). Waare wird verkauft, nicht um Waare zu kaufen, sondern um Waarenform durch Geldform zu ersetzen. Aus blosser Vermittlung des Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die entäusserte Gestalt der Waare wird verhindert als ihre absolut veräusserliche Gestalt oder nur verschwindende Geldform zu funktioniren. Das Geld versteinert damit zum Schatz, und der Waarenverkäufer wird Schatzbildner.

Grade in den Anfängen der Waarencirculation verwandelt sich nur der Ueberschuss an Gebrauchswerthen in Geld. Gold und Silber werden so von selbst zu gesellschaftlichen Ausdrücken des Ueberflusses oder des


(FN 69) „Une richesse en argent n’est que … richesse en productions, converties en argent.“ ( Mercier de la Rivière l. c. p. 557.) „Une valeur en productions n’a fait que changer de forme.“ (id. p. 486.)

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Reichthums. Diese naive Form der Schatzbildung verewigt sich bei Völkern, wo der traditionellen und auf Selbstbedarf gerichteten Produktionsweise ein fest abgeschlossner Kreis von Bedürfnissen entspricht. So bei den Asiaten, namentlich den Indern. Vanderlint, der die Waarenpreise durch die Masse des in einem Land befindlichen Goldes und Silbers bestimmt wähnt, fragt sich, warum die indischen Waaren so wohlfeil? Antwort: Weil die Inder das Geld vergraben. Von 1602—1734, bemerkt er, vergruben sie 150 Millionen Pfd. St. Silber, die ursprünglich von Amerika nach Europa kamen(FN 70). Von 1856—1866, also in 10 Jahren, exportirte England nach Indien und China (das nach China exportirte Metall fliesst grossentheils wieder nach Indien) 120 Millionen Pfd. St. in Silber, welches vorher gegen australisches Gold eingewechselt wurde.

Mit mehr entwickelter Waarenproduktion muss jeder Waarenproducent sich den nexus rerum, das „gesellschaftliche Faustpfand“ sichern(FN 71). Seine Bedürfnisse erneuern sich unaufhörlich und gebieten unaufhörlichen Kauf fremder Waare, während Produktion und Verkauf seiner eignen Waare Zeit kosten und von Zufällen abhängen. Um zu kaufen, ohne zu verkaufen, muss er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen. Diese Operation, auf allgemeiner Stufenleiter ausgeführt, scheint sich selbst zu widersprechen. An ihren Produktionsquellen jedoch tauschen sich die edlen Metalle direkt mit andern Waaren aus. Es findet hier Verkauf (auf Seite der Waarenbesitzer) ohne Kauf (auf Seite der Goldund Silberbesitzer) statt(FN 72). Und spätere Verkäufe ohne nachfolgende Käufe vermitteln bloss die weitere Vertheilung der edlen Metalle unter alle Waarenbesitzer. So entstehn auf allen Punkten des Verkehrs Goldund Silberschätze vom verschiedensten Umfang. Mit der Möglichkeit, die Waare als Tauschwerth oder den Tauschwerth als Waare festzuhalten, erwacht die Goldgier. Mit der Ausdehnung der Waarencirculation wächst die Macht des Geldes, der stets schlagfertigen, absolut gesellschaftlichen Form des Reichthums. „Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von


(FN 70) ’Tis by this practice they keep all their goods and manufactures at such low rates.“ ( Vanderlint l. c. p. 95, 96.)
(FN 71) „Money is a pledge.“ ( John Bellers: „ Essays about the Poor, Manufactures, Trade, Plantations, and Immorality. Lond. 1699“, p. 13.)
(FN 72) Kauf im kategorischen Sinn unterstellt nämlich Gold oder Silber schon als verwandelte Gestalt der Waare, oder als Produkt des Verkaufs.

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allem, was er wünscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Paradies gelangen lassen.“ ( Columbus, im Brief aus Jamaica, 1503). Da dem Geld nicht anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles, Waare oder nicht, in Geld. Alles wird verkäuflich und kaufbar. Die Circulation wird die grosse gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkrystall wieder herauszukommen. Dieser Alchymie widerstehen nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum(FN 73). Wie im Geld aller qualitative Unterschied der Waaren ausgelöscht ist, löscht es seinerseits als radikaler Leveller alle Unterschiede aus(FN 74). Das Geld ist aber selbst Waare, ein äusserlich Ding, das Privateigenthum eines Jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson. Die antike Gesellschaft denuncirt es daher als die Scheidemünze ihrer ökonomischen und sittlichen Ordnung(FN 75). Die moderne Gesellschaft, die


(FN 73) Heinrich III., allerchristlichster König von Frankreich, raubt Klöstern u. s. w. ihre Reliquien, um sie zu versilbern. Man weiss, welche Rolle der Raub der delphischen Tempelschätze durch die Phokier in der griechischen Geschichte spielt. Dem Gott der Waaren dienten bei den Alten bekanntlich die Tempel zum Wohnsitz. Sie waren „heilige Banken“. Den Phöniziern, einem Handelsvolke par excellence, galt Geld als die entäusserte Gestalt aller Dinge. Es war daher in der Ordnung, dass die Jungfrauen, die sich an den Festen der Liebesgöttin den Fremden hingaben, das zum Lohn empfangene Geldstück der Göttin opferten.
(FN 74) „Gold! yellow, glittering precious gold! Thus much of this, will make black white; foul, fair; Wrong, right; base, noble; old, young; coward, valiant . . . . . . . . . . What this, you gods! Why this Will lug your priests and servants from your sides; Pluck stout men’s pillows from below their heads. This yellow slave Will knit and break religions; bless the accurs’d; Make the hoar leprosy ador’d; place thieves And give them title, knee and approbation, With senators of the bench; this is it, That makes the wappen’d widow wed again . . . . . . . . . . Come damned earth, Thou common whore of mankind.“ ( Shakespeare, Timon of Athens.)
(FN 75) „Οὐδὲν γὰϱ ἀνϑϱώποισιν οἷον ἄϱγυϱος Καϰὸν νόμισμα ἔβλαστε· τοῦτο ϰαὶ πόλεις Ποϱϑεῖ, τόδ᾽ἄνδϱας ἐξανίστησιν δόμων. Τόδ᾽ ἐϰδιδάσϰει ϰαὶ παϱαλλάσσει φϱένας Χϱηστὰς πϱὸς αἰσχϱὰ ἀνϑϱώποις ἔχειν, Καὶ παντὸς ἔϱγου δυσσέβειαν εἰδέναι.“ ( Sophocles, Antigone.)

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schon in ihren Kinderjahren den Plutus an den Haaren aus den Eingeweiden der Erde herauszieht(FN 76), begrüsst im Goldgral die glänzende Incarnation ihres eigensten Lebensprinzips.

Die Waare als Gebrauchswerth befriedigt ein besondres Bedürfniss und bildet ein besondres Element des stofflichen Reichthums. Aber der Werth der Waare misst den Grad ihrer Attraktionskraft auf alle Elemente des stofflichen Reichthums, daher den gesellschaftlichen Reichthum ihres Besitzers. Dem barbarisch einfachen Waarenbesitzer, selbst einem westeuropäischen Bauer, ist der Werth unzertrennlich von der Werthform, Vermehrung des Goldund Silberschatzes daher Werthvermehrung. Allerdings wechselt der Werth des Geldes, sei es in Folge seines eignen Werthwechsels, sei es des Werthwechsels der Waaren. Diess verhindert aber einerseits nicht, dass 200 Unzen Gold nach wie vor mehr Werth enthalten als 100, 300 mehr als 200 u. s. w., noch andrerseits dass die metallne Naturalform dieses Dings die allgemeine Aequivalentform aller Waaren bleibt, die unmittelbar gesellschaftliche Incarnation aller menschlichen Arbeit. Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur masslos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d. h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichthums, weil in jede Waare unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Accumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert.

Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbildung, muss es verhindert werden zu circuliren oder als Kaufmittel sich in Genussmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. Andrerseits kann er der Circulation nur in Geld entziehn, was er ihr in Waare giebt. Je mehr er producirt, desto mehr kann er verkaufen. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kar-


(FN 76)Ἐλπιζούσης τῆς πλεονεξίας ἀνάξειν ἐϰ τῶν μυχῶν τῆς γῆς αὐτὸν τὸν Πλούτωνα.“ ( Athen. Deipnos.)

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dinaltugenden, viel verkaufen, wenig kaufen, die Summe seiner politischen Oekonomie(FN 77).

Neben der unmittelbaren Form des Schatzes läuft seine ästhetische Form, der Besitz von Goldund Silberwaaren. Er wächst mit dem Reichthum der bürgerlichen Gesellschaft. „Soyons riches ou paraissons riches.“ (Diderot.) Es bildet sich so theils ein stets ausgedehnterer Markt für Gold und Silber, unabhängig von ihren Geldfunktionen, theils eine latente Zufuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen Sturmperioden fliesst.

Die Schatzbildung erfüllt verschiedne Funktionen in der Oekonomie der metallischen Circulation. Die nächste Funktion entspringt aus den Umlaufsbedingungen der Goldoder Silbermünze. Man hat gesehn, wie mit den beständigen Schwankungen der Waarencirculation in Umfang, Preisen und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt und fluthet. Sie muss also der Contraktion und Expansion fähig sein. Bald muss Geld als Münze attrahirt, bald Münze als Geld repellirt werden. Damit die wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Circulationssphäre stets entspreche, muss das in einem Lande befindliche Goldoder Silberquantum grösser sein als das in Münzfunktion begriffene. Diese Bedingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatzreservoirs dienen zugleich als Abfuhrund Zufuhrkanäle des cirkulirenden Geldes, welches seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt(FN 78).


(FN 77) „Accrescere quanto più si può il numero de’ venditori d’ogni merce, diminuire quanto più si può il numero dei compratori, questi sono i cardini sui quali si raggirano tutte le operazioni di economia politica.“ ( Verri l. c. p. 52.)
(FN 78) „There is required for carrying on the trade of the nation, a determinate sum of specifick Money, which varies, and is sometimes more, sometimes less, as the circumstances we are in require . . . . This ebbing and flowing of money, supplies and accommodates itself, without any aid of Politicians … The buckets work alternately; when money is scarce, bullion is coined; when bullion is scarce, money is melted.“ ( Sir D. North l. c. p. 22.) John Stuart Mill, lange Zeit Beamter der ostindischen Compagnie, bestätigt, dass in Indien immer noch der Silberschmuck unmittelbar als Schatz functionirt. Die „silver ornaments are brought out and coined when there is a high rate of interest, and go back again when the rate of interest falls.“ (J. St. Mill’s Evidence. Repts on Bankacts 1857, n. 2084.) Nach einem parlamentarischen Document von 1864 über Goldund Silber-Import und Export in Indien, überstieg 1863 der

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b) Zahlungsmittel.

In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Waarencirkulation war dieselbe Werthgrösse stets doppelt vorhanden, Waare auf dem einen Pol, Geld auf dem Gegenpol. Die Waarenbesitzer traten daher nur in Contakt als Repräsentanten wechselseitig vorhandner Aequivalente. Mit der Entwicklung der Waarencirkulation entwickeln sich jedoch Verhältnisse, wodurch die Veräusserung der Waare von der Realisirung ihres Preises zeitlich getrennt wird. Es genügt die einfachsten dieser Verhältnisse hier anzudeuten. Die eine Waarenart erheischt längere, die andere kürzere Zeitdauer zu ihrer Produktion. Die Produktion verschiedner Waaren ist an verschiedne Jahreszeiten geknüpft. Die eine Waare wird auf ihrem Marktplatz geboren, die andre muss zu entferntem Markt reisen. Der eine Waarenbesitzer kann daher als Verkäufer auftreten, bevor der andre als Käufer. Bei steter Wiederkehr derselben Transactionen unter denselben Personen regeln sich die Verkaufsbedingungen der Waaren nach ihren Produktionsbedingungen. Der eine Waarenbesitzer verkauft vorhandne Waare, der andre kauft als blosser Repräsentant von Geld oder als Repräsentant von künftigem Gelde. Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer Schuldner. Da die Metamorphose der Waare oder die Entwicklung ihrer Werthform sich hier verändert, erhält auch das Gold eine andre Funktion. Es wird Zahlungsmittel(FN 79).

Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der einfachen Waarencirkulation. Ihre Formveränderung drückt dem Verkäufer und Käufer diese neuen Stempel auf. Zunächst also sind es ebenso verschwindende und wechselweis von denselben Cirkulationsagenten gespielte Rollen wie die von Verkäufer und Käufer. Jedoch sieht der Gegensatz jetzt von Haus aus minder gemüthlich aus und ist grösserer


Import von Gold und Silber den Export um 19,367,764 Pfd. St.. In den letzten 8 Jahren vor 1864 betrug der Excess des Imports über den Export der edlen Metalle 109,652,917 Pfd. St. Während dieses Jahrhunderts wurden weit über 200,000,000 Pfd. St. in Indien gemünzt.
(FN 79) Luther unterscheidet zwischen Geld als Kaufmittel und Zahlungsmittel. „Machest mir einen Zwilling aus dem Schadewacht, das ich hie nicht bezalen und dort nicht kauffen kann.“ ( Martin Luther: „ An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen. Wittenberg 1540.“)

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Krystallisation fähig(FN 80). Dieselben Charaktere können aber auch von der Waarencirculation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z. B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüsst. Indess spiegelt die Geldform — und das Verhältniss von Gläubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhältnisses — hier nur den Antagonismus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wieder.

Kehren wir zur Sphäre der Waarencirculation zurück. Die gleichzeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt erstens als Werthmass in der Preisbestimmung der verkauften Waare. Ihr kontraktlich festgesetzter Preis misst die Obligation des Käufers, d. h. die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktionirt zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geldversprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare. Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Circulation, d. h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über. Das Circulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Circulationsprozess mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der Waare der Circulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in die Circulation hinein, aber nachdem die Waare bereits aus ihr ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozess. Es schliesst ihn selbstständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerths oder allgemeine Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniss durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geldform zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt


(FN 80) Ueber die Schuldnerund Gläubigerverhältnisse unter den englischen Handelsleuten Anfang des 18. Jahrhunderts: „Such a spirit of cruelty reigns here in England among the men of trade, that is not to be met with in any other society of men, nor in any other kingdom of the world.“ („ An Essay on Credit and the Bankrupt Act. Lond. 1707“, p. 2.)
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der Waare, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs durch eine den Verhältnissen des Circulationsprozesses selbst entspringende, gesellschaftliche Nothwendigkeit.

Der Käufer verwandelt Geld zurück in Waare, bevor er Waare in Geld verwandelt hat, oder vollzieht die zweite Waarenmetamorphose vor der ersten. Die Waare des Verkäufers circulirt, realisirt ihren Preis aber nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie verwandelt sich in Gebrauchswerth, bevor sie sich in Geld verwandelt hat. Die Vollziehung ihrer ersten Metamorphose folgt erst nachträglich.

In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Circulationsprozesses repräsentiren die fälligen Obligationen die Preissumme der Waaren, deren Verkauf sie hervorrief. Die zur Realisirung dieser Preissumme nöthige Geldmasse hängt zunächst ab von der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. Sie ist bedingt durch zwei Umstände: die Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner, so dass A, der Geld von seinem Schuldner B erhält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt u. s. w. — und die Zeitlänge zwischen den verschiednen Zahlungsterminen. Die prozessirende Kette von Zahlungen oder nachträglichen ersten Metamorphosen unterscheidet sich wesentlich von der früher betrachteten Verschlingung der Metamorphosenreihen. Im Umlauf des Circulationsmittels wird der Zusammenhang zwischen Verkäufern und Käufern nicht nur ausgedrückt. Der Zusammenhang selbst entsteht erst in und mit dem Geldumlauf. Dagegen drückt die Bewegung des Zahlungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen gesellschaftlichen Zusammenhang aus.

Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkäufe beschränken den Ersatz der Münzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt einen neuen Hebel in der Oekonomie der Zahlungsmittel. Mit der Concentration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich naturwüchsig eigne Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So z. B. die virements im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A an B, B an C, C an A u. s. w. brauchen bloss confrontirt zu werden, um sich wechselseitig bis zu einem gewissen Belauf als positive und negative Grössen aufzuheben. So bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldiren. Je massenhafter die Concentration der Zahlungen, desto kleiner relativ die Bilanz, also die Masse der circulirenden Zahlungsmittel.


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Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermittelten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktionirt es nur ideell als Rechengeld oder Mass der Werthe. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Circulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Incarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstständiges Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt in dem Moment der Produktionsund Handelskrisen, der Geldkrise heisst(FN 81). Sie ereignet sich nur, wo die prozessirende Kette der Zahlungen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer entspringen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld um. Es wird unersetzlich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werthlos und ihr Werth verschwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare! gellt’s jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum(FN 82). In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth


(FN 81) Die Geldkrise, wie sie im Text bestimmt ist, als Phase jeder Krise, ist wohl zu unterscheiden von der besondern Krisenart, die man auch Geldkrise nennt, die aber ein ganz selbstständiges Phänomen bilden kann, so dass sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind diess Krisen, deren Bewegungscentrum das Geldkapital ist, und deren unmittelbare Sphäre daher auch die Sphäre der Hauptund Staatsaktionen des Geldkapitals, Bank, Börse, Finanz.
(FN 82) „Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetarsystem fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Circulationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimniss ihrer eignen Verhältnisse.“ ( Karl Marx l. c. p. 126.) „The Poor stand still, because the Rich have no Money to employ them, though they have the same land and hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches of a Nation, and not the Money.“ ( John Bellers: „ Proposals forraising a Colledge of Industry. Lond. 1696“, p. 3.)
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bleibt dieselbe, ob in Gold oder Creditgeld, Banknoten etwa, zu zahlen ist(FN 83).

Betrachten wir nun die Gesammtsumme des in einem gegebenen Zeitabschnitt umlaufenden Geldes, so ist sie, bei gegebener Umlaufsgeschwindigkeit der Cirkulationsund Zahlungsmittel, gleich der Summe der zu realisirenden Waarenpreise plus der Summe der fälligen Zahlungen minus der sich ausgleichenden Zahlungen. Selbst Preise, Geschwindigkeit des Geldumlaufs, und Oekonomie der Zahlungen gegeben, decken sich daher nicht länger die während einer Periode, eines Tags z. B., umlaufende Geldmasse und cirkulirende Waarenmasse. Es läuft Geld um, das der Cirkulation längst entzogne Waaren repräsentirt. Es laufen Waaren um, deren Geldäquivalent erst in der Zukunft erscheint. Andrerseits sind die jeden Tag contrahirten und die denselben Tag fälligen Zahlungen durchaus incommensurable Grössen(FN 84).


(FN 83) Wie solche Momente von den „amis du commerce“ ausgebeutet werden: „On one occasion (1839) an old grasping banker (der City) in his private room, raised the lid of the desk he sat over, and displayed to a friend rolls of banknotes, saying with intense glee there were 600,000 £ of them, they were held to make money tight, and would all be let out after three o’clock on the same day.“ („ The Theory of the Exchanges. The Bank Charter Act of 1844. Lond. 1864“, p. 81.) Das halbofficielle Organ, „ The Observer“, bemerkt am 24. April 1864: „Some very curious rumours are current of the means which have been resorted to in order to create a scarcity of Banknotes … Questionable at it would seem, to suppose that any trick of the kind would be adopted, the report has been so universal that it really deserves mention.“
(FN 84) „The amount of sales or contracts entered upon during the course of any given day, will not affect the quantity of money afloat on that particular day, but, in the vast majority of cases, will resolve themselves into multifarious drafts upon the quantity of money which may be afloat at subsequent dates more or less distant … The bills granted or credits opened, to day, need have no resemblance whatever, either in quantity, amount or duration, to those granted or entered upon to-morrow or next day; nay, many of to-day’s bills, and credits, when due, fall in with a mass of liabilities whose origins traverse a range of antecedent dates altogether indefinite, bills at 12, 6, 3 months or 1 often aggregating together to swell the common liabilities of one particular day . . . .“ („ The currency Question Reviewed; a letter to the Scotch people. By a Banker in England. Edinburgh 1845“, p. 29, 30 passim.)

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Das Creditgeld entspringt unmittelbar aus der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, indem Schuldcertificate für die verkauften Waaren selbst wieder zur Uebertragung der Schuldforderungen cirkuliren. Andrerseits, wie sich das Creditwesen ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Als solches erhält es eigne Existenzformen, worin es die Sphäre der grossen Handelstransaktionen behaust, während die Goldoder Silbermünze hauptsächlich in die Sphäre des Kleinhandels zurückgedrängt wird(FN 85).

Bei gewissem Höhegrad und Umfang der Waarenproduktion greift die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel über die Sphäre der Waarencirculation hinaus. Es wird die allgemeine Waare der Contrakte(FN 86). Renten, Steuern u. s. w. verwandeln sich aus Naturallieferungen in Geldzahlungen. Wie sehr diese Umwandlung durch die Gesammtgestalt des Produktionsprozesses bedingt wird, beweist z. B. der zweimal gescheiterte


(FN 85) Als Beispiel, wie wenig reelles Geld in die eigentlichen Handelsoperationen eingeht, folgt hier das Schema eines der grössten Londoner Handelshäuser über seine jährlichen Geldeinnahmen und Zahlungen. Seine Transaktionen im Jahr 1856, die viele Millionen Pf. St. umfassen, sind auf den Massstab einer Million verkürzt.
[Tabelle]
( Report from the Select Committee on the Bankacts. July 1858, p. LXXI.)
(FN 86) „The Course of Trade being thus turned, from exchanging of goods for goods, or delivering and taking, to selling and paying, all the bargains . . . . are now stated upon the foot of a Price in Money.“ („ An Essay upon Publick Credit. 3ed. Lond. 1710“, p. 8.)

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Versuch des römischen Kaiserreichs alle Abgaben in Geld zu erheben. Das ungeheure Elend des französischen Landvolks unter Ludwig XIV., das Boisguillebert, Marschall Vauban u. s. w. so beredt denunciren, war nicht nur der Steuerhöhe geschuldet, sondern auch der Verwandlung von Naturalsteuer in Geldsteuer(FN 87). Wenn andrerseits die Naturalform der Grundrente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort auf Produktionsverhältnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von Naturverhältnissen reproduciren, erhält jene Zahlungsform rückwirkend die alte Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheimnisse des türkischen Reichs. Zieht der durch Europa aufoctroyirte auswärtige Handel in Japan die Verwandlung von Naturalrente in Geldrente nach sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur geschehn. Ihre engen ökonomischen Existenzbedingungen werden sich auflösen.

In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungstermine fest. Sie beruhn theilweis, von andern Cirkelläufen der Reproduktion abgesehn, auf den an Wechsel der Jahreszeit gebundnen Naturbedingungen der Produktion. Sie regeln ebenso Zahlungen, die nicht direkt der Waarencirculation entspringen, wie Steuern, Renten u. s. w. Die Geldmasse, die zu diesen über die ganze Oberfläche der Gesellschaft zersplitterten Zahlungen an gewissen Tagen des Jahres erheischt ist, verursacht periodische, aber ganz oberflächliche Perturbationen in der Oekonomie der Zahlungsmittel(FN 88). Aus dem Gesetz über die Umlaufsgeschwin-


(FN 87) „L’argent est devenu le bourreau de toutes les choses.“ Die Finanzkunst ist das „alambic qui a fait évaporer une quantité effrayable de biens et de denrées pour faire ce fatal précis.“ „L’argent déclare la guerre à tout le genre humain.“ ( Boisguillebert: „ Dissertation sur la nature des richesses, de l’argent et des tributs“, edit. Daire, „ Économistes financiers. Paris 1843, t. I, p. 413, 419, 417.)
(FN 88) „Pfingstmontag 1824“, erzählt Herr Craig dem parlamentarischen Untersuchungscomité von 1826, „war eine solche ungeheure Nachfrage für Banknoten in Edinburg, dass wir um 11 Uhr keine einzige Note mehr in unserm Verwahrsam hatten. Wir sandten der Reihe nach zu den verschiednen Banken um welche zu borgen, konnten aber keine erhalten, und viele Transaktionen konnten nur durch slips of paper berichtigt werden. Um 3 Uhr Nachmittags jedoch waren bereits sämmtliche Noten returnirt zu den Banken, von denen sie ausliefen. Sie hatten nur die Hände gewechselt.“ Obgleich die effektive Durchschnittscirculation der Banknoten in Schottland weniger als 3 Mill. Pf. St. beträgt, wird dennoch, an ver-

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digkeit der Zahlungsmittel folgt, dass für alle periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die nothwendige Masse der Zahlungsmittel in umgekehrtem Verhältniss zur Länge der Zahlungsperioden steht(FN 89).

Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernöthigt Geldaccumulationen für die Verfallstermine der geschuldeten Summen. Während die Schatzbildung als selbstständige Bereicherungsform verschwindet mit dem Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft, wächst sie umgekehrt mit demselben in der Form von Reservefonds der Zahlungsmittel.

c) Weltgeld.

Mit dem Austritt aus der innern Circulationssphäre streift das Geld die dort aufschiessenden Lokalformen vom Massstab der Preise, Münze, Scheidemünze und Werthzeichen wieder ab und fällt in die ursprüngliche Barrenform der edlen Metalle zurück. Im Welthandel entfalten die Waaren ihren Werth universell. Ihre selbstständige Werthgestalt tritt ihnen daher hier auch gegenüber als Weltgeld. Erst auf dem Weltmarkt funktio-


schiednen Zahlungsterminen im Jahr, jede im Besitz der Banquiers befindliche Note, alles in allem ungefähr 7 Mill. Pf. St., in Aktivität gerufen. Bei diesen Gelegenheiten haben die Noten eine einzige und specifische Funktion zu vollziehen und sobald sie vollzogen, fliessen sie zu den respektiven Banken zurück, von denen sie ausliefen.“ ( John Fullarton: „ Regulation of Currencies. 2nd ed. Lond. 1845“ p. 86 Nte.) Zum Verständniss ist hinzuzufügen, dass in Schottland nicht cheques, sondern nur Noten für die Deposits ausgegeben werden.
(FN 89) Auf die Frage „if there were occasion to raise 40 millions p. a., whether the same 6 millions (Gold) would suffice for such revolutions and circulations thereof as trade requires?“, antwortet Petty mit seiner gewöhnlichen Meisterschaft: „I answer yes: for the expense being 40 millions, if the revolutions were in such short circles, viz. weekly, as happens among poor artizans and labourers, who receive and pay every Saturday, then parts of 1 million of money would answer these ends; but if the circles be quarterly, according to our custom of paying rent, and gathering taxes, then 10 millions were requisite. Wherefore supposing payments in general to be of a mixed circle between one week and 12, then add 10 millions to , the half of the which will be 5½, so as if we have 5½ mill., we have enough.“ ( William Petty: „ Political Anatomy of Ireland. 1672“, edit. Lond. 1691, p. 13, 14.)

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nirt das Geld in vollem Umfang als die Waare, deren Naturalform zugleich unmittelbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto ist. Seine Daseinsweise wird seinem Begriff adäquat.

In der innern Cirkulationssphäre kann nur eine Waare zum Werthmass und daher als Geld dienen. Auf dem Weltmarkt herrscht doppeltes Werthmass, Gold und Silber(FN 90).

Das Weltgeld funktionirt als allgemeines Zahlungsmittel, allgemeines Kaufmittel und absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichthums überhaupt ( universal wealth). Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Ausgleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor. Daher das Losungswort des Merkantilsystems — Handelsbilanz(FN 91)! Zum internationalen Kaufmittel dienen Gold und Silber wesentlich, so oft das herkömmliche Gleichgewicht des Stoff-


(FN 90) Daher die Abgeschmacktheit jeder Gesetzgebung, die den Nationalbanken vorschreibt, nur das edle Metall aufzuschatzen, das im Innern des Landes als Geld funktionirt. Die so selbstgeschaffenen „holden Hindernisse“ der Bank von England z. B. sind bekannt. Ueber die grossen historischen Epochen des relativen Werthwechsels von Gold in Silber sieh Karl Marx l. c. p. 136 sq.
(FN 91) Die Gegner des Merkantilsystems, welches die Saldirung überschüssiger Handelsbilanz durch Gold und Silber als Zweck des Welthandels behandelte, verkannten ihrerseits durchaus die Funktion des Weltgeldes. Wie die falsche Auffassung der Gesetze, welche die Masse der Circulationsmittel regeln, sich in der falschen Auffassung der internationalen Bewegung der edlen Metalle nur wiederspiegelt, habe ich ausführlich an Ricardo nachgewiesen. (l. c. p. 150 sqq.) Sein falsches Dogma: „An unfavourable balance of trade never arises but from a redundant currency … The exportation of the coin is caused by its cheapness, and is not the effect, but the cause of an unfavourable balance“ findet man daher schon bei Barbon: „The Balance of Trade, if there be one, is not the cause of sending away the money out of a nation: but that proceeds from the difference of the value of Bullion in every country.“ (N. Barbon l. c. p. 59, 60.) MacCulloch in „ The Litterature of Political Economy, a classified catalogue. Lond. 1845“ belobt Barbon für diese Anticipation, vermeidet aber wohlweislich die naiven Formen, worin bei B. die absurden Voraussetzungen des „currency principle“ noch erscheinen, auch nur zu erwähnen. Die Kritiklosigkeit und selbst Unehrlichkeit jenes Katalogs gipfeln in den Abschnitten über die Geschichte der Geldtheorie, weil Mac Culloch hier als Sykophant des Lord Overstone (ex-banker Loyd), den er „facile princeps argentariorum“ nennt, schwanzwedelt.

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wechsels zwischen verschiednen Nationen plötzlich gestört wird. Endlich als absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichthums, wo es sich weder um Kauf noch Zahlung handelt, sondern um Uebertragung des Reichthums von einem Land zum andern, und wo diese Uebertragung in Waarenform entweder durch die Conjunkturen des Waarenmarkts oder den zu erfüllenden Zweck selbst ausgeschlossen wird(FN 92).

Wie für seine innere Circulation, braucht jedes Land für die Weltmarktscirculation einen Reservefonds. Die Funktionen der Schätze entspringen also theils aus der Funktion des Geldes als inneres Circulationsund Zahlungsmittel, theils seiner Funktion als Weltgeld. In der letzteren Rolle ist stets die wirkliche Geldwaare, leibhaftes Gold und Silber erheischt, wesswegen James Steuart Gold und Silber, im Unterschied von ihren nur lokalen Stellvertretern, ausdrücklich als money of the world charakterisirt.

Die Bewegung des Goldund Silberstroms ist eine doppelte. Einerseits wälzt er sich von seinen Quellen über den ganzen Weltmarkt, wo er von den verschiednen nationalen Circulationssphären in verschiednem Umfang abgefangen wird, um in die inneren Umlaufskanäle einzugehn, verschlissene Goldund Silbermünzen zu ersetzen, das Material von Luxuswaaren zu liefern und zu Schätzen zu erstarren(FN 93). Diese erste Bewegung ist vermittelt durch direkten Austausch der in Waare realisirten Nationalarbeiten mit der in edlen Metallen realishten Arbeit der Gold und Silber producirenden Länder. Andrerseits laufen Gold und Silber fortwährend hin und her zwischen den verschiednen nationalen Circulationssphären, eine Bewegung, die den unaufhörlichen Oscillationen des Wechselkurses folgt(FN 94).


(FN 92) Z. B. bei Subsidien, Geldanleihn zur Kriegsführung oder zur Wiederaufnahme der Baarzahlungen von Banken u. s. w. kann Werth grade in der Geldform erheischt sein.
(FN 93) „L’argent se partage entre les nations relativement au besoin qu’elles en ont … étant toujours attiré par les productions.“ ( Le Trosne l. c. p. 916.) „The mines which are continually giving gold and silver, do give sufficient to supply such a needful balance to every nation.“ (J. Vanderlint l. c. p. 40.)
(FN 94) „Exchanges rise and fall every week, and at some particular times in the year run high against a nation, and at other times run as high on the contrary.“ (N. Barbon l. c. p. 39.)

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Länder entwickelter bürgerlicher Produktion beschränken die in Bankreservoirs massenhaft concentrirten Schätze auf das zu ihren spezifischen Funktionen erheischte Minimum(FN 95). Mit gewisser Ausnahme zeigt auffallendes Ueberfüllen der Schatzreservoirs über ihr Durchschnittsniveau Stockung der Waarencirculation an oder unterbrochenen Fluss der Waarenmetamorphose(FN 96).


Zweites Kapitel. Die Verwandlung von Geld in Kapital.

1) Die allgemeine Formel des Kapitals.

Die Waarencirculation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. Waarenproduktion, Waarencirculation und entwickelte Waarencirculation, Handel, bilden daher stets die historischen Voraussetzungen, unter denen das Kapital entsteht. Von der Schöpfung des modernen Welthandels und


(FN 95) Diese verschiedenen Funktionen können in gefährlichen Konflikt gerathen, sobald die Funktion eines Conversionsfonds für Banknoten hinzutritt.
(FN 96) „What money is more than of absolute necessity for a Home Trade, is dead stock, and brings no profit to that country it’s kept in, but as it is transported in Trade, as well as imported.“ ( John Bellers l. c. p. 12.) „What if we have too much coin? We may melt down the heaviest and turn it into the splendour of plate, vessels or ustensils of gold and silver; or send it out as a commodity, where the same is wanted or desired; or let it out at interest, where interest is high.“ (W. Petty: „ Quantulumcunque“, p. 39.) „Money is but the fat of the Body Politick, whereof too much does as often hinder its agility, as too little makes it sick. . . . . . . . as fat lubricates the motion of the muscles, feeds in want of victuals, fills up uneven cavities, and beautifies the body; so doth money in the state quicken its action, feeds from abroad in time of dearth at home; evens accounts … and beautifies the whole, although“, ironisch abschliessend, „ more especially the particular persons that have it in plenty.“ (W. Petty: „ Political anatomy of Ireland“ p. 14.)

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Weltmarkts im 16. Jahrhundert datirt die moderne Lebensgeschichte des Kapitals.

Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Waarencirculation, vom Austausch der verschiednen Gebrauchswerthe, und betrachten wir nur die ökonomischen Formen, die dieser Prozess erzeugt, so finden wir als sein letztes Produkt das Geld. Diess letzte Produkt der Waarencirculation ist die erste Erscheinungsform des Kapitals.

Historisch tritt das Kapital dem Grundeigenthum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, von Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital(FN 1). Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erscheinungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsern Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den Markt, Waarenmarkt, Arbeitsmarkt, oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll.

Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedene Circulationsform.

Die unmittelbare Form der Waarencirculation ist W — G — W, Verwandlung von Waare in Geld und Rückverwandlung von Geld in Waare, verkaufen um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedene vor, die Form G — W — G, Verwandlung von Geld in Waare und Rückverwandlung von Waare in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Circulationsform beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon an sich, d. h. seiner Bestimmung nach, Kapital.

Sehn wir uns die Circulation G — W — G näher an. Es ist ein Prozess, der gleich dem der einfachen Waarencirculation, zwei entgegengesetzte Phasen durchläuft und ihre Einheit bildet. In der ersten Phase, G — W, Kauf, wird das Geld in Waare verwandelt. In der zweiten Phase, W — G, Verkauf, wird die Waare in Geld rückverwandelt. Die Einheit beider Phasen aber, die Gesammtbewegung, stellt sich


(FN 1) Der Gegensatz zwischen der auf persönlichen Knechtschaftsund Herrschaftsverhältnissen beruhenden Macht des Grundeigenthums und der unpersönlichen Macht des Geldes ist klar gefasst in den zwei französischen Sprichworten: „Nulle terre sans seigneur.“ „L’argent n’a pas de maître.“

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dar als Austausch von Geld gegen Waare und Wiederaustausch derselben Waare gegen Geld, Waare kaufen um sie zu verkaufen, oder, wenn man die formellen Unterschiede von Kauf und Verkauf übersieht, mit dem Geld Waare und mit der Waare Geld kaufen(FN 2). Was aber das Resultat des Prozesses angeht, so erlischt er im Austausch von Geld gegen Geld, G — G. Wenn ich für 100 Pfd. St. 2000 Pfund Baumwolle kaufe und die 2000 Pfund Baumwolle wieder für 110 Pfd. St. verkaufe, so habe ich schliesslich 100 Pfd. St. gegen 110 Pfd. St. ausgetauscht, Geld gegen Geld.

Es ist nun zwar augenscheinlich, dass der Circulationsprozess G — W — G abgeschmackt und inhaltslos wäre, wollte man vermittelst seines Umwegs denselben Geldwerth gegen denselben Geldwerth, also z. B. 100 Pfd. St. gegen 100 Pfd. St. austauschen. Ungleich einfacher und sichrer wäre die Methode des Schatzbildners, der die 100 Pfd. St. festhält, statt sie der Circulationsgefahr preiszugeben. Andrerseits, ob der Kaufmann die mit 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wieder verkauft zu 110 Pfd. St., oder ob er sie zu 100 Pfd. St. und selbst zu 50 Pfd. St. losschlagen muss, unter allen Umständen hat sein Geld eine eigenthümliche und originelle Bewegung beschrieben, durchaus verschieden von der, die es in der einfachen Waarencirculation beschreibt, z. B. in der Hand des Bauern, der Korn verkauft und mit dem so gelösten Geld Kleider kauft. Es gilt also zunächst die Charakteristik der Formunterschiede zwischen den Kreisläufen G — W — G und W — G — W. Damit wird sich zugleich der inhaltliche Unterschied ergeben, der hinter diesen Formunterschieden lauert.

Sehn wir zunächst, was beiden Formen gemeinsam.

Beide Kreisläufe zerfallen in dieselben zwei entgegengesetzten Phasen, W — G, Verkauf, und G — W, Kauf.. Jede dieser Phasen für sich betrachtet, ist kein Unterschied zu erkennen. Die den Prozess eingehenden Elemente sind in beiden Formen dieselben, Waare und Geld. In jedem Abschnitt der beiden Kreisläufe stehn sich dieselben ökonomischen Charaktermasken gegenüber, Käufer und Verkäufer. In beiden Prozessen treten


(FN 2) „Avec de l’argent on achète des marchandises, et avec des marchandises on achète de l’argent.“ ( Mercier de la Rivière: „ L’ordre naturel et essentiel des sociétés publiques“, p. 543.)

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drei Contrahenten auf, so dass aber stets nur ein Contrahent abwechselnd als Käufer und Verkäufer figurirt, während von den beiden andern Contrahenten der eine nur verkauft und der andre nur kauft. Beide Kreisläufe endlich sind Einheiten derselben entgegengesetzten Phasen.

Der Formunterschied zwischen den Prozessen W — G — W und G — W — G springt erst in’s Auge, sobald man, statt der zwei Phasen, worin beide zerfallen, ihre Gesammtverläufe vergleicht. Was sie von vorn herein scheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben entgegengesetzten Circulationsphasen. Die einfache Waarencirculation beginnt mit dem Verkauf und endet mit dem Kauf, die Circulation des Geldes als Kapital beginnt mit dem Kauf und endet mit dem Verkauf. Dort bildet die Waare, hier das Geld den Ausgangspunkt und Schlusspunkt der Bewegung. In der ersten Form funktionirt das Geld, in der andern umgekehrt die Waare als Mittler des Gesammtverlaufs.

In der Circulation W — G — W wird das Geld schliesslich in Waare verwandelt, die als Gebrauchswerth dient. Das Geld ist also definitiv ausgegeben. In der umgekehrten Form G — W — G giebt der Käufer dagegen Geld aus, um als Verkäufer Geld einzunehmen. Er wirft Geld beim Kauf der Waare in die Circulation, um es ihr durch den Verkauf derselben Waare wieder zu entziehn. Er entlässt das Geld nur mit der hinterlistigen Absicht seiner wieder habhaft zu werden. Es wird daher nur vorgeschossen(FN 3).

In der Form W — G — W wechselt dasselbe Geldstück zweimal die Stelle. Der Verkäufer erhält es vom Käufer und zahlt es weg an einen andern Verkäufer. Mit der Weggabe von Geld für Waare schliesst der Gesammtprozess ab, wie er mit der Einnahme von Geld für Waare begann. Umgekehrt in der Form G — W — G. Nicht dasselbe Geldstück, sondern dieselbe Waare wechselt hier zweimal die Stelle. Der Käufer erhält sie aus der Hand des Verkäufers und giebt sie weg in die Hand eines andern Käufers. Wie in der einfachen Waarencirculation durch den zweimaligen Stellenwechsel dessel


(FN 3) „When a thing is bought, in order to be sold again, the sum employed is called money advanced; when it is bought not to be sold, it may be said to be expended.“ ( James Steuart: Works etc. edited by General Sir James Steuart, his son. Lond. 1801, v. I, p. 274.)

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ben Geldstücks sein definitives Uebergehn aus einer Hand in die andre bedingt ist, so hier durch den zweimaligen Stellenwechsel derselben Waare der Rückfluss des Geldes zu seinem ersten Ausgangspunkt.

Der Rückfluss des Geldes zu seinem Ausgangspunkt hängt nicht davon ab, ob oder ob nicht die Waare theurer verkauft wird als sie gekauft war. Dieser Umstand beeinflusst nur die Grösse der rückfliessenden Geldsumme. Das Phänomen des Rückflusses selbst findet statt, sobald die gekaufte Waare wieder verkauft, also der Kreislauf G — W — G vollständig beschrieben wird. Es ist diess also ein sinnlich wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Circulation des Geldes als Kapital und seiner Circulation als blossem Geld.

Allerdings kann auch in W — G — W Rückfluss des Geldes zu seinem Ausgangspunkt stattfinden, aber nur durch die Erneuerung oder Wiederholung des Gesammtprozesses, nicht durch den Verlauf seiner eignen Momente. Wenn ich ein Quarter Korn verkaufe für 3 Pfd. St. und mit diesen 3 Pfd. St. Kleider kaufe, sind die 3 Pfd. St. für mich definitiv verausgabt. Ich habe nichts mehr mit ihnen zu schaffen. Sie sind des Kleiderhändlers. Verkaufe ich nun ein zweites Quarter Korn, so fliesst Geld zu mir zurück, aber nicht in Folge der ersten Transaktion, sondern nur in Folge ihrer Wiederholung. Es entfernt sich wieder von mir, sobald ich die zweite Transaktion zu Ende führe und von neuem kaufe. In der Circulation W — G — W hat also die Verausgabung des Geldes nichts mit seinem Rückfluss zu schaffen. In G — W — G dagegen ist der Rückfluss des Geldes durch die Art seiner Verausgabung selbst bedingt. Ohne diesen Rückfluss ist die Operation missglückt oder der Prozess unterbrochen und noch nicht fertig, weil seine zweite Phase, der den Kauf ergänzende und abschliessende Verkauf fehlt.

Der Kreislauf W — G — W geht aus von dem Extrem einer Waare und schliesst ab mit dem Extrem einer andern Waare, die aus der Circulation heraus und der Consumtion anheim fällt. Consumtion, Befriedigung von Bedürfnissen, mit einem Wort, Gebrauchswerth ist daher sein Endzweck. Der Kreislauf G — W — G geht dagegen aus von dem Extrem des Geldes und bewegt sich fort zu demselben Extrem als seinem Schluss. Sein treibendes Motiv und bestimmender Zweck ist daher der Tauschwerth selbst.

In der einfachen Waarencirculation haben beide Extreme dieselbe


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ökonomische Formbestimmtheit. Sie sind beide Waaren. Sie sind auch Waaren von derselben Werthgrösse. Aber sie sind zugleich qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, z. B. Korn und Kleider. Der Produktenaustausch, der Wechsel der verschiednen Stoffe, worin sich die gesellschaftliche Arbeit darstellt, bildet hier den Inhalt der Bewegung. Anders in der Circulation G — W — G. Sie scheint auf den ersten Blick inhaltlos, weil tautologisch. Beide Extreme haben dieselbe ökonomische Formbestimmtheit. Sie sind beide Geld. Sie unterscheiden sich auch nicht qualitativ als Gebrauchswerthe, denn Geld ist eben die verwandelte Gestalt der Waaren, worin ihre besondern Gebrauchswerthe ausgelöscht sind. Erst 100 Pfd. St. gegen Baumwolle und dann wieder dieselbe Baumwolle gegen 100 Pfd. St. austauschen, also auf einem Umweg Geld gegen Geld, dasselbe gegen dasselbe, scheint eine ebenso zwecklose als abgeschmackte Operation(FN 4). Eine Geldsumme kann sich von der


(FN 4) „On n’échange pas de l’argent contre de l’argent,“ ruft Mercier de la Rivière den Merkantilisten zu. (l. c. p. 486.) In einem Werke, welches ex professo vom „ Handel“ und der „ Spekulation“ handelt, liest man: „Aller Handel besteht im Austausch von Dingen verschiedner Art; und der Vortheil (für den Kaufmann?) entspringt eben aus dieser Verschiedenheit. Ein Pfund Brod gegen ein Pfund Brod austauschen, wäre ohne allen Vortheil … daher der vortheilhafte Kontrast zwischen Handel und Spiel, welches nur Austausch von Geld gegen Geld ist.“ ( Th. Corbet: „ An Inquiry into the Causes and Modes of the Wealth of Individuals; or the Principles of Trade and Speculation explained. London. 1841“, p. 5.) Obgleich Corbet nicht sieht, dass G — G, Geld gegen Geld austauschen, die charakteristische Circulationsform, nicht nur des Handelskapitals, sondern allen Kapitals ist, giebt er wenigstens zu, dass diese Form einer Art des Handels, der Spekulation, mit dem Spiel gemein sei, aber dann kommt MacCulloch und findet, dass Kaufen um zu verkaufen Speculiren ist, und der Unterschied zwischen Speculation und Handel also wegfällt. „ Every transaction in which an individual buys produce in order to sell it again, is, in fact, a speculation.“ ( Mac Culloch: A Dictionary practical etc. of Commerce. London 1847, p. 1056.) Ungleich naiver Pinto, der Pindar der Amsterdamer Börse: „ Le commerce est un jeu (dieser Satz entlehnt aus Locke); et ce n’est pas avec des gueux qu’on peut gagner. Si l’on gagnait long temps en tout avec tous, il faudrait rendre de bon accord les plus grandes parties du profit, pour recommencer le jeu.“ ( Pinto: Traité de la Circulation et du Credit. Amsterdam 1771, p. 231.)

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andern Geldsumme überhaupt nur durch ihre Grösse unterscheiden. Der Prozess G — W — G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Verschiedenheit. Schliesslich wird der Circulation mehr Geld entzogen als Anfangs hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wird z. B. wieder verkauft zu 100 + 10 Pfd. St. oder 110 Pfd. St. Die vollständige Form dieses Prozesses ist daher G — W — G', wo G' = G + ∆ G, d. h. gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Increment. Diess Increment oder den Ueberschuss über den ursprünglichen Werth nenne ich Mehrwerth ( surplus value). Der ursprünglich vorgeschossene Werth erhält sich daher nicht nur in der Circulation, sondern in ihr verändert er seine Werthgrösse, setzt einen Mehrwerth zu, oder verwerthet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital.

Es ist zwar auch möglich, dass in W — G — W die beiden Extreme W, W, z. B. Korn und Kleider, quantitativ verschiedne Werthgrössen sind. Der Bauer kann sein Korn über dem Werth verkauft oder die Kleider unter ihrem Werth gekauft haben. Er kann seinerseits vom Kleiderhändler geprellt werden. Solche Werthverschiedenheit bleibt jedoch für diese Circulationsform selbst rein zufällig. Sinn und Verstand verliert sie nicht schier, wie der Prozess G — W — G, wenn die beiden Extreme, Korn und Kleider z. B., Aequivalente sind. Ihr Gleichwerth ist hier vielmehr Bedingung des normalen Verlaufs.

Die Wiederholung oder Erneurung des Verkaufs um zu kaufen findet, wie dieser Prozess selbst, Mass und Ziel an einem ausser ihm liegenden Endzwecke, der Consumtion, der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Im Kauf für den Verkauf dagegen sind Anfang und Ende dasselbe, Geld, Tauschwerth, und schon dadurch ist die Bewegung endlos. Allerdings ist aus G, G + ∆ G geworden, aus den 100 Pfd. St., 100 + 10. Aber blos die Form betrachtet, sind 110 Pfd. St. dasselbe wie 100 Pfd. St., nämlich Geld. Und die Werthgrösse betrachtet, sind 110 Pfd. eine beschränkte Werthsumme wie 100 Pfd. St. Würden die 110 Pfd. St. als Geld verausgabt, so fielen sie aus ihrer Rolle. Sie hörten auf Kapital zu sein. Der Circulation entzogen, versteinern sie zum Schatz und kein Farthing wächst ihnen an, ob sie bis


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zum jüngsten Tag fortlagern. Handelt es sich also einmal um die Werthgrösse als solche, um Verwerthung des Werths, so besteht dasselbe Bedürfniss für die Verwerthung von 110 Pfd. St. wie für die von 100 Pfd. St., da beide beschränkte Ausdrücke des Tauschwerths sind, beide also denselben Beruf haben sich dem Reichthum schlechthin durch Grössenausdehnung anzunähern. Allerdings unterscheidet sich für einen Augenblick der ursprünglich vorgeschossene Werth 100 Pfd. St. von dem in der Circulation ihm zuwachsenden Mehrwerth von 10 Pfd. St., aber dieser Unterschied zerfliesst sofort wieder. Es kommt am Ende des Prozesses nicht auf der einen Seite der Originalwerth von 100 Pfd. St. und auf der andern Seite der Mehrwerth von 10 Pfd. St. heraus. Was herauskommt ist Ein Werth von 110 Pfd. St., der sich ganz in derselben entsprechenden Form befindet, um den Verwerthungsprozess zu beginnen, wie die ursprünglichen 100 Pfd. St. Geld kommt am Ende der Bewegung wieder als ihr Anfang heraus(FN 5). Wenn die einfache Waarencirculation daher im Gebrauchswerth eine ihr von aussen gesetzte Schranke hat, ist die Bewegung des Kapitals dagegen masslos, indem sie in ihrem Abschluss das Prinzip und den Trieb ihrer Wiedererneuerung findet, und ihr Ziel, die Verwerthung des Werths, am Ende des Prozesses eben so wenig erreicht ist als am Anfang(FN 6).

Als bewusster Träger dieses Prozesses wird der Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt


(FN 5) „Das Kapital theilt sich … in das ursprüngliche Kapital und den Gewinn, den Zuwachs des Kapitals … obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlägt und mit diesem in Fluss setzt.“ (F. Engels: „ Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ in „DeutschFranzösische Jahrbücher, herausgegeben von Arnold Ruge und Karl Marx.“ Paris 1844, p. 99.)
(FN 6) Aristoteles stellt der Chrematistik die Oekonomik entgegen. Er geht von der Oekonomik aus. So weit sie Erwerbskunst, beschränkt sie sich auf die Verschaffung der zum Leben nothwendigen und für das Haus oder den Staat nützlichen Güter. „Der wahre Reichthum (ὁ ἀληϑινὸς πλοῦτος) besteht aus solchen Gebrauchswerthen; denn das zum guten Leben genügende Mass dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es giebt aber eine zweite Art der Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heisst, in Folge deren keine Grenze des Reichthums und Besitzes zu existiren scheint. Der Waarenhandel (ἡ ϰαπηλιπὴ heisst wörtlich Kramhandel und Aristoteles nimmt
I. 8

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und der Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jenes Prozesses — Verwerthung des Werths — ist sein subjektiver Zweck, und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichthums das allein treibende Motiv seiner Operationen, funktionirt er als Kapitalist oder personificirtes, mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital. Der Gebrauchswerth ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln(FN 7). Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens(FN 8). Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese


diese Form, weil in ihr der Gebrauchswerth vorherrscht) gehört von Natur nicht zur Chrematistik, denn hier bezieht sich der Austausch nur auf das für sie selbst (Käufer und Verkäufer) Nöthige.“ Daher, entwickelt er weiter, war auch die ursprüngliche Form des Waarenhandels der Tauschhandel, aber mit seiner Ausdehnung entstand nothwendig das Geld. Mit der Erfindung des Geldes musste sich der Tauschhandel nothwendig zur ϰαπηλιϰὴ, zum Waarenhandel entwickeln, und dieser, im Widerspruch zu seiner ursprünglichen Tendenz, bildete sich zur Chrematistik aus, zur Kunst Geld zu machen. Die Chrematistik nun unterscheidet sich von der Oekonomik dadurch, dass „für sie die Circulation die Quelle des Reichthums ist (ποιητιϰὴ χϱημάτων διὰ χϱημάτων διαβολῆς). Und um das Geld scheint sie sich zu drehen, denn das Geld ist der Anfang und das Ende dieser Art von Austausch (τὸ γάϱ νόμισμα στοιχεῖον ϰαὶ πέϱας τῆς ἀλλαγῆς ἐστίν). Daher ist auch der Reichthum, wie ihn die Chrematistik anstrebt, unbegrenzt. Wie nämlich jede Kunst, der ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als letzter Endzweck gilt, unbegrenzt in ihrem Streben ist, denn sie sucht sich ihm stets mehr zu nähern, während die Künste, die nur Mittel zum Zwecke verfolgen, nicht unbegrenzt sind, da der Zweck selbst ihnen die Grenze setzt, so giebt es auch für diese Chrematistik keine Schranke ihres Ziels, sondern ihr Ziel ist absolute Bereicherung. Die Oekonomik, nicht die Chrematistik hat eine Grenze . . . . die erstere bezweckt ein vom Gelde selbst Verschiednes, die andere seine Vermehrung . . . . Die Verwechslung beider Formen, die in einander überspielen, verursacht einige die Erhaltung und Vermehrung des Geldes ins Unendliche als Endziel der Oekonomik zu betrachten.“ ( Aristoteles: De Rep. edit. Bekker, lib. I, c. 8 und 9 passim.)
(FN 7) „Commodities (hier im Sinn von Gebrauchswerthen) are not the terminating object of the trading capitalist … money is his terminating object.“ ( Th. Chalmers: On Politic. Econ. etc. 2nd edit. Lond. 1832, p. 166.)
(FN 8) „Il mercante non conta quasi per niente il lucro fatto, ma mira sempre al futuro.“ (A. Genovesi: Lezioni di Economia Civile (1765). Ausgabe der italienischen Oekonomen von Custodi, Parte Moderna, t. VIII, p. 139.)

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leidenschaftliche Jagd auf den Tauschwerth(FN 9) ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die Unvergänglichkeit des Tauschwerths, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Circulation zu retten sucht(FN 10), erreicht der klügere Kapitalist, indem er es stets von neuem der Circulation preisgiebt(FN 10a).

In der einfachen Circulation entwickeln die Waaren ihren Werth zu verschiednen ihrem Gebrauchswerth gegenübertretenden selbstständigen Formen, d. h. zu Geldformen, die den Austausch vermitteln und in seinem Endresultat verschwinden. In der Circulation G — W — G funktioniren beide, Waare und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen des Werths selbst, das Geld seine allgemeine, die Waare seine besondre, so zu sagen nur verkleidete Existenzweise(FN 11). Er geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren und verwandelt sich so in ein automatisches, in sich selbst prozessirendes Subjekt. Fixirt man eine der besondern Erscheinungsformen, worin er sich abwechselnd darstellt, so erhält man die Erklärungen: Kapitalist Geld, Kapitalist Waare(FN 12). In der That aber wird


(FN 9) „Die unauslöschliche Leidenschaft für den Gewinn, die auri sacra fames bestimmt stets den Kapitalisten.“ ( Mac Culloch: The Principles of Polit. Econ. London 1830, p. 163.) Diese Einsicht verhindert denselben Mac Culloch und Cons. natürlich nicht, in theoretischen Verlegenheiten, z. B. bei Behandlung der Ueberproduktion, denselben Kapitalisten in einen guten Bürger zu verwandeln, dem es sich nur um den Gebrauchswerth handelt und der sogar einen wahren Wehrwolfsheisshunger für Stiefel, Hüte, Eier, Kattune und andre höchst familiäre Sorten von Gebrauchswerth entwickelt.
(FN 10)Σώζειν“ ist einer der charakteristischen Ausdrücke der Griechen für das Schatzbilden.
(FN 10a) „Questo infinito che le cose non hanno in progresso, hanno in giro.“ ( Galiani.)
(FN 11) „Ce n’est pas la matière qui fait le capital, mais la valeur de ces matières.“ (J. B. Say: Traité de L’Econ. Polit. 3ème ed. Paris 1817, t. I, p. 428.)
(FN 12)Currency (!) employed to productive purposes is capital.“ ( Mac Leod: „ The Theory and Practice of Banking. London 1855“, v. I, c. I.) „Capital is commodities.“ ( James Mill: „ Elements of Pol. Econ. Lond. 1821“, p. 74.)
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der Werth hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Waare, seine Grösse selbst verändert, sich als Mehrwerth von sich selbst als ursprünglichem Werth abstösst, sich selbst verwerthet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwerth zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwerthung ist also Selbstverwerthung. Er hat die occulte Qualität erhalten, Werth zu setzen, weil er Werth ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier.

Als das übergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er Geldform und Waarenform bald annimmt, bald abstösst, sich aber in diesem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Werth natürlich vor allem einer selbsstständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatirt werden kann. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Diess bildet daher Ausgangspunkt und Schlusspunkt jeden Verwerthungsprozesses. Er war 100 Pfd. St., er ist jetzt 110 Pfd. St. u. s. w. Aber das Geld selbst gilt hier nur als eine Form des Werths, denn er hat deren zwei. Und die Annahme der Waarenform bildet grade das vermittelnde Moment seiner Bewegung. Das Geld tritt hier also nicht polemisch gegen die Waare auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist weiss, dass alle Waaren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen mögen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich verschnittene Juden sind. G — G', geldheckendes Geld — ( money which begets money lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Mercantilisten), — ist in der That nur die unmittelbare Erscheinungsform des Werth setzenden Werths, des sich selbst verwerthenden Werths.

Wenn der Tauschwerth in der Waarencirculation höchstens zur selbstständigen Form gegenüber dem Gebrauchswerth der Waare heranreift, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine prozessirende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Waare und Geld beide blosse Formen. Aber noch mehr. Statt Waarenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt so zu sagen in ein Privatverhältniss zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Werth von sich selbst als Mehrwerth, als Gott Vater von sich selbst als Gottsohn, und beide sind vom selben Alter, und bilden in der That nur eine Person, denn nur durch den Mehrwerth von 10 Pfd. St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie diess geworden, sobald der


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Sohn, und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St.

Der Werth wird also prozessirender Werth, prozessirendes Geld und als solches Kapital. Er kommt aus der Circulation her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrössert aus ihr zurück und beginnt denselben Kreislauf stets wieder von neuem(FN 13).

Kaufen um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen um theurer zu verkaufen, G — W — G', scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigenthümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Waare verwandelt und durch den Verkauf der Waare in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, ausserhalb der Circulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Form G — W — G' abgekürzt dar, im Resultat ohne die Vermittlung, so zu sagen im Lapidarstyl, als G — G', Geld, das gleich mehr Geld, Werth, der grösser als er selbst ist.

In der That also ist G — W — G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Circulationssphäre erscheint.

b) Widersprüche der allgemeinen Formel.

Die Circulationsform, worin sich das Geld zum Kapital entpuppt, widerspricht allen früher entwickelten Gesetzen über die Natur der Waare, des Werths, des Geldes und der Circulation selbst. Was sie von der einfachen Waarencirculation unterscheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben zwei entgegengesetzten Prozesse, Verkauf und Kauf. Und wie sollte dieser rein formelle Unterschied die Natur dieser Prozesse umzaubern?

Noch mehr. Diese Umkehrung existirt nur für einen der drei Geschäftsfreunde, die mit einander handeln. Als Kapitalist kaufe ich Waare von A und verkaufe sie wieder an B, während ich als einfacher Waarenbesitzer Waare an B verkaufe und dann Waare von A kaufe. Für die Geschäftsfreunde A und B existirt dieser Unterschied nicht. Sie treten


(FN 13)Kapital . . . . permanenter sich vervielfältigender Werth“. ( Sis mondi: Nouveaux Principes del’Econ. Polit., t. I, p. 90.)

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nur als Käufer oder Verkäufer von Waaren auf. Ich selbst stehe ihnen jedesmal als einfacher Geldbesitzer oder Waarenbesitzer, Käufer oder Verkäufer, gegenüber, und zwar trete ich in beiden Reihenfolgen der einen Person nur als Käufer und der andern nur als Verkäufer gegenüber, der einen als nur Geld, der andern als nur Waare, keiner von beiden als Kapital oder Kapitalist oder Repräsentant von irgend etwas, das mehr als Geld oder Waare wäre oder eine andere Wirkung ausser der des Geldes oder der Waare ausüben könnte. Für mich bilden Kauf von A und Verkauf an B eine Reihenfolge. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Akten existirt nur für mich. A scheert sich nicht um meine Transaktion mit B, und B nicht um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa das besondere Verdienst klar machen, das ich mir durch die Umkehrung der Reihenfolge erworben, so würden sie mir beweisen, dass ich mich in der Reihenfolge selbst irre und dass die Gesammttransaktion nicht mit einem Kauf begann und einem Verkauf endete, sondern umgekehrt mit einem Verkauf begann und mit einem Kauf abschloss. In der That, mein erster Akt, der Kauf, war von A’s Standpunkt ein Verkauf, und mein zweiter Akt, der Verkauf, war von B’s Standpunkt ein Kauf. Nicht zufrieden damit, werden A und B erklären, dass die ganze Reihenfolge überflüssig und Hokus Pokus war. A wird die Waare direkt an B verkaufen und B sie direkt von A kaufen. Damit verschrumpft die ganze Transaktion in einen einseitigen Akt der gewöhnlichen Waarencirculation, vom Standpunkt A’s blosser Verkauf und vom Standpunkt B’s blosser Kauf. Wir sind also durch die Umkehrung der Reihenfolge nicht über die Sphäre der einfachen Waarencirculation hinausgekommen und müssen vielmehr zusehn, ob sie ihrer Natur nach Verwerthung der in sie hineingehenden Werthe und daher Bildung von Mehrwerth gestattet.

Nehmen wir den Circulationsprozess in einer Form, worin er sich als blosser Waarenaustausch darstellt. Diess ist stets der Fall, wenn beide Waarenbesitzer Waaren von einander kaufen und die Bilanz ihrer wechselseitigen Geldforderungen sich am Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient hier als Rechengeld, um die Werthe der Waaren in ihren Preisen auszudrücken, tritt aber nicht den Waaren selbst dinglich gegenüber. Soweit es sich um den Gebrauchswerth handelt, ist es klar, dass beide Austauscher hier gewinnen können. Beide veräussern Waaren, die ihnen als Gebrauchswerth nutzlos, und erhalten Waaren, deren sie zum Ge-


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brauch bedürfen. Und dieser Nutzen mag nicht der einzige sein. A, der Wein verkauft und Getreide kauft, producirt vielleicht mehr Wein als Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit produciren könnte und Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit mehr Getreide als Weinbauer A produciren könnte. A erhält also für denselben Tauschwerth mehr Getreide und B mehr Wein als wenn jeder von den beiden, ohne Austausch, Wein und Getreide für sich selbst produciren müsste. Mit Bezug auf den Gebrauchswerth also kann gesagt werden, dass „der Austausch eine Transaktion ist, worin beide Seiten gewinnen(FN 14).“ Anders mit dem Tauschwerth. „Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide besitzt, handelt mit einem Mann, der viel Getreide und keinen Wein besitzt und zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum Werth von 50 gegen einen Werth von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung des Tauschwerths weder für den einen, noch für den andern; denn bereits vor dem Austausch besass jeder von ihnen einen Werth gleich dem, den er sich vermittelst dieser Operation verschafft hat(FN 15).“ Es ändert nichts an der Sache, wenn das Geld als Circulationsmittel zwischen die Waaren tritt und die Akte des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinanderfallen(FN 16). Der Werth der Waaren ist in ihren Preisen dargestellt, bevor sie in die Circulation treten, also Voraussetzung und nicht Resultat derselben(FN 17).

Abstrakt betrachtet, d. h. abgesehn von Umständen, die nicht aus den immanenten Gesetzen der einfachen Waarencirculation hervorfliessen, geht ausser dem Ersatz eines Gebrauchswerths durch einen andern nichts in ihr vor als eine Metamorphose, ein blosser Formwechsel der Waare. Derselbe Tauschwerth, d. h. dasselbe Quantum vergegen-


(FN 14) „L’échange est une transaction admirable dans laquelle les deux contractants gagnent — toujours (!).“ ( Destutt de Tracy: Traité de la Volonté et de ses Effets. Paris 1826, p. 68.) Dasselbe Buch erschien später als „ Traité de l’Ec. Pol.“
(FN 15) Mercier de la Rivière l. c. p. 544.
(FN 16) „Que l’une de ces deux valeurs soit argent, ou qu’elles soient toutes deux marchandises usuelles, rien de plus indifférent en soi.“ ( Mercier de la Rivière l. c. p. 543.)
(FN 17) „Ce ne sont pas les contractants qui prononcent sur la valeur; elle est decidée avant la convention.“ ( Le Trosne p. 906.)

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ständlichter gesellschaftlicher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Waarenbesitzers abwechselnd in Gestalt seiner Waare, des Geldes, worin sie sich verwandelt, der Waare, worin sich diess Geld rückverwandelt. Dieser Formwechsel schliesst keine Aenderung der Werthgrösse ein. Der Wechsel aber, den der Tauschwerth der Waare selbst in diesem Prozess erfährt, beschränkt sich auf einen Wechsel seiner Geldform. Er existirt erst als Preis der zum Verkauf angebotenen Waare, dann als dieselbe Geldsumme, die in diesem Preise ausgedrückt ist, endlich als der Preis einer äquivalenten Waare. Dieser Formwechsel schliesst an und für sich eben so wenig eine Aenderung der Werthgrösse ein, wie das Auswechseln einer Fünfpfundnote gegen Sovereigns, halbe Sovereigns und Schillinge. Sofern also die Cirkulation der Waare nur einen Formwechsel ihres Tauschwerths bedingt, bedingt sie, wenn das Phänomen rein vorgeht, Austausch von Aequivalenten. Die Vulgärökonomie selbst, so wenig sie ahnt, was der Werth ist, unterstellt daher, so oft sie in ihrer Art das Phänomen rein betrachten will, dass Nachfrage und Zufuhr sich decken, d. h. dass ihre Wirkung überhaupt fortfällt. Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth beide Austauscher gewinnen können, können sie nicht beide gewinnen an Tauschwerth. Hier heisst es vielmehr: „Wo Gleichheit ist, ist kein Gewinn(FN 18).“ Waaren können zwar zu Preisen verkauft werden, die von ihren Werthen abweichen, aber diese Abweichung erscheint als Verletzung des Gesetzes des Waarenaustausches(FN 19). In seiner reinen Gestalt ist er ein Austausch von Aequivalenten, also kein Mittel sich an Werth zu bereichern(FN 20).

Hinter den Versuchen, die Waarencirkulation als Quelle von Mehrwerth darzustellen, lauert daher meist ein quid pro quo, eine Verwechslung von Gebrauchswerth und Tauschwerth. So z. B. bei Con


(FN 18) „Dove è eguagità, non è lucro.“ ( Galiani: Della Moneta in Custodi: Parte Moderna, t. IV, p. 244.)
(FN 19) „L’échange devient désavantageux pour l’une des parties, lorsque quelque chose étrangère vient diminuer ou exagérer le prix: alors l’égalité est blessée, mais la lésion procède de cette cause et non de l’échange.“ ( Le Trosne l. c. p. 904.)
(FN 20) „L’échange est de sa nature un contrat d’égalité qui se fait de valeur pour valeur égale. Il n’est donc pas un moyen de s’enrichir, puisque l’on donne autant que l’on reçoit.“ ( Le Trosne l. c. p. 903.)

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dillac: „Es ist falsch, dass man im Waarenaustausch gleichen Werth gegen gleichen Werth austauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Contrahenten giebt immer einen kleineren für einen grösseren Werth … Tauschte man in der That immer gleiche Werthe aus, so wäre kein Gewinn zu machen für irgend einen Contrahenten. Aber alle beide gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? Der Werth der Dinge besteht bloss in ihrer Beziehung auf unsere Bedürfnisse. Was für den einen mehr, ist für den andern weniger, und umgekehrt. … Man setzt nicht voraus, dass wir unsrer Consumtion unentbehrliche Dinge zum Verkauf ausbieten. . . . Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um eine uns nothwendige zu erhalten; wir wollen weniger für mehr geben … Es war natürlich zu urtheilen, dass man im Austausch gleichen Werth für gleichen Werth gebe, so oft jedes der ausgetauschten Dinge an Werth demselben Quantum Geld gleich war … Aber eine andre Betrachtung muss noch in die Rechnung eingehn; es fragt sich, ob wir beide einen Ueberfluss gegen etwas Nothwendiges austauschen(FN 21).“ Man sieht, wie Condillac nicht nur Gebrauchswerth und Tauschwerth durcheinander wirft, sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit entwickelter Waarenproduktion einen Zustand unterschiebt, worin der Producent seine Subsistenzmittel selbst producirt und nur den Ueberschuss über den eignen Bedarf, den Ueberfluss, in die Cirkulation wirft(FN 22). Dennoch wird Condillac’s Argument häufig bei modernen Oekonomen wiederholt, namentlich wenn es gilt, die entwickelte Gestalt des Waarenaustausches, den Handel, als produktiv von Mehrwerth darzustellen. „Der Handel“, heisst es z. B., „ fügt den Produkten Werth zu, denn dieselben


(FN 21) Condillac: „ Le Commerce et le Gouvernement“ (1776). Édit. Daire et Molinari in den „ Mélanges d’Économie Politique. Paris 1847“, p. 267.
(FN 22) Le Trosne antwortet daher seinem Freunde Condillac sehr richtig: „Dans la société formée il n’y a pas de surabondant en aucun genre.“ Zugleich neckt er ihn mit der Glosse, dass „wenn beide Austauscher gleich viel mehr für gleich viel weniger erhalten, sie beide gleich viel erhalten.“ Weil Condillac noch nicht die geringste Ahnung von der Natur des Tauschwerths besitzt, ist er der passende Gewährsmann des Herrn Prof. Wilhelm Roscher für seine eignen Kinderbegriffe. Sieh dessen: „ Die Grundlagen der Nationalökonomie. Dritte Auflage. 1858“.

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Produkte haben mehr Werth in den Händen des Consumenten als in den Händen des Producenten und er muss daher wörtlich (strictly) als Produktionsakt betrachtet werden(FN 23).“ Aber man zahlt die Waaren nicht doppelt, das einemal ihren Gebrauchswerth und das andremal ihren Tausch werth. Und wenn der Gebrauchswerth der Waare dem Käufer nützlicher als dem Verkäufer, ist ihre Geldform dem Verkäufer nützlicher als dem Käufer. Würde er sie sonst verkaufen? Und so könnte ebensowohl gesagt werden, dass der Käufer wörtlich (strictly) einen „Produktionsakt“ vollbringt, indem er z. B. die Strümpfe des Kaufmanns in Geld verwandelt.

Werden Waaren oder Waaren und Geld von gleichem Tauschwerth, also Aequivalente ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Werth aus der Cirkulation heraus als er in sie hineinwirft. Es findet dann keine Bildung von Mehrwerth Statt. In seiner reinen Form aber bedingt der Cirkulationsprozess der Waaren Austausch von Aequivalenten. Jedoch gehn die Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher Austausch von Nicht-Aequivalenten.

Jedenfalls steht auf dem Waarenmarkt nur Waarenbesitzer dem Waarenbesitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einander ausüben, ist nur die Macht ihrer Waaren. Die stoffliche Verschiedenheit der Waaren ist das stoffliche Motiv des Austauschs und macht die Waarenbesitzer wechselseitig von einander abhängig, indem keiner von ihnen den Gegenstand seines eignen Bedürfnisses und jeder von ihnen den Gegenstand des Bedürfnisses der Andern in seiner Hand hält. Ausser dieser stofflichen Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe besteht nur noch ein Unterschied unter den Waaren, der Unterschied zwischen ihrer Naturalform und ihrer verwandelten Form, zwischen Waare und Geld. Und so unterscheiden sich die Waarenbesitzer nur als Verkäufer, Besitzer von Waare, und als Käufer, Besitzer von Geld.

Gesetzt nun, es sei durch irgend ein unerklärliches Privilegium dem Verkäufer gegeben, die Waare über ihrem Werthe zu verkaufen, zu 110, wenn sie 100 werth ist, also mit einem nominellen Preisaufschlage von 10 %. Der Verkäufer kassirt also einen Mehrwerth von 10 ein. Aber


(FN 23) S. P. Newman: Elements of Polit. Econ. Andover and New York 1835, p. 85.

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nachdem er Verkäufer war, wird er Käufer. Ein dritter Waarenbesitzer begegnet ihm jetzt als Verkäufer und geniesst seinerseits das Privilegium, die Waare 10 % zu theuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer 10 gewonnen, um als Käufer 10 zu verlieren(FN 24). Das ganze kömmt in der That darauf hinaus, dass alle Waarenbesitzer ihre Waaren einander 10 % über dem Werth verkaufen, was ganz dasselbe ist, als ob sie die Waaren zu ihren Werthen verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller Preisaufschlag der Waaren bringt dieselbe Wirkung hervor, als ob die Waarenwerthe z. B. in Silber statt in Gold geschätzt würden. Die Geldnamen, d. h. die Preise der Waaren würden anschwellen, aber ihre Werthverhältnisse unverändert bleiben.

Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Käufers, die Waaren unter ihrem Werth zu kaufen. Hier ist es nicht einmal nöthig zu erinnern, dass der Käufer wieder Verkäufer wird. Er war Verkäufer, bevor er Käufer ward. Er hat bereits 10 % als Verkäufer verloren, bevor er 10 % als Käufer gewinnt(FN 25). Alles bleibt wieder beim Alten.

Die Bildung von Mehrwerth, und daher die Verwandlung von Geld in Kapital, kann also weder dadurch erklärt werden, dass die Verkäufer die Waaren über ihrem Werthe verkaufen, noch dadurch, dass die Käufer sie unter ihrem Werthe kaufen(FN 26).

Das Problem wird in keiner Weise dadurch vereinfacht, dass man fremde Beziehungen einschmuggelt, also etwa mit Oberst Torrens sagt:


(FN 24) „By the augmentation of the nominal value of the produce . . . . sellers not enriched … since what they gain as sellers, they precisely expend in the quality of buyers.“ („ The Essential Principles of the Wealth of Nation etc. London 1797“, p. 66.)
(FN 25) „Si l’on est forcé de donner pour 18 livres une quantité de telle production qui en valait 24, lorsqu’on exployera ce même argent à acheter, on aura également pour 18 l. ce que l’on payait 24“. ( Le Trosne l. c. p. 897.)
(FN 26) „Chaque vendeur ne peut donc parvenir à renchérir habituellement ses marchandises, qu’en se soumettant aussi à payer habituellement plus cher les marchandises des autres vendeurs; et par la même raison, chaque consommateur ne peut payer habituellement moins cher ce qu’il achète, qu’en se soumettant aussi à une diminution semblable sur le prix des choses qu’il vend.“ ( Mercier de la Rivière l. c. p. 555.)

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„Die effektive Nachfrage besteht in dem Vermögen und der Neigung (!) der Konsumenten, sei es durch unmittelbaren oder vermittelten Austausch, für Waaren eine gewisse grössere Portion von allen Ingredienzien des Kapitals zu geben, als ihre Produktion kostet(FN 27).“ In der Cirkulation stehn sich Produzenten und Konsumenten nur als Verkäufer und Käufer gegenüber. Behaupten, der Mehrwerth für den Produzenten entspringe daraus, dass die Konsumenten die Waare über dem Werth zahlen, heisst nur den einfachen Satz maskiren: Der Waarenbesitzer besitzt als Verkäufer das Privilegium zu theuer zu verkaufen. Der Verkäufer hat die Waare selbst producirt oder vertritt ihren Produzenten, aber der Käufer hat nicht minder die in seinem Gelde dargestellte Waare selbst produzirt oder vertritt ihren Produzenten. Es steht also Produzent dem Produzenten gegenüber. Was sie unterscheidet, ist dass der eine kauft und der andre verkauft. Es bringt uns keinen Schritt weiter, dass der Waarenbesitzer unter dem Namen Produzent die Waare über ihrem Werthe verkauft und unter dem Namen Consument sie zu theuer zahlt(FN 28).

Die consequenten Vertreter der Illusion, dass der Mehrwerth aus einem nominellen Preiszuschlag entspringt, oder aus dem Privilegium des Verkäufers die Waare zu theuer zu verkaufen, unterstellen daher eine Klasse, die nur kauft ohne zu verkaufen, also auch nur consumirt ohne zu produziren. Die Existenz einer solchen Klasse ist von unsrem bisher erreichten Standpunkt, dem der einfachen Cirkulation nach, unerklärlich. Aber greifen wir vor. Das Geld, womit eine solche Klasse beständig kauft, muss ihr beständig, ohne Austausch, umsonst, auf beliebige Rechtsund Gewaltstitel hin, von den Waarenbesitzern selbst zufliessen. Dieser Klasse die Waaren über dem Werth verkaufen, heisst nur, umsonst weggegebenes Geld sich zum Theil wieder zurückschwindeln(FN 29). So zahlten die kleinasiatischen Städte jährlichen


(FN 27) R. Torrens: „An Essay on the Production of Wealth.“ London 1821, p. 349.
(FN 28) „The idea of profits being paid by the consumers, is, assuredly, very absurd. Who are the consumers?“ (G. Ramsay: An Essay on the Distribution of Wealth. Edinburgh 1836, p. 184.)
(FN 29) „When a man is in want of demand, does Mr. Malthus recommend him to pay some other person to take off his goods?“, fragt ein entrüsteter Ricardianer

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Geldtribut an das alte Rom. Mit diesem Geld kaufte Rom Waaren von ihnen und kaufte sie zu theuer. Die Kleinasiaten prellten die Römer, indem sie den Eroberern einen Theil des Tributs wieder abluchsten auf dem Wege des Handels. Aber dennoch blieben die Kleinasiaten die Geprellten. Ihre Waaren wurden ihnen nach wie vor mit ihrem eignen Gelde gezahlt. Es ist diess keine Methode der Bereicherung oder der Bildung von Mehrwerth.

Halten wir uns also innerhalb der Schranken des Waarenaustauschs, wo Verkäufer Käufer und Käufer Verkäufer sind. Unsere Verlegenheit stammt vielleicht daher, dass wir die Personen nur als personificirte Categorien, nicht individuell, gefasst haben.

Waarenbesitzer A mag so pfiffig sein seine Collegen B oder C über’s Ohr zu hauen, während sie trotz des besten Willens die Revanche schuldig bleiben. A verkauft Wein zum Werth von 40 Pfd. St. an B und erwirbt im Austausch Getreide zum Werth von 50 Pfd. St. A hat seine 40 Pfd. St. in 50 Pfd. St. verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und seine Waare in Kapital verwandelt. Sehn wir näher zu. Vor dem Austausch hatten wir für 40 Pfd. St. Wein in der Hand von A und für 50 Pfd. St. Getreide in der Hand von B, Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Nach dem Austausch haben wir denselben Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Der circulirende Werth hat sich um kein Atom vergrössert, seine Vertheilung zwischen A und B hat sich verändert. Auf der einen Seite erscheint als Mehrwerth, was auf der anderen Minderwerth ist, auf der einen Seite als Plus, was auf der andern als Minus. Derselbe Wechsel hätte sich ereignet, wenn A, ohne die verhüllende Form des Austauschs, dem B 10 Pfd. St. direkt gestohlen hätte. Die Summe der circulirenden Werthe kann offenbar durch keinen Wechsel in ihrer Vertheilung vermehrt werden, so wenig wie ein Jude die Masse der edlen Metalle in einem Lande dadurch vermehrt, dass er einen Farthing aus der Zeit der Königin Anna


den Malthus, der wie sein Schüler, der Pfaffe Chalmers, die Klasse von blossen Käufern oder Consumenten ökonomisch verherrlicht. Sieh: „ An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand and the Necessity of Consumption, lately advocated by Mr. Malthus“ etc. London 1821, p. 55.

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für eine Guinea verkauft. Die Gesammtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervortheilen(FN 30).

Man mag sich also drehen und wenden wie man will, das Facit bleibt dasselbe. Werden Aequivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwerth, und werden Nicht-Aequivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwerth(FN 31). Die Circulation oder der Waarenaustausch schafft keinen Werth(FN 32).

Man versteht daher, warum in unserer Analyse der Grundform des Kapitals, der Form, worin es die ökonomische Organisation der modernen Gesellschaft bestimmt, seine populärsten und so zu sagen antediluvianischen Gestalten, Handelskapital und Wucherkapital, zunächst gänzlich unberücksichtigt bleiben.

Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G — W — G', kaufen um theuer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Circulationssphäre vor. Da es aber unmöglich ist aus der Circulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von Mehrwerth zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Aequivalente ausgetauscht werden(FN 33), daher nur


(FN 30) Destutt de Tracy, obgleich, vielleicht weil Membre de l’Institut, war umgekehrter Ansicht. Die industriellen Kapitalisten, sagt er, machen dadurch ihre Profite, dass „sie alles theurer verkaufen als es gekostet hat zu produciren. Und an wen verkaufen sie? Erstens an einander.“ (l. c. p. 239.)
(FN 31) „L’échange qui se fait de deux valeurs égales n’augmente ni ne diminue la masse des valeurs subsistantes dans la société. L’échange de deux valeurs inégales … ne change rien non plus à la somme des valeurs sociales, bien qu’il ajoute à la fortune de l’un ce qu’il ôte de la fortune de l’autre.“ (J. B. Say l. c. t. I, p. 434, 435.) Say, natürlich unbekümmert um die Consequenzen dieses Satzes, entlehnt ihn ziemlich wörtlich den Physiokraten. Die Art, wie er ihre zu seiner Zeit verschollenen Schriften zur Vermehrung seines eigenen „Werthes“ ausgebeutet hat, zeige folgendes Beispiel. Der „berühmteste“ Satz des Monsieur Say: „ On n’achète des produits qu’avec des produits“ (l. c. t. II, p. 438) lautet im physiokratischen Original: „ Les productions ne se paient qu’avec des productions.“ ( Le Trosne l. c. p. 899.)
(FN 32) „Exchange confers no value at all upon products.“ (F. Wayland: The Elements of Pol. Econ. Boston 1853, p. 168.)
(FN 33) „Under the rule of invariable equivalents commerce would be impossible.“ (G. Opdyke: A Treatise on Polit. Economy. New-

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ableitbar aus der doppelseitigen Uebervortheilung der kaufenden und verkaufenden Waarenproducenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. In diesem Sinn sagt Franklin: „ Krieg ist Raub, Handel ist Prellerei(FN 34):“ Soll die Verwerthung des Handelskapitals nicht aus blosser Prellerei der Waarenproducenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Waarencirculation und ihre einfachen Momente unsere einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt.

Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucherkapital. Im Handelskapital sind die Extreme, das Geld, das auf den Markt geworfen und das vermehrte Geld, das dem Markt entzogen wird, wenigstens vermittelt durch Kauf und Verkauf, durch die Bewegung der Circulation. Im Wucherkapital ist die Form G — W — G' abgekürzt auf die unvermittelten Extreme G — G', Geld, das sich gegen mehr Geld austauscht, eine der Natur des Geldes widersprechende und daher vom Standpunkt des Waarenaustauschs unerklärliche Form. Daher Aristoteles: „da die Chrematistik eine doppelte ist, die eine zum Handel, die andre zur Oekonomik gehörig, die letztere nothwendig und lobenswerth, die erstere auf die Circulation gegründet und mit Recht getadelt, (denn sie beruht nicht auf der Natur, sondern auf wechselseitiger Prellerei), so ist der Wucher mit vollstem Rechte verhasst, weil das Geld selbst hier die Quelle des Erwerbs und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden ward. Denn für den Waarenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (τόϰος Zins und Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so dass von allen Erwerbszweigen dieser der naturwidrigste(FN 35).“

Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf unserer Untersuchung als abgeleitete Formen


York 1851, p. 69.) „Dem Unterschiede zwischen Realwerth und Tauschwerth liegt eine Thatsache zum Grunde — nämlich dass der Werth einer Sache verschieden ist von dem im Handel für sie gegebenen sogenannten Aequivalent, d. h. dass diess Aequivalent kein Aequivalent ist.“ (F. Engels l. c. p. 96.)
(FN 34) Benjamin Franklin: Works, vol. II, edit. Sparks in: „ Positions to be examined concerning National Wealth.“
(FN 35) Arist. l. c. c. 10.

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vorfinden und zugleich sehn, warum sie historisch vor dem Kapital in seiner modernen Grundform erscheinen.

Es hat sich gezeigt, dass der Mehrwerth nicht aus der Circulation entspringen kann, bei seiner Bildung also etwas hinter ihrem Rücken vorgehn muss, das in ihr selbst unsichtbar ist(FN 36). Kann aber der Mehrwerth anders woher entspringen als aus der Circulation? Die Circulation ist die Summe aller Wechselbeziehungen der Waarenbesitzer. Ausserhalb derselben steht der Waarenbesitzer nur noch in Beziehung zu seiner eignen Waare. Was ihren Werth(FN 37) angeht, beschränkt sich das Verhältniss darauf, dass sie ein nach bestimmten gesellschaftlichen Gesetzen gemessenes Quantum seiner eignen Arbeit enthält. Diess Quantum Arbeit drückt sich aus in der Werthgrösse seiner Waare und da sich Werthgrösse in Rechengeld darstellt, in einem Preise von z. B. 10 Pfd. St. Aber seine Arbeit stellt sich nicht dar im Werthe der Waare und einem Ueberschuss über ihren eignen Werth, nicht in einem Preise von 10, der zugleich ein Preis von 11 ist, nicht in einem Werth, der grösser als er selbst ist. Der Waarenbesitzer kann durch seine Arbeit Werthe bilden, aber keine sich verwerthenden Werthe. Er kann den Werth einer Waare erhöhen, indem er vorhandnem Werth neuen Werth durch neue Arbeit zusetzt, z. B. aus Leder Stiefel macht. Derselbe Stoff hat jetzt mehr Werth, weil er ein grösseres Arbeitsquantum enthält. Der Stiefel hat daher mehr Werth als das Leder, aber der Werth des Leders ist geblieben, was er war. Er hat sich nicht verwerthet, nicht während der Stiefelfabrikation seinen ursprünglichen Werth um einen Mehrwerth bereichert. Es ist also unmöglich, dass der Waarenproducent ausserhalb der Circulationssphäre, ohne mit andern Waarenbesitzern in Berührung zu treten, Werth verwerthe und daher Geld oder Waare in Kapital verwandle.

Kapital kann also nicht aus der Circulation entspringen und es kann eben so wenig aus der Circulation nicht entspringen. Es muss zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.


(FN 36)Profit, in the usual condition of the market, is not made by exchanging. Had it not existed before, neither could it after that transaction.“ ( Ramsay l. c. p. 184.)
(FN 37) Ich bemerke hier, dass wenn ich das Wort Werth in dieser Schrift ohne nähere Bezeichnung brauche, stets Tauschwerth zu verstehn ist.

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Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben.

Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Waarenaustausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so dass der Austausch von Aequivalenten als Ausgangspunkt gilt(FN 38). Unser nur noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muss die Waaren zu ihrem Werth kaufen, zu ihrem Werth verkaufen, und dennoch am Ende des Prozesses mehr Werth herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muss in der Cirkulationssphäre und muss nicht in der Cirkulationssphäre vorgehn. Diess sind die Bedingungen des Problems. Hie Rhodus, hic salta!

3) Kauf und Verkauf der Arbeitskraft.

Die Werthveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, kann nicht an diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisirt es nur den Preis der Waare, die es kauft oder zahlt, während es, in seiner eignen Form verharrend, zum Petrefakt von gleichbleibender Werthgrösse erstarrt(FN 39). Eben so wenig


(FN 38) Nach der gegebnen Auseinandersetzung versteht der Leser, dass diess nur heisst: Die Kapitalbildung muss möglich sein, auch wenn der Waarenpreis gleich dem Waarenwerth. Sie kann nicht aus der Abweichung der Waarenpreise von den Waarenwerthen erklärt werden. Weichen die Preise von den Werthen wirklich ab, so muss man sie erst auf die letztern reduciren, d. h. von diesem Umstand als einem zufälligen absehn, um das Phänomen der Kapitalbildung auf Grundlage des Waarenaustausches rein vor sich zu haben und in seiner Beobachtung nicht durch störende und dem eigentlichen Verlauf fremde Nebenumstände verwirrt zu werden. Man weiss übrigens, dass diese Reduktion keineswegs eine blos wissenschaftliche Procedur ist. Die beständigen Oscillationen der Marktpreise, ihr Steigen und Sinken, compensiren sich, heben sich wechselseitig auf und reduciren sich selbst zum Durchschnittspreis als ihrer inneren Regel. Diese bildet den Leitstern z. B. des Kaufmanns oder des Industriellen in jeder Unternehmung, die längeren Zeitraum umfasst. Er weiss also, dass eine längere Periode im Ganzen betrachtet, die Waaren wirklich weder unter, noch über, sondern zu ihrem Durchschnittspreis verkauft werden. Wäre interesseloses Denken also überhaupt sein Interesse, so müsste er sich das Problem der Kapitalbildung so stellen: Wie kann Kapital entstehn bei der Reglung der Preise durch den Durchschnittspreis, d. h. in letzter Instanz durch den Werth der Waare? Ich sage „in letzter Instanz,“ weil die Durchschnittspreise nicht direkt mit den Werthgrössen der Waaren, wie A. Smith, Ricardo u. s. w. glauben, zusammenfallen.
(FN 39) „In the form of money . . . . capital is productive of no profit.“ ( Ricardo: Princ. of Pol. Econ. p. 267.)
I. 9

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kann die Veränderung aus dem zweiten Akt, dem Wiederverkauf der Waare, entspringen, denn dieser Akt verwandelt die Waare blos aus der Naturalform zurück in die Geldform. Die Veränderung muss sich also zutragen mit der Waare, die im ersten Akt G — W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Tauschwerth, denn es werden Aequivalente ausgetauscht, die Waare wird zu ihrem Werthe bezahlt. Die Veränderung kann also erst entspringen aus ihrem Gebrauchswerth als solchem, d. h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Verbrauch einer Waare Tauschwerth herauszuziehn, müsste unser Geldbesitzer so glücklich sein innerhalb der Cirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Waare zu entdecken, deren Gebrauchswerth selbst die eigenthümliche Beschaffenheit besässe, Quelle von Tauschwerth zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Werthschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Waare vor — das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.

Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehn wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existiren und die er in Bewegung setzt, so oft er Gebrauchswerthe irgend einer Art producirt.

Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Waare auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Waarenaustausch schliesst an und für sich keine andern Abhängigkeitsverhältnisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Waare nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeitskraft sie ist, als Waare feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Waare verkaufe, muss er über sie verfügen können, also freier Eigenthümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein(FN 40). Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältniss zu einander als ebenbürtige Waaren


(FN 40) In Realencyklopädien des klassischen Alterthums kann man den Unsinn lesen, dass in der antiken Welt das Kapital völlig entwickelt war „ausser dass der freie Arbeiter und das Creditwesen fehlten.“ Auch Herr Mommsen in seiner „ Römischen Geschichte“ begeht ein quid pro quo über das andere.

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besitzer, nur dadurch unterschieden, dass der eine Käufer, der andere Verkäufer, beide also juristisch gleiche Personen sind. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, dass der Eigenthümer der Arbeitskraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie in Bausch und Bogen, ein für allemal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Waarenbesitzer in eine Waare. Er als Person muss sich beständig zu seiner Arbeitskraft als seinem Eigenthum und daher seiner eignen Waare verhalten und das kann er nur, so weit er sie dem Käufer stets nur vorübergehend, für einen bestimmten Zeittermin, zur Verfügung stellt, zum Verbrauch überlässt, also durch ihre Veräusserung nicht auf sein Eigenthum an ihr verzichtet(FN 41).

Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Waare vorfinde, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waaren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existirt, als Waare feilbieten muss.


(FN 41) Verschiedne Gesetzgebungen setzen daher ein Maximum für den Arbeitskontrakt fest. Alle Gesetzbücher bei Völkern freier Arbeit regeln Kündigungsbedingungen des Kontrakts. Bei verschiednen Völkern, namentlich in Mexiko (vor dem amerikanischen Bürgerkrieg auch in den von Mexiko losgerissenen Territorien, und der Sache nach bis zu Kusa’s Umwälzung in den Donauprovinzen) ist die Sklaverei unter der Form von Peonage versteckt. Durch Vorschüsse, die in Arbeit abzutragen, und sich von Generation zu Generation fortwälzen, wird nicht nur der einzelne Arbeiter, sondern seine Familie, thatsächlich das Eigenthum andrer Personen und ihrer Familien. Juarez hatte die Peonage abgeschafft. Der sogenannte Kaiser Maximilian führte sie wieder ein durch ein Dekret, das im Repräsentantenhaus zu Washington treffend als Dekret zur Wiedereinführung der Sklaverei in Mexiko denuncirt ward. „Von meinen besonderen körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Thätigkeit kann ich . . . . einen in der Zeit beschränkten Gebrauch an einen Andern veräussern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äusserliches Verhältniss zu meiner Totalität und Allgemeinheit erhalten. Durch die Veräusserung meiner ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit und der Totalität meiner Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine allgemeine Thätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Eigenthum eines Andern machen.“ Hegel: „ Philosophie des Rechts. Berlin 1840“, p. 104, § 67.
9*

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Damit Jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waaren verkaufe, muss er natürlich Produktionsmittel besitzen, z. B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente u. s. w. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf ausserdem Lebensmittel. Niemand kann von Produkten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerthen, mit deren Produktion er noch nicht fertig, und wie am ersten Tag seiner Erscheinung auf der Weltbühne muss der Mensch noch jeden Tag konsumiren, bevor und während er produzirt. Werden die Produkte als Waaren produzirt, so müssen sie verkauft werden, nachdem sie produzirt sind und können die Bedürfnisse des Produzenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produktionszeit kömmt die für den Verkauf nöthige Zeit hinzu.

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Waarenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Waare verfügt, dass er andrerseits andre Waaren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nöthigen Sachen.

Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Cirkulationssphäre gegenübertritt, interessirt den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abtheilung des Waarenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessirt sie uns eben so wenig. Wir halten uns theoretisch an die Thatsache, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produzirt nicht auf der einen Seite Geldoder Waarenbesitzer und auf der andern blosse Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Diess Verhältniss ist kein naturgeschichtliches und eben so wenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangnen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.

Auch die ökonomischen Kategorieen, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Waare sind bestimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Waare zu werden, darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Produzenten selbst produzirt werden. Hätten wir weiter geforscht:


[0152 : 133]

Unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der Waare an, so hätte sich gefunden, dass diess nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise, geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Waare fern. Waarenproduktion und Waarencirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Waare verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsprozess also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwerth beherrscht ist. Die Darstellung des Produkts als Waare bedingt eine so weit entwickelte Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, dass die Scheidung zwischen Gebrauchswerth und Tauschwerth, die im unmittelbaren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen gemein.

Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe der Waarencirkulation voraus. Die besondern Geldformen, blosses Waarenäquivalent, oder Cirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deuten, je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer oder der andern Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Dennoch genügt erfahrungsmässig eine relativ schwach entwickelte Waarencirkulation zur Bildung aller dieser Formen. Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der Waarenund Geldcirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktionsund Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschliesst eine Weltgeschichte. Das Kapital kündigt sich daher von vorn herein als eine Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an.

Diese eigenthümliche Waare, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen andern Waaren besitzt sie einen Tauschwerth(FN 42). Wie wird er bestimmt?


(FN 42)The Value or Worth of a man, is as of all other things, his price: that is to say, so much as would be given for the use of his power.“ Th. Hobbes:Leviathan“ in Worksedit. Molesworth. London 1839—44, v. III, p. 76.

[0153 : 134]

Der Werth der Arbeitskraft, gleich dem jeder andern Waare, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels nothwendige Arbeitszeit. Soweit sie Tauschwerth, repräsentirt die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existirt nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus. Diese gegeben, besteht ihre Produktion in seiner Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft nothwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel nothwendige Arbeitszeit, oder der Werth der Arbeitskraft ist der Werth der zur Erhaltung ihres Besitzers nothwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeusserung, bethätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Bethätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn u. s. w. verausgabt, das wieder ersetzt werden muss. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine vermehrte Einnahme(FN 43). Wenn der Eigenthümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muss er denselben Prozess morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung u. s. w. sind verschieden je nach den klimatischen und andern natürlichen Eigenthümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang s. g. nothwendiger Lebensmittel, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher grossentheils von der Kulturstufe eines Landes, unter anderm auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat(FN 44). Im Gegensatz zu den andern Waaren enthält also die Werth-


(FN 43) Der altrömische villicus, als Wirthschafter an der Spitze der Ackerbausklaven, empfing daher, „weil er leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese.“ ( Th. Mommsen: Röm. Geschichte 1856, p. 810.)
(FN 44) In seiner Schrift: „ Over population and its Remedy. London 1846“ giebt W. Th. Thornton hierzu interessante Belege.

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bestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der nothwendigen Lebensmittel gegeben.

Der Eigenthümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuirliche sein, wie die kontinuirliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muss der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, „wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung(FN 45).“ Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft nothwendigen Lebensmittel schliesst also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Race eigenthümlicher Waarenbesitzer auf dem Waarenmarkt verewigt(FN 46).

Um die allgemein menschliche Natur so zu modificiren, dass sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine grössere oder geringere Summe von Waarenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft, sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeitskraft, gehn also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion nothwendigen Waaren.

Der Werth der Arbeitskraft löst sich auf in den Werth einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Werth dieser Lebensmittel, d. h. der Grösse der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.

Ein Theil der Lebensmittel, z. B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel u. s. w., werden täglich neu verzehrt, und müssen täglich neu ersetzt


(FN 45) Petty.
(FN 46) „Its (labour’s) natural price … consists in such a quantity of necessaries, and comforts of life, as, from the nature of the climate, and the habits of the country, are necessary to support the labourer, and to enable him to rear such a family as may preserve, in the market, an undiminished supply of labours.“ R. Torrens: „ An Essay on the External Corn Trade. London 1815“, p. 62. Das Wort Arbeit steht hier fälschlich für Arbeitskraft.

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werden. Andere Lebensmittel, wie Kleider, Möbel u. s. w., verbrauchen sich in längeren Zeiträumen, und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waaren einer Art müssen täglich, andere wöchentlich, vierteljährlich u. s. f. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer während eines Jahres z. B. vertheilen möge, sie muss gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahme, Tag ein, Tag aus. Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft erheischten Waaren = A, die der wöchentlich erheischten = B, die der vierteljährlich erheischten = C u. s. w., so wäre der tägliche Durchschnitt dieser Waaren u. s. w. Gesetzt in dieser für den Durchschnitts-Tag nöthigen Waarenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft erheischt. Diess zu ihrer täglichen Produktion erheischte Arbeitsquantum bildet den Tageswerth der Arbeitskraft, oder den Werth der täglich reproduzirten Arbeitskraft. Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Thaler darstellt, so ist Ein Thaler der dem Tageswerth der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für Einen Thaler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Werth, und, nach unsrer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Thaler in Kapital erpichte Geldbesitzer diesen Werth.

Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werths der Arbeitskraft wird gebildet durch den Werth einer Waarenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozess nicht erneuern kann, also durch den Werth der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf diess Minimum, so sinkt er unter ihren Werth, denn sie kann so nur in verkümmerter Form erhalten werden und sich entwickeln. Der Tauschwerth jeder Waare ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, erfordert um sie in normaler Güte zu liefern.

Es ist eine ausserordentlich wohlfeile Sentimentalität, diese aus der Natur der Sache fliessende Werthbestimmung der Arbeitskraft grob


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zu finden und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puissance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahirt, heisst ein Hirngespinnst (être de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeitslohn(FN 47).“ Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen sagt. Zum letztern Prozess ist bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebensmitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es vielmehr als eine grausame Naturnothwendigkeit, dass sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: „das Arbeitsvermögen . . . . ist Nichts, wenn es nicht verkauft wird(FN 48).“

Die eigenthümliche Natur dieser spezifischen Waare, der Arbeitskraft, bringt es mit sich, dass mit der Abschliessung des Kontrakts zwischen Käufer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Tauschwerth, gleich dem jeder andern Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der Arbeitskraft verausgabt, aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der nachträglichen Kraftäusserung. Die Veräusserung der Kraft und ihre wirkliche Aeusserung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher der Zeit nach aus einander. Bei solchen Waaren aber, wo die formelle Veräusserung des Gebrauchswerths durch den Verkauf und seine wirkliche Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt das Geld des Käufers meist als Zahlungsmittel. In allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nachdem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funktionirt hat, z. B. am Ende jeder Woche(FN 49). Ueberall schiesst daher der


(FN 47) Rossi: „ Cours d’Écon. Polit. Bruxelles 1842“, p. 370.
(FN 48) Sismondi: „ Nouv. Princ. etc.“, t. I, p. 112.
(FN 49) „All labour is paid, after it has ceased.“ („ An Inquiry into those

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Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswerth der Arbeitskraft vor; er lässt sie vom Käufer konsumiren, bevor er ihren Preis bezahlt erhält, überall kreditirt daher der Arbeiter dem Kapitalisten. Dass diess Kreditiren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche Verlust des kreditirten Salairs beim Bankerott des Kapitalisten(FN 50), sondern auch eine Reihe mehr nachhaltiger Wirkungen(FN 51). Indess ändert es an der Natur des


Principles respecting the Nature of demand etc.“, p. 104. „ Le crédit commercial a dû commencer au moment où l’ouvrier, premier artisan de la production, a pu, au moyen de ses économies, attendre le salaire de son travail jusqu’à la fin de la semaine, de la quinzaine, du mois, du trimestre etc.“ ( Ch. Ganilh: Des Systèmes de l’Écon. Polit. 2èmeedit. Paris 1821, t. I, p. 150.)
(FN 50)L’ouvrier prête son industrie“, aber setzt Storch schlau hinzu: er „ riskirt nichtsausserde perdre son salaire … l’ouvrier ne transmet rien de matériel.“ ( Storch: Cours d’Écon. Polit. Petersbourg 1815, t. II, p. 37.)
(FN 51) Ein Beispiel. In London existiren zweierlei Sorten von Bäckern, die „full priced“, die das Brod zu seinem vollen Werthe verkaufen, und die undersellers, die es unter diesem Werth verkaufen. Letztere Klasse bildet über ¾ der Gesammtzahl der Bäcker. (p. XXXII im „Report“ des Regierungskommissairs H. S. Tremenheere über die „ Grievances complained of by the journeymen bakers etc. London 1862.“) Diese undersellers verkaufen, fast ausnahmslos, Brod, das verfälscht ist durch Beimischung von Alaun, Seife, Perlasche, Kalk, Derbyshire Steinmehl und ähnlicher angenehmer, nahrhafter und gesunder Ingredienzien. (Sieh das oben citirte Blaubuch, ebenso den Bericht des „ Committee of 1855 on the Adulteration of Bread“ und Dr. Hassall’s: „ Adulterations Detected.“ 2nd edit. London 1862.) Sir John Gordon erklärte vor dem Committee von 1855, dass „in Folge dieser Fälschungen der Arme, der von zwei Pfund Brod täglich lebt, jetzt nicht den vierten Theil des Nahrungsstoffes wirklich erhält, abgesehn von den schädlichen Wirkungen auf seine Gesundheit.“ Als Grund, „warum ein sehr grosser Theil der Arbeiterklasse“, obgleich wohlunterrichtet über die Fälschungen, dennoch Alaun, Steinmehl u. s. w. mit in den Kauf nimmt, führt Tremenheere (l. c. p. XLVIII) an, dass es für sie „ein Ding der Nothwendigkeit ist, von ihrem Bäcker oder dem chandler’s shop das Brod zu nehmen, wie man es ihnen zu geben beliebt.“ Da sie erst Ende der Arbeitswoche bezahlt werden, können sie auch „das während der Woche von ihren Familien verzehrte Brod erst Ende der Woche zahlen“ und fügt Tremenheere mit Anführung der Zeugenaussagen hinzu: „es ist notorisch, dass mit solchen Mixturen bereitetes Brod express für diese Art Kunden gemacht wird.“ („It is notorious that bread composed of those mixtures, is

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Waarenaustauschs selbst nichts, ob das Geld als Kaufmittel oder als Zahlungsmittel funktionirt. Der Preis der Arbeitskraft ist kontraktlich festgesetzt, obgleich er erst hinterher realisirt wird, wie der Miethpreis eines Hauses. Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst hinterher bezahlt wird. Für die reine Auffassung des Verhältnisses wird es daher nützlich sein, einstweilen stets vorauszusetzen, dass der Besitzer der Arbeitskraft mit ihrem Verkauf jedesmal auch sogleich den kontraktlich stipulirten Preis erhält.

Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Tauschwerths, der dem Besitzer dieser eigenthümlichen Waare, der Arbeitskraft, vom Geldbesitzer gezahlt wird. Der Gebrauchswerth, den letzterer seinerseits im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsumtionsprozess der Arbeitskraft. Alle zu diesem Prozess nöthigen Dinge, wie Rohmaterial u. s. w., kauft der Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozess von Waare und von Mehrwerth. Die Kon-


made expressly for sale in this manner.“) „In vielen englischen Agrikulturdistrikten [aber noch mehr in schottischen] wird der Arbeitslohn vierzehntägig und selbst monatlich gezahlt. Mit diesen langen Zahlungsfristen muss der Agrikulturarbeiter seine Waaren auf Kredit kaufen … Er hat höhere Preise zu zahlen und ist thatsächlich an die Boutique gebunden, die ihm pumpt. So kostet ihm z. B. zu Horningsham in Wilts, wo die Löhnung monatlich, dasselbe Mehl 2 sh. 4 d. per stone, das er sonstwo mit 1 sh. 10 d. zahlt.“ („ Sixth Report“ on „ Public Health“ by „ The Medical Officer of the Privy Council etc. 1864“, p. 264.) „Die block printers von Paisley und Kilmarnock (Westschottland) erzwangen 1853 durch einen Strike die Herabsetzung des Zahlungstermins von einem Monat auf 14 Tage.“ („ Reports of the Inspectors of Factories for 31st Oct. 1853“, p. 34.) Als eine weitere artige Entwicklung des Kredits, den der Arbeiter dem Kapitalisten giebt, kann man die Methode vieler englischer Kohlenbergwerksbesitzer betrachten, wonach der Arbeiter erst Ende des Monats bezahlt wird, und in der Zwischenzeit Vorschüsse vom Kapitalisten erhält, oft in Waaren, die er über ihrem Marktpreis zahlen muss (Prucksystem). „It is a common practice with the coal masters to pay once a month, and advance cash to their workmen at the end of each intermediate week. The cash is given in the shop (nämlich dem tommy shop oder dem Meister selbst gehörigen Kramladen); the men take it on one side and lay it out on the other.“ („ Childrens’ Employmen Commission, III. Report. Lond. 1864“, p. 38, n. 192.)

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sumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder andern Waare, vollzieht sich ausserhalb des Markts oder der Cirkulationssphäre. Diese geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und Aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit Geldbesitzer und Besitzer der Arbeitskraft, um beiden nachzufolgen in die verborgne Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital producirt, sondern auch wie das Kapital selbst producirt wird. Das Geheimniss der Plusmacherei muss sich endlich enthüllen.

Die Sphäre der Cirkulation oder des Waarenaustauschs, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der That ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigenthum, und Bentham. Freiheit! denn Käufer und Verkäufer einer Waare, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahiren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das freie Produkt, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Waarenbesitzer auf einander und tauschen Aequivalent für Aequivalent. Eigenthum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu thun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältniss bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervortheils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andern kehrt, vollbringen alle, in Folge einer prästabilirten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspicien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vortheils, des Gemeinnutzens, des Gesammtinteresses.

Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Cirkulation oder des Waarenaustauschs, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Begriffe und Massstab für sein Urtheil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraft-Besitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der Eine bedeutungsvoll schmunzelnd und ge-


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schäftseifrig, der Andre scheu, widerstrebsam, wie Jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die — Gerberei.


Drittes Kapitel. Die Produktion des absoluten Mehrwerths.

1) Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess.

Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft konsumirt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten lässt. Letztrer wird hierdurch actu sich bethätigende Arbeitskraft, Arbeiter, was er früher nur potentia war. Um seine Arbeit in Waaren darzustellen, muss er sie vor allem in Gebrauchswerthen darstellen, Sachen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen irgend einer Art dienen. Es ist also ein besondrer Gebrauchswerth, ein bestimmter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter anfertigen lässt. Die Produktion von Gebrauchswerthen, oder Gütern, ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, dass sie für den Kapitalisten und unter seiner Kontrole vorgeht. Der Arbeitsprozess ist daher zunächst in seinen abstrakten Momenten, unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten.

Der Arbeitsprozess ist zunächst ein Prozess zwischen dem Menschen und der Natur, ein Prozess, worin er seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne That vermittelt, regelt und kontrolirt. Der Mensch tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form zu assimiliren. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur ausser ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmässigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten thierartig instinktmässigen Formen des Arbeitsprozesses zu


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thun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin der menschliche Arbeitsprozess seine erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen den Arbeitsprozess in einer Form, worin er dem Menschen ausschliesslich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vorn herein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dass er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt, verwirklicht er im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiss, der die Art und Weise seines Thuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Ausser der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckgemässe Wille, der sich als Aufmerksamkeit äussert, für die ganze Dauer des Arbeitsprozesses erheischt, und um so mehr, je weniger die Arbeit durch ihren eignen Inhalt und ihre Art und Weise der Ausführung den Arbeiter mit sich fortreisst, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte geniesst.

Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmässige Thätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel.

Die Erde (worunter ökonomisch auch das Wasser einbegriffen), wie sie den Menschen ursprünglich mit Proviant, fertigen Lebensmitteln ausrüstet(FN 1), findet sich ohne sein Zuthun als der allgemeine Gegenstand der menschlichen Arbeit vor. Alle Dinge, welche die Arbeit nur von ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erdganzen loslöst, sind


(FN 1) „The earth’s spontaneous productions being in small quantity, and quite independent of man, appear as it were, to be furnished by nature, in the same way as a small sum is given to a young man, in order to put him in a way of industry, and of making his fortune.“ ( James Steuart: Principles of Polit. Econ. edit. Dublin 1770, v. I, p. 116.)

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von Natur vorgefundne Arbeitsgegenstände. So der Fisch, der von seinem Lebenselement, dem Wasser, getrennt, gefangen wird, das Holz, das im Urwald gefällt, das Erz, das aus seiner Ader losgebrochen wird. Ist der Arbeitsgegenstand dagegen selbst schon sozusagen durch frühere Arbeit filtrirt, so nennen wir ihn Rohmaterial. Z. B. das bereits losgebrochene Erz, das nun ausgewaschen wird. Alles Rohmaterial ist Arbeitsgegenstand, aber nicht jeder Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial. Rohmaterial ist der Arbeitsgegenstand nur, sobald er bereits eine durch Arbeit vermittelte Veränderung erfahren hat.

Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Thätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die mechanischen, physischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäss, wirken zu lassen(FN 2). Der Gegenstand, dessen sich der Arbeiter unmittelbar bemächtigt — abgesehn von der Ergreifung fertiger Lebensmittel, der Früchte z. B., wobei seine eigenen Leibesorgane allein als Arbeitsmittel dienen — ist nicht der Arbeitsgegenstand, sondern das Arbeitsmittel. So wird das Natürliche selbst zum Organ seiner Thätigkeit, ein Organ, das er seinen eigenen Leibesorganen hinzufügt, seine natürliche Gestalt verlängernd, trotz der Bibel. Wie die Erde seine ursprüngliche Proviantkammer, ist sie sein ursprüngliches Arsenal von Arbeitsmitteln. Sie liefert ihm z. B. den Stein, womit er wirft, reibt, drückt, schneidet u. s. w. Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel, setzt jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikultur wieder eine ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine schon relativ hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus(FN 3). Sobald überhaupt der Arbeitsprozess nur


(FN 2) „Die Vernunft ist eben so listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Thätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäss auf einander einwirken und sich an einander abarbeiten lässt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozess einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt.“ ( Hegel: Encyklopädie. Erster Theil: Die Logik. Berlin 1840, p. 382.)
(FN 3) In der sonst elenden Schrift: „ Théorie de l’Écon. Polit. Paris 1815“, zählt Ganilh den Physiokraten gegenüber treffend die grosse Reihe von Arbeitsprozessen auf, welche Voraussetzungen der eigentlichen Agrikultur bilden.

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einigermassen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel. In den ältesten Menschenhöhlen finden wir Steinwerkzeuge und Steinwaffen. Neben bearbeitetem Stein und Holz spielt im Anfang der Menschengeschichte das gezähmte, also selbst schon durch Arbeit veränderte, gezüchtete Thier die Hauptrolle als Arbeitsmittel(FN 4). Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Thierarten eigen, charakterisiren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozess und Franklin definirt daher den Menschen als „ a toolmaking animal“, ein Werkzeuge fabrizirendes Thier. Dieselbe Wichtigkeit, die der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntniss der Organisation untergegangner Thiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurtheilung untergegangner ökonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen(FN 5). Die Arbeitsmittel sind nicht nur der Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch der Index der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen gearbeitet wird. Unter den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesammtheit man das Knochenund Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheidendere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche, als solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstands dienen, und deren Gesammtheit ganz allgemein als das Gefässsystem der Produktion bezeichnet werden kann, wie z. B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge u. s. w. Erst in der chemischen Fabrikation spielen sie eine bedeutungsvolle Rolle.

Im weiteren Sinn zählt der Arbeitsprozess unter seine Mittel ausser den Dingen, welche die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand vermitteln, und daher in einer oder der andern Weise als Leiter der Thätigkeit dienen, alle gegenständlichen Bedingungen, die überhaupt erheischt sind, damit der ganze Prozess vorgehe. Sie gehn nicht direkt in den Arbeitsprozess ein, aber der Arbeitsprozess kann ohne sie gar nicht


(FN 4) In den oben citirten „ Réflexions“ entwickelt Turgot gut die Wichtigkeit des gezähmten Thiers für die Anfänge der Kultur.
(FN 5) Von allen Waaren sind eigentliche Luxuswaaren die unbedeutendsten für die technologische Vergleichung verschiedner Produktionsepochen.

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oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmittel dieser Art ist wieder die Erde selbst, denn sie giebt dem Arbeiter den locus standi und seinem Prozess den Wirkungsraum ( field of employment). Durch die Arbeit schon vermittelte Arbeitsmittel dieser Art sind z. B. Arbeitsgebäude, Kanäle, Strassen u. s. w.

Der Arbeitsprozess ist also ein Prozess, worin die Thätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vorn herein bezweckte Veränderung im Arbeitsgegenstand bewirkt. Dieser Prozess erlischt im Produkt. Sein Produkt ist ein Gebrauchswerth, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen assimilirter Naturstoff. Durch den Prozess hat sich die Arbeit mit ihrem Gegenstand verbunden. Die Arbeit ist vergegenständlicht und der Gegenstand ist verarbeitet. Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des Produkts. Er hat gesponnen und das Produkt ist ein Gespinnst.

Betrachtet man den ganzen Prozess vom Standpunkt seines Resultats, des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel(FN 6) und die Arbeit selbst als produktive Arbeit(FN 7).

Wenn ein Gebrauchswerth als Produkt aus dem Arbeitsprozess herauskommt, gehn andre Gebrauchswerthe, selbst Produkte früherer Arbeitsprozesse, als Produktionsmittel in den Prozess ein. Derselbe Gebrauchswerth, der das Produkt eines Arbeitsprozesses, bildet das Produktionsmittel eines andern. Produkte sind daher nicht nur Resultat, sondern zugleich Bedingung des Arbeitsprozesses.

Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand von Natur vorfindet, wie der Bergbau, die Jagd, der Fischfang u. s. w., (der Ackerbau nur, soweit er in erster Instanz die jungfräuliche Erde selbst aufbricht), behandeln alle Industriezweige einen Gegenstand, der Rohmaterial, d. h. bereits durch die Arbeit filtrirter


(FN 6) Es scheint paradox z. B. den Fisch, der noch nicht gefangen ist, ein Produktionsmittel für den Fischfang zu nennen. Bisher ist aber noch nicht die Kunst erfunden, Fische in Gewässern zu fangen, in denen sie sich nicht vorfinden.
(FN 7) Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeitsprozesses ergiebt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionsprozess.
I. 10

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Arbeitsgegenstand, selbst schon Produkt eines früheren Arbeitsprozesses ist. So z. B. der Samen in der Agrikultur. Thiere und Pflanzen, die man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte vielleicht der Arbeit vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Produkte einer durch viele Generationen, unter menschlicher Kontrole, vermittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung. Was aber die Arbeitsmittel insbesondere betrifft, so zeigt ihre ungeheure Mehrzahl dem oberflächlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit.

Das Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden, oder nur als Hilfsstoff in seine Bildung eingehn. Der Hilfsstoff wird vom Arbeitsmittel konsumirt, wie Kohle von einer Dampfmaschine, Oel vom Rade, Heu von einem Zugpferd, oder dem Rohmaterial zugesetzt, um eine stoffliche Veränderung darin zu bewirken, wie Chlor zur ungebleichten Leinwand, Kohle zum Eisen, Farbe zur Wolle, oder er unterstützt die Verrichtung der Arbeit selbst, wie z. B. zur Beleuchtung und Heizung des Arbeitslokals verwandte Stoffe. Der Unterschied zwischen Hauptstoff und Hilfsstoff verschwimmt in der eigentlich chemischen Fabrikation, weil keines der angewandten Rohmaterialien als die Substanz des Produkts wieder erscheint(FN 8).

Da jedes Ding vielerlei Eigenschaften besitzt und daher verschiedner Nutzanwendung fähig ist, kann dasselbe Produkt das Rohmaterial sehr verschiedner Arbeitsprozesse bilden. Korn z. B. ist Rohmaterial für Müller, Stärkefabrikant, Destillateur, Viehzüchter u. s. w. Es wird Rohmaterial seiner eignen Produktion als Samen. So geht die Kohle als Produkt aus der Minenindustrie hervor und als Produktionsmittel in sie ein.

Dasselbe Produkt mag in demselben Arbeitsprozess als Arbeitsmittel und Rohmaterial dienen. Bei der Viehmast z. B., wo das Vieh, das bearbeitete Rohmaterial, zugleich Mittel der Düngerbereitung ist.

Ein Produkt kann in einer für die Konsumtion fertigen Form existiren und dennoch von neuem zum Rohmaterial eines andern Produkts werden, wie die Traube zum Rohmaterial des Weins. Oder der Arbeitsprozess entlässt sein Produkt in Formen, worin es nur als Rohmaterial


(FN 8) Storch unterscheidet das eigentliche Rohmaterial als „ matière“ von den Hilfsstoffen als „ matériaux“: Cherbuliez bezeichnet die Hilfsstoffe als „ matières instrumentales.“

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eines nachfolgenden Arbeitsprozesses benutzt werden kann. Rohmaterial in diesem Zustand heisst Halbfabrikat und hiesse besser Stufenfabrikat, wie z. B. Baumwolle, Faden, Garn u. s. w. Obgleich selbst schon Produkt, mag das ursprüngliche Rohmaterial eine ganze Staffel verschiedner Arbeitsprozesse zu durchlaufen haben, worin es in stets veränderter Gestalt stets von neuem als Rohmaterial funktionirt bis zum letzten Arbeitsprozess, der es als fertiges Lebensmittel oder fertiges Arbeitsmittel von sich abstösst.

Man sieht: ob ein Gebrauchswerth als Rohmaterial, Arbeitsmittel oder Produkt erscheint, hängt ganz und gar ab von seiner bestimmten Funktion im Arbeitsprozesse, von der Stelle, die er in ihm einnimmt, und mit dem Wechsel dieser Stelle wechseln jene Bestimmungen.

Durch ihren Eintritt als Produktionsmittel in neue Arbeitsprozesse verlieren Produkte daher den Charakter des Produkts. Sie funktioniren nur noch als gegenständliche Faktoren der lebendigen Arbeit. Der Spinner bezieht sich auf die Spindel nur als Mittel, womit, und auf den Flachs nur als Gegenstand, den er spinnt. Allerdings kann man nicht spinnen ohne Spinnmaterial und Spindel. Das Vorhandensein dieser Produkte ist daher vorausgesetzt beim Beginn des wirklichen Spinnprozesses. In diesem Prozess selbst aber ist es eben so gleichgültig, dass Flachs und Spindel Produkte vergangner Arbeit sind, wie es im wirklichen Ernährungsprozess gleichgültig ist, dass Brod das Produkt der vergangnen Arbeiten von Bauer, Müller, Bäcker u. s. w. Umgekehrt. Machen Produktionsmittel im Arbeitsprozess ihren Charakter als Produkte vergangner Arbeit geltend, so durch ihre Mängel. Ein Messer, das nicht schneidet, Garn, das beständig zerreisst u. s. w., erinnern lebhaft an Messerschmied A und Garnwichser E. Im gelungenen Produkt ist die Vermittlung seiner Gebrauchseigenschaften durch vergangne Arbeit ausgelöscht.

Eine Maschine, die nicht im Arbeitsprozess dient, ist nutzlos. Ausserdem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault. Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbene Baumwolle. Die lebendige Arbeit muss diese Dinge ergreifen, sie von den Todten erwecken, sie aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerthe verwandeln. Vom Feuer der

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Arbeit beleckt, als Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs und berufsmässigen Funktionen im Prozess begeistet, werden sie zwar auch verzehrt, aber zweckvoll, als Bildungselemente neuer Gebrauchswerthe.

Wenn vorhandne Produkte nicht nur die Resultate, sondern auch die Existenzbedingungen des Arbeitsprozesses sind, ist andrerseits ihr Hineinwerfen in den Arbeitsprozess, also ihr Kontakt mit lebendiger Arbeit, das einzige Mittel um diese Produkte vergangner Arbeit als Gebrauchswerthe zu erhalten und zu verwirklichen. Der Arbeitsprozess resultirt überhaupt nur in Gebrauchswerth, so weit sein Produkt fähig, als Lebensmittel in die individuelle Konsumtion oder als Produktionsmittel in neuen Arbeitsprozess einzugehn.

Im Arbeitsprozess werden seine stofflichen Elemente, sein Gegenstand und sein Mittel, als Gebrauchswerthe verbraucht. Die Arbeit verspeist sie. Der Arbeitsprozess ist also Konsumtionsprozess. Es unterscheidet diese produktive Konsumtion von der individuellen Konsumtion, dass letztere die Produkte als Lebensmittel des lebendigen Individuums, jene sie als Lebensmittel der Arbeit, der sich bethätigenden Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individuellen Konsumtion ist daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein von dem Konsumenten unterschiednes Produkt.

Sofern Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand selbst schon Produkte sind, Resultate vergangner Arbeitsprozesse, ist der Arbeitsprozess ein Prozess, worin Produkte verzehrt werden um Produkte zu schaffen oder worin Produkte als Produktionsmittel von Produkten dienen. Wie der Arbeitsprozess aber ursprünglich nur zwischen dem Menschen und der ohne sein Zuthun vorhandenen Erde vorgeht, dienen in ihm immer noch solche Produktionsmittel, die von Natur vorhanden, keine Verbindung von Naturstoff und menschlicher Arbeit darstellen.

Der Arbeitsprozess, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmässige Thätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerthen, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher


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unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam. Wir hatten daher bei unsrer Darstellung nicht nöthig, den Arbeiter im Verhältniss zu andern Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andern Seite, genügten. So wenig man dem Weizen anschmeckt, wer ihn gebaut hat, so wenig sieht man diesem Prozess an, unter welchen Bedingungen er vorgeht, ob unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem ängstlichen Auge des Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestellung seiner paar jugera, oder der Wilde, der mit einem Stein eine Bestie erlegt(FN 9).

Kehren wir zu unserem Kapitalisten in spe zurück. Wir verliessen ihn, nachdem er auf dem Waarenmarkt alle zu einem Arbeitsprozess nothwendigen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Faktoren in den Produktionsmitteln, den subjektiven Faktor in der Arbeitskraft. Die bestimmte Art dieser Produktionsmittel und dieser Arbeitskraft richtet sich nach der Art des Arbeitsprozesses, wofür sie bestimmt sind, ob Stiefel, Garn u. s. w. gemacht werden sollen. Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Waare, die Arbeitskraft, zu konsumiren, d. h. den Träger der Arbeitskraft, den Arbeiter die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumiren zu lassen. Die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses ändert sich natürlich nicht dadurch, dass der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt für sich selbst verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und Weise wie Stiefel gemacht oder Garn gesponnen wird, kann sich zunächst nicht ändern durch die Dazwischenkunft des Kapitalisten. Er muss die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine


(FN 9) Aus diesem höchst logischen Grund entdeckt wohl Oberst Torrens in dem Stein des Wilden — den Ursprung des Kapitals. „In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andern und entdecken so — den Ursprung des Kapitals.“ (R. Torrens: An Essay on the Production of Wealth etc. p. 79.) Aus jenem ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu erklären, warum stock im Englischen synonym mit Kapital ist.

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Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst später ereignen und ist daher erst später zu betrachten.

Der Arbeitsprozess, wie er als Konsumtionsprozess der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nur zwei eigenthümliche Phänomene.

Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrole des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist passt auf, dass die Arbeit ordentlich verrichtet wird und dass die Produktionsmittel zweckgemäss verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d. h. nur so weit zerstört wird, als unzertrennlich ist von seinem Gebrauch in der Arbeit.

Zweitens aber: das Produkt ist Eigenthum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z. B. den Tageswerth der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andern Waare, z. B. eines Pferdes, das er für einen Tag gemiethet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Waare gehört der Gebrauch der Waare, und der Besitzer der Arbeitskraft giebt in der That nur den von ihm verkauften Gebrauchswerth, indem er seine Arbeit giebt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswerth seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten. Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gährungsstoff den todten von ihm gleichfalls besessenen Bildungselementen des Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsprozess nur die Konsumtion der von ihm gekauften Waare Arbeitskraft, die er jedoch nur konsumiren kann, indem er ihr Produktionsmittel zusetzt. Der Arbeitsprozess ist ein Prozess zwischen Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwischen ihm gehörigen Dingen. Das Produkt dieses Prozesses gehört ihm daher ganz eben so sehr als das Produkt des Gährungsprozesses in seinem Weinkeller(FN 10).


(FN 10) „Die Produkte sind appropriirt, bevor sie in Kapital verwandelt werden; diese Verwandlung entzieht sie nicht jener Appropriation.“ ( Cherbuliez: Riche ou Pauvre, edit. Paris 1841, p. 53, 54.) „Indem der Proletarier

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Das Produkt — das Eigenthum des Kapitalisten — ist ein Gebrauchswerth, Garn, Stiefel u. s. w. Aber obgleich Stiefel z. B. gewissermassen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts bilden und unser Kapitalist ein entschiedener Fortschrittsmann ist, fabrizirt er die Stiefel nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswerth ist überhaupt nicht das Ding „ qu’on aime pour lui même“ in der Waarenproduktion. Gebrauchswerthe werden hier überhaupt nur produzirt, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerths sind. Und unserem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswerth produziren, der einen Tauschwerth hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Waare. Und zweitens will er eine Waare produziren, deren Werth höher als die Werthsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waaren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Waarenmarkt vorschoss. Er will nicht nur einen Gebrauchswerth produziren, sondern eine Waare, nicht nur Gebrauchswerth, sondern Tauschwerth, und nicht nur Werth, sondern auch Mehrwerth.

In der That, da es sich hier um Waarenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Prozesses betrachtet. Wie die Waare selbst Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, muss ihr Produktionsprozess Einheit von Arbeitsprozess und Werthbildungsprozess sein.


seine Arbeit gegen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel (approvisionnement) verkauft, verzichtet er vollständig auf jeden Antheil am Produkt. Die Appropriation der Produkte bleibt dieselbe wie vorher; sie ist in keiner Weise durch die erwähnte Konvention verändert. Das Produkt gehört ausschliesslich dem Kapitalisten, der die Rohstoffe und das Approvisionnement geliefert hat. Es ist diess eine strenge Konsequenz des Gesetzes der Appropriation, dessen Fundamentalprinzip umgekehrt das ausschliessliche Eigenthumsrecht jedes Arbeiters an seinem Produkte war.“ (l. c. p. 58.) James Mill: Elements of Pol. Econ. etc. p. 75: „Wenn die Arbeiter für Arbeitslohn arbeiten, ist der Kapitalist Eigenthümer nicht nur des Kapitals (meint hier die Produktionsmittel), sondern auch der Arbeit (of labour also). Wenn man das, was für Arbeitslohn gezahlt wird, wie diess gebräuchlich, in den Begriff Kapital einschliesst, ist es abgeschmackt von der Arbeit getrennt vom Kapital zu sprechen. Das Wort Kapital in diesem Sinn schliesst beides ein, Kapital und Arbeit.“

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Betrachten wir den Produktionsprozess also jetzt auch als Werthbildungsprozess.

Wir wissen, dass der Werth jeder Waare bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswerth materialisirten Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Diess gilt auch für das Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen.

Es sei z. B. Garn.

Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nöthig, z. B. 10 Pfund Baumwolle. Was der Werth der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Werth, z. B. zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemeine gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, dass die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle anderen aufgewandten Arbeitsmittel repräsentirt, einen Werth von 2 sh. besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunächst, dass im Garn zwei Arbeitstage vergegenständlicht sind.

Der Umstand, dass die Baumwolle ihre Form verändert hat und die aufgezehrte Spindelmasse ganz verschwunden ist, darf nicht beirren. Nach dem allgemeinen Werthgesetz sind z. B. 10 lbs. Garn ein Aequivalent für 10 lbs. Baumwolle und ¼ Spindel, wenn der Werth von 40 lbs. Garn = dem Werth von 40 lbs. Baumwolle + dem Werth einer ganzen Spindel, d. h. wenn dieselbe Arbeitszeit erfordert ist um beide Seiten dieser Gleichung zu produziren. In diesem Fall stellt sich dieselbe Arbeitszeit das einemal in dem Gebrauchswerth Garn, das andremal in den Gebrauchswerthen Baumwolle und Spindel dar. Der Tauschwerth ist also gleichgültig dagegen, ob er in Garn, Spindel oder Baumwolle erscheint. Dass Spindel und Baumwolle, statt ruhig neben einander zu liegen, im Spinnprozesse eine Verbindung eingehn, welche die Form ihres Gebrauchswerths verändert, sie in Garn verwandelt, berührt ihren Tauschwerth eben so wenig, als wenn sie durch einfachen Austausch gegen ein Aequivalent von Garn umgesetzt worden wären.


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Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Theil der zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten Arbeitszeit und deshalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse erheischt ist, ohne deren Verschleiss oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden kann(FN 11).

So weit also der Werth des Garns, die zu seiner Herstellung erheischte Arbeitszeit, in Betracht kommt, können die verschiednen besondern, der Zeit und dem Raum nach getrennten Arbeitsprozesse, die durchlaufen werden müssen, um die Baumwolle zu produziren, die vernutzte Spindelmasse zu produziren, endlich aus Baumwolle und Spindel Garn zu machen, als verschiedne successive Phasen eines und desselben Arbeitsprozesses betrachtet werden. Alle im Garn enthaltne Arbeit ist vergangne Arbeit. Dass die zur Produktion seiner Bildungselemente erheischte Arbeitszeit früher vergangen war, im Plusquamperfectum steht, dagegen die zum Schlussprozess, dem Spinnen, unmittelbar verwandte Arbeit dem Präsens näher, im Perfectum steht, ist ein durchaus gleichgültiger Umstand. Ist eine bestimmte Masse Arbeit, z. B. von 30 Arbeitstagen, zum Bau eines Hauses nöthig, so ändert es nichts am Gesammtquantum der dem Hause einverleibten Arbeitszeit, dass der 30. Arbeitstag 29 Tage später in die Produktion einging als der erste Arbeitstag. Und so kann die im Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel enthaltene Arbeitszeit ganz so betrachtet werden, als wäre sie nur in einem früheren Stadium des Spinnprozesses verausgabt worden als das zuletzt in der Form des Spinnens verausgabte Arbeitsquantum.

Die Werthe der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, ausgedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandtheile des Garnwerths, oder des Werths des Produkts.

Nur müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Einmal müssen Baumwolle und Spindel wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerths gedient haben. Es muss in unserm Fall Garn aus ihnen geworden sein.


(FN 11) „Not only the labour applied immediately to commodities affect their value, but the labour also which is bestowed on the implements, tools, and buildings with which such labour is assisted.“ Ricardo l. c. p. 16.

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Welcher Gebrauchswerth ihn trägt, ist dem Tauschwerth gleichgültig, aber ein Gebrauchswerth muss ihn tragen. Zweitens ist vorausgesetzt, dass nur die unter den gegebenen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen nothwendige Arbeitszeit verwandt worden ist. Wäre also nur 1 Pfund Baumwolle nöthig, um 1 Pfund Garn zu spinnen, so darf nur 1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung von 1 Pfund Garn. Ebenso verhält es sich mit der Spindel. Hätte der Kapitalist die Phantasie mit goldenen, statt mit eisernen Spindeln spinnen zu lassen, so zählte im Garnwerth dennoch nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit, d. h. die zur Produktion der eisernen Spindelmasse nothwendige Arbeitszeit.

Wir kennen jetzt den Werththeil, den die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindel, im Garnwerth bilden. Er ist gleich 12 sh., oder die Materiatur von zwei Arbeitstagen. Es handelt sich also nun um den Werththeil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt.

Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz anderen Gesichtspunkte zu betrachten, als während des Arbeitsprozesses. Dort handelte es sich um die zweckmässige Thätigkeit, Baumwolle in Garn zu verwandeln. Je zweckmässiger die Arbeit, desto besser das Garn, alle andern Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war spezifisch verschieden von andern produktiven Arbeiten, und diese Verschiedenheit offenbarte sich subjektiv und objektiv, im besondern Zweck des Spinnens, seiner besondern Operationsweise, der besondern Natur seiner Produktionsmittel, dem spezifischen Gebrauchswerth seines Produkts. Baumwolle und Spindel dienen als Lebensmittel der Spinnarbeit, aber man kann mit ihnen keine gezogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit des Spinners dagegen werthbildend ist, d. h. Quelle von Tauschwerth, ist sie durchaus nicht verschieden von der Arbeit des Kanonenbohrers, oder, was uns hier näher liegt, von den Arbeiten, die in den Produktionsmitteln des Garns verwirklicht sind, den Arbeiten des Baumwollpflanzers und des Spindelmachers. Nur wegen dieser Identität können Baumwollpflanzen, Spindelmachen und Spinnen blos quantitativ verschiedene Theile desselben Gesammtwerths, des Garnwerths, bilden. Es handelt sich hier nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und den Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese


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ist einfach zu zählen. Wir nehmen an, dass die Spinnarbeit einfache Arbeit, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit ist. Man wird später sehn, dass die gegentheilige Annahme nichts an der Sache ändern würde.

Während des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde in der Baumwolle vergegenständlicht. Wir sagen Arbeitsstunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, so weit sie Verausgabung von Arbeitskraft, nicht so weit sie die spezifische Arbeit des Spinnens ist.

Es ist nun entscheidend wichtig, dass während der Dauer des Prozesses, d. h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d. h. durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 × a Pfund Baumwolle in 12 × b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zählt als werthbildend.

Rohmaterial und Produkt erscheinen hier in einem ganz anderen Licht als vom Standpunkt des eigentlichen Arbeitsprozesses. Das Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in der That in Garn, weil ihm Spinnarbeit zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist jetzt nur Gradmesser der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde 1⅔ lbs. Baumwolle versponnen oder in 1⅔ lbs. Garn verwandelt, so zeigen 10 lbs. Garn 6 eingesaugte Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmässig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesellschaftlicher Arbeit.

Dass die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Produkt Garn, wird hier eben so gleichgültig, als dass der Arbeitsgegenstand selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist. Wäre der Arbei-


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ter, statt in der Spinnerei, in der Kohlengrube beschäftigt, so wäre der Arbeitsgegenstand, die Kohle, von Natur vorhanden. Dennoch stellte ein bestimmtes Quantum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z. B. ein Centner, ein bestimmtes Quantum aufgesaugter Arbeit dar.

Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, dass ihr Tageswerth = 3 sh., und in den letztern 6 Arbeitsstunden verkörpert sind, diess Arbeitsquantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produziren. Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeitsstunde 1⅔ lbs. Baumwolle in 1⅔ lbs. Garn(FN 12), so in 6 Stunden 10 lbs. Baumwolle in 10 lbs. Garn. Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wurde also durch das Spinnen selbst ein Werth von 3 sh. zugesetzt.

Sehn wir uns nun den Gesammtwerth des Produkts, der 10 lbs. Garn, an. In ihnen sind 2½ Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, ½ Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Werth der 10 lbs. Garn adäquate Preis beträgt also 15 sh., der Preis eines lb. Garn 1 sh. 6 d.

Unser Kapitalist stutzt. Der Werth des Produkts ist gleich dem Werth des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Werth hat sich nicht verwerthet, keinen Mehrwerth erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 lbs. Garn ist 15 sh. und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Waarenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses, 10 sh. für Baumwolle, 2 sh. für die verzehrte Spindelmasse, und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufgeschwollene Werth des Garns hilft nichts, denn sein Werth ist nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft vertheilten Werthe, und aus einer solchen blossen Addition vorhandner Werthe kann nun und nimmermehr ein Mehrwerth entspringen(FN 13). Diese Werthe sind jetzt alle auf ein Ding konzentrirt, aber


(FN 12) Die Zahlen hier sind ganz willkührlich.
(FN 13) Diess ist der Fundamentalsatz, worauf die Lehre der Physiokraten von

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so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich durch drei Waarenkäufe zersplitterte.

An und für sich ist diess Resultat nicht befremdlich. Der Werth eines lb. Garn ist 1 sh. 6 d. und für 10 lbs. Garn müsste unser Kapitalist daher auf dem Waarenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sich sein Privathaus fertig auf dem Markt kauft, oder es selbst bauen lässt, keine dieser Operationen wird das im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren.

Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiss, sagt vielleicht, er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu machen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten gepflastert und er konnte eben so gut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produziren(FN 14). Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er die Waare fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabriziren. Wenn aber alle seine Brüder Kapitalisten dessgleichen thun, wo soll er Waare auf dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisirt. Man soll seine Abstinenz bedenken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumirt und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muss bei Leibe nicht in die Rolle des Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte, was bei der Ascetik herauskommt. Ausserdem, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, um sie extra zu zahlen, da der Werth des Produkts, der aus dem Prozess herauskommt, nur gleich der Summe der


der Unproduktivität aller nicht agrikolen Arbeit beruht und er ist unumstösslich für den Oekonomen — von Fach. „Cette façon d’imputer à une seule chose la valeur de plusieurs autres (par exemple au lin la consommation du tisserand), d’appliquer, pour ainsi dire, couche sur couche, plusieurs valeurs sur une seule, fait que celle-ci grossit d’autant . . . . Le terme d’addition peint trèsbien la manière dont se forme le prix des ouvrages de main d’oeuvre; ce prix n’est qu’un total de plusieurs valeurs consommées et additionnées ensemble; or, additionner n’est pas multiplier.“ ( Mercier de la Rivière l. c. p. 599.)
(FN 14) So z. B. entzog er 1844—47 Theil seines Kapitals dem produktiven Geschäft, um es in Eisenbahnaktien zu verspekuliren. So, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, schloss er die Fabrik und warf den Fabrikarbeiter auf’s Pflaster, um auf der Liverpooler Baumwollbörse zu spielen.

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hineingeworfenen Waarenwerthe. Er beruhige sich also dabei, dass Tugend der Tugend Lohn. Statt dessen wird er zudringlich. Das Garn ist ihm unnütz. Er hat es für den Verkauf produzirt. So verkaufe er es, oder, noch einfacher, produzire in Zukunft nur Dinge für seinen eignen Bedarf, ein Rezept, das ihm bereits sein Hausarzt Mac Culloch als probates Mittel gegen die Epidemie der Ueberproduktion verschrieben hat. Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gliedmassen in der blauen Luft Arbeitsgebilde schaffen, Waaren produziren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der grösste Theil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine Spindel, einen unermesslichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwiesen, Baumwolle und Spindel in Garn zu verwandeln? Ausserdem handelt es sich hier nicht um Dienste(FN 15). Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wirkung eines Gebrauchswerths, sei es der Waare, sei es der Arbeit(FN 16). Hier aber gilt’s den Tauschwerth. Er zahlte dem Arbeiter den Werth von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Aequivalent


(FN 15) „Las du rhümen, schmücken und putzen . . . . Wer aber mehr oder besseres nimpt (als er giebt), das ist Wucher, und heisst, nicht Dienst, sondern Schaden gethan seinem Nehesten, als mit stelen und rauben geschicht. Es ist nicht alles Dienst und wolgethan dem Nehesten, was man heisst, Dienst und wolgethan. Denn eine Ehebrecherin und Ehebrecher thun einander grossen Dienst und wolgefallen. Ein Reuter thut einem Mordbrenner grossen reuterdienst, das er im hilfft, auff der strassen rauben, Land und Leute bevehden. Die Papisten thun den unsern grossen Dienst, das sie nicht alle ertrenken, verbrennen, ermorden, im Gefengniss verfaulen lassen, sondern lassen doch etliche leben, und verjagen sie, oder nemen jenen was sie haben. Der Teuffel thut selber seinen Dienern grossen, unermesslichen Dienst . . . . Summa, die Welt ist voll grosser, trefflicher, teglicher Dienst und wolthaten.“ ( Martin Luther: An die Pfarherrn, wider den Wucher zu predigen etc. Wittenberg 1540.)
(FN 16) Ich bemerke darüber in „ Zur Kritik der Pol. Oek.“ p. 14 u. a.: „Man begreift, welchen „ Dienst“ die Kategorie „ Dienst“ (service) einer Sorte Oekonomen wie J. B. Say und F. Bastiat leisten muss.“

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zurück in dem der Baumwolle zugesetzten Werth von 3 sh., Werth für Werth. Unser Freund, eben noch so kapitalübermüthig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst gearbeitet? nicht die Arbeit der Ueberwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Werth? Sein eigner overlooker und sein manager zucken die Achseln. Unterdess hat er aber bereits mit heitrem Lächeln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er giebt keinen Deut darum. Er überlässt diese und ähnliche faule Ausflüchte und hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Professoren der politischen Oekonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er ausserhalb des Geschäfts sagt, aber stets weiss, was er im Geschäft thut.

Sehn wir näher zu. Der Tageswerth der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d. h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nöthigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangene Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Grössen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwerth, die andere bildet ihren Gebrauchswerth. Dass ein halber Arbeitstag nöthig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Werth der Arbeitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitsprozess sind also zwei verschiedne Grössen. Diese Werthdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muss, um Werth zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswerth dieser Waare, Quelle von Tauschwerth zu sein und von mehr Tauschwerth als sie selbst hat. Diess ist der spezifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Waarenaustausches gemäss. In der That, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andern Waare, realisirtihren Tauschwerth und veräussert ihren Gebrauchswerth. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den andern wegzugeben. Der Gebrauchswerth der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört eben so wenig ihrem Verkäufer, wie der


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Gebrauchswerth des verkauften Oels dem Oelhändler. Der Geldbesitzer hat den Tageswerth der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, dass die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, dass daher der Werth, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so gross ist als ihr eigner Tageswerth, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.

Unser Kapitalist hat den Casus vorgesehn. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nöthigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozess. Saugten 10 lbs. Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 lbs. Garn, so werden 20 lbs. Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsaugen und in 20 lbs. Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses. In den 20 lbs. Garn sind jetzt 5 Arbeitstage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwollund Spindelmasse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd. St. 10 sh. Diess also der Preis der 20 lbs. Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber die Werthsumme der in den Prozess geworfenen Waaren betrug 27 sh. Der Werth des Garns beträgt 30 sh. Der Werth des Produkts ist um ⅓ gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschossenen Werth. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwerth von 3 sh. gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.

Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Waarenaustausches in keiner Weise verletzt. Aequivalent wurde gegen Aequivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Waare zu ihrem Werth, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er that dann, was jeder andre Käufer von Waaren thut. Er konsumirte ihren Gebrauchswerth. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozess der Waare, ergab ein Produkt von 20 lbs. Garn mit einem Werth von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Waare, nachdem er Waare gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut über oder unter seinem Werth. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Cirkulation her-


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aus als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Cirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Cirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt. Nicht in der Cirkulation, denn diese leitet nur den Verwerthungsprozess ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist „tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles.“

Indem der Kapitalist Geld in Waaren verwandelt, die als Stoffbildner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer todten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Werth, vergangne, vergegenständlichte, todte Arbeit in Kapital, sich selbst verwerthenden Werth, ein beseeltes Ungeheuer, das zu „arbeiten“ beginnt, als hätt’ es Lieb’ im Leibe.

Vergleichen wir nun Werthbildungsprozess und Verwerthungsprozess, so ist der Verwerthungsprozess nichts als ein über einen gewissen Punkt hinaus verlängerter Werthbildungsprozess. Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital gezahlte Werth der Arbeitskraft durch ein neues Aequivalent ersetzt ist, so ist er einfacher Werthbildungsprozess. Dauert der Werthbildungsprozess über diesen Punkt hinaus, so wird er Verwerthungsprozess.

Vergleichen wir ferner den Werthbildungsprozess mit dem Arbeitsprozess, so besteht der letztere in der wirklichen Arbeit, die Gebrauchswerthe produzirt. Die Bewegung wird hier qualitativ betrachtet, in ihrer besondern Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe Arbeitsprozess stellt sich im Werthbildungsprozess nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt sich nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht, oder um die Dauer, während deren die Arbeitskraft verausgabt wird. Hier gelten auch die Waaren, die in den Arbeitsprozess eingehn, nicht mehr als funktionell bestimmte, stoffliche Faktoren der zweckmässig wirkenden Arbeitskraft. Sie zählen nur noch als bestimmte Quanta vergegenständlichter Arbeit. Ob in den Produktionsmitteln enthalten oder durch die Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zählt nur noch nach ihrem Zeitmass. Sie beträgt so viel Stunden, Tage u. s. w.

Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswerths verbrauchte Zeit gesellschaftlich nothwendig ist. Es umfasst

I. 11

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diess Verschiednes. Die Arbeitskraft muss unter normalen Bedingungen funktioniren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschende Arbeitsmittel für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die Hand gegeben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muss er nicht Schund erhalten, der jeden Augenblick reisst. In beiden Fällen würde er mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht Werth oder Geld bilden. Der normale Charakter der gegenständlichen Arbeitsfaktoren hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapitalisten ab. Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muss sie das herrschende Durchschnittsmass von Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Güte. Diese Kraft muss in dem gewöhnlichen Durchschnittsmass der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich üblichen Grad von Intensivität verausgabt werden. Darüber wacht der Kapitalist eben so ängstlich, als dass keine Zeit ohne Arbeit vergeudet wird. Er hat die Arbeitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf das Seine zu haben. Er will nicht bestohlen sein. Endlich — und hierfür hat derselbe Herr einen eignen code pénal — darf kein zweckwidriger Consum von Rohmaterial und Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material oder Arbeitsmittel überflüssig verausgabte Quanta vergegenständlichter Arbeit darstellen, also nicht zählen und nicht in das Produkt der Werthbildung eingehn(FN 17).


(FN 17) Diess ist einer der Umstände, die auf Sklaverei gegründete Produktion vertheuern. Der Arbeiter soll sich hier, nach dem treffenden Ausdruck der Alten, nur als instrumentum vocale von dem Thier als instrumentum semivocale und dem todten Arbeitszeug als instrumentum mutum unterscheiden. Er selbst aber lässt Thier und Arbeitszeug fühlen, dass er nicht Ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschieds von ihnen, indem er sie misshandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches Princip in dieser Produktionsweise nur die rohesten, schwerfälligsten, aber grade wegen ihrer unbehülflichen Plumpheit schwer zu ruinirenden Arbeitsinstrumente anzuwenden. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs fand man daher in den am Meerbusen von Mexiko liegenden Sklavenstaaten Pflüge altchinesischer Konstruktion, die den Boden aufwühlen wie ein Schwein oder Maulwurf, aber ihn nicht spalten und wenden. Vgl. J. C. Cairns: „ The Slave Power.

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Man sieht: der früher aus der Analyse der Waare gewonnene Unterschied zwischen der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerth, und derselben Arbeit, soweit sie Tauschwerth schafft, hat sich jetzt als Unterscheidung der verschiednen Seiten des Produktionsprozesses dargestellt.

Als Einheit von Arbeitsprozess und Werthbildungsprozess ist der Produktionsprozess Produktionsprozess von Waaren; als Einheit von Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess ist er kapitalistischer Produktionsprozess, kapitalistische Form der Waarenproduktion.

Es wurde früher bemerkt, dass es für den Verwerthungsprozess durchaus gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit, oder komplizirtere Arbeit, Arbeit von höherem spezifischem Gewicht ist. Die Arbeit, die als höhere, komplizirtere Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die Aeusserung einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehn, deren Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Tauschwerth hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Werth dieser Kraft höher, so äussert sie sich aber auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich


London 1862“, p. 46 sqq. In seinem „ Sea Board Slave States“ erzählt Olmstedt u. A.: „I am here shewn tools that no man in his senses, with us, would allow a labourer, for whom he was paying wages, to be encumbered with; and the excessive weight and clumsiness of which, I would judge, would make work at least ten per cent greater than with those ordinarily used with us. And I am assured that, in the careless and clumsy way they must be used by the slaves, anything lighter or less rude could not be furnished them with good economy, and that such tools as we constantly give our labourers, and find our profit in giving them, would not last out a day in a Virginia cornfield — much lighter and more free from stones though it be than ours. So, too, when I ask why mules are so universally substituted for horses on the farm, the first reason given, and confessedly the most conclusive one, is that horses cannot bear the treatment that they always must get from the negroes; horses are always soon foundered or crippled by them, while mules will bear cudgelling, or lose a meal or two now and then, and not be materially injured, and they do not take cold or get sick, if neglected or overworked. But I do not need to go further than to the window of the room in which I am writing, to see at almost any time, treatment of cattle that would insure the immediate discharge of the driver by almost any farmer owning them in the North.“
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daher, in denselben Zeiträumen, in verhältnissmässig höheren Werthen. Welches jedoch immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den Werth seiner eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwerth schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwerth nur heraus durch einen quantitativen Ueberschuss von Arbeit, durch die verlängerte Dauer desselben Arbeitsprozesses, in dem einen Fall Prozess der Garnproduktion, in dem andern Fall Prozess der Juwelenproduktion(FN 18).


(FN 18) Der Unterschied zwischen höherer und einfacher, „skilled“ und „unskilled labour“, beruht zum Theil auf blossen Illusionen, oder wenigstens Unterschieden, die längst aufgehört haben reell zu sein und nur noch in traditioneller Convention fortleben; zum Theil auf der hilfsloseren Lage gewisser Schichten der Arbeiterklasse, die ihnen minder als andren erlaubt, den Werth ihrer Arbeitskraft zu ertrotzen. Zufällige Umstände spielen dabei so grosse Rolle, dass dieselben Arbeitsarten den Platz wechseln. Wo z. B. die physische Substanz der Arbeiterklasse abgeschwächt und relativ erschöpft ist, wie in allen Ländern entwickelter kapitalistischer Produktion, verkehren sich im Allgemeinen brutale Arbeiten, die viel Muskelkraft erfordern, in höhere gegenüber viel feineren Arbeiten, die auf die Stufe einfacher Arbeit herabsinken, wie z. B. die Arbeit eines bricklayer (Maurer) in England eine viel höhere Stufe einnimmt, als die eines Damastwirkers. Auf der andern Seite figurirt die Arbeit eines fustian cutters (Baumwollsammtscheerers), obgleich sie viel körperliche Anstrengung kostet und obendrein sehr ungesund ist, als „einfache“ Arbeit. Uebrigens muss man sich nicht einbilden, dass die sogenannte „skilled labour“ einen quantitativ bedeutenden Umfang in der Nationalarbeit einnimmt. Laing, vor kurzem noch Schatzkanzler von Indien, rechnet, dass in England (und Wales) die Existenz von 11 Millionen auf einfacher Arbeit beruht. Nach Abzug einer Million von Aristokraten und einer andern Million Paupers, Vagabunden, Verbrecher, Prostituirte u. s. w. von den 18 Millionen der Bevölkerungszahl, zur Zeit seiner Schrift, bleiben 4 Millionen Mittelklasse mit Einschluss kleinerer Rentner, Beamten, Schriftsteller, Künstler, Schulmeister u. s. w. Um diese 4 Millionen herauszubekommen, zählt er zum arbeitenden Theil der Mittelklasse, ausser Banquiers u. s. w., alle besser bezahlten „ Fabrikarbeiter“! Auch die bricklayers fehlen nicht unter den „potenzirten Arbeitern.“ Bleiben ihm dann die besagten 11 Millionen.“ (S. Laing: National Distress etc. London 1844.) „The great class, who have nothing to give for food but ordinary labour, are the great bulk of the people.“ ( James Mill in Art. „ Colony.“ Supplement of the Encyclop. Brit. 1831.)

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Andrerseits muss in jedem Werthbildungsprozess die höhere Arbeit stets auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reducirt werden, z. B. ein Tag höherer Arbeit auf x Tage einfacher Arbeit(FN 19). Man erspart also eine überflüssige Operation und vereinfacht die Analyse durch die Annahme, dass der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache gesellschaftliche Durchschnittsarbeit verrichtet.

2) Constantes Kapital und variables Kapital.

Die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiednen Antheil an der Bildung des Produkten-Werths.

Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Tauschwerth zu durch Zusatz eines bestimmten Quantums von Arbeit, abgesehn vom bestimmten Inhalt, Zweck und technologischen Charakter seiner Arbeit. Andrerseits finden wir die Werthe der verzehrten Produktionsmittel wieder als Bestandtheile des Produkten-Werths, z. B. die Werthe von Baumwolle und Spindel im Garnwerth. Der Werth der Produktionsmittel wird also erhalten durch seine Uebertragung auf das Produkt. Diess Uebertragen geschieht während der Verwandlung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsprozess. Es ist vermittelt durch die Arbeit. Aber wie?

Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal um der Baumwolle durch seine Arbeit einen Werth zuzusetzen, und das andremal um ihren alten Werth zu erhalten, oder, was dasselbe, um den Werth der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch blosses Zusetzen von neuem Werth erhält er den alten Werth. Da aber der Zusatz von neuem Werth zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werthe im Produkt zwei ganz verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit seiner Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muss sie in


(FN 19) „Where reference is made to labour as a measure of value, it necessarily implies labour of one particular kind. . . . the proportion which the other kinds bear to it being easily ascertained.“ („ Outlines of Polit. Economy. London 1832“, p. 22, 23.)

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einer Eigenschaft Werth schaffen und in einer andern Eigenschaft Werth erhalten oder übertragen.

Wie setzt jeder Arbeiter Arbeitszeit und daher Werth zu? Immer nur in der Form seiner eigenthümlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner setzt nur Arbeitszeit zu, indem er spinnt, der Weber, indem er webt, der Schmidt, indem er schmiedet. Durch die zweckbestimmte Form aber, worin sie Arbeit überhaupt zusetzen und daher Neuwerth, durch das Spinnen, Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindel, Garn und Webstuhl, Eisen und Amboss, zu Bildungselementen eines Produkts, eines neuen Gebrauchswerths(FN 20). Die alte Form ihres Gebrauchswerths vergeht, aber nur um in einer neuen Form von Gebrauchswerth aufzugehn. Bei Betrachtung des Werthbildungsprozesses ergab sich aber, dass so weit ein Gebrauchswerth zweckgemäss vernutzt wird zur Produktion eines neuen Gebrauchswerths, die zur Herstellung des vernutzten Gebrauchswerths nothwendige Arbeitszeit einen Theil der zur Herstellung des neuen Gebrauchswerths nothwendigen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit ist, die vom vernutzten Produktionsmittel auf das neue Produkt übertragen wird. Der Arbeiter erhält also die Werthe der vernutzten Produktionsmittel oder überträgt sie als Werthbestandtheile auf das Produkt, nicht durch sein Zusetzen von Arbeit überhaupt, sondern durch den besondren nützlichen Charakter, durch die spezifisch produktive Form dieser zusätzlichen Arbeit. Als solche zweckgemässe produktive Thätigkeit, Spinnen, Weben, Schmieden, erweckt die Arbeit durch ihren blossen Kontakt die Produktionsmittel von den Todten, begeistet sie zu Faktoren des Arbeitsprozesses und verbindet sich mit ihnen zu Produkten.

Wäre die spezifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spinnen, so würde er die Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die Werthe von Baumwolle und Spindel nicht auf das Garn übertragen. Wechselt dagegen derselbe Arbeiter das Metier und wird Tischler, so wird er nach wie vor durch einen Arbeitstag seinem Material Werth zusetzen. Er setzt ihn also zu nicht durch seine Arbeit, soweit sie Spinnarbeit oder Tischlerarbeit, sondern so weit sie abstrakte, gesell


(FN 20) „Labour gives a new creation for one extinguished.“ ( An Essay on the Polit. Econ. of Nations. London 1821, p. 13.)

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schaftliche Arbeit überhaupt, und er setzt eine bestimmte Werthgrösse zu, nicht weil seine Arbeit einen besondern nützlichen Inhalt hat, sondern weil sie eine bestimmte Zeit dauert. In ihrer abstrakten allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werthen von Baumwolle und Spindel Neuwerth zu, und in ihrer konkreten, besondern, nützlichen Eigenschaft als Spinnprozess, überträgt sie den Werth dieser Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Werth im Produkt. Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben Zeitpunkt.

Durch das bloss quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer Werth zugesetzt, durch die Qualität der zugesetzten Arbeit werden die alten Werthe der Produktionsmittel im Produkt erhalten. Diese doppelseitige Wirkung derselben Arbeit in Folge ihres doppelseitigen Charakters zeigt sich handgreiflich an verschiednen Erscheinungen.

Nimm an, irgend eine Erfindung befähige den Spinner in 6 Stunden so viel Baumwolle zu verspinnen wie früher in 36 Stunden. Als zweckmässig-nützliche, produktive Thätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft versechsfacht. Ihr Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 lbs. Garn. Aber die 36 Pfund Baumwolle saugen jetzt nur so viel Arbeitszeit ein als früher 6 Pfund. Ein Sechstel weniger neuer Arbeit wird ihnen zugesetzt als mit der alten Methode, daher nur noch ein Sechstel des früheren Werths. Andrerseits existirt jetzt der sechsfache Werth von Baumwolle im Produkt, den 36 Pfund Garn. In den 6 Spinnstunden wird ein sechsmal grösserer Werth von Rohmaterial erhalten und auf das Produkt übertragen, obgleich demselben Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neuwerth zugesetzt wird. Diess zeigt, wie die Eigenschaft, worin die Arbeit während desselben untheilbaren Prozesses Werthe erhält, wesentlich unterschieden ist von der Eigenschaft, worin sie Werth schafft. Je mehr nothwendige Arbeitszeit während der Spinnoperation auf dasselbe Quantum Baumwolle geht, desto grösser der Neuwerth, der der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfunde Baumwolle in derselben Arbeitszeit versponnen werden, desto grösser der alte Werth, der im Produkt erhalten wird.

Nimm umgekehrt an, die Produktivität der Spinnarbeit bleibe unverändert, der Spinner brauche also nach wie vor gleich viel Zeit, um ein


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Pfund Baumwolle in Garn zu verwandeln. Aber der Tauschwerth der Baumwolle selbst wechsle, ein Pfund Baumwolle steige oder falle um das Sechsfache seines Preises. In beiden Fällen fährt der Spinner fort demselben Quantum Baumwolle dieselbe Arbeitszeit zuzusetzen, also denselben Werth und in beiden Fällen produzirt er in gleicher Zeit gleich viel Garn. Dennoch ist der Werth, den er von der Baumwolle auf das Garn, das Produkt, überträgt, das einemal sechsmal kleiner, das andremal sechsmal grösser als zuvor. Ebenso wenn die Arbeitsmittel sich vertheuern oder verwohlfeilen, aber stets denselben Dienst im Arbeitsprozess leisten.

Bleiben die technologischen Bedingungen des Spinnprozesses unverändert und geht gleichfalls kein Werthwechsel mit seinen Produktionsmitteln vor, so verbraucht der Spinner nach wie vor in gleichen Arbeitszeiten gleiche Quanta Rohmaterial und Maschinerie von gleichbleibenden Werthen. Der Werth, den er im Produkt erhält, steht dann in direktem Verhältniss zu dem Neuwerth, den er zusetzt. In zwei Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit zu als in einer Woche, also zweimal mehr Werth, und zugleich vernutzt er zweimal mehr Material von zweimal mehr Werth, und verschleisst zweimal mehr Maschinerie von zweimal mehr Werth, erhält also im Produkt von zwei Wochen zweimal mehr Werth als im Produkt einer Woche. Unter gegebnen gleichbleibenden Produktionsbedingungen erhält der Arbeiter um so mehr Werth, je mehr Werth er zusetzt, aber er erhält nicht mehr Werth, weil er mehr Werth zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden und von seiner eignen Arbeit unabhängigen Bedingungen zusetzt.

Allerdings kann in einem relativen, wenn auch nicht absoluten Sinn gesagt werden, dass der Arheiter stets in derselben Proportion alte Werthe erhält, worin er Neuwerth zusetzt. Ob die Baumwolle von 1 sh. auf 2 sh. steige oder auf 6 d. falle, er erhält in dem Produkt einer Stunde stets nur halb so viel Baumwollwerth, wie der auch wechsle, als in dem Produkt von zwei Stunden. Wechselt ferner die Produktivität seiner eignen Arbeit, sie steige oder falle, so wird er z. B. in einer Arbeitsstunde mehr oder weniger Baumwolle verspinnen als früher, und dem entsprechend mehr oder weniger Baumwollwerth im Produkt einer Arbeitsstunde erhalten. Mit alle dem wird er in


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zwei Arbeitsstunden zweimal mehr Werth erhalten als in einer Arbeitsstunde.

Werth, von seiner nur symbolischen Darstellung im Werthzeichen abgesehn, existirt nur in einem Gebrauchswerth, einem Ding. (Der Mensch selbst, als blosses Dasein von Arbeitskraft betrachtet, ist ein Naturgegenstand, ein Ding, wenn auch lebendiges, selbstbewusstes Ding, und die Arbeit selbst ist dingliche Aeusserung dieser Kraft.) Geht daher der Gebrauchswerth verloren, so geht auch der Tauschwerth verloren. Die Produktionsmittel verlieren mit ihrem Gebrauchswerth nicht zugleich ihren Tauschwerth, weil sie durch den Arbeitsprozess die ursprüngliche Gestalt ihres Gebrauchswerths in der That nur verlieren, um im Produkt die Gestalt eines andern Gebrauchswerths zu gewinnen. So wichtig es aber für den Tauschwerth ist in irgend einem Gebrauchswerth zu existiren, so gleichgültig ist es für ihn, in welchem er existirt, wie die Metamorphose der Waare zeigt. Es folgt hieraus, dass im Arbeitsprozess Werth vom Produktionsmittel auf das Produkt nur übergeht, so weit das Produktionsmittel mit seinem selbstständigen Gebrauchswerth auch seinen Tauschwerth verliert. Es giebt nur den Werth an das Produkt ab, den es als Produktionsmittel verliert. Die gegenständlichen Faktoren des Arbeitsprozesses verhalten sich aber in dieser Hinsicht verschieden.

Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos, ebenso der Talg, womit man die Axe des Rades schmiert u. s. w. Farben und andre Hilfsstoffe verschwinden, zeigen sich aber in den Eigenschaften des Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz des Produkts, hat aber seine Form verändert. Rohmaterial und Hilfsstoffe verlieren also die selbstständige Gestalt, womit sie in den Arbeitsprozess als Gebrauchswerthe eintraten. Anders mit den eigentlichen Arbeitsmitteln. Ein Instrument, eine Maschine, ein Fabrikgebäude, ein Gefäss u. s. w. dienen im Arbeitsprozess nur, so lange sie ihre ursprüngliche Gestalt bewahren und morgen wieder in eben derselben Form in den Arbeitsprozess eingehn, wie gestern. Wie sie während ihres Lebens, des Arbeitsprozesses, ihre selbstständige Gestalt dem Produkt gegenüber bewahren, so auch nach ihrem Tode. Die Leichen von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebäuden u. s. w. existiren immer noch selbstständig getrennt von den Produkten, die sie bilden halfen. Betrachten wir nun die ganze Periode, während


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deren ein solches Arbeitsmittel dient, von dem Tag seines Eintritts in die Werkstätte bis zum Tage seiner Verbannung in die Rumpelkammer, so ist während dieser Periode sein Gebrauchswerth von der Arbeit vollständig verzehrt worden, und sein Tauschwerth daher vollständig auf das Produkt übergegangen. Hat eine Spinnmaschine z. B. in 10 Jahren ausgelebt, so ist während des zehnjährigen Arbeitsprozesses ihr Gesammtwerth auf das zehnjährige Produkt übergegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmittels umfängt also eine grössere oder kleinere Anzahl stets von neuem mit ihm wiederholter Arbeitsprozesse. Und es geht dem Arbeitsmittel wie dem Menschen. Jeder Mensch stirbt täglich um 24 Stunden ab. Man sieht aber keinem Menschen genau an, wie viel Tage er bereits verstorben ist. Diess verhindert Lebensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus dem Durchschnittsleben der Menschen sehr sichre, und was noch viel mehr ist, sehr profitliche Schlüsse zu ziehn. So mit dem Arbeitsmittel. Man weiss aus der Erfahrung, wie lang ein Arbeitsmittel, z. B. eine Maschine von gewisser Art, durchschnittlich vorhält. Gesetzt sein Gebrauchswerth im Arbeitsprozess daure nur 6 Tage. So verliert es im Durchschnitt jeden Arbeitstag ⅙ seines Gebrauchswerths und giebt daher ⅙ seines Tauschwerths an das tägliche Produkt ab. In dieser Art wird der Verschleiss aller Arbeitsmittel berechnet, also z. B. ihr täglicher Verlust an Gebrauchswerth, und die ihm entsprechende tägliche Abgabe von Tauschwerth an das Produkt.

Es zeigt sich hier schlagend, dass ein Produktionsmittel nie mehr Werth an das Produkt abgiebt, als es selbst im Arbeitsprozess durch Vernichtung seines eignen Gebrauchswerths verliert. Hätte es keinen Tauschwerth zu verlieren, d. h. wäre es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit, so würde es keinen Tauschwerth an das Produkt abgeben. Es diente als Bildner von Gebrauchswerth, ohne als Bildner von Tauschwerth zu dienen. Diess ist daher der Fall mit allen Produktionsmitteln, die von Natur, ohne menschliches Zuthun, vorhanden sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem Holze des Urwaldes u. s. w.

Ein andres interessantes Phänomen tritt uns hier entgegen. Eine Maschine sei z. B. 1000 Pfd. St. werth und schleisse sich in 1000 Tagen ab. In diesem Falle geht täglich des Werths der Maschine von ihr selbst auf ihr tägliches Produkt über, aber, obgleich mit abnehmender Lebenskraft, wirkt die Maschine stets ganz im Arbeitsprozess. Es zeigt


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sich hier also, dass ein Faktor des Arbeitsprozesses, ein Produktionsmittel, ganz in den Arbeitsprozess, aber nur stückweis in den Verwerthungsprozess eingeht. Der Unterschied von Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess reflektirt sich hier an den gegenständlichen Faktoren, indem dasselbe Produktionsmittel als Element des Arbeitsprozesses ganz und als Element der Werthbildung nur stückweis in demselben Produktionsprozess zählt(FN 21).

Andrerseits kann umgekehrt ein Produktionsmittel ganz in den Verwerthungsprozess eingehn, obgleich nur stückweis in den Arbeitsprozess. Nimm an, beim Verspinnen der Baumwolle fielen täglich auf 115 Pfund 15 Pfunde ab, die kein Garn, sondern nur devil’s dust bilden. Dennoch, wenn dieser Abfall von 15 % normal, von der Durchschnitts-Verarbeitung


(FN 21) Es handelt sich hier nicht um Reparaturarbeiten der Arbeitsmittel, Maschinen, Baulichkeiten u. s. w. Eine Maschine, die reparirt wird, funktionirt nicht als Arbeitsmittel, sondern als Arbeitsmaterial. Es wird nicht mit ihr gearbeitet, sondern sie selbst wird bearbeitet, um ihren Gebrauchswerth zu flicken. Solche Reparaturarbeiten kann man für unsern Zweck immer eingeschlossen denken in die zur Produktion des Arbeitsmittels erheischte Arbeit. Im Text handelt es sich um den Verschleiss, den kein Doktor kuriren kann und der allmählig den Tod herbeiführt, um „that kind of wear which cannot be repaired from time to time, and which, in the case of a knife, would ultimately reduce it to a state in which the cutler would say of it, it is not worth a new blade.“ Man hat im Text gesehn, dass eine Maschine z. B. ganz in jeden einzelnen Arbeitsprozess, aber nur stückweise in den gleichzeitigen Verwerthungsprozess eingeht. Danach zu beurtheilen die folgende Begriffsverwechslung: „Mr. Ricardo speaks of the portion of the labour of the engineer in making stocking machines“ als z. B. enthalten in dem Werth von ein paar Strümpfen. „Yet the total labour that produced each single pair of stockings … includes the whole labour of the engineer, not a portion; for one machine makes many pairs, and none of those pairs could have been done without any part of the machine.“ ( Observations on certain verbal disputes in Pol. Econ., particularly relating to Value, and to demand and supply. London 1821, p. 54.) Der Verfasser, ein ungemein selbstgefälliger „wiseacre“, hat mit seiner Konfusion und daher seiner Polemik nur so weit Recht, als weder Ricardo noch irgend ein andrer Oekonom, vor oder nach ihm, die beiden Seiten der Arbeit genau geschieden, daher noch weniger ihre verschiedne Wirkung auf die Werthbildung analysirt hat.

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der Baumwolle unzertrennlich ist, geht der Werth der 15 lbs. Baumwolle, die kein Element des Garns, ganz eben so sehr in seinen Werth ein, wie der Werth der 100 lbs., die seine Substanz bilden. Der Gebrauchswerth von 15 lbs. Baumwolle muss verstauben, um 100 lbs. Garn zu machen. Der Untergang dieser Baumwolle ist also eine Produktionsbedingung des Garns. Eben desswegen giebt sie ihren Tauschwerth an das Garn ab. Diess gilt von allen Exkrementen des Arbeitsprozesses, in dem Grad wenigstens, worin diese Exkremente nicht wieder neue Produktionsmittel und daher neue selbstständige Gebrauchswerthe bilden. So sieht man in den grossen Maschinenfabriken zu Manchester Berge von Eisenabfällen, durch cyklopische Maschinen gleich Hobelspähnen abgeschält, am Abend auf grossen Wagen aus der Fabrik in die Eisengiesserei wandern, um den andern Tag wieder als massives Eisen aus der Eisengiesserei in die Fabrik zurückzuwandern.

Nur soweit Produktionsmittel während des Arbeitsprozesses Tauschwerth in der Gestalt ihrer alten Gebrauchswerthe verlieren, übertragen sie Tauschwerth auf die neue Gestalt des Produkts. Das Maximum des Werthverlustes, den sie im Arbeitsprozess erleiden können, ist aber beschränkt durch ihre ursprüngliche Werthgrösse, womit sie in den Arbeitsprozess eintreten, oder durch die zu ihrer eignen Produktion erheischte Arbeitszeit. Produktionsmittel können dem Produkt daher nie mehr Werth zusetzen, als sie unabhängig vom Arbeitsprozess, dem sie dienen, besitzen. Wie nützlich ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Produktionsmittel, wenn es 150 Pfd. St., sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt es dem Gesammtprodukt, zu dessen Bildung es dient, nie mehr als 150 Pfd. St. zu. Sein Werth ist bestimmt nicht durch den Arbeitsprozess, worin es als Produktionsmittel eingeht, sondern durch den Arbeitsprozess, woraus es als Produkt herauskommt. In dem Arbeitsprozess dient es nur als Gebrauchswerth, als Ding mit nützlichen Eigenschaften, und gäbe daher keinen Tauschwerth an das Produkt ab, hätte es nicht Tauschwerth besessen vor seinem Eintritt in den Prozess(FN 22).


(FN 22) Man begreift daher die Abgeschmacktheit des faden J. B. Say, der den Mehrwerth (Zins, Profit, Rente) aus den „ services productives

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Indem die produktive Arbeit Produktionsmittel in Bildungselemente eines neuen Produkts verwandelt, geht mit deren Tauschwerth eine Seelenwanderung vor. Er geht aus dem verzehrten Leib in den neu gestalteten Leib über. Aber diese Seelenwanderung ereignet sich gleichsam hinter dem Rücken der wirklichen Arbeit. Der Arbeiter kann neue Arbeit nicht zusetzen, also nicht neuen Werth schaffen, ohne alte Werthe zu erhalten, denn er muss die Arbeit immer in bestimmter nützlicher Form zusetzen, und er kann sie nicht in nützlicher Form zusetzen, ohne Produkte zu Produktionsmitteln eines neuen Produkts zu machen, und dadurch ihren Werth auf das neue Produkt zu übertragen. Es ist also eine Naturgabe der sich bethätigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit, Werth zu erhalten, indem sie Werth zusetzt, eine Naturgabe, die dem Arbeiter nichts kostet, aber dem Kapitalisten viel einbringt, die Erhaltung des vorhandnen Kapitalwerths(FN 22a).


ableiten will, welche die Produktionsmittel, Erde, Instrumente, Leder u. s. w. durch ihre Gebrauchswerthe im Arbeitsprozesse leisten. Herr Wilhelm Roscher, der es nicht leicht lässt, artige apologetische Einfälle schwarz auf weiss zu registriren, ruft aus: „ Sehr richtig bemerkt J. B. Say, Traité, t. I. ch. 4: „der durch eine Oelmühle nach Abzug aller Kosten hervorgebrachte Werth sei doch etwas Neues, von der Arbeit, wodurch die Oelmühle selbst geschaffen worden, wesentlich verschiedenes.“ (l. c. p. 82 Note.) Sehr richtig! Das von der Oelmühle hervorgebrachte „ Oel“ ist etwas sehr Verschiednes von der Arbeit, welche der Bau der Mühle kostet. Und unter „ Werth“ versteht Herr Roscher solches Zeug wie „ Oel“, da „Oel“ Werth hat, „in der Natur“ aber sich Steinöl vorfindet, wenn auch relativ nicht „sehr viel“, worauf wohl seine andre Bemerkung abzielt: „ Tauschwerthe bringt sie (die Natur!) fast gar nicht hervor.“ Es geht der Roscher’schen Natur mit dem Tauschwerth, wie der thörichten Jungfrau mit dem Kind, das nur „ganz klein war.“ Derselbe „Gelehrte“ („savant sérieux“) bemerkt noch bei oben erwähnter Gelegenheit: „Die Schule Ricardo’s pflegt auch das Kapital unter den Begriff Arbeit zu subsumiren als „aufgesparte Arbeit.“ Diess ist ungeschickt (!), weil (!) ja (!) der Kapital besitzer (!) doch (!) mehr (!) gethan hat als die blosse (?!) Hervorbringung (??) und (??) Erhaltung desselben (wesselbigen?): eben (?!?) die Enthaltung vom eignen Genusse, wofür er z. B. (!!!) Zinsen verlangt.“ (l. c.) Wie „ geschickt“! diese „ anatomisch-physiologische Methode“ der politischen Oekonomie, die aus blossem „ Verlangen“ ja doch eben „ Werth“ entwickelt.
(FN 22a) „Of all the instruments of the farmer’s trade, the labour of man … is that on which he is most to rely for the re-payment of his capital.

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So lange das Geschäft flott geht, ist der Kapitalist zu sehr in die Plusmacherei vertieft, um diese Gratisgabe der Arbeit zu sehn. Gewaltsame Unterbrechungen des Arbeitsprozesses, Krisen, machen sie ihm empfindlich bemerksam(FN 23).

Was überhaupt im Arbeitsprozess an den Produktionsmitteln verzehrt wird, ist ihr Gebrauchswerth, dessen Konsumtion durch die Arbeit Produkte bildet. Ihr Tauschwerth wird in der That nicht konsumirt(FN 24), kann also auch nicht reproduzirt werden. Er wird erhalten, aber nicht weil eine Operation mit ihm selbst im Arbeitsprozess vorgeht, sondern weil der Gebrauchswerth, worin er ursprünglich existirt, zwar verschwindet, aber nur in einem anderen Gebrauchswerth verschwindet. Der Tauschwerth der Produktionsmittel erscheint daher wieder im Werth des Produkts, aber er wird, genau gesprochen, nicht reproduzirt. Was produzirt wird, ist der neue Gebrauchswerth, worin der alte Tauschwerth wieder erscheint(FN 25).


The other two — the working stock of the cattle, and the … carts, ploughs, spades, and so forth, without a given portion of the first, are nothing at all.“ ( Edmund Burke: Thoughts and Details on Scarcity, originally presented to the R. Hon. W. Pitt in the Month of November 1795, edit. London 1800“, p. 10.
(FN 23) In der Times vom 26. Nov. 1862 jammert ein Fabrikant, dessen Spinnerei 800 Arbeiter beschäftigt, und wöchentlich im Durchschnitt 150 Ballen ostindischer oder ungefähr 130 Ballen amerikanischer Baumwolle verzehrt, dem Publikum die jährlichen Stillstandskosten seiner Fabrik vor. Er schlägt sie auf 6000 Pfd. St. an. Unter diesen Unkosten befinden sich viele Posten, die uns hier nichts angehn, wie Grundrente, Steuern, Versicherungsprämien, Salaire für jährlich engagirte Arbeiter, manager, Buchhalter, Ingenieur u. s. w. Dann aber berechnet er für 150 Pfd. St. Kohlen, um die Fabrik von Zeit zu Zeit zu wärmen und die Dampfmaschine gelegentlich in Gang zu setzen, ausserdem Salaire für Arbeiter, die durch gelegentliche Arbeit die Maschinerie „flüssig“ erhalten. Endlich 1200 Pfd. St. für Verschlechterung der Maschinerie, da „the weather and the natural principle of decay do not suspend their operations because the steamengine ceases to revolve.“ Er bemerkt ausdrücklich, diese Summe von 1200 Pfd. St. sei so gering angeschlagen, weil sich die Maschinerie bereits in sehr abgenutztem Zustand befinde.
(FN 24)Productive Consumption: where the consumption of a commodity is a part of the process of production … In these instances there is no consumption of value.“ S. P. Newman l. c. p. 296.
(FN 25) In einem nordamerikanischen Kompendium, das vielleicht 20 Auflagen er-

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Anders mit dem subjektiven Faktor des Arbeitsprozesses, der sich bethätigenden Arbeitskraft. Während die Arbeit durch ihre zweckmässige Form den Werth der Produktionsmittel auf das Produkt überträgt und erhält, bildet jedes Moment ihrer Bewegung zusätzlichen Werth, Neuwerth. Gesetzt der Produktionsprozess breche ab beim Punkt, wo der Arbeiter ein Aequivalent für den Werth seiner eignen Arbeitskraft produzirt, durch sechsstündige Arbeit z. B. einen Werth von 3 sh. zugesetzt hat. Dieser Werth bildet den Ueberschuss des Produktenwerthes über seine dem Werth der Produktionsmittel geschuldeten Bestandtheile. Es ist der einzige Originalwerth, der innerhalb dieses Prozesses entstand, der einzige Werththeil des Produkts, der durch den Prozess selbst produzirt ist. Allerdings ersetzt er nur das vom Kapitalisten beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschossene, vom Arbeiter selbst in Lebensmitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die verausgabten 3 sh. erscheint der Neuwerth von 3 sh. nur als Reproduktion. Aber er ist wirklich reproduzirt, nicht nur scheinbar, wie der Werth der Produktionsmittel. Der Ersatz eines Werths durch den andern ist hier vermittelt durch neue Werthschöpfung.

Wir wissen jedoch bereits, dass der Arbeitsprozess über den Punkt hinaus fortdauert, wo ein blosses Aequivalent für den Werth der


lebt hat, liest man: „It matters not in what form capital reappears.“ Nach einer redseligen Aufzählung aller möglichen Produktionsingredienzen, deren Werth im Produkt wieder erscheint, heisst’s schliesslich: „The various kinds of food, clothing, and shelter, necessary for the existence and comfort of the human being, are also changed. They are consumed from time to time, and their value reappears, in that new vigour imparted to his body and mind, forming fresh capital, to be employed again in the work of production.“ (F. Weyland l. c. p. 31, 32.) Von allen andern Wunderlichkeiten abgesehn, ist es z. B. nicht der Preis des Brodes, der in der erneuten Kraft wieder erscheint, sondern seine blutbildenden Substanzen. Was dagegen als Werth der Kraft wiedererscheint, sind nicht die Lebensmittel, sondern ihr Werth. Dieselben Lebensmittel, wenn sie nur die Hälfte kosten, produziren ganz eben so viel Muskel. Knochen u. s. w., kurz dieselbe Kraft, aber nicht Kraft vom selben Werth. Diess Umsetzen von „Werth“ in „Kraft“ und die ganze pharisäische Unbestimmtheit verstecken den allerdings vergeblichen Versuch aus blossem Wiedererscheinen vorgeschossener Werthe einen Mehrwerth herauszudrechseln.

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Arbeitskraft reproduzirt und dem Arbeitsgegenstand zugesetzt wäre. Statt der 6 Stunden, die hierzu genügten, währt der Prozess z. B. 12 Stunden. Durch die Bethätigung der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigner Werth reproduzirt, sondern ein überschüssiger Werth produzirt. Dieser Mehrwerth bildet den Ueberschuss des Produktenwerthes über den Werth der verzehrten Produktbildner, d. h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft.

Indem wir die verschiedenen Rollen dargestellt, welche die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses in der Bildung des Produktenwerths spielen, haben wir in der That die Funktionen der verschiedenen Bestandtheile des Kapitals in seinem eignen Verwerthungsprozess charakterisirt. Der Ueberschuss des Gesammtwerths des Produkts über die Werthsumme seiner Bildungselemente ist der Ueberschuss des verwertheten Kapitals über den ursprünglich vorgeschossenen Kapitalwerth. Produktionsmittel auf der einen Seite, Arbeitskraft auf der andern, sind nur die verschiednen Existenzformen, die der ursprüngliche Kapitalwerth bei Abstreifung seiner Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des Arbeitsprozesses annahm.

Der Theil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Werthgrösse nicht im Produktionsprozesse. Ich nenne ihn daher konstanten Kapitaltheil, oder kürzer: konstantes Kapital.

Der in Arbeitskraft umgesetzte Theil des Kapitals verändert dagegen seinen Werth im Produktionsprozesse. Er reproduzirt sein eignes Aequivalent und einen Ueberschuss darüber, Mehrwerth, der selbst wechseln, grösser oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Grösse verwandelt sich dieser Theil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich nenne ihn daher variablen Kapitaltheil, oder kürzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandtheile, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive und subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden, unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwerthungsprozesses als konstantes Kapital und variables Kapital.

Der Begriff des konstanten Kapitals schliesst eine Werthrevo


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lution seiner Bestandtheile in keiner Weise aus. Nimm an, das Pfund Baumwolle koste heute 6 d. und steige morgen, in Folge eines Ausfalls der Baumwollerndte, auf 1 sh. Die alte Baumwolle, die fortfährt verarbeitet zu werden, ist zum Werth von 6 d. gekauft, aber sie fügt dem Produkt jetzt einen Werththeil von 1 sh. zu. Und die bereits versponnene, vielleicht schon als Garn auf dem Markt cirkulirende Baumwolle, fügt dem Produkt ebenfalls das Doppelte ihres ursprünglichen Werthes zu. Man sieht jedoch, dass diese Werthwechsel unabhängig sind von der Verwerthung der Baumwolle im Spinnprozess selbst. Wäre die alte Baumwolle noch gar nicht in den Arbeitsprozess eingegangen, so könnte sie jetzt zu 1 sh. statt zu 6 d. wieder verkauft werden. Umgekehrt: Je weniger Arbeitsprozesse sie noch durchlaufen hat, desto sichrer ist diess Resultat. Es ist daher Gesetz der Spekulation bei solchen Werthrevolutionen auf das Rohmaterial in seiner mindest verarbeiteten Form zu spekuliren, also eher auf Garn als auf Gewebe und eher auf die Baumwolle selbst als auf das Garn. Die Werthänderung entspringt hier in dem Prozesse, der Baumwolle produzirt, nicht in dem Prozesse, worin sie als Produktionsmittel und daher als konstantes Kapital funktionirt. Der Werth einer Waare ist zwar bestimmt durch das Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit, aber diess Quantum ist gesellschaftlich bestimmt. Hat sich die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit verändert — und dasselbe Quantum Baumwolle z. B. stellt in ungünstigen Erndten grösseres Quantum Arbeit dar, als in günstigen — so findet eine Rückwirkung auf die alte Waare statt, die immer nur als einzelnes Exemplar ihrer Gattung gilt(FN 26), deren Werth stets durch gesellschaftlich nothwendige, also auch stets unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen nothwendige Arbeit gemessen wird.

Wie der Werth des Rohmaterials, mag der Werth bereits im Produktionsprozess dienender Arbeitsmittel, der Maschinerie u. s. w., wechseln, also auch der Werththeil, den sie dem Produkt abgeben. Wird z. B. in Folge einer neuen Erfindung Maschinerie derselben Art mit verminderter Ausgabe von Arbeit reproduzirt, so entwerthet die alte Maschi-


(FN 26) „Toutes les productions d’un même genre ne forment proprement qu’une masse, dont le prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières.“ ( Le Trosne l. c. p. 893.)
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nerie mehr oder minder und überträgt daher auch verhältnissmässig weniger Werth auf das Produkt. Aber auch hier entspringt der Werthwechsel ausserhalb des Produktionsprozesses, worin die Maschine als Produktionsmittel funktionirt. In diesem Prozess giebt sie nie mehr Werth ab als sie unabhängig von diesem Prozess besitzt.

Wie ein Wechsel im Werthe der Produktionsmittel, ob auch rückwirkend nach ihrem bereits erfolgten Eintritt in den Prozess, ihren Charakter als konstantes Kapital nicht verändert, ebenso wenig berührt ein Wechsel im Verhältnisse von konstantem und variablem Kapital ihren begrifflichen Unterschied. Die technologischen Bedingungen des Arbeitsprozesses mögen z. B. so umgestaltet werden, dass wo früher 10 Arbeiter mit 10 Werkzeugen von geringem Werth eine verhältnissmässig kleine Masse von Rohmaterial verarbeiteten, jetzt 1 Arbeiter mit einer theuren Maschine das hundertfache Rohmaterial verarbeitet. In diesem Falle wäre das konstante Kapital, d. h. die Werthmasse der angewandten Produktionsmittel, sehr gewachsen, und der variable Theil des Kapitals, der in Arbeitskraft vorgeschossene, sehr gefallen. Dieser Wechsel ändert jedoch nur das Grössenverhältniss zwischen konstantem und variablem Kapital, oder die Proportion, worin das Gesammtkapital in konstante und variable Bestandtheile zerfällt, berührt dagegen nicht den Unterschied von konstant und variabel.

3) Die Rate des Mehrwerths.

Der Mehrwerth, den das vorgeschossene Kapital C im Produktionsprozess erzeugt hat, oder die Verwerthung des vorgeschossenen Kapitalwerths C stellt sich zunächst dar als Ueberschuss des Werths des Produkts über die Werthsumme seiner Produktionselemente.

Das Kapital C zerfällt in zwei Theile, eine Geldsumme c, die für Produktionsmittel, und eine andere Geldsumme v, die für Arbeitskraft verausgabt wird; c stellt den in konstantes, v den in variables Kapital verwandelten Werththeil vor. Ursprünglich ist also C = c + v, z. B. das vorgeschossene Kapital von 500 Pfd. St. = [Formel 1] Pfd. St. + [Formel 2] Pfd. St. Am Ende des Prozesses kommt ein Produkt


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heraus, dessen Werth = [Formel 1] + m, wo m der Mehrwerth, z. B. [Formel 2] . Das ursprüngliche Kapital C hat sich in C'verwandelt, aus 500 Pfd. St. in 590 Pfd. St. Die Differenz zwischen beiden ist = m, einem Mehrwerth von 90. Da der Werth der Produktionselemente gleich dem Werth des vorgeschossenen Kapitals, so ist es in der That eine Tautologie, dass der Ueberschuss des Produktenwerths über den Werth seiner Produktionselemente gleich der Verwerthung des vorgeschossenen Kapitals oder gleich dem produzirten Mehrwerth.

Indess erfordert diese Tautologie eine nähere Bestimmung. Der mit dem Produktenwerth verglichene Werth seiner Produktionselemente ist der Werth der in seiner Bildung aufgezehrten Produktionselemente. Nun haben wir aber gesehn, dass ein Theil des angewandten konstanten Kapitals, der aus Arbeitsmitteln bestehende, seinen Werth nur bruchweis an das Produkt abgiebt, während eine andere Portion desselben in seiner alten Existenzform fortdauert. Da der letztere Theil keine Rolle im Werthbildungsprozess spielt, abstrahiren wir hier ganz und gar von ihm. Sein Hineinziehn in die Rechnung würde nichts ändern. Nimm an, c = 410 l. bestehe aus Rohmaterial zu 312 l., Hilfsstoffen zu 44 l. und im Prozess verschleissender Maschinerie von 54 l., der Werth der wirklich angewandten Maschinerie betrage aber 1054 l. Als vorgeschossen zur Erzeugung des Produktenwerths berechnen wir nur den Werth von 54 l., den die Maschinerie durch ihre Funktion verliert und daher an das Produkt abgiebt. Rechneten wir die 1000 Pfd. St. mit, die in ihrer alten Form fortexistiren als Dampfmaschine u. s. w., so müssten wir sie auf beiden Seiten mitrechnen, auf Seite des vorgeschossenen Werths und auf Seite des Produktenwerths(FN 26a), und erhielten so resp. 1500 Pfd. St. und 1590 Pfd. St. Die Differenz oder der Mehrwerth wäre nach wie vor 90 Pfd. St. Unter dem zur Werthproduktion vorgeschossenen konstanten Kapital verstehn wir


(FN 26a) „If we reckon the value of the fixed capital employed as a part of the advances, we must reckon the remaining value of such capital at the end of the year as a part of the annual returns.“ ( Malthus: „ Princ. of Pol. Econ. 2nd. ed London 1836“, p. 269.)
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daher, wo das Gegentheil nicht aus dem Zusammenhang erhellt, stets nur den Werth der in der Produktion verzehrten Produktionsmittel.

Diess vorausgesetzt, kehren wir zurück zur Formel C = c + v, die sich in C' = [Formel 1] + m und eben dadurch C in C' verwandelt. Man weiss, dass der Werth des konstanten Kapitals im Produkt nur wieder erscheint. Das im Prozess wirklich neu erzeugte Werthprodukt ist also verschieden von dem aus dem Prozess erhaltenen Produktenwerth, daher nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, [Formel 2] + m oder [Formel 3] , sondern v + m oder [Formel 4] , nicht 590 l., sondern 180 l. Wäre c, das konstante Kapital, = 0, in anderen Worten, gäbe es Industriezweige, worin der Kapitalist keine produzirten Produktionsmittel, weder Rohmaterial, noch Hilfsstoffe, noch Arbeitsinstrumente, sondern nur von Natur vorhandne Stoffe und Arbeitskraft anzuwenden hätte, so wäre kein konstanter Werththeil auf das Produkt zu übertragen. Dieses Element des Produktenwerths, in unsrem Beispiel 410 Pfd. St., fiele fort, aber das Werthprodukt von 180 Pfd. St., welches 90 Pfd. St. Mehrwerth enthält, bliebe ganz ebenso gross als ob c die grösste Werthsumme darstellte. Wir hätten C = [Formel 5] = v, und C', das verwerthete Kapital, = v + m, C' — C nach wie vor = m. Wäre umgekehrt m = o, in anderen Worten, hätte die Arbeitskraft, deren Werth im variablen Kapital vorgeschossen wird, nur ein Aequivalent produzirt, so C = c + v und C' (der Produktenwerth) = [Formel 6] + o, daher C = C'. Das vorgeschossene Kapital hätte sich nicht verwerthet.

Wir wissen in der That bereits, dass der Mehrwerth blos Folge der Werthveränderung ist, die mit v, dem in Arbeitskraft umgesetzten Kapitaltheil vorgeht, dass also v + m = v + ∆ v (v plus Increment von v) ist. Aber die wirkliche Werthveränderung und das Verhältniss, worin sich der Werth ändert, werden dadurch verdunkelt, dass in Folge des Wachsens seines variirenden Bestandtheils auch das vorgeschossene Gesammtkapital wächst. Es war 500 und es ist am Ende des Prozesses 590. Die reine Analyse des Prozesses erheischt also von dem Theil des Produkten-


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werths, worin nur konstanter Kapitalwerth wieder erscheint, ganz zu abstrahiren, also das konstante Kapital c = o zu setzen, und damit ein Gesetz der Mathematik anzuwenden, wo sie mit variablen und konstanten Grössen operirt, und die konstante Grösse nur durch Addition oder Subtraktion mit der variablen verbunden ist(FN 27).

Eine andre Schwierigkeit entspringt aus der ursprünglichen Form des variablen Kapitals. So im obigen Beispiel ist C' = 410 l. konstantes Kapital + 90 l. variables Kapital + 90 l. Mehrwerth. Neunzig Pfd. St. sind aber eine gegebne, also konstante Grösse und es scheint daher ungereimt sie als variable Grösse zu behandeln. Aber [Formel 1] oder 90 l. variables Kapital ist hier in der That nur ein Symbol für den Prozess, den dieser Werth durchläuft. Der im Ankauf der Arbeitskraft vorgeschossene Kapitaltheil ist bestimmtes Quantum vergegenständlichter Arbeit, also konstante Werthgrösse, wie der Werth der gekauften Arbeitskraft. Im Produktionsprozess selbst aber tritt an die Stelle der vorgeschossenen 90 Pfd. St. die sich bethätigende Arbeitskraft, an die Stelle todter lebendige Arbeit, an die Stelle einer ruhenden eine fliessende Grösse, an die Stelle einer konstanten eine variable. Das Resultat ist die Reproduktion von v plus Increment von v. Vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist dieser ganze Verlauf Selbstbewegung des in Arbeitskraft umgesetzten, ursprünglich konstanten Werths. Ihm wird der Prozess und sein Resultat zu gut geschrieben. Erscheint die Formel 90 l. variables Kapital oder sich verwerthender Werth daher widerspruchsvoll, so drückt sie nur einen der kapitalistischen Produktion immanenten Widerspruch aus.

Die Gleichsetzung des konstanten Kapitals mit o befremdet auf den ersten Blick. Indess vollzieht man sie beständig im Alltagsleben. Will Jemand z. B. Englands Gewinn an der Baumwollindustrie berechnen, so zieht er vor allem den an die Vereinigten Staaten, Indien, Aegypten u. s. w.


(FN 27) „Constant quantities connected to variable by the operations of Addition or Substraction disappear by the process of differentiation.“ (J. Hind: „ Differential Calculus. Cambridge 1831“ p. 126.) In der That, die Grössen veränderung einer konstanten Grösse ist Nichts. Daher das Gesetz des Differentialkalkuls: Differential einer konstanten Grösse = 0.

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gezahlten Baumwoll preis ab; d. h. er setzt im Produktenwerth nur wiedererscheinenden Kapitalwerth = o.

Allerdings hat das Verhältniss des Mehrwerths, nicht nur zum Kapitaltheil, woraus er unmittelbar entspringt und dessen Werthveränderung er darstellt, sondern auch zum vorgeschossenen Gesammtkapital seine grosse ökonomische Bedeutung. Wir behandeln diess Verhältniss daher ausführlich im dritten Buch. Um einen Theil des Kapitals durch seinen Umsatz in Arbeitskraft zu verwerthen, muss ein andrer Theil des Kapitals in Produktionsmittel verwandelt werden. Damit das variable Kapital funktionire, muss konstantes Kapital in entsprechenden Proportionen, je nach dem bestimmten technologischen Charakter des Arbeitsprozesses, vorgeschossen werden. Der Umstand jedoch, dass man zu einem chemischen Prozess Retorten und andre Gefässe braucht, verhindert nicht bei der Analyse von der Retorte selbst zu abstrahiren. Sofern Werthschöpfung und Werthveränderung für sich selbst, d. h. rein betrachtet werden, liefern die Produktionsmittel, diese stofflichen Gestalten des konstanten Kapitals, nur den Stoff, worin sich die flüssige, werthbildende Kraft fixiren kann. Die Natur dieses Stoffes ist daher auch gleichgültig, ob Baumwolle oder Eisen. Auch der Werth dieses Stoffes ist gleichgültig. Er muss nur in hinreichender Masse vorhanden sein, um das während des Produktionsprozesses zu verausgabende Arbeitsquantum einsaugen zu können. Diese Masse gegeben, mag ihr Werth steigen, oder fallen, oder sie mag werthlos sein, wie Erde und Meer, der Prozess der Werthschöpfung und Werthveränderung wird nicht davon berührt.

Wir setzen also zunächst den konstanten Kapitaltheil gleich Null. Das vorgeschossene Kapital reduzirt sich daher von c + v auf v, und der Produktenwerth [Formel 1] + m auf das Werthprodukt [Formel 2] . Gegeben das Werthprodukt = 180 Pfd. St., worin sich die während der ganzen Dauer des Produktionsprozesses fliessende Arbeit darstellt, so haben wir den Werth des variablen Kapitals = 90 Pfd. St. abzuziehn, um den Mehrwerth = 90 Pfd. St. zu erhalten. Die Zahl 90 Pfd. St. = m drückt hier die absolute Grösse des produzirten Mehrwerths aus. Seine proportionelle Grösse aber, also das Verhältniss, worin das variable Kapital sich verwerthet hat, ist offenbar bestimmt durch das Verhältniss des Mehrwerths zum variablen Kapital, oder ist


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ausgedrückt in . Im obigen Beispiel also in = 100 %. Diese verhältnissmässige Verwerthung des variablen Kapitals, oder die verhältnissmässige Grösse des Mehrwerths, nenne ich Rate des Mehrwerths(FN 28).

Wir haben gesehn, dass der Arbeiter während eines Abschnitts des Arbeitsprozesses nur den Werth seiner Arbeitskraft produzirt, d. h. den Werth seiner nothwendigen Lebensmittel. Da er in einem auf gesellschaftlicher Theilung der Arbeit beruhenden Zustand produzirt, produzirt er seine Lebensmittel nicht direkt, sondern, in Form einer besondern Waare, des Garns z. B., einen Werth gleich dem Werth seiner Lebensmittel, oder dem Geld, womit er sie kauft. Der Theil seines Arbeitstags, den er hierzu verbraucht, ist grösser oder kleiner, je nach dem Werth seiner durchschnittlichen täglichen Lebensmittel, also der zu ihrer Produktion erheischten durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit. Stellt die Werthgrösse dieser täglichen Lebensmittel im Durchschnitt 6 vergegenständlichte Arbeitsstunden dar, so muss der Arbeiter im Durchschnitt täglich 6 Stunden arbeiten, um sie zu produziren. Arbeitete er nicht für den Kapitalisten, sondern als unabhängiger Produzent, so müsste er, unter sonst gleichbleibenden Umständen, nach wie vor im Durchschnitt denselben aliquoten Theil des Tags arbeiten, um den Werth seiner Arbeitskraft zu produziren, und dadurch die zu seiner eignen Erhaltung oder beständigen Reproduktion nöthigen Lebensmittel zu gewinnen. Da er aber in dem Theil des Arbeitstags, worin er den Tageswerth der Arbeitskraft, sage 3 sh., produzirt, nur ein Aequivalent für ihren vom Kapitalisten bereits gezahlten Werth produzirt, also durch den neu geschaffnen Werth nur den vorgeschossenen variablen Kapitalwerth ersetzt, erscheint diese Produktion von Werth als blosse Reproduktion. Den Theil des Arbeitstags also, worin diese Reproduktion vorgeht, nenne ich nothwendige Arbeitszeit, die während derselben verausgabte Arbeit nothwen_


(FN 28) In derselben Weise, wie der Engländer „rate of profit“, „rate of interest“ u. s. w. braucht. Man wird aus Buch III sehen, dass die Profitrate leicht zu begreifen, sobald man die Gesetze des Mehrwerths kennt. Auf dem umgekehrten Weg begreift man ni l’un, ni l’autre.

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dige Arbeit(FN 29). Nothwendig für den Arbeiter, weil unabhängig von der gesellschaftlichen Form seiner Arbeit. Nothwendig für das Kapital und seine Welt, weil das beständige Dasein des Arbeiters ihre Basis.

Die zweite Periode des Arbeitsprozesses, die der Arbeiter über die Grenzen der nothwendigen Arbeit hinausschanzt, kostet ihm zwar Arbeit, Verausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Werth für ihn. Sie bildet Mehrwerth, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung aus Nichts anlacht. Diesen Theil des Arbeitstags nenne ich Surplusarbeitszeit, und die in ihr verausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus labour). So entscheidend es für die Erkenntniss des Werths überhaupt, ihn als blosse Gerinnung von Arbeitszeit, als bloss vergegenständlichte Arbeit, so entscheidend für die Erkenntniss des Mehrwerths, ihn als blosse Gerinnung von Surplusarbeitszeit, als bloss vergegenständlichte Mehrarbeit zu begreifen. Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepresst wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit(FN 30).

Da der Werth des variablen Kapitals = Werth der von ihm gekauf-


(FN 29) Wir haben bisher in dieser Schrift das Wort „ nothwendige Arbeitszeit“ angewandt für die zur Produktion einer Waare überhaupt gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Wir brauchen es von jetzt ab auch für die zur Produktion der spezifischen Waare Arbeitskraft nothwendige Arbeitszeit. Der Gebrauch derselben termini technici in verschiednem Sinn ist misslich, aber in keiner Wissenschaft ganz zu vermeiden. Man vergleiche z. B. die höheren und niederen Theile der Mathematik.
(FN 30) Mit wahrhaft Gottsched’scher Genialität entdeckt Herr Wilhelm Thucydides Roscher, dass wenn die Bildung von Mehrwerth oder Mehrprodukt, und die damit verbundene Accumulation, heurigen Tags der „ Sparsamkeit“ des Kapitalisten geschuldet, der dafür „z. B. Zins verlangt“, dagegen „auf den niedrigsten Kulturstufen … die Schwächeren von den Stärkeren zur Sparsamkeit gezwungen werden.“ (l. c. p. 78.) Zur Ersparung von Arbeit? oder nicht vorhandner überschüssiger Produkte? Neben wirklicher Ignoranz ist es apologetische Scheu vor gewissenhafter Analyse des Werths und Mehrwerths, und etwa verfänglich-polizeiwidrigem Resultat, die einen Roscher und Cons. zwingt, die mehr oder minder plausiblen Rechtfertigungsgründe des Kapitalisten für seine Aneignung vorhandner Mehrwerthe zum Entstehungsgrund des Mehrwerths selbst zu stempeln.

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ten Arbeitskraft, da der Werth dieser Arbeitskraft den nothwendigen Theil des Arbeitstags bestimmt, der Mehrwerth seinerseits aber bestimmt ist durch den überschüssigen Theil des Arbeitstags, so folgt: Der Mehrwerth verhält sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur nothwendigen, oder die Rate des Mehrwerths = . Beide Proportionen stellen dasselbe Verhältniss in verschiedner Form dar, das einemal in der Form vergegenständlichter, das andremal in der Form flüssiger Arbeit.

Die Rate des Mehrwerths ist daher der exakte Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten.

Nach unsrer Annahme war der Werth des Produkts = [Formel 3] + [Formel 4] , das vorgeschossene Kapital = 500 l. Da der Mehrwerth 90 und das vorgeschossene Kapital 500, würde man nach der gewöhnlichen Art der Berechnung herausbekommen, dass die Rate des Mehrwerths (die man mit der Profitrate verwechselt) = 18 %, eine Verhältnisszahl, deren Niedrigkeit Herrn Carey und andre Harmoniker rühren möchte. In der That aber ist die Rate des Mehrwerths nicht = oder , sondern = , also nicht , sondern = 100 %, mehr als das Fünffache des scheinbaren Exploitationsgrads. Obgleich wir nun im gegebnen Fall die absolute Grösse des Arbeitstags nicht kennen, auch nicht die Periode des Arbeitsprozesses (Tag, Woche u. s. w.), endlich nicht die Anzahl der Arbeiter, die das variable Kapital von 90 l. gleichzeitig in Bewegung setzt, zeigt uns die Rate des Mehrwerths durch ihre Konvertibilität in genau das Verhältniss der zwei Bestandtheile des Arbeitstags zu einander. Es ist 100 %. Also arbeitete der Arbeiter die eine Hälfte des Tags für sich und die andre für den Kapitalisten.


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Die Methode zur Berechnung der Rate des Mehrwerths ist also kurzgefasst diese: Wir nehmen den ganzen Produktenwerth und setzen den darin nur wiedererscheinenden constanten Kapitalwerth gleich Null. Die übrigbleibende Werthsumme ist das einzige im Bildungsprozess der Waare wirklich erzeugte Werthprodukt. Ist der Mehrwerth gegeben, so ziehn wir ihn von diesem Werthprodukt ab, um das variable Kapital zu finden. Umgekehrt, wenn letzteres gegeben und wir den Mehrwerth suchen. Sind beide gegeben, so ist nur noch die Schlussoperation zu verrichten, das Verhältniss des Mehrwerths zum variablen Kapital, , zu berechnen.

So einfach die Methode, scheint es doch passend, den Leser in die ihr zu Grunde liegende und ihm ungewohnte Anschauungsweise durch einige Beispiele einzuexerciren.

Zunächst ein Beispiel aus der Spinnindustrie. Die Data gehören dem Jahre 1860. Für unsren Zweck gleichgültige Umstände sind unterdrückt. Eine Fabrik konsumirte wöchentlich 11,500 lbs. Baumwolle, wovon 1500 Abfall. Zu 7 d. das Pfund Baumwolle, beträgt das Rohmaterial daher 336 Pfd. St. Sie setzte 10000 Spindeln in Bewegung, zu 1 Pfd. St. per Spindel = 10000 Pfd. St., wovon der jährliche Verschleiss, zu 12½ %, 1250 Pfd. St., für die Woche also 24 Pfd. St.; der wöchentliche Verschleiss der Dampfmaschine 20 Pfd. St.; die wöchentliche Ausgabe für Hilfsstoffe, Kohle, Oel u. s. w. 40 Pfd. St. Der wöchentliche Arbeitslohn betrug 70 Pfd. St. und der Verkaufspreis des lb. Garn 1⅒ sh., also der 10000 lbs. Garn wöchentlich 550 Pfd. St. Der constante Werththeil des Kapitals beträgt also 420 Pfd. St. Wir setzen ihn = 0, da er in der wöchentlichen Werthbildung nicht mitspielt. Das wirkliche wöchentliche Werthprodukt, das übrig bleibt, also = 130 Pfd. St. Wir ziehn davon das an die Arbeiter gezahlte variable Kapital von 70 Pfd. St. ab, bleibt Mehrwerth von 60 Pfd. St. Die Rate des Mehrwerths, , , also ungefähr 86 %. Diese Prozentzahl drückt den Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder den Verwerthungsgrad des variablen Kapitals aus. Nehmen wir an, dass 10 Stunden in jener Fabrik im täglichen Durchschnitt gearbeitet ward, so betrug die nothwendige Arbeit ungefähr 5, und die Mehrarbeit 4 Stunden.


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Jacob giebt für das Jahr 1815, bei Annahme eines Weizenpreises von 80 sh. per Quarter, und eines Durchschnittsertrags von 22 Bushels per acre, so dass der acre 11 Pfd. St. einbringt, folgende durch vorherige Kompensation verschiedner Posten sehr mangelhafte, aber für unsern Zweck genügende Rechnung.

Werthproduktion per acre.

Samen (Weizen) 1 Pfd. St. 9 sh.
Dünger 2 Pfd. St. 10 sh.
Arbeitslohn 3 Pfd. St. 10 sh.
Summa: 7 Pfd. St. 9 sh.
Zehnten, Rates, Taxes 1 Pfd. St. 1 sh.
Rente 1 Pfd. St. 8 sh.
Pächter’s Profit u. Zins 1 Pfd. St. 2 sh.
Summa: 3 Pfd. St. 11 sh.

Der Mehrwerth, stets unter der Voraussetzung, dass Preis des Produkts = seinem Werth, wird hier unter die verschiedenen Rubriken Profit, Zins, Zehnten u. s. w. vertheilt. Diese Rubriken sind hier gleichgültig. Wir addiren sie zusammen und erhalten einen Mehrwerth von 3 l. 11 sh. Die 3 l. 19 sh. für Samen und Dünger setzen wir als constanten Kapitaltheil gleich Null. Bleibt vorgeschossenes variables Kapital von 3 l. 10 sh., an dessen Stelle ein Aequivalent von [Formel 1] produzirt worden ist. Also beträgt = mehr als 100 %. Der Arbeiter verwendet mehr als die Hälfte seines Arbeitstags zur Produktion eines Mehrwerths, den verschiedne Personen auf verschiedne Vorwände hin unter sich vertheilen(FN 31).

Der Mehrwerth stellt sich dar in einem Mehrprodukt (surplusproduce).

Wir nahmen vorher an, dass der zwölfstündige Arbeitstag des Spinners aus 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit besteht, 20 lbs. Baumwolle in 20 lbs. Garn verwandelt, und ihnen einen Werth von 6 sh. zusetzt, dass ferner 1 lb. Baumwolle 1 sh. und die während des ganzen Prozesses verzehrten Arbeitsmittel 4 sh. kosten, also Werth des Gesammtprodukts 30 sh. und der eines lb. Garn 1 sh. 6 d.

Jedes Pfund Garn stellt denselben Gebrauchswerth dar. Jedes ist


(FN 31) Die gegebnen Rechnungen gelten nur als Illustration. Es wird nämlich unterstellt, dass die Preise = den Werthen. Man wird in Buch III sehn, dass diese Gleichsetzung, selbst für die Durchschnittspreise, sich nicht in dieser einfachen Weise macht.

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das Produkt der Verbindung desselben Rohmaterials Baumwolle mit derselben produktiven Arbeit, Spinnen, vermittelt durch dieselben Arbeitsmittel. Auch der Werth jedes einzelnen Pfundes Garn zeigt dieselbe Zusammensetzung, 1 sh. für Baumwolle, 2⅖ d. für verbrauchte Arbeitsmittel, 1⅘ d., worin nothwendige Arbeit, und 1⅘ d., worin Mehrarbeit verleiblicht ist.

Vereinzelt für sich oder als aliquote Theile des Gesammtprodukts betrachtet, bestimmte Quanta Garn bleiben stets Gebilde derselben produktiven Arbeit, des Spinnens. Unter einem andern Gesichtspunkt verändert sich dagegen die Stellung des Theilprodukts ganz und gar, je nachdem es selbstständig oder im Zusammenhang mit dem Gesammtprodukt, als Theilprodukt oder als Produkttheil betrachtet wird.

Ein Pfund Garn kostet 1 sh. 6 d., und, wir sehn vom Abfall ab, das in ihm versponnene lb. Baumwolle 1 sh., also ⅔ seines Werths. Also sind ⅔ lb. Garn = 1 lb. Baumwolle und 13⅓ lbs. Garn = 20 lbs. Baumwolle. In den 13⅓ lbs. Garn stecken zwar nur 13⅓ lbs. Baumwolle zum Werth von 13⅓ sh., aber ihr zusätzlicher Werth von 6⅔ sh. bildet ein Aequivalent für die in den überschüssigen 6⅔ lbs. Garn versponnene Baumwolle. Die 13⅓ lbs. Garn stellen also alle im Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn versponnene Baumwolle vor, das Rohmaterial des Gesammtprodukts, aber auch weiter nichts. Es ist als ob den andern 6⅔ lbs. Garn die Wolle ausgerupft und alle Wolle des Gesammtprodukts in 13⅓ lbs. Garn zusammengepresst wäre. Dagegen sind die in den 13⅓ lbs. Garn enthaltene Spinnarbeit, und der Werththeil, den die verbrauchten Arbeitsmittel zusetzen, aus ihnen selbst entfernt und auf den neben ihnen liegenden Produkttheil von 6⅔ lbs. Garn übertragen. In derselben Weise kann ein Theil dieser übrigbleibenden 6⅔ lbs. Garn — nämlich 2⅔ lbs. — wieder als blosse Darstellung der im Gesammtprodukt vernützten Arbeitsmittel zum Werth von 4 sh. gefasst werden. Acht Zehntel des Gesammtprodukts, oder 16 lbs. Garn, obgleich leiblich, als Gebrauchswerth betrachtet, als Garn, eben so sehr Gebilde der Spinnarbeit als die restirenden des Produkts, 4 lbs. Garn, enthalten daher in diesem Zusammenhang keine Spinnarbeit, keine während des Spinnprozesses selbst eingesaugte Arbeit. Es ist als ob sie sich ohne Spinnen in Garn verwandelt und als wäre ihre Garngestalt


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reiner Lug und Trug. In der That, wenn der Kapitalist sie verkauft zu 24 sh. und damit seine Produktionsmittel zurückkauft, zeigt sich, dass die 16 lbs. Garn nur verkleidete Baumwolle, Spindel, Kohle u. s. w. sind. Die übrigbleibenden 4 lbs. Garn enthalten jetzt ihrerseits kein Atom von Rohmaterial und Arbeitsmittel. Was davon in ihnen steckte, ward bereits ausgeweidet und den ersten 16 lbs. Garn einverleibt. Die 4 lbs. Garn enthalten daher kein Atom der in der Produktion von Baumwolle, Maschinerie, Kohle u. s. w. verausgabten Arbeit. Ihr Werth von 6 sh. ist reine Materiatur der vom Spinner selbst verausgabten 12 Arbeitsstunden. Die im Produkt von 20 lbs. Garn verkörperte Spinnarbeit ist jetzt konzentrirt auf 4 lbs. Garn, auf ⅕ des Produkts. Es ist als ob der Spinner diess Gespinnst von 4 lbs. in der Luft gewirket oder in Baumwolle und mit Spindeln, die, ohne Zuthat menschlicher Arbeit, von Natur vorhanden, dem Produkt keinen Werth zusetzen. Von diesen 4 lbs. Garn endlich verkörpert eine Hälfte bloss nothwendige Arbeit von 6 Stunden, die andere — die letzten 2 lbs. Garn — bloss Mehrarbeit. Nur dieser letzte Theil des Gesammtprodukts bildet das Mehrprodukt.

Das Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn kann also folgendermassen zerfällt werden: Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn, werth 30 sh.

[Tabelle]

Von dem Gesammtprodukt von 20 lbs. Garn vertreten 16 lbs. oder ⅘ nur constantes Kapital, dagegen bloss ⅕ oder 4 lbs. die im Spinnprozess selbst verausgabte Arbeit. Und dennoch bilden die 20 lbs. Garn das Produkt der zwölfstündigen Spinnarbeit. Hier erscheint wieder der Unterschied von Arbeitsprozess und Verwerthungsprozess. Es wiederholt sich das bereits Bekannte, dass der Werth des Produkts des Arbeitstags,


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d. h. der Produktenwerth, grösser ist als das tägliche Werthprodukt. So ist der Werth der täglich produzirten 20 lbs. Garn = 30 sh., aber ihr während des Tags produzirter Werththeil nur = 6 sh. Die eben gegebne Darstellung unterscheidet sich von der früheren dadurch, dass die funktionell oder begrifflich unterschiednen Bestandtheile des Produktenwerths in proportionellen Theilen des Produkts selbst ausgedrückt werden.

Diese Zerfällung des Produkts — des Resultats des Produktionsprozesses — in ein Quantum Produkt, das nur die in den Produktionsmitteln enthaltene Arbeit, ein andres Quantum, das nur die im Produktionsprozess zugesetzte nothwendige Arbeit, und ein letztes Quantum Produkt, das nur die im selben Prozess zugesetzte Mehrarbeit darstellt, ist eben so einfach als wichtig, wie ihre spätere Anwendung auf verwickelte und noch ungelöste Probleme zeigen wird.

Wir betrachteten eben das Gesammtprodukt als fertiges Resultat des zwölfstündigen Arbeitstags. Wir können es aber auch in seinem Entstehungsprozess begleiten, und dennoch die Theilprodukte als funktionell unterschiedne Produktentheile darstellen.

Der Spinner produzirt in 12 Stunden 20 lbs. Garn, daher in einer Stunde 1⅔ und in 8 Stunden 13⅓ lbs., also ein Theilprodukt vom Gesammtwerth der Baumwolle, die während des ganzen Arbeitstags versponnen wird. In derselben Art und Weise ist das Theilprodukt der folgenden Stunde und 36 Minuten = 2⅔ lbs. Garn und stellt daher den Werth der während der 12 Arbeitsstunden vernutzten Produktionsmittel dar. Ebenso produzirt der Spinner in der folgenden Stunde und 12 Minuten 2 lbs. Garn = 3 sh., ein Produktenwerth gleich dem ganzen Werthprodukt, das er in 6 Stunden nothwendiger Arbeit schafft. Endlich produzirt er in den letzten Stunden ebenfalls 2 lbs. Garn, deren Werth gleich dem durch seine halbtägige Mehrarbeit erzeugten Mehrwerth. Diese Art Berechnung dient dem englischen Fabrikanten zum Hausgebrauch und er wird z. B. sagen, dass er in den ersten 8 Stunden oder ⅔ des Arbeitstags seine Baumwolle herausschlägt u. s. w. Man sieht, die Formel ist richtig, in der That die erste Formel, übersetzt aus dem Raum, wo die Theile des Produkts fertig neben einander liegen, in die Zeit, wo sie auf einander folgen. Die Formel kann


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aber auch von sehr barbarischen Vorstellungen begleitet sein, namentlich in Köpfen, die eben so praktisch im Verwerthungsprozess interessirt sind, als sie ein Interesse haben, ihn theoretisch misszuverstehen. So kann sich eingebildet werden, dass unser Spinner z. B. in den ersten 8 Stunden seines Arbeitstags den Werth der Baumwolle, in der folgenden Stunde und 36 Minuten den Werth der verzehrten Arbeitsmittel, in der folgenden Stunde und 12 Minuten den Werth des Arbeitslohns produzirt oder ersetzt, und nur die vielberühmte „ letzte Stunde“ dem Fabrikanten zur Produktion von Mehrwerth widmet. Dem Spinner wird so das doppelte Wunder aufgebürdet, Baumwolle, Spindel, Dampfmaschine, Kohle, Oel u. s. w. in demselben Augenblick zu produziren, wo er mit ihnen spinnt, und aus Einem Arbeitstag von gegebnem Intensivitätsgrad fünf solcher Tage zu machen. In unserm Fall nämlich erfordert die Produktion des Rohmaterials und der Arbeitsmittel 4 zwölfstündige Arbeitstage und ihre Verwandlung in Garn einen andern zwölfstündigen Arbeitstag. Dass die Raubgier solche Wunder glaubt und nie den doktrinären Sykophanten misst, der sie beweist, zeige folgendes Beispiel.

An einem schönen Morgen des Jahres 1836 wurde der wegen seiner ökonomischen Wissenschaft und seines „schönen Styls“ berufene Nassau W. Senior, gewissermassen der Clauren unter den englischen Oekonomen, von Oxford nach Manchester citirt, um statt in Oxford politische Oekonomie zu lehren, sie in Manchester zu lernen. Die Fabrikanten erkiesten ihn zum Preisfechter gegen den neulich erlassenen Factory Act und die darüber noch hinausstrebende Zehnstundenagitation. Mit gewohntem praktischen Scharfsinn hatten sie erkannt, dass der Herr Professor „wanted a good deal of finishing“. Sie verschrieben ihn daher nach Manchester. Der Herr Professor seinerseits hat die zu Manchester von den Fabrikanten erhaltene Lektion stylisirt in dem Pamphlet: „ Letters on the Factory Act, as it affects the cotton manufacture. London 1837.“ Hier kann man u. a. folgendes Erbauliche lesen:

„Unter dem gegenwärtigen Gesetz kann keine Fabrik, die Personen unter 18 Jahren beschäftigt, länger als 11½ Stunden täglich arbeiten, d. h. 12 Stunden während der ersten 5 Tage und 9 Stunden am Sonnabend. Die folgende Analyse (!) zeigt nun, dass in einer solchen Fabrik der ganze Reingewinn von der letzten Stunde


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abgeleitet ist. Ein Fabrikant legt 100,000 Pfd. St. aus — 80,000 Pfd. St. in Fabrikgebäude und Maschinen, 20,000 in Rohmaterial und Arbeitslohn. Das jährliche Einkommen der Fabrik, vorausgesetzt das Kapital schlage jährlich einmal um, und der Bruttogewinn betrage 15 %, muss sich auf Waaren zum Werth von 115,000 Pfd. St. belaufen … Von diesen 115,000 Pfd. St. produzirt jede der 23 halben Arbeitsstunden täglich oder . Von diesen Arbeitsstunden, die das Ganze der 115,000 Pfd. St. bilden (constituting the whole 115,000 Pd. St.), ersetzen , d. h. 100,000 von den 115,000, nur das Kapital; oder 5000 Pfd. St. von den 15,000 Brutto-Gewinn (!) ersetzen die Abnutzung der Fabrik und Maschinerie. Die übrigbleibenden , die beiden letzten halben Stunden jeden Tags produziren den Reingewinn von 10 %. Wenn daher bei gleichbleibenden Preisen die Fabrik 13 Stunden statt 11½ arbeiten dürfte, so würde, mit einer Zulage von ungefähr 2600 Pfd. St. zum cirkulirenden Kapital, der Reingewinn mehr als verdoppelt werden. Andrerseits wenn die Arbeitsstunden täglich um 1 Stunde reducirt würden, würde der Reingewinn verschwinden, wenn um 1½ Stunden, auch der Bruttogewinn(FN 32)!“

Und das nennt der Herr Professor eine „ Analyse!“ Glaubte er den Fabrikantenjammer, dass die Arbeiter die beste Zeit des Tags in der Produktion, daher der Reproduktion oder dem Ersatz des Werths von Baulichkeiten, Maschinen, Baumwolle, Kohle u. s. w. vergeuden, so war jede Analyse überflüssig. Er hatte einfach zu antworten: Meine Herren! Wenn Ihr 10 Stunden arbeiten lasst statt 11½, wird, unter


(FN 32) Senior l. c. p. 12, 13. Wir gehn auf die für unsern Zweck gleichgültigen Curiosa nicht ein, z. B. die Behauptung, dass die Fabrikanten den Ersatz der verschlissenen Maschinerie u. s. w., also eines Kapitalbestandtheils, zum Gewinn, Brutto oder Netto, schmutzig oder rein, rechnen. Auch nicht auf die Richtigkeit oder Falschheit der Zahlenangaben. Dass sie nicht mehr werth sind als die sogenannte „ Analyse“, bewies Leonhard Horner in: „A Letter to Mr. Senior etc. Lond. 1837.“ Leonhard Horner, einer der Factory Inquiry Commissioners von 1833, und Fabrikinspektor, in der That Fabrikcensor, bis 1859, hat unsterbliche Verdienste um die englische Arbeiterklasse gewonnen. Ausser mit den erbitterten Fabrikanten führte er einen lebenslangen Kampf mit den Ministern, für die es ungleich wichtiger war, „ die Stimmen“ der Fabrikherrn im Unterhaus als die Arbeitsstunden der „Hände“ in der Fabrik zu zählen.

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sonst gleichbleibenden Umständen, der tägliche Verzehr von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. um 1½ Stunden abnehmen. Ihr gewinnt also grade so viel als Ihr verliert. Eure Arbeiter werden in Zukunft 1½ Stunden weniger für Reproduktion oder Ersatz des vorgeschossenen Kapitalwerths vergeuden. Glaubte er ihnen nicht aufs Wort, sondern hielt als Sachverständiger eine Analyse für nöthig, so musste er vor allem, in einer Frage, die sich ausschliesslich um das Verhältniss des Reingewinns zur Grösse des Arbeitstags dreht, die Herren Fabrikanten ersuchen, Maschinerie und Fabrikgebäude, Rohmaterial und Arbeit nicht kunterbunt durcheinander zu wirren, sondern gefälligst das in Fabrikgebäude, Maschinerie, Rohmaterial u. s. w. enthaltene constante Kapital auf die eine, das in Arbeitslohn vorgeschossene Kapital auf die andere Seite zu stellen. Ergab sich dann etwa, dass nach der Fabrikantenrechnung der Arbeiter in des Arbeitstags, oder in einer Stunde, den Arbeitslohn reproduzirt oder ersetzt, so hatte der Analytiker fortzufahren:

Nach Eurer Angabe produzirt der Arbeiter in der vorletzten Stunde seinen Arbeitslohn und in der letzten Euren Mehrwerth oder den Reingewinn. Da er in gleichen Zeiträumen gleiche Werthe produzirt, hat das Produkt der vorletzten Stunde denselben Werth wie das der letzten. Er produzirt ferner nur Werth, so weit er Arbeit verausgabt, und das Quantum seiner Arbeit ist gemessen durch seine Arbeitszeit. Diese beträgt nach Eurer Angabe 11½ Stunden per Tag. Einen Theil dieser 11½ Stunden verbraucht er zur Produktion oder zum Ersatz seines Arbeitslohns, den andern zur Produktion Eures Reingewinns. Weiter thut er nichts während des Arbeitstags. Da aber, nach Angabe, sein Lohn und der von ihm gelieferte Mehrwerth gleich grosse Werthe sind, produzirt er offenbar seinen Arbeitslohn in 5¾ Stunden und Euren Reingewinn in andern 5¾ Stunden. Da ferner der Werth des zweistündigen Garnprodukts gleich der Werthsumme seines Arbeitslohns plus Eures Reingewinns ist, muss dieser Garnwerth durch 11½ Arbeitsstunden gemessen sein, das Produkt der vorletzten Stunde durch 5¾ Arbeitsstunden, das der letzten ditto. Wir kommen jetzt zu einem häklichen Punkt. Also aufgepasst! Die vorletzte Arbeitsstunde ist eine gewöhnliche Arbeitsstunde wie die erste. Ni plus, ni moins. Wie kann der Spinner daher in Einer Arbeitsstunde einen Garnwerth produziren, der 5¾ Arbeitsstunden darstellt? Er verrichtet in der That

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kein solches Wunder. Was er in Einer Arbeitsstunde an Gebrauchswerth produzirt, ist ein bestimmtes Quantum Garn. Der Werth dieses Garns ist gemessen durch 5¾ Arbeitsstunden, wovon 4¾ ohne sein Zuthun in den stündlich verzehrten Produktionsmitteln, Baumwolle, Maschinerie u. s. w. stecken, oder eine Stunde von ihm selbst zugesetzt ist. Da also sein Arbeitslohn in 5¾ Stunden produzirt wird und in dem Garnprodukt Einer Spinnstunde ebenfalls 5¾ Stunden stecken, ist es durchaus keine Hexerei, dass das Werthproduktseiner 5¾ Spinnstunden gleich dem Produktenwerth Einer Spinnstunde. Ihr seid aber durchaus auf dem Holzweg, wenn Ihr meint, er verliere ein einziges Zeitatom seines Arbeitstags mit der Reproduktion oder dem „ Ersatz“ der Werthe von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. Dadurch dass seine Arbeit aus Baumwolle und Spindel Garn macht, dadurch dass er spinnt, geht der Werth von Baumwolle und Spindel von selbst auf das Garn über. Es ist diess der Qualität seiner Arbeit geschuldet, nicht ihrer Quantität. Allerdings wird er in einer Stunde mehr Baumwollwerth u. s. w. auf Garn übertragen als in ½ Stunde, aber nur weil er in 1 Stunde mehr Baumwolle verspinnt als in ½. Ihr begreift also: Euer Ausdruck, der Arbeiter produzirt in der vorletzten Stunde den Werth seines Arbeitslohns und in der letzten den Reingewinn, heisst weiter nichts, als dass in dem Garnprodukt von zwei Stunden seines Arbeitstags, ob sie vorn oder hinten stehen, 11½ Arbeitsstunden verkörpert sind, grade so viel Stunden als sein ganzer Arbeitstag zählt. Und der Ausdruck, dass er in den ersten 5¾ Stunden seinen Arbeitslohn und in den letzten 5¾ Stunden Euren Reingewinn produzirt, heisst wieder nichts, als dass Ihr die ersten 5¾ Stunden zahlt und die letzten 5¾ Stunden nicht zahlt. Ich spreche von Zahlung der Arbeit, statt der Arbeitskraft, um Euren slang zu reden. Vergleicht Ihr Herren nun das Verhältniss der Arbeitszeit, die Ihr zahlt, zur Arbeitszeit, die Ihr nicht zahlt, so werdet Ihr finden, dass es halber Tag zu halbem Tag ist, also 100 %, was allerdings ein artiger Prozentsatz. Es unterliegt auch nicht dem geringsten Zweifel, dass wenn Ihr Eure „Hände“ statt 11½ Stunden 13 schanzen lasst, und, was Euch so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern, die überschüssigen 1½ Stunden zur blossen Mehrarbeit schlagt, letztere von 5¾ Stunden auf 7¼ Stunden wachsen wird, die Rate des Mehr


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werths daher von 100 % auf 126 %. Dagegen seid Ihr gar zu tolle Sanguiniker, wenn Ihr hofft, sie werde durch den Zusatz von 1½ Stunden von 100 auf 200 % und gar auf mehr als 200 % steigen, d. h. sich „mehr als verdoppeln“. Andrerseits — des Menschen Herz ist ein wunderlich Ding, namentlich wenn der Mensch sein Herz im Beutel trägt, — seid Ihr gar zu verrückte Pessimisten, wenn Ihr fürchtet, mit der Reduktion des Arbeitstags von 11½ auf 10½ Stunden werde Euer ganzer Reingewinn in die Brüche gehn. Bei Leibe nicht. Alle andern Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt, wird die Mehrarbeit von 5¾ auf 4¾ Stunden fallen, was immer noch eine ganz erkleckliche Rate des Mehrwerths giebt, nämlich 82 %. Die verhängnissvolle „ letzte Stunde“ aber, von der Ihr mehr gefabelt habt als die Chiliasten vom Weltuntergang, ist „all bosh“. Ihr Verlust wird weder Euch den „ Reingewinn“ noch den von Euch verarbeiteten Kindern beiderlei Geschlechts die „ Seelenreinheit“ kosten(FN 32a). Wenn einmal Euer „ letztes Stünd-


(FN 32a) Wenn Senior bewies, dass an „der letzten Arbeitsstunde“ der Reingewinn der Fabrikanten, die Existenz der englischen Baumwollindustrie, Englands Weltmarktgrösse hing, bewies dahinwiederum Dr. Andrew Ure in den Kauf, dass wenn man Fabrikkinder und junge Personen unter 18 Jahren, statt sie volle 12 Stunden in der warmen und reinen Moralluft der Fabrikstube abzuschanzen, „eine Stunde“ früher in die gemüthskalte und frivole Aussenwelt verstosse, Müssiggang und Laster sie um ihr Seelenheil prellen müssten. Seit 1848 werden die Fabrikinspektoren nicht müde, in ihren halbjährigen „ Reports“ die Fabrikanten mit „ der letzten“, „der verhängnissvollen Stunde“ zu necken. So sagt Herr Howell, in seinem Fabrikbericht vom 31. Mai 1855: „Wäre die folgende scharfsinnige Berechnung (er citirt Senior) richtig, so hätte jede Baumwollfabrik im Ver. Königreich seit 1850 mit Verlust gearbeitet.“ ( Reports of the Insp. of Fact. for the half year ending 30 th April 1855“ p. 19, 20.) Als im Jahr 1848 die Zehnstundenbill durchs Parlament ging, octroyirten die Fabrikanten einigen Normalarbeitern in den ländlichen Flachsspinnereien, die zwischen den Grafschaften Dorset und Somerset zerstreut liegen, eine Gegenpetition, worin es u. A. heisst: „Eure Bittsteller, Eltern, glauben, dass eine zusätzliche Mussestunde weiter keinen Erfolg haben kann, als ihre Kinder zu demoralisiren, denn Müssiggang ist allen Lasters Anfang.“ Der Fabrikbericht vom 31. Oktober 1848 bemerkt hierzu: „Die Atmosphäre der Flachsspinnereien, worin die Kinder dieser tugendhaft zärtlichen Eltern arbeiten, ist geschwängert mit so unzähligen Staub und Faserpartikeln des Rohmaterials, dass es ausserordentlich unangenehm ist, auch nur 10 Minuten in den Spinnstuben zuzubringen, denn ihr könnt das nicht ohne die peinlichste Empfindung, indem Auge, Ohr, Nasenlöcher
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lein“ wirklich schlägt, denkt an den Professor von Oxford. Und nun: In einer bessern Welt wünsch’ ich mir mehr von Eurem werthen Umgang. Adio(FN 33)! ‥ Das Signal der von Senior 1836 entdeckten „ letzten Stunde“ ward am 15. April 1848, polemisch gegen das Zehnstundengesetz, von James Wilson, einem der ökonomischen Hauptmandarine, im „London Economist“ von neuem geblasen.


und Mund sich sofort füllen mit Flachsstaubwolken, vor denen kein Entrinnen ist. Die Arbeit selbst erheischt, wegen der Fieberhast der Maschinerie, rastlosen Aufwand von Geschick und Bewegung, unter der Kontrole nie ermüdender Aufmerksamkeit, und es scheint etwas hart, Eltern den Ausdruck „Faullenzerei“ auf ihre eigenen Kinder anwenden zu lassen, die, nach Abzug der Essenszeit, 10 volle Stunden an solche Beschäftigung, in einer solchen Atmosphäre, geschmiedet sind … Diese Kinder arbeiten länger als die Ackerknechte in den Nachbardörfern… Solch liebloses Gekohl über „Müssiggang und Laster“ muss als der reinste cant und die schamloseste Heuchelei gebrandmarkt werden … Der Theil des Publikums, der vor ungefähr zwölf Jahren auffuhr über die Zuversicht, womit man öffentlich und ganz ernsthaft proklamirte, unter der Sanction hoher Autorität, dass der ganze „ Reingewinn“ des Fabrikanten aus „ der letzten Stunde“ Arbeit fliesse, und die Reduktion des Arbeitstags um eine Stunde den Reingewinn vernichten müsse; dieser Theil des Publikums, sagen wir, wird kaum seinen Augen trauen, wenn er nun findet, dass die Original Entdeckung über die Tugenden der „letzten Stunde“ seitdem soweit verbessert worden ist „ Moral“ und „ Profit“ gleichmässig einzuschliessen; so dass wenn die Dauer der Kinderarbeit auf volle 10 Stunden reducirt würde, ihre Moral zugleich mit dem Nettogewinn ihrer Anwender flöten ginge, beide abhängig von dieser letzten, dieser fatalen Stunde.“ („ Repts of Insp. of Fact. for 31 st Oct. 1848“, p. 101.) Derselbe Fabrikbericht giebt dann Proben von der „Moral“ und „Tugend“ dieser Herrn Fabrikanten, von den Schlichen, Pfiffen, Lockungen, Drohmitteln, Fälschungen u. s. w., die sie anwandten, um dergleichen Petitionen von wenigen ganz verwahrlosten Arbeitern unterzeichnen zu machen, um sie dann als Petitionen eines ganzen Industriezweigs, ganzer Grafschaften, dem Parlament aufzubinden. — Höchst charakteristisch bleibt es für den heutigen Stand der ökonomischen sogenannten „ Wissenschaft“, dass weder Senior selbst, der später zu seiner Ehre energisch für die Fabrikgesetzgebung auftrat, noch seine ursprünglichen und späteren Widersacher, die Trugschlüsse der „Originalentdeckung“ aufzulösen wussten. Sie appellirten an die thatsächliche Erfahrung. Das why und wherefore blieb Mysterium.
(FN 33) Indess hatte der Herr Professor doch etwas bei seinem Manchester Ausflug profitirt! In den „ Letters on the Factory Act“ hängt der ganze Reingewinn, „ Profit“ und „ Zins“ und sogar ‚something more‘ an einer unbezahlten Arbeitsstunde des Arbeiters! Ein Jahr zuvor, in seinen

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Wie die Rate des Mehrwerths bestimmt ist durch das Verhältniss des Mehrwerths, nicht zur Gesammtsumme des vorgeschossenen Kapitals, sondern zu seinem in Arbeitskraft ausgelegten, variablen Bestandtheil, so ist die Höhe des Mehrprodukts bestimmt, nicht durch sein Verhältniss zum Rest des Gesammtprodukts, sondern ausschliesslich zum Produkttheil, worin sich die nothwendige Arbeit darstellt. Wie die Produktion von Mehrwerth der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion, so misst nicht die absolute Masse des Produkts, sondern allein die des Mehrprodukts, den Höhegrad des Reichthums(FN 34).

Die Summe der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, der Zeit, worin der Arbeiter nur den Werth seiner Arbeitskraft reproduzirt, und der Zeit, worin er Mehrwerth produzirt, bestimmt die absolute Grösse seiner Arbeitszeit — den Arbeitstag ( working day).


zum Gemeinbesten Oxforder Studenten und gebildeter Philister verfassten „ Outlines of Political Economy“ hatte er noch gegenüber Ricardo’s Werthbestimmung durch die Arbeitszeit „entdeckt“, dass der Profit aus der Arbeit des Kapitalisten und der Zins aus seiner Ascetik, seiner „ Abstinenz“, herstamme. Die Flause selbst war alt, aber das Wort „ Abstinenz“ neu. Herr Roscher hat es richtig durch „ Enthaltung“ verdeutscht. Seine minder mit Latein beschlagenen Compatrioten, Wirthe, Schulzen und andre Michels, haben es in „ Entsagung“ vermöncht.
(FN 34) „Für ein Individuum mit einem Kapital von 20,000 Pfd. St., dessen Profite 2000 Pfd. St. jährlich betragen, wäre es ein durchaus gleichgültig Ding, ob sein Kapital 100 oder 1000 Arbeiter beschäftigt, ob die produzirten Waaren sich zu 10,000 oder 20,000 Pfd. St. verkaufen, immer vorausgesetzt, dass seine Profite in allen Fällen nicht unter 2000 Pfd. St. fallen. Ist das reale Interesse einer Nation nicht dasselbe? Vorausgesetzt ihr reales Nettoeinkommen, ihre Renten und Profite bleiben dieselben, so ist es nicht von der geringsten Wichtigkeit, ob die Nation aus 10 oder 12 Millionen Einwohnern besteht.“ ( Ric. l. c. p. 416.) Lange vor Ricardo sagte der Fanatiker des Mehrprodukts, Arthur Young, ein übrigens schwatzschweifiger, kritikloser Schriftsteller, dessen Ruf in umgekehrtem Verhältniss zu seinem Verdienst steht, u. A.: „Von welchem Nutzen würde in einem modernen Königreich eine ganze Provinz sein, deren Boden in altrömischer Manier, von kleinen, unabhängigen Bauern, meinetwegen noch so gut bebaut würde? Von welchem Zwecke, ausser dem einzigen, Menschen zu erzeugen („the mere purpose of breeding men“), was an und für sich gar keinen Zweck hat“ („is a most useless purpose“). Arthur Young: „ Political Arithmetic etc. London 1774“, p. 47.

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4) Der Arbeitstag.

Wir gingen von der Voraussetzung aus, dass die Arbeitskraft zu ihrem Werthe gekauft und verkauft wird. Ihr Werth, wie der jeder andern Waare, wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion nöthige Arbeitszeit. Erheischt also die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu ihrer Produktion 6 Stunden täglich, so muss er im Durchschnitt 6 Stunden per Tag arbeiten, um seine Arbeitskraft täglich zu produziren oder den in ihrem Verkauf erhaltenen Werth zu reproduziren. Der nothwendige Theil seines Arbeitstages beträgt dann 6 Stunden, und ist daher, unter sonst gleichbleibenden Umständen, eine gegebene Grösse. Aber damit ist die Grösse des Arbeitstags selbst noch nicht gegeben.

Nehmen wir an, die Linie a--------------b stelle die Dauer oder Länge der noth wendigen Arbeitszeit vor, sage 6 Stunden. Je nachdem die Arbeit über a b um 1, 3 oder 6 Stunden u. s. w. verlängert wird, erhalten wir die 3 verschiedenen Linien: [Abbildung] die drei verschiedne Arbeitstage von 7, 9 und 12 Stunden vorstellen. Die Verlängerungslinie b c stellt die Länge der Surplusarbeitszeit vor. Da der Arbeitstag = a b + b c oder a c ist, variirt er mit der variablen Grösse b c. Da uns a b gegeben ist, kann das Verhältniss von b c zu a b stets gemessen werden. Es beträgt in Arbeitstag I ⅙, in Arbeitstag II , und in Arbeitstag III von a b. Da ferner die Proportion die Rate des Mehrwerths bestimmt, ist letztere gegeben durch jenes Verhältniss. Sie beträgt in den drei verschiedenen Arbeitstagen respektive 16⅔, 50 und 100 %. Umgekehrt würde die Rate des Mehrwerths allein uns nicht die Grösse des Arbeitstags geben. Wäre sie z. B. gleich 100 %, so könnte der Arbeitstag 8, 10, 12stündig u. s. w. sein. Sie würde anzeigen, dass die zwei Bestandtheile des Arbeitstags, nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, gleich gross sind, aber nicht wie gross jeder dieser Theile.

Der Arbeitstag ist also keine constante, sondern eine variable


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Grösse. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur beständigen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesammtgrösse wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt(FN 35).

Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fliessende Grösse ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken variiren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die Verlängerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = O, so erhalten wir eine Minimalschranke, den Theil des Tages nämlich, den der Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit aber immer nur einen Theil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag sich also nie auf diess Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben und das Mass dieser Kraftverausgabung bildet ein Mass für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So kann ein Pferd Tag aus, Tag ein, nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Theils des Tags muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines andern Theils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden u. s. w. Ausser dieser rein physischen Schranke stösst die Verlängerung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb absoluter physischer und mehr oder minder relativer sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den grössten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16, 18 und mehr Stunden, also von der verschiedensten Länge.


(FN 35) „A day’s labour is vague, it may be long or short.“ „ An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. London 1770“, p. 73.

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Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft. Ihm gehört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. Er hat also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbeiten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag(FN 36)? Jedenfalls weniger als ein natürlicher Lebenstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat seine eigne Ansicht über diess ultima Thule, die nothwendige Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er nur personifizirtes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehrwerth zu schaffen, mit seinem constanten Theil, den Produktionsmitteln, die grösstmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen(FN 37). Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampyrmässig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, während deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapitalist die von ihm gekaufte Arbeitskraft consumirt(FN 38). Consumirt der Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapitalisten(FN 39).

Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waarenaustauschs. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den grösstmöglichen Nutzen aus dem Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötz-


(FN 36) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert Peel’s an die Birminghamer Handelskammer: „ What is a pound?“, eine Frage, die nur gestellt werden konnte, weil Peel über die Natur des Geldes eben so unklar war als die „little shilling men“ von Birmingham.
(FN 37) „Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapital die grösstmögliche Summe Arbeit herauszuschlagen.“ („D’obtenir du capital dépensé la plus forte somme de travail possible.“) J. G. Courcelle-Seneuil: „ Traité théorique et pratique des entreprises industrielles. 2ème édit. Paris 1857“, p. 63.
(FN 38) „An Hour’s Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial state.“ „There is a very great consumption of luxuries among the labouring poor of this kingdom; particularly among the manufacturing populace: by which they also consume their time, the most fatal of consumptions.“ An Essay on Trade and Commerce etc. p. 47 u. 153.
(FN 39) „Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l’économie sordide qui le suit des yeux avec inquiétude, prétend qu’il la vole.“ N. Linguet: „ Théorie des Lois Civiles etc. London 1767“, t. II, p. 466.)

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lich aber erhebt sich die Stimme des Arbeiters, die im Sturm und Drang des Produktionsprozesses verstummt war:

Die Waare, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von dem andern Waarenpöbel dadurch, dass ihr Gebrauch Werth schafft und grösseren Werth als sie selbst kostet. Diess war der Grund, warum du sie kauftest. Was auf deiner Seite als Verwerthung von Kapital erscheint, ist auf meiner Seite überschüssige Verausgabung von Arbeitskraft. Du und ich kennen auf dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Waarenaustauschs. Und der Consum der Waare gehört nicht dem Verkäufer, der sie veräussert, sondern dem Käufer, der sie erwirbt. Dir gehört daher der Gebrauch meiner täglichen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres täglichen Verkaufspreises muss ich sie täglich reproduziren und daher von neuem verkaufen können. Abgesehen von dem natürlichen Verschleiss durch Alter u. s. w., muss ich fähig sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und Frische zu arbeiten, wie heute. Du predigst mir beständig das Evangelium der „Sparsamkeit“ und „Enthaltung“. Nun gut! Ich will wie ein vernünftiger, sparsamer Wirth mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten. Ich will täglich nur so viel von ihr flüssig machen, in Bewegung, in Arbeit umsetzen, als sich mit ihrer Normaldauer und gesunden Entwicklung verträgt. Durch massloses Verlängern des Arbeitstages kannst du in Einem Tage ein grösseres Quantum meiner Arbeitskraft flüssig machen, als ich in drei Tagen ersetzen kann. Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an Arbeitssubstanz. Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind ganz verschiedne Dinge. Wenn die Durchschnittsperiode, die ein Durchschnittsarbeiter bei vernünftigem Arbeitsmass leben kann, 30 Jahre beträgt, ist der Werth meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den andern zahlst, oder ihres Gesammtwerths. Consumirst du sie aber in 10 Jahren, so zahlst du mir nur oder nur ⅓ ihres Werths täglich und bestiehlst mich daher täglich um ⅔ des Werths meiner Waare. Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige verbrauchst. Das ist wider unsern Vertrag und das Gesetz des Waarenaustauschs. Ich verlange also einen Arbeitstag von normaler Länge und ich verlange ihn ohne Appell an dein Herz, denn in Geldsachen hört die Gemüthlichkeit


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auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied des Vereins zur Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit stehen, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer(FN 40).

Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus der Natur des Waarenaustauschs selbst keine Grenze des Arbeitstags, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und wo möglich aus Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schliesst die spezifische Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Consums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgrösse beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmässig durch das Gesetz des Waarenaustauschs besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar — ein Kampf zwischen dem Gesammtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesammtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.

Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Ueberall, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produziren(FN 41), ob dieser Eigenthümer nun ein atheniensischer ϰαλος ϰἀγαϑός, ein etruskischer Theokrat, civis romanus, normännischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist


(FN 40) Während des grossen Strike der London builders, 1860—61, zur Reduktion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Comité eine Erklärung, die halb und halb auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung spielt nicht ohne Ironie darauf an, dass der Profitwüthigste der „building masters“ — ein gewisser Sir M. Peto — im „Geruch der Heiligkeit“ stehe.
(FN 41) „Those who labour . . . . in reality feed both the pensioners called therich, and themselves.“ ( Edmund Burke l. c. p. 2.)

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ist(FN 42). Indess ist klar, dass wenn in einer ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren Kreis von Bedürfnissen beschränkt, aber kein schrankenloses Bedürfniss nach Mehrarbeit durch den Charakter der Produktion selbst gegeben ist. Wo wir im Alterthume scheinbare Abweichungen von diesem Gesetz finden, bilden sie in der That seinen direktesten Beweis. Am entsetzlichsten z. B. zeigt sich hier die Ueberarbeit, wo der Tauschwerth in seiner selbstständigen Gestalt als Geld produzirt wird, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod arbeiten ist hier die offizielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodorus Siculus(FN 43). Wenn jedoch Völker, bei denen sich die Produktion noch in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt, mitten in einem durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt stehn, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemässigt patriarchalischen Charakter, so lange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Masse aber wie der Export der Baumwolle das Lebensinteresse jener Staaten wurde, wurde die Ueberarbeitung des Negers, hier und da die Consumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine


(FN 42) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner „ Römischen Geschichte“: „Man kann sich nicht verhehlen, dass Werke wie die etruskischen, die in ihren Trümmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Frohnherrn und Knechte voraussetzen.“ Viel tiefer sagte Sismondi, dass „Brüsseler Spitzen“ Lohnherrn und Lohndiener voraussetzen.
(FN 43) „Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen Aegypten, Aethiopien und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten, noch ihre Blösse decken können, nicht ansehen, ohne ihr jammervolles Schicksal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht und keine Schonung statt für Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche Schwachheit. Alle müssen, durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Noth ein Ende macht.“ Diod. Sic. Historische Bibliothek, Buch 3, c. 13.

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gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm gewinnen. Es galt nun der Produktion des Mehrwerths selbst. Aehnlich mit der Frohnarbeit, z. B. in den Donaufürstenthümern.

Die Vergleichung des Heisshungers nach Mehrarbeit in den Donaufürstenthümern mit demselben Heisshunger in englischen Fabriken bietet ein besondres Interesse, weil die Mehrarbeit in der Frohnarbeit eine selbstständige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt.

Gesetzt der Arbeitstag zähle 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten wöchentlich 6 × 6, oder 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als ob er 3 Tage in der Woche für sich und 3 Tage in der Woche umsonst für den Kapitalisten arbeite. Aber diess ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und nothwendige Arbeit verschwimmen in einander. Ich kann daher dasselbe Verhältniss z. B. auch so ausdrücken, dass der Arbeiter in jeder Minute 30 Sekunden für sich und 30 für den Kapitalisten arbeitet u. s. w. Anders mit der Frohnarbeit. Die nothwendige Arbeit, die der walachische Bauer z. B. zu seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist räumlich getrennt von seiner Mehrarbeit für den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem eignen Felde, die andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Theile der Arbeitszeit existiren daher selbstständig neben einander. Die Mehrarbeit ist als Frohnarbeit genau abgeschieden von der nothwendigen Arbeit. An dem quantitativen Verhältniss von Mebrarbeit und nothwendiger Arbeit ändert diese verschiedne Erscheinungsform offenbar nichts. Drei Tage Mehrarbeit in der Woche bleiben drei Tage Arbeit, die kein Aequivalent für den Arbeiter selbst bildet, ob sie Frohnarbeit heisse oder Lohnarbeit. Bei dem Kapitalisten jedoch erscheint der Heisshunger nach Mehrarbeit im Drang zu massloser Verlängerung des Arbeitstags, bei dem Bojaren einfacher in unmittelbarer Jagd auf Frohntage(FN 44).

Die Frohnarbeit war in den Donaufürstenthümern verknüpft mit Naturalrenten und sonstigem Zubehör von Leibeigenschaft, bildete aber den entscheidenden Tribut an die herrschende Klasse. Wo diess der Fall, entsprang die Frohnarbeit selten aus der Leibeigenschaft, sondern die Leibeigenschaft meist umgekehrt aus der Frohnarbeit. So in den rumäni-


(FN 44) Das Nachfolgende bezieht sich auf die Zustände der rumänischen Provinzen, wie sie sich vor der Umwälzung seit dem Krimkrieg gestaltet hatten.

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schen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemeineigenthum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privateigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbstständig bewirthschaftet, ein anderer Theil — der ager publicus — gemeinsam von ihnen bestellt. Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reservefonds gegen Missernten und andere Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung für die Kosten von Krieg, Religion und andere Gemeindeausgaben. Im Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit dem Gemeineigenthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich Leibeigenschafts-Verhältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich, bis das weltbefreiende Russland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit, den der russische General Kisseleff 1831 proklamirte, war natürlich von den Bojaren selbst diktirt. Russland eroberte so mit einem Schlag diese Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch des liberalen Cretinismus von ganz Europa.

Nach dem „ Règlement organique“, so heisst jener Kodex der Frohnarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, ausser einer Masse detaillirter Naturalabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) 12 Arbeitstage überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oekonomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genommen, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist pfiffiger Weise so bestimmt, dass kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig würde. In den dürren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das „Règlement“ selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Handarbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage, und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohntage. Es kommt aber hinzu die s. g. Jobagie, Dienstleistungen, die dem Grundherrn für ausserordentliche Produktionsbedürfnisse gebühren. Eine bestimmtes jährliches Quantum der Mannschaft, je nach der Anzahl der Dorfbevölkerung, ist zur Jobagie verfehmt. Diese zusätzliche Frohn-


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arbeit wird für jeden walachischen Bauer auf 14 Tage geschätzt. So beträgt die vorgeschriebene Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei wegen des schlechten Klima’s nur 210 Tage, wovon 40 für Sonnund Feiertage, 30 durchschnittlich für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage. Das Verhältniss der Frohnarbeit zur nothwendigen Arbeit, , oder 66⅔ %, drückt eine viel kleinere Rate des Mehrwerths aus als die, welche die Arbeit des englischen Agrikulturoder Fabrikarbeiters regulirt. Diess ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebene Frohnarbeit. Und in noch „liberalerem“ Geist als die englische Fabrikgesetzgebung hat das „Règlement organique“ seine eigne Umgehung zu erleichtern gewusst. Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nominelle Tagwerk jedes der 54 Frohntage wieder so bestimmt, dass eine Zubusse auf die folgenden Tage fallen muss. In einem Tag z. B. soll eine Landstrecke ausgegätet werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen, doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tagwerk für einzelne Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, dass der Tag im Monat Mai anfängt und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmungen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organique“, rief ein siegtrunkener Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!“(FN 45)

War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein positiver Ausdruck des Heisshungers nach Mehrarbeit, den jeder Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory Acts negative Ausdrücke desselben Heisshungers. Diese Gesetze treten dem Drang des Kapitals nach massloser Aussaugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staatswegen entgegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Arbeiterbewegung abgesehn, diktirte dieselbe Nothwendigkeit die Beschränkung der Fabrikarbeit, welche den Guano auf die englischen Felder ausgoss. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft, hatte in dem andern die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen.


(FN 45) Weitere Details findet man in: „E. Regnault: Histoire politique et sociale des Principautés Danubiennes. Paris 1855.“

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Periodische Epidemieen sprachen hier eben so deutlich als das abnehmende Soldatenmass in Deutschland und Frankreich(FN 46).

Der jetzt regulirende Factory Act von 1850 erlaubt für den durchschnittlichen Wochentag 10 Stunden, nämlich für die ersten 5 Wochentage 12 Stunden, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends, wovon aber ½ Stunde für Frühstück und eine Stunde für Mittagsessen gesetzlich abgehn, also 10½ Arbeitsstunden bleiben, und 8 Stunden für den Samstag, von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags, wovon ½ Stunde für Frühstück abgeht. Bleiben 60 Arbeitsstunden, 10½ für die ersten 5 Wochentage, 7½ für den letzten Wochentag(FN 47). Es sind eigne Wächter des Gesetzes bestellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten Fabrikinspektoren, deren Berichte halbjährig von Parlamentswegen veröffentlicht werden. Sie liefern also eine fortlaufende und offizielle Statistik über den Kapitalistenheisshunger nach Mehrarbeit.

Hören wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren(FN 48).


(FN 46) „Im Allgemeinen spricht innerhalb gewisser Grenzen für das Gedeihen organischer Wesen das Ueberschreiten des Mittelmasses ihrer Art. Für den Menschen verkleinert sich sein Körpermass, wenn sein Gedeihen beeinträchtigt ist, sei es durch physische oder sociale Verhältnisse. In allen europäischen Ländern, wo Konscription besteht, hat seit Einführung derselben das mittlere Körpermass der erwachsenen Männer und im Ganzen ihre Tauglichkeit zum Kriegsdienst abgenommen. Vor der Revolution (1789) war das Maximum für den Infanterist in Frankreich 165 Centimeter; 1818 (Gesetz vom 10. März) 157, nach dem Gesetz vom 21. März 1832, 156 Centimeter; durchschnittlich in Frankreich wegen mangelnder Grösse und Gebrechen über die Hälfte ausgemustert. Das Militairmass war in Sachsen 1780: 178 Centimeter, jetzt 155. In Preussen ist es 157. Nach Angabe in der Bayrischen Zeitung vom 9. Mai 1862 von Dr. Meyer, stellt sich nach einem 9jährigen Durchschnitt heraus, dass in Preussen von 1000 Konscribirten 716 untauglich zum Militairdienst, 317 wegen Mindermass und 399 wegen Gebrechen . . . . Berlin konnte 1858 sein Kontingent an Ersatz-Mannschaft nicht stellen, es fehlten 156 Mann.“ (J. v. Liebig: „ Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie. 1862. 7te Auflage.“ Band I, p. 117, 118.)
(FN 47) Die Geschichte des Fabrikakts von 1850 folgt im Verlauf dieses Kapitels.
(FN 48) Auf die Periode vom Beginn der grossen Industrie in England bis 1845 gehe ich nur hier und da ein, und verweise den Leser darüber auf: „ Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Von Friedrich Engels. Leipzig 1845.“ Wie tief Engelsden Geistder kapitalistischen Pro-

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„Der betrügerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, vor 6 Uhr Morgens, und schliesst sie eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, nach 6 Uhr Nachmittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der nominell für das Frühstück anberaumten halben Stunde, und knappt 10 Minuten ab zu Anfang und Ende der für Mittagsessen anberaumten Stunde. Samstag arbeitet er eine Viertelstunde, manchmal mehr, manchmal weniger, nach 2 Uhr Nachmittags. So beträgt sein Gewinn:

[Tabelle]
[Tabelle]

Oder 5 Stunden 40 Minuten wöchentlich, was mit 50 Arbeitswochen multiplicirt, nach Abzug von 2 Wochen für Feiertage oder gelegentliche Unterbrechungen, 27 Arbeitstage giebt(FN 49).“


duktionsweise begriff, zeigen die Factory Reports, Reports on Mines u. s. w., die seit 1845 erschienen sind, und wie bewunderungswürdig er die Zustände im Detail malte, zeigt der oberflächlichste Vergleich seiner Schrift mit den 18 bis 20 Jahre später veröffentlichten officiellen Reports der „ Children’s Employment Commission.“ (1863—67.) Diese handeln nämlich von Industriezweigen, worin die Fabrikgesetzgebung bis 1862 noch nicht eingeführt war, zum Theil noch nicht eingeführt ist. Hier wurde also den von Engels geschilderten Zuständen mehr oder minder grosse Aenderung nicht von aussen aufgeherrscht. Meine Beispiele entlehne ich hauptsächlich der Freihandelsperiode nach 1848, jener paradisischen Zeit, wovon eben so grossmäulige als wissenschaftlich verwahrloste Freihandelshausirburschen den Deutschen so fabelhaft viel vor fauchen. — Uebrigens figurirt England hier nur im Vordergrund, weil es die kapitalistische Produktion klassisch repräsentirt und allein eine officiell fortlaufende Statistik der behandelten Gegenstände besitzt.
(FN 49)Suggestions etc. by Mr. L. Horner, Inspector of Factories“, im: „ Factory Regulation’s Act. Ordered by the House of Commons to be printed 9. Aug. 1859“, p. 4, 5.

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„Wird der Arbeitstag täglich 5 Minuten über die Normaldaner verlängert, so giebt das 2½ Produktionstage im Jahr.(FN 50)“ „Eine zusätzliche Stunde täglich, dadurch gewonnen, dass bald hier ein Stückchen Zeit erhascht wird, bald dort ein anderes Stückchen, macht aus den 12 Monaten des Jahrs 13“(FN 51).

Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur „kurze Zeit“, nur während einiger Tage in der Woche, gearbeitet wird, ändern natürlich nichts an dem Trieb nach Verlängerung des Arbeitstags. Je weniger Geschäfte gemacht werden, desto grösser soll der Gewinn auf das gemachte Geschäft sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto mehr Surplusarbeitszeit soll gearbeitet werden. So berichten die Fabrikinspektoren über die Periode der Krise von 1857 — 1858:

„Man mag es für eine Inkonsequenz halten, dass irgendwelche Ueberarbeit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber sein schlechter Zustand spornt rücksichtslose Leute zu Ueberschreitungen; sie sichern sich so einen Extraprofit …“ „Zur selben Zeit“, sagt Leonhard Horner, „wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz aufgegeben sind, 143 still stehn und alle andern kurze Zeit arbeiten, wird die Ueberarbeit über die gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt(FN 52)“. „Obgleich“, sagt Herr Howell, „in den meisten Fabriken des schlechten Geschäftsstands wegen nur halbe Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach wie vor dieselbe Anzahl von Klagen, dass eine halbe Stunde oder ¾ Stunden täglich den Arbeitern weggeschnappt (snatched) werden durch Eingriffe in die ihnen gesetzlich gesicherten Fristen für Mahlzeit und Erholung(FN 53)“.

Dasselbe Phänomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter während der furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 1865(FN 54).


(FN 50)Reports of the Insp. of Fact. for the half year ended 1856“, p. 34.
(FN 51)Reports etc. 30th April 1858“, p. 9.
(FN 52)Reports etc.“ l. c. p. 43.
(FN 53)Reports etc.“ l. c. p. 25.
(FN 54)Reports etc. for half year ending 30th April 1861.“ Sieh Appendix N. 2; „ Reports etc. 31st Octob. 1862“, p. 7, 52, 53. Die Ueberschreitungen werden wieder zahlreicher mit dem letzten Halbjahr 1863. Vgl. „ Reports etc. ending 31st Oct. 1863“, p. 7.
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„Es wird zuweilen vorgeschützt, wenn wir Arbeiter während der Speisestunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen, dass sie die Fabrik durchaus nicht verlassen wollen, und dass es des Zwangs bedarf, um ihre Arbeit (Reinigen der Maschinen u. s. w.) zu unterbrechen, namentlich Samstag Nachmittags. Aber wenn die „Hände“ nach Stillsetzung der Maschinerie in der Fabrik bleiben, geschieht es nur, weil ihnen zwischen 6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends, in den gesetzlich bestimmten Arbeitsstunden, keine Frist zur Verrichtung solcher Geschäfte gestattet worden ist(FN 55)“.

„Der durch Ueberarbeit über die gesetzliche Zeit zu machende Extraprofit scheint für viele Fabrikanten eine zu grosse Versuchung, um ihr widerstehen zu können. Sie rechnen auf die Chance nicht ausgefunden zu werden und berechnen, dass selbst im Fall der Entdeckung die Geringfügigkeit der Geldstrafen und Gerichtskosten ihnen immer noch eine Gewinnbilanz sichert(FN 56)“. „Wo die zusätzliche Zeit durch Multipli


(FN 55)Reports etc. 31st Oct. 1860“, p. 23. Mit welchem Fanatismus, nach gerichtlichen Aussagen der Fabrikanten, ihre Fabrikhände sich jeder Unterbrechung der Fabrikarbeit widersetzen, zeige folgendes Kuriosum: Anfang Juni 1836 gingen den Magistrates von Dewsbury (Yorkshire) Denunciationen zu, wonach die Eigner von 8 grossen Fabriken in der Nähe von Batley den Fabrikakt verletzt hätten. Ein Theil dieser Herren war angeklagt, 5 Knaben zwischen 12 und 15 Jahren von 6 Uhr Morgen des Freitags bis 4 Uhr Nachmittag des folgenden Samstags abgearbeitet zu haben, ohne irgend eine Erholung zu gestatten, ausser für Mahlzeiten und Eine Stunde Schlaf um Mitternacht. Und diese Kinder hatten die rastlose, 30stündige Arbeit zu verrichten in dem „shoddy-hole“, wie die Höhle heisst, worin Wollenlumpen aufgerissen werden und wo ein Luftmeer von Staub, Abfällen u. s. w. selbst den erwachsenen Arbeiter zwingt, den Mund beständig mit Schnupftüchern zu verbinden, zum Schutz seiner Lungen! Die Herren Angeklagten versicherten an Eidesstatt — als Quäker waren sie zu scrupulös religiöse Männer einen Eid zu leisten, — sie hätten in ihrer grossen Barmherzigkeit den elenden Kindern 4 Stunden Schlaf erlaubt, aber die Starrköpfe von Kindern wollten durchaus nicht zu Bett gehn! Die Herrn Quäker wurden zu 20 Pfd. St. Geldbusse verurtheilt. Dryden ahnte diese Quäker:
„Fox full fraught in seeming sanctity, That feared an oath, but like the devil would lie, That look’d like Lent, and had the holy leer, And durst not sin! before he said his prayer!“
(FN 56)Rep. etc. 31. Oct. 1856“ p. 34.

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kation kleiner Diebstähle („ a multiplication of small thefts“) im Laufe des Tages gewonnen wird, stehn den Inspektoren fast unüberwindliche Schwierigkeiten der Beweisführung im Weg(FN 57)“. Diese „ kleinen Diebstähle“ des Kapitals an der Mahl zeit und Erholungszeit der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspektoren auch als „petty pilferings of minutes“, Mausereien von Minuten(FN 58), „snatching a few minutes“, Wegschnappen von Minuten(FN 59), oder wie die Arbeiter es technisch heissen, „nibbling and cribbling at meal times(FN 60)“.

Man sieht, in dieser Atmosphäre ist die Bildung des Mehrwerths durch die Mehrarbeit kein Geheimniss. „Wenn Sie mir erlauben,“ sagte mir ein sehr respektabler Fabrikherr, „täglich nur 10 Minuten Ueberzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jährlich 1000 Pfd. St. in meine Tasche(FN 61)“. „ Zeitatome sind die Elemente des Gewinns(FN 62)“.

Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung der Arbeiter, die volle Zeit arbeiten, durch „ full times“ und die der Kinder unter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als „ halftimes(FN 63)“. Der Arbeiter ist hier nichts mehr als personificirte Arbeitszeit. Alle individuellen Unterschiede lösen sich auf in die von „ Vollzeitler“ und „ Halbzeitler“.

Den Trieb nach Verlängerung des Arbeitstags, den Wehrwolfsheisshunger für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo masslose Ausschreitungen, nicht übergipfelt, so sagt ein bürgerlicher englischer Oekonom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Rothhäute Amerika’s(FN 64), das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher


(FN 57) l. c. p. 35.
(FN 58) l. c. p. 48.
(FN 59) l. c.
(FN 60) l. c.
(FN 61) l. c. p. 48.
(FN 62)Moments are the elements of profit.“ „ Rep. of the Insp. etc. 30th April 1860“, p. 56.
(FN 63) Der Ausdruck hat offizielles Bürgerrecht, wie in der Fabrik, so in den Fabrikberichten.
(FN 64) „The cupidity of mill owners, whose cruelties in pursuits of gain, have hardly been exceeded by those perpetrated by the Spaniards on the conquest of
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Regulation gelegt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produktionszweige, wo die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fessel frei ist oder es gestern noch war.

„Herr Broughton, ein County Magistrate, erklärte als Präsident eines Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 1 4. Januar 1860, dass in dem mit der Spitzenfabrikation beschäftigten Theile der städtischen Bevölkerung ein der übrigen civilisirten Welt unbekannter Grad von Leid und Entbehrung vorherrscht . . . . Um 2, 3, 4 Uhr des Morgens werden Kinder von 9—10 Jahren ihren schmutzigen Betten entrissen und gezwungen, für die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12 Uhr Nachts zu arbeiten, während ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt zusammenschrumpft, ihre Gesichtszüge abstumpfen und ihr menschliches Wesen ganz und gar in einem steinähnlichen Torpor erstarrt, dessen blosser Anblick schauderhaft ist. Wir sind nicht überrascht, dass Herr Mallet und andere Fabrikanten auftraten, um Protest gegen jede Diskussion einzulegen . . . . Das System, wie der Rev. Mr. Montagu Valpu es beschrieb, ist ein System unbeschränkter Sklaverei, Sklaverei in socialer, physischer, moralischer und intellektueller Beziehung. … Was soll man denken von einer Stadt, die ein öffentliches Meeting abhält, um zu petitioniren, dass die Arbeitszeit für Männer täglich auf 18 Stunden beschränkt werden solle! . . . . Wir deklamiren gegen die virginischen und karolinischen Pflanzer. Ist jedoch ihr Negermarkt, mit allen Schrecken der Peitsche und dem Schacher in Menschenfleisch, abscheulicher als diese langsame Menschenabschlachtung, die vor sich geht, damit Schleier und Kragen zum Vortheil von Kapitalisten fabrizirt werden(FN 65)?“

Die Töpferei (Pottery) von Staffordshire hat während der letzten 22 Jahre den Gegenstand drei parlamentarischer Untersuchungen


America, in the pursuit of gold.“ John Wade: „ History of the Middle and Working Classes. 3d ed. Lond. 1835,“ p. 114. Der theoretische Theil dieses Buchs, eine Art Grundriss der politischen Oekonomie, enthält für seine Zeit einiges Originelle, z. B. über Handelskrisen. Der historische Theil leidet an schamlosem Plagiarismus aus Sir M. Eden’s: „ History of the Poor. London 1799.“
(FN 65) London Daily Telegraph vom 14. Januar 1860.

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gebildet. Die Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn Scriven von 1841 an die „Children’s Employment Commissioners“, im Bericht des Dr. Greenhow von 1860, veröffentlicht auf Befehl des ärztlichen Beamten des Privy Council ( Public Health, 3d Report, I, 102—113), endlich im Bericht des Herrn Longe von 1863, in „ First Report of the Children’s Employment Commission“ vom 13. Juni 1863. Für meine Aufgabe genügt ein kurzer Auszug aus den Zeugenaussagen der verarbeiteten Kinder, in den Berichten von 1860 und 1863. Von den Kindern mag man auf die Erwachsenen schliessen, namentlich Mädchen und Frauen, und zwar in einem Industriezweig, neben dem Baumwollspinnerei u. d. g. als ein sehr angenehmes und gesundes Geschäft erscheint(FN 66).

Wilhelm Wood, neunjährig, „war 7 Jahre 10 Monate alt, als er zu arbeiten begann.“ Er „ ran moulds“ (trug die fertig geformte Waare in die Trockenstube, um nachher die leere Form zurückzubringen) von Anfang an. Er kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr Morgens und hört auf ungefähr 9 Uhr Abends. „Ich arbeite bis 9 Uhr Abends jeden Tag in der Woche. So z. B. während der letzten 7—8 Wochen.“ Also fünfzehnstündige Arbeit für ein siebenjähriges Kind! J. Murray, ein zwölfjähriger Knabe, sagt aus: „I run moulds and turn jigger (drehe das Rad). Ich komme um 6 Uhr, manchmal um 4 Uhr Morgens. Ich habe während der ganzen letzten Nacht bis diesen Morgen 8 Uhr gearbeitet. Ich war nicht im Bett seit der letzten Nacht. Ausser mir arbeiteten 8 oder 9 andre Knaben die letzte Nacht durch. Alle ausser Einem sind diesen Morgen wieder gekommen. Ich bekomme wöchentlich 3 sh. 6 d. (1 Thaler 5 Groschen). Ich bekomme nicht mehr, wenn ich die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der letzten Woche zwei Nächte durchgearbeitet.“ Fernyhough, ein zehnjähriger Knabe: „Ich habe nicht immer eine ganze Stunde für das Mittagsessen; oft nur eine halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag(FN 67).“

Dr. Greenhow erklärt die Lebenszeit in den Töpferdistrikten von Stoke-upon-Trent und Wolstanton für ausserordentlich kurz.


(FN 66) Vgl. EngelsLage etc.“ p. 249—51.
(FN 67)Children’s Employment Commission. First Report etc. 1863“, Appendix p. 16, 19, 18.

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Obgleich im Distrikt Stoke nur 30.6 %, und in Wolstanton nur 30.4 % der männlichen Bevölkerung über 20 Jahre in den Töpfereien beschäftigt sind, fällt im ersten Distrikt mehr als die Hälfte der Todesfälle an Brustkrankheiten unter Männern über 20 Jahren, und im letzteren Distrikt ungefähr ⅖, auf Töpfer. Dr. Boothroyd, praktischer Arzt zu Hanley, sagt aus: „Jede successive Generation der Töpfer ist zwerghafter und schwächer als die vorhergehende.“ Ebenso ein anderer Arzt, Herr Mc Bean: „Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter den Töpfern begann, hat sich die auffallende Entartung dieser Klasse fortschreitend in Abnahme von Gestalt und Gewicht gezeigt.“ Diese Aussagen sind dem Bericht des Dr. Greenhow von 1860 entnommen(FN 68).

Aus dem Bericht der Kommissäre von 1863 Folgendes: Dr. J. T. Arledge, Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt: „Als eine Klasse repräsentiren die Töpfer, Männer und Frauen … eine entartete Bevölkerung, physisch und moralisch. Sie sind in der Regel verzwergt, schlecht gebaut, und oft an der Brust verwachsen. Sie altern vorzeitig und sind kurzlebig; phlegmatisch und blutlos, verrathen sie die Schwäche ihrer Konstitution durch hartnäckige Anfälle von Dyspepsie, Leberund Nierenstörungen und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie Brustkrankheiten unterworfen, der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und dem Asthma. Eine Form des letztern ist ihnen eigenthümlich und bekannt unter dem Namen des Töpfer-Asthma oder der Töpfer-Schwindsucht. Skrophulose, die Mandeln, Knochen oder andre Körpertheile angreift, ist eine Krankheit von mehr als zwei Dritttheilen der Töpfer … Dass die Entartung (Degenerescence) der Bevölkerung dieses Distrikts nicht noch viel grösser ist, verdankt sie ausschliesslich der Rekrutirung aus den umliegenden Landdistrikten und den Zwischenheirathen mit gesundern Racen.“ Herr Charles Pearson, vor kurzem noch House Surgeon derselben Krankenanstalt, schreibt in einem Briefe an den Kommissär Longe u. a.: „Ich kann nur aus persönlicher Beobachtung, nicht statistisch sprechen, aber ich stehe nicht an zu versichern, dass meine Empörung wieder und wieder aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kinder, deren Gesundheit geopfert wurde, um der Habgier ihrer Eltern und Arbeitsgeber zu fröhnen.“ Er zählt die Ursachen der Töpferkrankheiten auf und schliesst sie culminirend


(FN 68)Public Health. 3d Report etc.“, p. 102, 104, 105.

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ab mit „Long Hours“ („langen Arbeitsstunden“). Der Kommissionsbericht hofft, dass „eine Manufaktur von so hervorragender Stellung in den Augen der Welt nicht lange mehr den Makel tragen wird, dass ihr grosser Erfolg begleitet ist von physischer Entartung, vielverzweigten körperlichen Leiden, und frühem Tode der Arbeiterbevölkerung, durch deren Arbeit und Geschick so grosse Resultate erzielt worden sind(FN 69)“. Was von den Töpfereien in England, gilt von denen in Schottland(FN 70).

Die Manufaktur von Schwefelhölzern datirt von 1833, von der Entdeckung, den Phosphor auf die Zündruthe selbst anzubringen. Seit 1845 hat sie sich rasch in England entwickelt und von den dichtbevölkertsten Theilen Londons namentlich auch nach Manchester, Birmingham, Liverpool, Bristol, Norwich, Newcastle, Glasgow verbreitet, mit ihr die Mundsperre, die ein Wiener Arzt schon 1845 als eigenthümliche Krankheit der Schwefelholzmacher entdeckte. Die Hälfte der Arbeiter sind Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren. Die Manufaktur ist wegen ihrer Ungesundheit und Widerwärtigkeit so verrufen, dass nur der verkommenste Theil der Arbeiterklasse, halbverhungerte Wittwen u. s. w., Kinder für sie hergiebt, „zerlumpte, halb verhungerte, ganz verwahrloste und unerzogne Kinder(FN 71).“ Von den Zeugen, die Kommissär White (1863) verhörte, waren 270 unter 18 J., 40 unter 10 J., 10 nur 8 und 5 nur 6 Jahre alt. Wechsel des Arbeitstags von 12 auf 14 und 15 Stunden, Nachtarbeit, unregelmässige Mahlzeiten, meist in den Arbeitsräumen selbst, die vom Phosphor verpestet sind(FN 71). Dante würde in dieser Manufaktur seine grausamsten Höllenphantasien übertroffen finden.

In der Tapetenfabrik werden die gröberen Sorten mit Maschinen, die feineren mit der Hand (block printing) gedruckt. Die lebhaftesten Geschäftsmonate fallen zwischen Anfang Oktober und Ende April. Während dieser Periode dauert diese Arbeit häufig und fast ohne Unterbrechung von 6 Uhr Vormittags bis 10 Uhr Abends und tiefer in die Nacht.


(FN 69)Children’s Employm. Commission. 1863“, p. 24, 22 u. XI.
(FN 70) l. c. p. XLVII.
(FN 71) l. c. p. LIV.
(FN 71) l. c. p. LIV.

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J. Leach sagt aus: „Letzten Winter (1862) blieben von 19 Mädchen 6 weg in Folge durch Ueberarbeitung zugezogener Krankheiten. Um sie wach zu halten, muss ich sie anschreien.“ W. Duffy: „Die Kinder konnten oft vor Müdigkeit die Augen nicht aufhalten, in der That, wir selbst können es oft kaum.“ J. Lightbourne: „Ich bin 13 Jahre alt … Wir arbeiteten letzten Winter bis 9 Uhr Abends und den Winter vorher bis 10 Uhr. Ich pflegte letzten Winter fast jeden Abend vom Schmerz wunder Füsse zu schreien.“ G. Apsden: „Diesen meinen Jungen pflegte ich, als er 7 Jahre alt war, auf meinem Rücken hin und her über den Schnee zu tragen, und er pflegte 16 Stunden zu arbeiten! … Ich habe oft nieder gekniet, um ihn zu füttern, während er an der Maschine stand, denn er durfte sie nicht verlassen, oder stillsetzen.“ Smith, der geschäftsführende Associé einer ManchesterFabrik: „ Wir (er meint seine „Hände,“ die für „uns“ arbeiten) arbeiten ohne Unterbrechung für Mahlzeiten, so dass die Tagesarbeit von 10½ Stunden um 4½ Uhr Nachmittags fertig ist, und alles Spätere ist Ueberzeit(FN 72). (Ob dieser Herr Smith wohl keine Mahlzeit während 10½ Stunden zu sich nimmt?) Wir (derselbe Smith) hören selten auf vor 6 Uhr Abends (er meint mit der Konsumtion „unserer“ Arbeitskraftsmaschinen), so dass wir (iterum Crispinus) in der That das ganze Jahr durch Ueberzeit arbeiten … Die Kinder und Erwachsenen (152 Kinder und junge Personen unter 18 Jahren und 140 Erwachsene) haben gleichmässig während der letzten 18 Monate im Durchschnitt allermindestens 7 Tage und 5 Stunden in der Woche gearbeitet, oder 78½ Stunden wöchentlich. Für die 6 Wochen endend am 2. Mai dieses Jahres (1863) war der Durchschnitt höher — 8 Tage oder 84 Stunden in der Woche!“ Doch fügt derselbe Herr Smith, der dem plu-


(FN 72) Diess ist nicht in unsrem Sinn der Surplusarbeitszeit zu nehmen. Diese Herrn betrachten die 10½ stündige Arbeit als Normalarbeitstag, der also auch die normale Mehrarbeit einschliesst. Dann beginnt „ die Ueberzeit,“ die etwas besser bezahlt wird. Man wird bei einer spätern Gelegenheit sehn, dass die Verwendung der Arbeitskraft während des sogenannten Normaltages unter dem Werthe bezahlt wird, so dass die „Ueberzeit“ ein blosser Kapitalistenpfiff ist, um mehr „Mehrarbeit“ auszupressen, was es übrigens selbst dann bleibt, wenn die während des „Normaltages“ verwandte Arbeitskraft wirklich voll bezahlt wird.

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ralis majestatis so sehr ergeben ist, schmunzelnd hinzu: „Maschinenarbeit ist leicht.“ Und so sagen die Anwender des Block Printing: „Handarbeit ist gesunder als Maschinenarbeit.“ Im Ganzen erklären sich die Herrn Fabrikanten mit Entrüstung gegen den Vorschlag, „ die Maschinen wenigstens während der Mahlzeiten still zu setzen“. „Ein Gesetz,“ sagt Herr Otley, der manager einer Tapetenfabrik in Borough, das „Arbeitsstunden von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends erlaubte, würde uns (!) sehr wohl zusagen, aber die Stunden des Factory Act von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends passen uns (!) nicht … Unsere Maschine wird während des Mittagessens (welche Grossmuth!) still gesetzt. Das Stillsetzen verursacht keinen nennenswerthen Verlust an Papier und Farbe. „Aber,“ fügt er sympathetisch hinzu, „ ich kann verstehn, dass der damit verbundene Verlust nicht geliebt wird.“ Der Kommissionsbericht meint naiv, die Furcht einiger „leitender Firmen“ Zeit, d. h. Aneignungszeit fremder Arbeitszeit, und dadurch „Profit zu verlieren,“ sei kein „hinreichender Grund,“ um Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren während 12 — 16 Stunden ihr Mittagsmahl „verlieren zu lassen“, oder es ihnen zuzusetzen, wie man der Dampfmaschine Kohle und Wasser, der Wolle Seife, dem Rad Oel u. s. w. zusetzt, — während des Produktionsprozesses selbst, als blossen Hilfsstoff des Arbeitsmittels(FN 73).

Kein Industriezweig in England — (wir sehn von dem erst neuerdings sich bahnbrechenden Maschinenbrod ab) — hat so alterthümliche, ja, wie man aus den Dichtern der römischen Kaiserzeit ersehn kann, vorchristliche Produktionsweise bis heute beibehalten, als die Bäckerei. Aber das Kapital, wie früher bemerkt, ist zunächst gleichgültig gegen den technologischen Charakter des Arbeitsprozesses, dessen es sich bemächtigt. Es nimmt ihn zunächst, wie es ihn vorfindet.

Die unglaubliche Brodverfälschung, namentlich in London, wurde zuerst enthüllt durch das Comité des Unterhauses „ über die Verfälschung von Nahrungsmitteln“ (1855—56) und Dr. Hassall’s Schrift: „ Adulterations detected(FN 74)“. Die Folge dieser Enthüllungen war das Gesetz vom 6. August 1860: „for preventing the adulte-


(FN 73) l. c. Appendix p. 123, 124, 125, 140 u. LIV.
(FN 74) Alaun, fein gerieben, oder mit Salz gemischt, ist ein normaler Handelsartikel, der den bezeichnenden Namen „baker’s stuff“ führt.

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ration of articles of food and drink,“ ein wirkungsloses Gesetz, da es natürlich die höchste Delikatesse gegen jeden free-trader beobachtet, der sich vornimmt durch Kauf und Verkauf gefälschter Waaren „to turn an honest penny(FN 75).“ Das Comité selbst formulirte mehr oder minder naiv seine Ueberzeugung, dass Freihandel wesentlich den Handel mit gefälschten, oder wie der Engländer es witzig nennt, „sophisticirten Stoffen“ bedeute. In der That, diese Art „ Sophistik“ versteht es besser als Protagoras schwarz aus weiss und weiss aus schwarz zu machen, und besser als die Eleaten den blossen Schein alles Realen ad oculos zu demonstriren(FN 76).

Jedenfalls hatte das Comité die Augen des Publikums auf sein „tägliches Brod“ und damit auf die Bäckerei gelenkt. Gleichzeitig erscholl in öffentlichen Meetings und Petitionen an das Parlament der Schrei der Londoner Bäckergesellen über Ueberarbeitung u. s. w. Der Schrei wurde so dringend, dass Herr H. S. Tremenheere, auch Mitglied der mehrerwähnten Kommission von 1863, zum königlichen Untersuchungskommissär bestallt wurde. Sein Bericht(FN 77), sammt Zeugenaussagen, regte das Publikum auf, nicht sein Herz, sondern seinen Magen. Der bibelfeste Engländer wusste zwar, dass der Mensch, wenn nicht durch


(FN 75) Russ ist bekanntlich eine sehr energische Form des Kohlenstoffs und bildet ein Düngmittel, das kapitalistische Schornsteinfeger an englische Pächter verkaufen. Es ereignete sich nun 1862 ein Prozess, worin der britische „Juryman“ entscheiden sollte, ob Russ, welchem ohne Wissen des Käufers 90 % Staub und Sand beigemischt sind, „wirklicher“ Russ im „commerciellen“ Sinn oder „gefälschter“ Russ im „gesetzlichen“ Sinn sei. Die „amis du commerce“ entschieden, es sei „wirklicher“ commercieller Russ, und wiesen den klagenden Pächter ab, der noch obendrein die Prozesskosten zu zahlen hatte.
(FN 76) Der französische Chemiker Chevallier, in einer Abhandlung über die „sophistications“ der Waaren, zählt unter 600 und einigen Artikeln, die er Revue passiren lässt, für viele derselben 10, 20, 30 verschiedne Methoden der Fälschung auf. Er fügt hinzu, er kenne nicht alle Methoden und erwähne nicht alle, die er kenne. Für den Zucker giebt er 6 Fälschungsarten, 9 für das Olivenöl, 10 für die Butter, 12 für das Salz, 19 für die Milch, 20 für das Brod, 23 für den Branntwein, 24 für Mehl, 28 für Chokolade, 30 für Wein, 32 für Kaffee etc.
(FN 77)Report etc. relating to the Grievances complained of by the Journeymen Bakers etc. London 1862“ und „ Second Report etc. London 1863.“

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Gnadenwahl Kapitalist oder Landlord oder Sinekurist, dazu berufen ist, sein Brod im Schweisse seines Angesichts zu essen, aber er wusste nicht, dass er in seinem Brode täglich ein gewisses Quantum Menschenschweiss essen muss, getränkt mit Eiterbeulenausleerung, Spinnweb, schwarzen Käfer-Leichnamen und fauler deutscher Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen mineralischen Ingredienzen. Ohne alle Rücksicht auf Seine Heiligkeit, den „Freetrade“, wurde daher die anhero „freie“ Bäckerei der Aufsicht von Staatsinspektoren unterworfen (Ende der Parlamentssitzung 1863) und durch denselben Parlamentsakt die Arbeitszeit von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens für Bäckergesellen unter 18 Jahren verboten. Die letztere Klausel spricht Bände über die Ueberarbeitung in diesem uns so altväterisch anheimelnden Geschäftszweig.

„Die Arbeit eines Londoner Bäckergesellen beginnt in der Regel um 11 Uhr Nachts. Zu dieser Stunde macht er den Teig, ein sehr mühsamer Prozess, der ½ bis ¾ Stunden währt, je nach der Grösse des Gebäcks und seiner Feinheit. Er legt sich dann nieder auf das Kneetbrett, das zugleich als Deckel des Trogs dient, worin der Teig gemacht wird, und schläft ein paar Stunden mit einem Mehlsack unter dem Kopf und einem andern Mehlsack auf dem Leib. Dann beginnt eine rasche und ununterbrochene Arbeit von 4 Stunden, Werfen, Wägen, Formen, in den Ofen schieben, aus dem Ofen holen u. s. w. des Teiges. Die Temperatur eines Backhauses beträgt von 75 bis 90 Grad und in den kleinen Backhäusern eher mehr als weniger. Wenn das Geschäft Brod, Wecken u. s. w. zu machen vollbracht ist, beginnt die Vertheilung des Brods; und ein beträchtlicher Theil der Taglöhner, nachdem er die beschriebene harte Nachtarbeit vollbracht, trägt während des Tags das Brod in Körben, oder schiebt es in Karren, von Haus zu Haus und operirt dazwischen auch manchmal im Backhaus. Je nach der Jahreszeit und dem Umfang des Geschäfts endet die Arbeit zwischen 1 und 6 Uhr Nachmittags, während ein andrer Theil der Gesellen bis spät um Mitternacht im Backhaus beschäftigt ist(FN 78)“. „Während der Londoner Saison beginnen die Gesellen der Bäcker zu „vollen“ Brodpreisen im Westend regelmässig um 11 Uhr Nachts, und sind mit dem Brodbacken, unterbrochen durch einen oder zwei oft sehr


(FN 78) l. c. First Report etc. p. XL.

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kurze Zwischenräume, bis 8 Uhr des nächsten Morgens beschäftigt. Sie werden dann bis 4, 5, 6, ja 7 Uhr zur Brodherumträgerei vernutzt oder manchmal mit Biscuitbacken im Backhaus. Nach vollbrachtem Werk geniessen sie einen Schlaf von 6, oft nur von 5 und 4 Stunden. Freitags beginnt die Arbeit stets früher, sage Abends 10 Uhr und dauert ohne Unterlass, sei es in der Zubereitung, sei es in der Colportirung des Brods, bis den folgenden Samstag Abend 8 Uhr, aber meist bis 4 oder 5 Uhr in Sonntag Nacht hinein. Auch in den vornehmen Bäckereien, die das Brod zum „vollen Preise“ verkaufen, muss wieder 4—5 Stunden am Sonntag vorbereitende Arbeit für den nächsten Tag verrichtet werden … Die Bäckergesellen der „ underselling masters“ (die das Brod unter dem vollen Preise verkaufen), und diese betragen, wie früher bemerkt, über ¾ der Londoner Bäcker, haben noch längere Arbeitsstunden, aber ihre Arbeit ist fast ganz auf das Backhaus beschränkt, da ihre Meister, die Lieferung an kleine Kramläden ausgenommen, nur in der eignen Boutique verkaufen. Gegen „Ende“ der Woche, d. h. am Donnerstag beginnt hier die Arbeit um 10 Uhr in der Nacht und dauert bis tief in Sonntag Nacht hinein(FN 79).“

Von den „underselling masters“ begreift selbst der bürgerliche Standpunkt: „die unbezahlte Arbeit der Gesellen (the unpaid labour of the men) bildet die Grundlage ihrer Konkurrenz“(FN 80). Und der „full priced baker“ denunzirt seine „underselling“ Konkurrenten der Untersuchungskommission als Diebe fremder Arbeit und Fälscher. „Sie reussiren nur durch den Betrug des Publikums und dadurch dass sie 18 Stunden aus ihren Gesellen für einen Lohn von 12 Stunden herausschlagen(FN 81).“

Die Brodfälschung und die Bildung einer Bäckerklasse, die das Brod unter dem vollen Preise verkauft, entwickelten sich in England seit Anfang des 18. Jahrhunderts, sobald der Zunftcharakter des Gewerbs verfiel und der Kapitalist in der Gestalt von Müller oder Mehlfaktor hinter


(FN 79) l. c. p. LXXI.
(FN 80) George Read: „ The History of Baking. London 1848,“ p. 16.
(FN 81) Report ( First) etc. Evidence. Aussage des „full priced baker“ Cheeseman p. 108. Dass der Lohn für 12 Stunden den vielleicht nur 6stündigen Werth der Arbeitskraft ausdrückt, und 6 Stunden daher „unbezahlt“ sind von den 12, ahnt der „full priced“ Mr. Cheeseman schwerlich.

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den nominellen Bäckermeister trat(FN 82). Damit war die Grundlage zur kapitalistischen Produktion, zur masslosen Verlängerung des Arbeitstages und Nachtarbeit gelegt, obgleich letztere selbst in London erst 1824 ernsthaft Fuss fasste(FN 83).

Man wird nach dem Vorhergehenden verstehn, dass der Kommissionsbericht die Bäckergesellen zu den kurzlebigen Arbeitern zählt, die, nachdem sie der unter allen Theilen der Arbeiterklasse normalen Kinderdecimation glücklich entwischt sind, selten das 42. Lebensjahr erreichen. Nichts desto weniger ist das Bäckergewerb stets mit Kandidaten überfüllt. Die Zufuhrquellen dieser „Arbeitskräfte“ für London sind Schottland, die westlichen Agrikulturdistrikte Englands und — Deutschland.

In den Jahren 1858—1860 organisirten die Bäckergesellen in Irland auf ihre eigenen Kosten grosse Meetings zur Agitation gegen die Nachtarbeit und das Arbeiten an Sonntagen. Das Publikum, z. B. auf dem Maimeeting zu Dublin, 1860, ergriff, der zündenden Natur des Irländers gemäss, überall lebhaft Partei für sie. Ausschliessliche Tagesarbeit wurde durch diese Bewegung in der That erfolgreich durchgesetzt zu Wexford, Kilkenny, Clonmel, Waterford u. s. w. „Zu Limerick, wo die Qualen der Lohngesellen bekanntermassen alles Mass überstiegen, scheiterte die Bewegung an der Opposition der Bäckermeister, namentlich der Bäcker-Müller. Das Beispiel Limerick’s führte zum Rückschritt in Ennis und Tipperary. Zu Cork, wo der öffentliche Unwille sich in der lebhaftesten Form kundgab, vereitelten die Meister die Bewegung durch den Gebrauch ihrer Macht die Gesellen an die Luft zu setzen. Zu Dublin leisteten die Meister den entschiedensten Widerstand und zwangen durch Verfolgung der Gesellen, die an der Spitze der Agitation standen, den Rest


(FN 82) George Read l. c. Ende des 17. und Anfangs des 18. Jahrhunderts wurden die in alle möglichen Gewerbe sich eindrängenden Factors (Agenten) noch officiell als „Public Nuisances“ denuncirt. So erliess z. B. die Grand Jury, bei der vierteljährigen Friedensrichtersitzung in der Grafschaft Somerset, ein „presentment“ an das Unterhaus, worin es u. a. heisst: „that these factors of Plackwell Hall are a Publick Nuisance and Prejudice to the Clothing Trade, and ought to be put down as a Nuisance.“ („ The Case of our English Wool etc. London 1685“, p. 6, 7.)
(FN 83) First Report etc. p. VIII.

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zum Nachgeben, zur Fügung in die Nacht- und Sonntagsarbeit(FN 84).“ Die Kommission der in Irland bis an die Zähne gewaffneten englischen Regierung remonstrirt leichenbitterlich gegen die unerbittlichen Bäckermeister von Dublin, Limerick, Cork u. s. w.: „Das Comité glaubt, dass die Arbeitsstunden durch Naturgesetze beschränkt sind, die nicht ungestraft verletzt werden. Indem die Meister durch die Drohung sie fortzujagen, ihre Arbeiter zur Verletzung ihrer religiösen Ueberzeugung, zum Ungehorsam gegen das Landesgesetz und die Verachtung der öffentlichen Meinung zwingen,“ (diess letztere bezieht sich alles auf die Sonntagsarbeit), „setzen sie böses Blut zwischen Kapital und Arbeit und geben ein Beispiel, gefährlich für Religion, Moralität und öffentliche Ordnung … Das Comité glaubt, dass die Verlängerung des Arbeitstags über 12 Stunden ein usurpatorischer Eingriff in das häusliche und Privatleben des Arbeiters ist und so zu unheilvollen moralischen Resultaten führt, durch Einmischung in die Häuslichkeit eines Mannes und die Erfüllung seiner Familienpflichten als Sohn, Bruder, Gatte und Vater. Arbeit über 12 Stunden hat die Tendenz die Gesundheit des Arbeiters zu untergraben, führt zu vorzeitiger Alterung und frühem Tod und daher zum Unglück der Arbeiterfamilien, die der Vorsorge und der Stütze des Familienhaupts grade im nothwendigsten Augenblick beraubt werden“ („are deprived“)(FN 85).

Wir waren eben in Irland. Auf der andern Seite des Kanals, in Schottland, denuncirt der Ackerbauarbeiter, der Mann des Pfluges, seine 13—14stündige Arbeit, im rauhsten Klima, mit vierstündiger Zusatzarbeit für den Sonntag, (in diesem Lande der Sabbat-Heiligen!)(FN 86), während vor einer Londoner Grand Jury gleichzeitig drei Eisenbahnarbeiter stehn, ein Personencondukteur, ein Lokomotivenführer und ein Signalgeber. Ein grosses Eisenbahnunglück hat Hunderte von Passa-


(FN 84)Report of Committee on the Baking Trade in Ireland for 1861.“
(FN 85) l. c.
(FN 86) Oeffentliches Meeting der Agrikulturarbeiter in Lasswade, bei Glasgow, vom 5. Jan. 1866. (Sieh „ Workman’s Advocate“ vom 13. Jan. 1866.) Die Bildung, seit Ende 1865, einer Trade’s Union unter den Agrikulturarbeitern, zunächst in Schottland, ist ein historisches Ereigniss.

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gieren in die andere Welt expedirt. Die Nachlässigkeit der Eisenbahnarbeiter ist die Ursache des Unglücks. Sie erklären vor den Geschworenen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5—6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zudrang der Reiselustigen, wie in den Perioden der Excursion-trains, währe sie oft ununterbrochen 40—50 Stunden. Sie seien gewöhnliche Menschen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihre Arbeitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar „respectable British Juryman“ antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen „manslaughter“ (Todtschlag) vor die nächsten Assisen schickt, und in einem milden Anhang den frommen Wunsch äussert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von „Arbeitskräften“ und „ enthaltsamer“ oder „ entsagender“ oder „ sparsamer“ in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein(FN 87)!

Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen, Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der Erschlagenen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, dass vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, — eine Putzmacherin und einen Grobschmidt.

In den letzten Wochen von Juni 1863 brachten alle Londoner Tagesblätter einen Paragraph mit dem „sensational“ Aushängeschild: „ Death from simple Overwork“ (Tod von einfacher Ueberarbeit). Es handelte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjährig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputzmanufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen


(FN 87)Reynold’s Paper“ vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt dasselbe Wochenblatt gleich darauf, unter den „sensational leadings: „Fearful and fatal accidents“ „Appalling tragedies“ u. s. w., eine ganze Liste neuer Eisenbahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbeiter von der North Staffordlinie: „Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von Lokomotivenführer und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei mass-

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Elise. Die alte oft erzählte Geschichte ward nun neuentdeckt(FN 88), dass diese Mädchen durchschnittlich 16½ Stunden, während der Saison aber oft 30 Stunden ununterbrochen arbeiten, indem ihre versagende „Arbeitskraft“ durch gelegentliche Zufuhr von Sherry, Portwein oder Kaffee flüssig erhalten wird. Und es war grade die Höhe der Saison. Es galt die Prachtkleider edler Ladies für den Huldigungsball bei der frisch importirten Prinzessin von Wales im Umsehn fertig zu zaubern. Mary Anne Walkley hatte 26½ Stunden ohne Unterlass gearbeitet zusammen mit 60 andern Mädchen, je 30 in einem Zimmer, das kaum ⅓ der nöthigen Kubikzoll Luft gewährte, während sie Nachts zwei zu zwei Ein Bett theilten in einem der Sticklöcher, worin Ein Schlafzimmer durch verschiedne Bretterwände abgepfercht ist(FN 89). Und diess war eine der besseren Putz-


loser Verlängerung der Arbeit, im rauhsten Wetter, ohne Pause und Erholung? Nehmt als ein Beispiel, wie es täglich vorkommt, folgenden Fall. Letzten Montag begann ein Heizer sehr früh Morgens sein Tageswerk. Er endete es nach 14 Stunden, 50 Minuten. Bevor er auch nur die Zeit hatte, seinen Thee zu nehmen, wurde er von neuem an die Arbeit gerufen. Er hatte also 29 Stunden, 15 Minuten ununterbrochen durchzuschanzen. Der Rest seines Wochenwerks wurde aufgemacht wie folgt: Mittwoch, 15 Stunden; Donnerstag 15 Stunden, 35 Minuten; Freitag 14½ Stunden; Sonnabend 14 Stunden, 10 Minuten; zusammen für die Woche 88 Stunden, 40 Minuten. Und nun denkt euch sein Erstaunen, als er nur Zahlung für 6 Arbeitstage erhielt. Der Mann war ein Neuling und fragte, was man unter einem Tagewerk verstehe. Antwort: 13 Stunden, also 78 Stunden per Woche. Aber wie mit der Zahlung für die überschüssigen 10 Stunden, 40 Minuten? Nach langem Hader erhielt er eine Vergütung von 10 d. (noch nicht 10 Silbergroschen).“ l. c. Nr. vom 4. Februar, 1866.
(FN 88) Vgl. F. Engels l. c. p. 253, 254.
(FN 89) Dr. Letheby, beim Board of Health funktionirender Arzt, erklärte damals: „Das Minimum für jeden Erwachsnen in einem Schlafzimmer sollte 300 Kubikfuss und in einem Wohnzimmer 500 Kubikfuss Luft sein.“ Dr. Richardson, Oberarzt eines Londoner Hospitals: „Nätherinnen aller Art, Putzmacherinnen, Kleidermacherinnen und gewöhnliche Näherinnen, leiden an dreifachem Elend — Ueberarbeit, Luftmangel und Mangel an Nahrung oder Mangel an Verdauung. Im Ganzen passt diese Art Arbeit für Weiber, besser unter allen Umständen als für Männer. Aber das Unheil des Geschäfts ist, dass es, namentlich in der Hauptstadt, von einigen 26 Kapitalisten monopolisirt wird, die durch Machtmittel, welche dem Kapital entspringen, (that spring from capital) Oekonomie aus der Arbeit herauszwingen, (force economy out of labour; er meint, Auslagen ökonomisiren durch Verschwendung der Arbeitskraft). Diese

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machereien Londons. Mary Anne Walkley erkrankte am Freitag und starb am Sonntag, ohne, zum Erstaunen von Frau Elise, auch nur vorher das letzte Putzstück fertig zu machen. Der zu spät ans Sterbebett gerufene Arzt, Herr Keys, bezeugte vor der Coroner’s Jury in dürren Worten: „Mary Anne Walkley sei gestorben an langen Arbeitsstunden in einem überfüllten Arbeitszimmer und überengem schlechtventilirten Schlafgemache.“ Um dem Arzt eine Lektion in guter Lebensart zu geben, erklärte dagegen die „Coroner’s Jury“: „Die Hingeschiedene sei gestorben an der Apoplexie, aber es sei Grund zu fürchten, dass ihr Tod durch Ueberarbeit in einer überfüllten Werkstatt u. s. w. beschleunigt worden sei.“ Unsere „ weissen Sklaven,“ rief der Morning Star, das Organ der Freihandelsherrn Cobden und Bright, „ unsere weissen Sklaven werden in das Grab hineingearbeitet und verderben und sterben ohne Sang und Klang(FN 90)“.


Macht wird im Bereich der ganzen Klasse von Arbeiterinnen gefühlt. Kann eine Kleidermacherin einen kleinen Kreis von Kunden gewinnen, so zwingt die Konkurrenz sie, sich zu Hause todt zu arbeiten, um ihn zu erhalten, und mit derselben Ueberarbeit muss sie nothwendig ihre Gehülfinnen heimsuchen. Misslingt ihr Geschäft oder kann sie sich nicht selbstständig etabliren, so wendet sie sich an ein Etablissement, wo die Arbeit nicht geringer, aber die Zahlung sicher ist. So gestellt wird sie eine reine Sklavin, hin und her geschleudert von jeder Fluthung der Gesellschaft; bald zu Hause in einem kleinen Zimmer verhungernd, oder nahe so; dann wieder von 24 Stunden 15, 16, ja 18 Stunden beschäftigt in kaum erträglicher Luft, und mit einer Nahrung, die, selbst wenn gut, wegen Abwesenheit reiner Luft nicht verdaut werden kann. Von diesen Opfern lebt die Schwindsucht, welche nichts als eine Luftkrankheit ist.“ (Dr. Richardson: „ Death from simple Overwork“ in „ Social Science Review“, Juliheft, 1863.)
(FN 90) Morning Star, 23. Juni 1863. Die Times benutzte den Vorfall zur Vertheidigung der amerikanischen Sklavenhalter gegen Bright u. s. w. „Sehr viele von uns“, sagt sie, „meinen, dass so lange wir unsre eignen jungen Frauenzimmer zu Tode arbeiten, mit der Geissel des Hungers statt dem Knall der Peitsche, wir kaum das Recht haben, Feuer und Schwert auf Familien zu hetzen, die als Sklavenhalter geboren waren und ihre Sklaven mindestens gut nähren und mässig arbeiten lassen.“ ( Times, Juli 2, 1863.) In derselben Weise kanzelte der Standard, ein Toryblatt, den Rev. Newman Hall ab: „er excommunicire die Sklavenhalter, bete aber mit den braven Leuten, die Kutscher und Omnibusführer von London u. s. w. nur 16 Stunden täglich für einen Hundelohn arbeiten liessen“.
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Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werkstätte der Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz, wo das Geschäft im Zug ist … Lasst uns den Grobschmidt als Beispiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so lebenskräftigen, lustigen Mann als den Grobschmidt. Er erhebt sich früh und schlägt Funken vor der Sonne; er isst und trinkt und schläft wie kein andrer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mässiger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wir folgen ihm in die Stadt, und sehn die Arbeitslast, die auf den starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterblichkeitslisten unsres Landes? Zu Marylebone (einem der grössten Stadtviertel Londons) sterben Grobschmidte in dem Verhältniss von 31 per 1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsener Männer in England. Die Beschäftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und für sich tadellos, wird durch blosse Uebertreibung der Arbeit, der Zerstörer des Mannes. Er kann so viel Hammerschläge täglich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel öfter des Tags zu athmen, und alles zusammen seine Lebensausgabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den Versuch, und das Resultat ist, dass er für eine beschränkte Periode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahr statt im 50. stirbt(FN 91)“.

Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit, und


Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon 1850 drucken liess: „Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben.“ In einer kurzen Parabel reducirt er das einzig grossartige Ereigniss der Zeitgeschichte, den amerikanischen Bürgerkrieg, darauf, dass der Peter vom Norden dem Paul vom Süden mit aller Gewalt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter „ täglich“ und der Paul vom Süden ihn für „ Lebzeit miethet.“ ( Macmillian’s Magazine. Ilias Americana in nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für den städtischen, bei Leibe nicht den ländlichen! — Lohnarbeiter geplatzt. Der Kern heisst — Sklaverei!
(FN 91) Dr. Richardson. l. c.

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mit jedem Tropfen Arbeit ein proportionelles Quantum Mehrarbeit einzusaugen. So weit sie das nicht thun, bildet ihre blosse Existenz einen negativen Verlust für den Kapitalisten, denn sie repräsentiren während der Zeit, wo sie brach liegen, nutzlosen Kapitalvorschuss, und dieser Verlust wird positiv, sobald sie während der Intervalle des Arbeitsprozesses zusätzliche Auslagen erheischen, um sie für den Wiederbeginn des Werks im Gang zu erhalten. Die Verlängerungdes Arbeitstags über die Grenzen des natürlichen Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ, stillt nur annähernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit während aller 24 Stunden des Tags anzueignen, ist daher der immanente Trieb der kapitalistischen Produktion. Da diess aber physisch unmöglich, würden dieselben Arbeitskräfte Tag und Nacht fortwährend ausgesaugt, so bedarf es, zur Ueberwindung des physischen Hindernisses, der Abwechslung zwischen den bei Tag und bei Nacht verspeisten Arbeitskräften, eine Abwechslung, die verschiedne Methoden zulässt, z. B. so geordnet sein kann, dass ein Theil des Arbeiterpersonals eine Woche Tagdienst, Nachtdienst die andre Woche versieht u. s. w. Man weiss, dass dieses Ablösungssystem, diese Wechselwirthschaft, in der vollblütigen Jugendperiode der englischen Baumwollindustrie u. s. w. vorherrschte, und u. a. gegenwärtig in den Baumwollspinnereien von Moskau blüht. Als System existirt dieser 24stündige Produktionsprozess heute noch in vielen bis jetzt „ freien“ Industriezweigen Grossbritaniens, u. a. in den Hochöfen, Schmieden, Walzwerken und andern Metallmanufakturen von England, Wales und Schottland. Der Arbeitsprozess umfasst hier ausser den 24 Stunden der 6 Werkeltage grossentheils auch die 24 Stunden des Sonntags. Die Arbeiter bestehn aus Männern und Weibern, Erwachsenen und Kindern beiderlei Geschlechts. Das Alter der Kinder und jungen Personen durchläuft alle Zwischenstufen vom 8. (in einigen Fällen vom 6.) bis zum 18. Jahr(FN 92). In einigen Branchen arbeiten auch die Mädchen und Weiber des Nachts zusammen mit dem männlichen Personal(FN 93).


(FN 92)Children’s Employment Commission.“ Third Report. Lond. 1864, p. IV, V, VII.
(FN 93) „Both in Staffordshire and in South Wales young girls and women are employed on the pit banks and on the coke heaps, not only by day, but also by
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Von den allgemeinen schädlichen Wirkungen der Nachtarbeit abgesehn(FN 94), bietet die ununterbrochene, vierundzwanzigstündige Dauer des Produktionsprozesses höchst willkommene Gelegenheit die Grenze des nominellen Arbeitstags zu überschreiten. Z. B. in den vorhin erwähnten, sehr anstrengenden Industriezweigen beträgt der officielle Arbeitstag für jeden Arbeiter meist 12 Stunden, Nachtstunden oder Tagesstunden. Aber die Ueberarbeit über diese Grenze hinaus ist in vielen Fällen, um die Worte des englischen officiellen Berichts zu brauchen, „ wirklich


night. This practice has been often noticed in Reports presented to Parliament, as being attended with great and notorious evils. These females, employed with the men, hardly distinguished from them in their dress, and begrimed with dirt and smoke, are exposed to the deterioration of character arising from the loss of self-respect which can hardly fail to follow from their unfeminine occupation.“ l. c. 194, p. XXVI. Vgl. Fourth Report (1865) 61, p. XIII. Ebenso in Glasfabriken.
(FN 94) „Es scheint natürlich,“ bemerkte ein Stahlfabrikant, der Kinder zur Nachtarbeit verwendet, „dass die Jungen, die Nachts arbeiten, bei Tag nicht schlafen und keine ordentliche Ruhe finden können, sondern rastlos am nächsten Tag herumlaufen.“ l. c. Fourth Rep. 63, p. XIII. Ueber die Wichtigkeit des Sonnenlichts zur Erhaltung und Entwicklung des Körpers bemerkt ein Arzt u. a.: „Licht wirkt auch direkt auf die Gewebe des Leibes, denen es Härte und Elasticität giebt. Die Muskeln von Thieren, denen man das normale Quantum Licht vorenthält, werden schwammig und unelastisch, die Nervenkraft verliert ihren Ton durch Mangel an Stimulirung, und die Ausarbeitung von allem was im Wachsthum begriffen ist, wird verkümmert … Im Fall von Kindern ist beständiger Zutritt von reichlichem Tageslicht und der direkten Sonnenstrahlen während eines Theils des Tags durchaus wesentlich für die Gesundheit. Licht hilft die Speisen zu gutem plastischem Blut verarbeiten und härtet die Fiber, nachdem sie gebildet ist. Es wirkt ebenso als Reizmittel auf die Sehorgane und ruft hierdurch grössere Thätigkeit in verschiednen Hirnfunktionen hervor.“ Herr W. Strange, Oberarzt des Worcester „General Hospital“, aus dessen Schrift über „ Gesundheit“ (1864) diese Stelle entlehnt ist, schreibt in einem Brief an einen der Untersuchungskommissaire, Herrn White: „Ich habe früher in Lancashire Gelegenheit gehabt, die Wirkungen der Nachtarbeit auf Fabrikkinder zu beobachten, und im Widerspruch zu der beliebten Versicherung einiger Arbeitsgeber, erkläre ich mit Entschiedenheit, dass die Gesundheit der Kinder schwer davon leidet.“ (l. c. 284, p. 55.) Dass solche Dinge überhaupt den Gegenstand ernsthafter Kontroversen bilden, zeigt am besten, wie die kapitalistische Produktion auf die „ Gehirnfunktionen“ der Kapitalisten und ihrer retainers wirkt.

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schauderhaft“ („truly fearful“)(FN 95). „Kein menschliches Gemüth,“ heisst es, „kann die Arbeitmasse, die nach den Zeugenaussagen durch Knaben von 9 bis 12 Jahren verrichtet wird, überdenken, ohne unwiderstehlich zum Schlusse zu kommen, dass dieser Machtmissbrauch der Eltern und Arbeitgeber nicht länger erlaubt werden darf(FN 96).“

„Die Methode Knaben überhaupt abwechselnd Tag und Nacht arbeiten zu lassen, führt, sowohl während des Geschäftsdrangs als während des gewöhnlichen Verlaufs der Dinge, zu schmählicher Verlängerung des Arbeitstags. Diese Verlängerung ist in vielen Fällen nicht nurgrausam, sondern gradezu unglaublich. Es kann nicht fehlen, dass aus einer oder der andern Ursache ein Ablösungsknabe hier und da wegbleibt. Einer oder mehrere der anwesenden Knaben, die ihren Arbeitstag bereits vollbracht, müssen dann den Ausfall gut machen. Diess System ist so allgemein bekannt, dass der manager eines Walzwerks, auf meine Frage, wie die Stelle der abwesenden Ersatzknaben ausgefüllt würde, antwortete: Ich weiss wohl, dass Sie das eben so gut wissen als ich, und er nahm keinen Anstand die Thatsache zu gestehn(FN 97).“

„In einem Walzwerke, wo der nominelle Arbeitstag für den einzelnen Arbeiter 11½ Stunden war, arbeitete ein Junge 4 Nächte jede Woche bis mindestens 8½ Uhr Abends des nächsten Tags und diess während der 6 Monate, wo er engagirt war.“ „Ein Andrer arbeitete im Alter von 9 Jahren manchmal drei zwölfstündige Ablösungstermine nacheinander, und im Alter von 10 Jahren, zwei Tage und zwei Nächte nach einander.“ „Ein Dritter, jetzt 10 Jahre, arbeitete von Morgens 6 Uhr bis 12 Uhr in die Nacht während drei Nächten und bis 9 Uhr Abends während der andren Nächte.“ „Ein Vierter, jetzt 13 Jahre, arbeitete von 6 Uhr Nachmittags bis den andern Tag 12 Uhr Mittags, während einer ganzen Woche, und manchmal drei Ablösungstermine nach einander, von Montag Morgen bis Dienstag Nacht.“ „Ein Fünfter, jetzt 12 Jahre, arbeitete in einer Eisengiesserei zu Stavely von 6 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts während 14 Tagen, ist unfähig es länger zu thun.“ „ George Allinsworth, neunjährig: „Ich kam hierhin


(FN 95) l. c. 57, p. XII.
(FN 96) l. c. (4th Rep. 1865) 58, p. XII.
(FN 97) l. c.

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letzten Freitag. Nächsten Tag hatten wir um 3 Uhr Morgens anzufangen. Ich blieb daher die ganze Nacht hier. Wohne 5 Meilen von hier. Schlief auf der Flur mit einem Schurzfell unter mir und einer kleinen Jacke über mir. Die zwei andern Tage war ich hier um 6 Uhr Morgens. Ja! diess ist ein heisser Platz! Bevor ich herkam, arbeitete ich ebenfalls während eines ganzen Jahres in einem Hochofen. Es war ein sehr grosses Werk, auf dem Lande. Begann auch Samstag Morgens um 3 Uhr, aber ich konnte wenigstens nach Hause schlafen gehn, weil es nah war. An andern Tagen fing ich 6 Uhr Morgens an und endete 6 oder 7 Uhr Abends u. s. w.(FN 98).“


(FN 98) l. c. p. XIII. Die Bildungsstufe dieser „Arbeitskräfte“ muss natürlich so sein, wie sie in folgenden Dialogen mit einem der Untersuchungskommissäre erscheint! „ Jeremias Haynes, 12 Jahre alt: ‥ Viermal vier ist acht, aber vier Vierer (4 fours) sind 16 … Ein König ist ihm der alles Geld und Gold hat. (A king is him that has all the money and gold.) Wir haben einen König, man sagt, er ist eine Königin, sie nennen sie Prinzessin Alexandra. Man sagt, sie heirathete der Königin Sohn. Eine Prinzessin ist ein Mann.“ Wm. Turner, zwölfjährig: „Lebe nicht in England. Denke, es giebt solch ein Land, wusste nichts davon zuvor.“ John Morris, 14jährig: „Habe sagen hören, dass Gott die Welt gemacht und dass alles Volk ersoff, ausser einem; habe gehört, dass einer ein kleiner Vogel war.“ William Smith, fünfzehnjährig: „Gott machte den Mann; der Mann machte das Weib.“ Edward Taylor, fünfzehnjährig: „Weiss nichts von London.“ Henry Matthewman, siebzehnjährig: „Geh’ manchmal in die Kirche … Ein Name, worüber sie predigten, war ein gewisser Jesus Christ, aber ich kann keine andren Namen nennen, und ich kann auch nichts über ihn sagen. Er wurde nicht gemordet, sondern starb wie andre Leute. Er war nicht so wie andre Leute in gewisser Art, weil er religiös war in gewisser Art, und andere ist es nicht.“ (He was not the same as other people in some ways, because he was religious in some ways, and others is n’t.“ (l. c. 74, p. XV.) „Der Teufel ist eine gute Person. Ich weiss nicht, wo er lebt. Christus war ein schlechter Kerl.“ („The devil is a good person. I don’t know where he lives.“ „Christ was a wicked man.“) „Diess Mädchen (10 Jahre) buchstabirt God Dog und kannte den Namen der Königin nicht.“ („ Ch. Empl. Comm. V. Rep. 1866, p. 55, n. 278.) Dasselbe System, das in den erwähnten Metallmanufakturen, herrscht in den Glas- und Papierfabriken. In den Papierfabriken, wo das Papier mit Maschinen gemacht wird, ist Nachtarbeit die Regel für alle Prozesse ausser dem der Lumpensortirung. In einigen Fällen wird die Nachtarbeit, vermittelst Ablösungen, unaufhörlich die ganze Woche durch fortgesetzt, gewöhnlich von Sonntag Nacht bis 12 Uhr Nacht des folgenden Samstags. Die Mannschaft, die sich an der Tagesreihe befindet, arbeitet 5 Tage von 12 und einen

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Lasst uns nun hören, wie das Kapital selbst diess VierundzwanzigStundensystem auffasst. Die Uebertreibungen des Systems, seinen Missbrauch zur „grausamen und unglaublichen“ Verlängerung des Arbeitstags, übergeht es natürlich mit Stillschweigen. Es spricht nur von dem System in seiner „ normalen“ Form.

„Die Herren Naylor und Vickers, Stahlfabrikanten, die zwischen 600 und 700 Personen anwenden, und darunter nur 10 % unter 18 Jahren, und hiervon wieder nur 20 Knaben zum Nachtpersonal, äussern sich wie folgt: „Die Knaben leiden durchaus nicht von der Hitze. Die Temperatur ist wahrscheinlich 86° bis 90°. . . . . In den Hammerund Walzwerken arbeiten die Hände Tag und Nacht ablösungsweise, aber dahingegen ist auch alles andre Werk Tagwerk, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. In der Schmiede wird von 12 Uhr bis 12 Uhr gearbeitet. Einige Hände arbeiten fortwährend des Nachts ohne Wechsel zwischen Tagund Nachtzeit . . . . Wir finden nicht, dass Tagoder Nachtarbeit irgend einen Unterschied in der Gesundheit (der Herren Naylor und Vickers?) macht, und wahrscheinlich schla-


von 18 Stunden, und die der Nachtreihe 5 Nächte von 12 Stunden und eine von 6 Stunden, in jeder Woche. In andern Fällen arbeitet jede Reihe 24 Stunden, die eine nach der andern, an Wechseltagen. Eine Reihe arbeitet 6 Stunden am Montag, und 18 am Samstag, um 24 Stunden vollzumachen. In andern Fällen ist ein Zwischensystem eingeführt, worin alle an der Papiermacher-Maschinerie Angestellten jeden Tag in der Woche 15—16 Stunden arbeiten. Diess System, sagt Untersuchungskommissär Lord, scheint alle Uebel der Zwölfstundenund der Vierundzwanzigstunden-Ablösung zu vereinigen. Kinder unter 13 Jahren, junge Personen unter 18 und Weiber arbeiten unter diesem Nachtsystem. Manchmal, in dem Zwölfstundensystem, mussten sie, wegen Ausbleiben der Ablöser, die doppelte Reihe von 24 Stunden arbeiten. Zeugenaussagen beweisen, dass Knaben und Mädchen sehr oft Ueberzeit arbeiten, die sich nicht selten zu 24, ja 36 Stunden ununterbrochner Arbeit ausdehnt. In dem „kontinuirlichen und unveränderlichen“ Prozess der Glasirräume findet man Mädchen von 12 Jahren, die den ganzen Monat durch täglich 14 Stunden arbeiten, „ohne irgend eine regelmässige Erholung oder Unterbrechung ausser zwei, höchstens drei halbstündigen Ausfällen für Mahlzeiten.“ In einigen Fabriken, wo man die reguläre Nachtarbeit ganz aufgegeben, wird entsetzlich viel Ueberzeit gearbeitet und „diess häufig in den schmutzigsten, heissesten und monotonsten Prozessen.“ („ Children’s Employment Commission. Report IV, 1865,“ p. XXXVIII und XXXIX.)

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fen Leute besser, wenn sie dieselbe Ruheperiode geniessen, als wenn sie wechselt . . . . Ungefähr zwanzig Knaben unter 18 Jahren arbeiten mit der Nachtmannschaft . . . . Wir könntens nicht recht thun (not well do) ohne die Nachtarbeit von Jungen unter 18 Jahren. Unser Einwurf ist — die Vermehrung der Produktionskosten . . . . Geschickte Hände und Häupter von Departements sind schwer zu haben, aber Jungens kriegt man so viel man will . . . . Natürlich, Anbetrachts der geringen Proportion von Jungen, die wir verwenden, wären Beschränkungen der Nachtarbeit von wenig Wichtigkeit oder Interesse für uns(FN 99).“

„Herr J. Ellis, von der Firma der Herren John Brown et Co., Stahlund Eisenwerke, die 3000 Männer und Jungen anwenden, und zwar für Theil der schweren Stahlund Eisenarbeit „Tag und Nacht, in Ablösungen“, erklärt, dass in den schweren Stahlwerken einer oder zwei Jungen auf zwei Männer kommen. Ihr Geschäft zählt 500 Jungen unter 18 Jahren und davon ungefähr ⅓, oder 170, unter 13 Jahren. Mit Bezug auf die vorgeschlagne Gesetzänderung meint Herr Ellis: „Ich glaube nicht, dass es sehr tadelhaft (very objectionable) wäre, keine Person unter 18 Jahren über 12 Stunden aus den 24 arbeiten zu lassen. Aber ich glaube nicht, dass man irgend eine Linie ziehen kann für die Entbehrlichkeit von Jungen über 12 Jahren für die Nachtarbeit. Wir würden sogar eher ein Gesetz annehmen, keine Jungen unter 13 Jahren oder selbst so hoch wie 14 Jahre, überhaupt zu verwenden, als ein Verbot die Jungen, die wir einmal haben, während der Nacht zu brauchen. Die Jungen, die in der Tagesreihe, müssen wechselweis auch in der Nachtreihe arbeiten, weil die Männer nicht unaufhörlich Nachtarbeit verrichten können; es würde ihre Gesundheit ruiniren. Wir glauben jedoch, dass Nachtarbeit, wenn die Woche dafür wechselt, keinen Schaden thut. (Die Herren Naylor und Vickers glaubten, übereinstimmend mit dem Besten ihres Geschäfts, umgekehrt, dass statt der fortwährenden, grade die periodisch wechselnde Nachtarbeit möglicher Weise Schaden anrichten kann.) Wir finden die Leute, die die alternirende Nachtarbeit verrichten, grade so gesund als die, die nur am Tage arbeiten . . . . Unsere Einwürfe gegen die Nichtanwendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit


(FN 99) Fourth Report etc. 1865, 79, p. XVI.

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würden gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage, aber diess ist auch der einzige Grund. (Wie cynisch naiv!) Wir glauben, dass diese Vermehrung grösser wäre, als das Geschäft (the trade) mit schuldiger Rücksicht auf seine erfolgreiche Ausführung billiger Weise tragen könnte. (As the trade with dueregard to etc. could fairly bear! Welche breimäulige Phraseologie!) Arbeit ist hier rar, und könnte unzureichend werden unter einer solchen Regulation“ (d. h. Ellis, Brown et Co. könnten in die fatale Verlegenheit kommen den Werth der Arbeitskraft voll zahlen zu müssen)(FN 100).

Die „Cyklops Stahlund Eisenwerke“ der Herren Cammell et Co. werden auf derselben grossen Stufenleiter ausgeführt, wie die des besagten John Brown et Co. Der geschäftsführende Direktor hatte dem Regierungskommissär White seine Zeugenaussage schriftlich eingehändigt, fand es aber später passend, das zur Revision ihm wieder zurückgestellte Manuscript zu unterschlagen. Jedoch Herr White hat ein nachhaltiges Gedächtniss. Er erinnert sich ganz genau, dass für diese Herrn Cyklopen das Verbot der Nachtarbeit von Kindern und jungen Personen „ein Ding der Unmöglichkeit; es wäre dasselbe, als setzte man ihre Werke still“, und dennoch zählt ihr Geschäft wenig mehr als 6 % Jungen unter 18 und nur 1 % unter 13 Jahren(FN 101)!

Ueber denselben Gegenstand erklärt Herr E. F. Sanderson, von der Firma Sanderson, Bros. et Co., Stahl-Walzund Schmiedewerke, in Attercliffe: „Grosse Schwierigkeiten würden entspringen aus dem Verbot Jungen unter 18 Jahren des Nachts arbeiten zu lassen, die Hauptschwierigkeit aus der Vermehrung der Kosten, welche ein Ersatz der Knabenarbeit durch Männerarbeit nothwendig nach sich zöge. Wie viel das betragen würde, kann ich nicht sagen, aber wahrscheinlich wäre es nicht so viel, dass der Fabrikant den Stahlpreis erhöhen könnte, und folglich fiele der Verlust auf ihn, da die Männer (welch querköpfig Volk!) natürlich weigern würden, ihn zu tragen.“ Herr Sanderson weiss nicht, wie viel er den Kindern zahlt, aber „vielleicht beträgt es 4 bis 5 sh. per Kopf die Woche … Die Knabenarbeit ist von einer Art, wofür im Allgemeinen („generally,“ natürlich nicht immer „im Besondern“) die


(FN 100) l. c. 80.
(FN 101) l. c. 82.

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Kraft der Jungens grade ausreicht, und folglich würde kein Gewinn aus der grössern Kraft der Männer fliessen, um den Verlust zu kompensire, oder doch nur in den wenigen Fällen, wo das Metall sehr schwer ist. Die Männer würden es auch minder lieben keine Knaben unter sich zu haben, da Männer minder gehorsam sind. Ausserdem müssen die Jungen jung anfangen, um das Geschäft zu lernen. Die Beschränkung der Jungen auf blosse Tagesarbeit würde diesen Zweck nicht erfüllen.“ Und warum nicht? Warum können Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen? Deinen Grund? „Weil dadurch die Männer, die in Wechselwochen bald den Tag, bald die Nacht arbeiten, von den Jungen ihrer Reihe während derselben Zeit getrennt, halb den Profit verlieren würden, den sie aus ihnen herausschlagen. Die Anleitung, die sie den Jungen geben, wird nämlich als Theil des Arbeitslohnes dieser Jungen berechnet und befähigt die Männer daher die Jungenarbeit wohlfeiler zu bekommen. Jeder Mann würde seinen halben Profit verlieren. (In andern Worten, die Herren Sanderson müssten einen Theil des Arbeitslohnes der erwachsenen Männer aus eigner Tasche, statt mit der Nachtarbeit der Jungen zahlen. Der Profit der Herren Sanderson würde bei dieser Gelegenheit etwas fallen und diess ist der Sanderson’sche gute Grund, warum Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen können(FN 102).) Ausserdem würde diess reguläre Nachtarbeit auf die Männer werfen, die nun von den Jungen abgelöst werden, und sie würden das nicht aushalten. Kurz und gut, die Schwierigkeiten wären so gross, dass sie wahrscheinlich zur gänzlichen Unterdrückung der Nachtarbeit führen würden.“ „Was die Produktion von Stahl selbst angeht,“ sagt E. F. Sanderson, „würde es nicht den geringsten Unterschied machen, aber!“ Aber die Herren Sanderson haben mehr zu thun als Stahl zu machen. Die Stahlmacherei ist blosser Vorwand der Plusmacherei. Die Schmelzöfen, Walzwerke u.s. w., die Baulichkeiten, die Maschinerie, das Eisen, die Kohle u. s. w. haben mehr zu thun als sich


(FN 102) „In unserer reflexionsreichen und raisonnirenden Zeit muss es Einer noch nicht weit gebracht haben, der nicht für Alles, auch das Schlechteste und Verkehrteste, einen guten Grund anzugeben weiss. Alles, was in der Welt verdorben worden ist, das ist aus guten Gründen verdorben worden.“ ( Hegel l. c. p. 249.)

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in Stahl zu verwandeln. Sie sind da, um Mehrarbeit einzusaugen und saugen natürlich mehr davon in 24 Stunden als in 12 Stunden ein. Sie geben in der That von Gottes und Rechtswegen den Sandersons eine Anweisung auf die Arbeitszeit einer gewissen Anzahl von Händen für volle 24 Stunden des Tags, und verlieren ihren Kapitalcharakter, sind daher reiner Verlust für die Sandersons, sobald ihre Funktion der Arbeitseinsaugung unterbrochen wird. „ Aber dann wäre da der Verlust so viel kostspieliger Maschinerie, welche die halbe Zeit brach läge, und für eine solche Produktenmasse, wie wir fähig sind, sie bei dem gegenwärtigen System zu leisten, müssten wir Räumlichkeiten und Maschinenwerke verdoppeln, was die Auslage verdoppeln würde.“ Aber warum sollen grade diese Sandersons ein Privilegium der Arbeitsausbeutung vor den andern Kapitalisten geniessen, die nur bei Tag arbeiten lassen dürfen und deren Baulichkeiten, Maschinerie, Rohmaterial daher bei Nacht „brach“ liegen? „Es ist wahr“, antwortet E. F. Sanderson im Namen aller Sandersons, „es ist wahr, dass dieser Verlust von brachliegender Maschinerie alle Manufakturen trifft, worin nur bei Tag gearbeitet wird. Aber der Gebrauch der Schmelzöfen würde in unserem Fall einen Extraverlust verursachen. Hält man sie im Gang, so wird Brennmaterial verwüstet, (statt dass jetzt das Lebensmaterial der Arbeiter verwüstet wird) und hält man sie nicht im Gang, so setzt das Zeitverlust im Wiederanlegen des Feuers und zur Gewinnung des nöthigen Hitzegrads (während der Verlust, selbst Achtjähriger, an Schlafzeit Gewinn von Arbeitszeit für die Sandersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Temperaturwechsel leiden“ (während doch dieselbigen Oefen nichts leiden vom Tagund Nachtwechsel der Arbeit)(FN 103).


(FN 103) l. c. p. 85. Auf ähnliches zartes Bedenken der Herrn Glasfabrikanten, dass „ regelmässige Mahlzeiten“ der Kinder „ unmöglich“ sind, weil dadurch ein bestimmtes „ Quantum Hitze“, das die Oefen ausstrahlen, „ reiner Verlust“ für sie wäre oder „ verwüstet“ würde, antwortet Untersuchungskommissär White, durchaus nicht gerührt, gleich Ure, Senior etc., und ihren schmalen deutschen Nachkläffern, wie Roscher etc., von der „Enthaltsamkeit,“ „Entsagung“ und „Sparsamkeit“ der Kapitalisten in Verausgabung ihres Geldes, und ihrer Timur-Tamerlanschen „Verschwendung“ von Leben andrer Menschen, wie folgt: „ Ein gewisses Quantum Hitze mag über das jetzige Mass hinaus verwüstet werden, in Folge von Sicherung

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Was ist ein Arbeitstag?“ Wie gross ist die Zeit, während deren das Kapital die Arbeitskraft, deren Tageswerth es zahlt, konsumiren darf? Wie weit kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Reproduktion der Arbeitskraft selbst nothwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen, man hat es gesehn, antwortet das Kapital: der Arbeitstag zählt täglich volle 24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Arbeitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es versteht sich zunächst von selbst, dass der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist ausser Arbeitskraft, dass daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechtswegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwerthung des Kapitals angehört. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen, zu


regulärer Mahlzeiten, aber selbst in Geldwerth ist es nichts verglichen mit der Verwüstung von Lebenskraft („the waste of animal power“), die jetzt dem Königreich daraus erwächst, dass in den Glashütten beschäftigte und im Wachsthum begriffene Kinder keine Ruhezeit finden, ihre Speisen bequem einzunehmen und zu verdauen.“ (l. c. p. XLV.) Und das im „Fortschrittsjahr“ 1865! Abgesehn von der Kraftausgabe im Heben und Tragen, marschirt ein solches Kind in den Hütten, die Flaschen und Flintglas machen, während der kontinuirlichen Verrichtung seiner Arbeit, 15 bis 20 (englische) Meilen in 6 Stunden! Und die Arbeit dauert oft 14 bis 15 Stunden! In vielen dieser Glashütten herrscht, wie in den Spinnereien von Moskau, das System sechsstündiger Ablösungen. „Während der Arbeitszeit der Woche sind sechs Stunden die äusserste ununterbrochne Rastperiode, und davon geht ab die Zeit zur und von der Fabrik zu gehn, Waschen, Kleiden, Speisen, was alles Zeit kostet. So bleibt in der That nur die kürzeste Ruhezeit. Keine Zeit für Spiel und frische Luft, ausser auf Kosten des Schlafes, so unentbehrlich für Kinder, die in solch heisser Atmosphäre solch anstrengendes Werk verrichten . . . . Selbst der kurze Schlaf ist dadurch unterbrochen, dass das Kind sich selbst wecken muss bei Nacht, oder bei Tag vom Aussenlärm geweckt wird.“ Herr White giebt Fälle, wo ein Junge 36 Stunden nach einander arbeitete; andere, wo Knaben von 12 Jahren bis zwei Uhr Nachts schanzen und dann in der Hütte schlafen bis 5 Uhr Morgens (3 Stunden!), um das Tagewerk von neuem zu beginnen! „Die Masse Arbeit,“ sagen die Redakteure des allgemeinen Berichts, Tremenheere und Tufnell, „die Knaben, Mädchen und Weiber im Lauf ihres täglichen oder nächtlichen Arbeitsbanns („ spell of labour“) verrichten, ist fabelhaft.“ (l. c. XLIII und XLIV.) Unterdess wankt vielleicht, eines Abends späte, das „entsagungs volle“ Glaskapital, Portweinduslig, aus dem Klub nach Haus, idiotisch vor sich hersummend: „Britons never, never shall be slaves!“

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geselligem Verkehr, zum freien Spiel der physischen und geistigen Leibeskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags — und wäre es im Lande der Sabbathheiligen(FN 104) — reiner Firlefanz! Aber in seinem masslos blinden Trieb, seinem Wehrwolfs-Heisshunger nach Mehrarbeit überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die reinphysischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usurpirt die Zeit für Wachsthum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Körpers. Es raubt die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und Sonnenlicht. Es knickert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie, wo möglich, dem Produktionsprozess selbst, so dass dem Arbeiter als blossem Produktionsmittel Speisen zugesetzt werden, wie dem Dampfkessel Kohle und der Maschinerie Talg oder Oel. Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneurung und Erfrischung der Lebenskraft reduzirt es auf so viel Stunden dumpfen Torpor als die Wiederbelebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht. Statt dass die normale Erhaltung der Arbeitskraft hier die Schranke des Arbeitstags, bestimmt umgekehrt die grösste täglich mögliche Verausgabung der Arbeitskraft, wie krankhaft gewaltsam und peinlich auch immer, die Schranke für die Rastzeit des Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessirt, ist einzig und allein das Maximum von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann.


(FN 104) In England z. B. wird immer noch hier und da auf dem Lande ein Arbeiter zu Gefängnissstrafe verurtheilt wegen Entheiligung des Sabbaths durch Arbeit auf dem Gärtchen vor seinem Hause. Derselbe Arbeiter wird wegen Kontraktbruches bestraft, bleibt er des Sonntags, sei es selbst aus religiösen Mucken, vom Metall-, Papieroder Glaswerk weg. Das orthodoxe Parlament hat kein Ohr für Sabbathentheiligung, wenn sie im „Verwerthungsprozess“ des Kapitals vorgeht. In einer Denkschrift ( August 1863) der Londoner journeymen fishmongers and poulterers, worin die Abschaffung der Sonntagsarbeit verlangt wird, heisst es, dass ihre Arbeit während der ersten 6 Wochentage durchschnittlich 15 Stunden täglich dauert und am Sonntag 8—10 Stunden. Man entnimmt zugleich aus dieser Denkschrift, dass es namentlich die kitzliche Gourmandise der aristokratischen Mucker von Exeter Hall ist, die diese „Sonntagsarbeit“ ermuthigt. Diese „Heiligen“, so eifrig „in cute curanda“, bewähren ihr Christenthum durch die Ergebung, womit sie die Ueberarbeit, die Entbehrungen und den Hunger dritter Personen ertragen.„ Obsequium ventris istis (den Arbeitern) perniciosius est.“

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Es erreicht diess Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeitskraft, wie ein habgieriger Landwirth gesteigerten Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht.

Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehrwerth, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produzirt also mit der Verlängerung des Arbeitstags nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeitskraft, die sie ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungsund Bethätigungsbedingungen beraubt. Sie produzirt die vorzeitige Erschöpfung und Abtödtung der Arbeitskraft selbst(FN 105). Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit.

Der Werth der Arbeitskraft schliesst aber den Werth der Waaren ein, welche zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiterklasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängerung des Arbeitstags, die das Kapital in seinem masslosen Trieb nach Selbstverwerthung nothwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der Verschlissenen nöthig, also das Eingehn grösserer Verschleisskosten in die Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzirende Werththeil einer Maschine um so grösser ist, in je kürzerer Zeit sie verschleisst. Das Kapital scheint daher durch sein eignes Interesse auf einen Normal-Arbeitstag hingewiesen.

Der Sklavenhalter kauft seinen Arbeiter, wie er sein Pferd kauft. Mit dem Sklaven verliert er ein Kapital, das durch neue Auslage auf dem Sklavenmarkt ersetzt werden muss. Aber „die Reisfelder von Georgien und die Sümpfe des Mississippi mögen fatalistisch zerstörend auf die menschliche Constitution wirken; dennoch ist diese Verwüstung von menschlichem Leben nicht so gross, dass sie nicht gut gemacht werden könnte aus den strotzenden Gehegen von Virginien und Kentucky. Oekonomische Rücksichten, die eine Art Sicherheit für die menschliche Behandlung des Sklaven bieten könnten, sofern sie das Interesse des Herrn mit der Erhaltung des Sklaven identifiziren, verwandeln sich, nach Einführung des


(FN 105) „We have given in our previous reports the statements of several experienced manufacturers to the effect that over-hours . . . . certainly tend prematurely to exhaust the working power of the men.“ l. c. 64, p. XIII.

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Sklavenhandels, umgekehrt in Gründe der extremsten Zugrunderichtung des Sklaven, denn sobald sein Platz einmal durch Zufuhr aus fremden Negergehegen ausgefüllt werden kann, wird die Dauer seines Lebens minder wichtig als dessen Produktivität, so lange es dauert. Es ist daher eine Maxime der Sklavenwirthschaft in Ländern der Sklaveneinfuhr, dass die wirksamste Oekonomie darin besteht, die grösstmöglichste Masse Leistung in möglichst kurzer Zeit dem Menschenvieh (human chattle) auszupressen. Es ist in tropischer Kultur, wo die jährlichen Profite oft dem Gesammtkapital der Pflanzungen gleich sind, dass Negerleben am rücksichtslosesten geopfert wird. Es ist die Agrikultur Westindiens, seit Jahrhunderten die Wiege fabelhaften Reichthums, die Millionen der afrikanischen Race verschlungen hat. Es ist heut zu Tage in Cuba, dessen Revenüen nach Millionen zählen, und dessen Pflanzer Fürsten sind, wo wir bei der Sklavenklasse, ausser der gröbsten Nahrung, der erschöpfendsten und unablässigsten Plackerei, einen grossen Theil durch die langsame Tortur von Ueberarbeit und Mangel an Schlaf und Erholung jährlich direkt zerstört sehn“(FN 106).

Mutato nomine de te fabula narratur! Lies statt Sklavenhandel Arbeitsmarkt, statt Kentucky und Virginien Irland und die Agrikulturdistrikte von England, Schottland und Wales, statt Afrika Deutschland! Wir hörten, wie die Ueberarbeit mit den Bäckern in London aufräumt, und dennoch ist der Londoner Arbeitsmarkt stets überfüllt mit deutschen und anderen Todeskandidaten für die Bäckerei. Die Töpferei, wie wir sahen, ist einer der kurzlebigsten Industriezweige. Fehlt es desswegen an Töpfern? Josiah Wedgwood, der Erfinder der modernen Töpferei, von Haus selbst ein gewöhnlicher Arbeiter, erklärte 1785 vor dem Hause der Gemeinen, dass die ganze Manufaktur 15 bis 20,000 Personen beschäftige(FN 107). Im Jahr 1861 betrug die Bevölkerung allein der städtischen Sitze dieser Industrie in Grossbritanien 101,302. „Die Baumwollindustrie zählt 90 Jahre . . . . In drei Generationen der englischen Race hat sie neun Generationen von Baumwollarbeitern verspeist(FN 108)“. Aller-


(FN 106) Cairns l. c. p. 110, 111.
(FN 107) John Ward: „ History of the Borough of Stoke-uponTrent. London 1843“, p. 42.
(FN 108) Ferrand’s Rede im „House of Commons“ vom 27. April 1863.

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dings, in einzelnen Epochen fieberhaften Aufschwungs zeigte der Arbeitsmarkt bedenkliche Lücken. So z. B. 1834. Aber die Herrn Fabrikanten schlugen nun den Poor Law Commissioners vor die „Uebervölkerung“ der Ackerbaudistrikte nach dem Norden zu schicken, mit der Erklärung, dass die Fabrikanten sie absorbiren und konsumiren würden(FN 109). Diess waren ihre eigensten Worte. „Agenten wurden zu Manchester bestallt mit Einwilligung der Poor Law Commissioners. Agrikulturarbeiterlisten wurden ausgefertigt und diesen Agenten übermacht. Die Fabrikanten liefen in die Büreaus, und nachdem sie, was ihnen passte, ausgewählt, wurden die Familien vom Süden Englands verschickt. Diese Menschenpackete wurden geliefert mit Etiquetten gleich so viel Güterballen, auf Kanal und Lastwagen, — einige strolchten zu Fusse nach und viele irrten verloren und halbverhungert in den Manufakturdistrikten umher. Diess entwickelte sich zu einem wahren Handelszweig. Das Haus der Gemeinen wird es kaum glauben. Dieser regelmässige Handel, dieser Schacher in Menschenfleisch, dauerte fort, und diese Leute wurden gekauft und verkauft von den Manchester Agenten an die Manchester Fabrikanten, ganz so regelmässig wie Neger an die Baumwollpflanzer der südlichen Staaten . . . . Das Jahr 1860 bezeichnet das Zenith der Baumwollindustrie. Es fehlte wieder an Händen. Die Fabrikanten wandten sich wieder an die Fleischagenten und diese durchstöberten die Dünen von Dorset, die Hügel von Devon und die Ebenen von Wilts, aber die Uebervölkerung war bereits verspeist. Der „ Bury Guardian“ jammerte, dass 10,000 zusätzliche Hände nach Abschluss des englisch-französischen Handelsvertrags absorbirt werden könnten und bald an 30 oder 40,000 mehr nöthig sein würden. Nachdem die Agenten und Subagenten des Fleischhandels die Agrikulturdistrikte 1860 ziemlich resultatlos durchgefegt, wandte sich eine Fabrikantendeputation an Herrn Villiers, den Präsidenten des Poor Law Board, um wieder wie früher Zufuhr der Armenund Waisenkinder aus den Workhouses erlaubt zu erhalten(FN 110).“


(FN 109) „That the manufacturers would absorb it and use it up. Those were the very words used by the cotton manufacturers.“ l. c.
(FN 110) l. c. Villiers, trotz bestem Willen, war „gesetzlich“ in der Lage das Fabrikantenanliegen abschlagen zu müssen. Die Herrn erreichten jedoch ihre Zwecke durch die Willfährigkeit der lokalen Armenverwaltungen. Herr A. Redgrave, Fabrikinspektor, versichert, dass diessmal das System, wonach die Waisen

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Was die Erfahrung dem Kapitalisten im Allgemeinen zeigt, ist eine beständige Uebervölkerung, d. h. Uebervölkerung im Verhältniss


und Pauper’s Kinder „gesetzlich“ als apprentices (Lehrlinge) gelten, „nicht begleitet war von den alten Missständen“ — (über diese„Missstände“ vgl. Engels l. c.) —, obgleich allerdings in einem Fall „Missbrauch mit dem System getrieben worden ist, in Bezug auf eine Anzahl Mädchen und junge Weiber, die von den Agrikulturdistrikten Schottlands nach Lancashire und Cheshire gebracht wurden.“ In diesem „System“ schliesst der Fabrikant einen Kontrakt mit den Behörden der Armenhäuser für bestimmte Perioden. Er nährt, kleidet und logirt die Kinder und giebt ihnen einen kleinen Zuschuss in Geld. Sonderbar klingt folgende Bemerkung des Herrn Redgrave, namentlich wenn man bedenkt, dass selbst unter den Prosperitätsjahren der englischen Baumwollindustrie das Jahr 1860 einzig dasteht und die Arbeitslöhne ausserdem hoch standen, weil die ausserordentliche Arbeitsnachfrage auf Entvölkerung in Irland stiess, auf beispiellose Auswanderung von englischen und schottischen Agrikulturdistrikten nach Australien und Amerika, auf positive Abnahme der Bevölkerung in einigen englischen Agrikulturdistrikten in Folge theils glücklich erzielten Bruchs der Lebenskraft, theils des früheren Abschöpfens der disponiblen Bevölkerung durch die Händler in Menschenfleisch. Und trotz alledem sagt Herr Redgrave: „Diese Art Arbeit (der Armenhauskinder) wird jedoch nur gesucht, wenn keine andere gefunden werden kann, denn es ist theure Arbeit (high-priced labour). Der gewöhnliche Arbeitslohn für einen Jungen von 13 Jahren ist ungefähr 4 sh. wöchentlich; aber 50 oder 100 solcher Jungen logiren, kleiden, nähren, mit ärztlicher Hilfsleistung und passender Oberaufsicht versehn, und ihnen obendrein eine kleine Zubusse in Geld geben, ist unthubar für 4 sh. per Kopf wöchentlich.“ („ Rep. of the Insp. of Factories for 30th April 1860“ p. 27.) Herr Redgrave vergisst zu sagen, wie der Arbeiter selbst diess alles seinen Jungen für ihre 4 sh. Arbeitslohn leisten kann, wenn es der Fabrikant nicht kann für 50 oder 100 Jungen, die gemeinsam logirt, beköstigt und beaufsichtigt werden. Zur Abwehr falscher Schlussfolgerungen aus dem Text muss ich hier noch bemerken, dass die englische Baumwollindustrie, seit ihrer Unterwerfung unter den Factory Act von 1850 mit seiner Reglung der Arbeitszeit u. s. w., als die englische Musterindustrie betrachtet werden muss. Der englische Baumwollarbeiter steht in jeder Hinsicht höher als sein kontinentaler Schicksalsgenosse. „Der preussische Fabrikarbeiter arbeitet mindestens 10 Stunden mehr per Woche als sein englischer Rivale, und wenn er an seinem eignen Webstuhl zu Hause beschäftigt wird, fällt selbst diese Schranke seiner zusätzlichen Arbeitsstunden weg.“ („ Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1855“ p. 103.) Der obenerwähnte Fabrikinspektor Redgrave reiste nach der Industrieausstellung von 1851 auf dem Kontinent, speziell in Frankreich und Preussen, um die dortigen Fabrikzustände zu untersuchen. Er sagt von dem preussischen Fabrikarbeiter: „Er erhält einen Lohn ausreichend
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zum augenblicklichen Verwerthungsbedüfniss des Kapitals, obgleich sie aus verkümmerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrängenden, so zu sagen unreif gepflückten Menschengenerationen ihren Strom bildet(FN 111). Allerdings zeigt die Erfahrung dem verständigen Beobachter auf der andern Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschichtlich gesprochen, kaum von gestern datirt, die Volkskraft an der Lebenswurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölkerung nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente vom Lande verlangsamt wird, und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden principle of natural selection, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen lässt, schon abzuleben beginnen(FN 112). Das Kapital, das so „gute Gründe“ hat, die Leiden der es umgebenden Arbeitergeneration zu läugnen, wird in seiner praktischen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der Menschheit und schliesslich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig und so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. In jeder Aktienschwindelei weiss jeder, dass das Unwetter einmal einschlagen muss, aber jeder hofft, dass es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem


zur Verschaffung einfacher Kost und der wenigen Comforts, woran er gewöhnt und womit er zufrieden ist . . . . Er lebt schlechter und arbeitet härter als sein englischer Rivale.“ („ Rep. of Insp. of Fact. 31 st Oct. 1853“ p. 85.)
(FN 111) „Die Ueberarbeiteten sterben mit befremdlicher Raschheit; aber die Plätze derer, die untergehn, sind sofort wieder ausgefüllt, und ein häufiger Wechsel der Personen bringt keine Aenderung auf der Bühne hervor.“ „ England and America. London 1833“, t. I, 55. (Verfasser E. G. Wakefield.)
(FN 112) Siehe: „ Public Health. Sixth Report of the Medical Officer of the Privy Council. 1863.“ Veröffentlicht London, 1864. Dieser Report handelt namentlich von den Agrikulturarbeitern. „Man hat die Grafschaft Sutherland als eine sehr verbesserte Grafschaft dargestellt, aber eine neuerliche Untersuchung hat entdeckt, dass hier, in Distrikten einst so berühmt wegen schöner Männer und tapferer Soldaten, die Einwohner degenerirt sind zu einer mageren und verkümmerten Raçe. In den gesundesten Lagen, auf Hügelabhängen im Angesicht des Meers, sind die Gesichter ihrer Kinder so dünn und blass, wie sie nur in der faulen Atmosphäre einer Londoner Winkelgasse sein können.“ ( Thornton l. c. p. 74, 75.) Sie gleichen in der That den 30,000 „gallant Highlanders,“ die Glasgow in seinen wynds und closes mit Prostituirten und Dieben zusammenbettet.

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er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Après moile déluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird(FN 113). Der Klage über physische und geistige Verkümmerung, vorzeitigen Tod, Tortur der Ueberarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im Grossen und Ganzen hängt diess aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äusserliches Zwangsgesetz geltend(FN 114).

Die Festsetzung eines normalen Arbeitstags ist das Resultat eines vielhundertjährigen Kampfes zwischen Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt die Geschichte dieses Kampfes zwei entgegengesetzte Strömungen. Man vergleiche z. B. die englische Fabrikgesetzgebung unserer Zeit mit den englischen Arbeitsstatuten vom 14.


(FN 113) „Obgleich die Gesundheit der Bevölkerung ein so wichtiges Element des nationalen Kapitals ist, fürchten wir gestehn zu müssen, dass die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand sind, diesen Schatz zu erhalten und werth zu achten. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiter wurde den Fabrikanten aufgezwungen.“ („ Times“, October 1861.) „Die Männer des West Riding wurden die Tuchmacher der Menschheit, die Gesundheit des Arbeitervolks wurde geopfert, und in ein paar Generationen wäre die Raçe degenerirt, aber eine Reaktion trat ein. Die Stunden der Kinderarbeit wurden beschränkt u. s. w.“ („ Report of the Registrar General for October 1861.“)
(FN 114) Wir finden daher z. B., dass Anfang 1863 26 Firmen, welche ausgedehnte Töpfereien in Staffordshire besitzen, darunter auch J. Wedgwood und Söhne, in einer Denkschrift „ um gewaltsame Einmischung des Staatspetitioniren. Die „Konkurrenz mit andern Kapitalisten“ erlaube ihnen keine „ freiwillige“ Beschränkung der Arbeitszeit der Kinder u. s. w. „So sehr wir daher die oben erwähnten Uebel beklagen, würde es unmöglich sein, sie durch irgend eine Art Uebereinkunft unter den Fabrikanten zu verhindern . . . . In Anbetracht aller dieser Punkte, sind wir zur Ueberzeugung gelangt, dass ein Zwangsgesetz nöthig ist.“ Children’s Emp. Comm. Rep. I, 1863, p. 322.
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bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts(FN 115). Während das moderne Fabrikgesetz den Arbeitstag gewaltsam abkürzt, suchen ihn jene Statute gewaltsam zu verlängern. Allerdings erscheinen die Ansprüche des Kapitals im Embryozustand, wo es erst wird, also noch nicht durch blosse Gewalt der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch durch Hilfe der Staatsmacht sein Einsaugungsrecht eines genügenden Quantums Mehrarbeit sichert, ganz und gar bescheiden, vergleicht man sie mit den Konzessionen, die es in seinem Mannesalter knurrend und widerstrebig machen muss. Es kostet Jahrhunderte, bis der „freie“ Arbeiter, in Folge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise, sich freiwillig dazu versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmässigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu verkaufen. Es ist daher natürlich, dass die Verlängerung des Arbeitstags, die das Kapital von Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahrhunderts staatsgewaltig den volljährigen Arbeitern aufzudringen sucht, ungefähr mit der Schranke der Arbeitszeit zusammenfällt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Verwandlung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staatswegen gezogen wird. Was heute, z. B. im Staate Massachussetts, bis jüngst dem freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamirt ist, war in England noch Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblütiger Handwerker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmidte(FN 116).


(FN 115) Diese Arbeiterstatute, die man gleichzeitig auch in Frankreich, den Niederlanden u. s. w. findet, wurden in England erst 1813 formell aufgehoben, nachdem sie längst von den Produktionsverhältnissen beseitigt waren.
(FN 116) „No child under the age of 12 years shall be employed in any manufacturing establishment more than 10 hours in one day.“ „ General Statutes of Massachussetts. 63, ch. 12. (Die Ordonnanzen sind erlassen von 1836—1858.) „Labour performed during a period of 10 hours on any day in all cotton, woollen, silk, paper, glass, and flax factories, or in manufactories of iron and brass, shall be considered a legal day’s labour. And be it enacted, that hereafter no minor engaged in any factory shall be holden or required to work more than 10 hours in any day, or 60 hours in any week; and that hereafter no minor shall be admitted as a worker under the age of 10 years in any factory

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Das erste „ Statute of Labourers“ (23 Eduard III. 1349) fand seinen unmittelbaren Vorwand (nicht seine Ursache, denn die Gesetzgebung dieser Art dauert Jahrhunderte fort ohne den Vorwand) in der grossen Pest, welche die Bevölkerung dezimirte, so dass, wie ein Tory Schriftsteller sagt, „die Schwierigkeit Arbeiter zu raisonablen Preisen (d. h. zu Preisen, die ihren Anwendern ein raisonables Quantum Mehrarbeit liessen) an die Arbeit zu setzen, in der That unerträglich wurde(FN 117)“. Raisonable Arbeitslöhne wurden daher zwangsgesetzlich diktirt, ebenso wie die Grenze des Arbeitstags. Der letztere Punkt, der uns hier allein interessirt, ist wiederholt in dem Statut von 1496 (unter Henry VIII). Der Arbeitstag für alle Handwerker (artificers) und Ackerbauarbeiter vom März bis September sollte damals, was jedoch nie durchgesetzt wurde, dauern von 5 Uhr Morgens bis zwischen 7 und 8 Uhr Abends, aber die Stunden für Mahlzeiten betragen 1 Stunde für Frühstück, 1½ Stunden für Mittagsessen, und ½ Stunde für Vieruhrenbrod, also grade doppelt so viel als nach dem jetzt gültigen Fabrikakt(FN 118). Im Winter sollte ge-


within this state.“ „ State of New Jersey. An act to limit the hours of labour etc., 61 und 2. (Gesetz vom 11. März 1855.) „No minor who has attained the age of 12 years, and is under the age of 15 years, shall be employed in any manufacturing establishment more than 11 hours in any one day, nor before 5 o’clock in the morning, nor after 7½ in the evening.“ „ Revised Statutes of the State of Rhode Island etc. ch. 39, §. 23, 1st July 1857.“
(FN 117)Sophisms of Free Trade. 7th edit. Lond. 1850“, p. 205. Derselbe Tory giebt übrigens zu: „Parlamentsakte, die die Arbeitslöhne gegen die Arbeiter zu Gunsten der Arbeitsanwender regulirten, währten für die lange Periode von 464 Jahren. Die Bevölkerung wuchs. Diese Gesetze wurden nun überflüssig und lästig.“ (l. c. p. 206.)
(FN 118) J. Wade bemerkt mit Recht in Bezug auf diess Statut: „Aus dem Statut von 1496 geht hervor, dass die Nahrung als Aequivalent für ⅓ des Einkommens eines Handwerkers und ⅔ des Einkommens eines Agrikulturarbeiters galt, und diess zeigt eine grössere Stufe von Unabhängigkeit unter den Arbeitern an als jetzt vorherrscht, wo die Nahrung der Arbeiter in Agrikultur und Manufaktur ein viel höheres Verhältniss zu ihren Löhnen bildet.“ (J. Wade l. c. p. 24, 25 u. 577.) Die Meinung als sei diese Differenz etwa der Differenz im Preisverhältniss zwischen Nahrungsmitteln und Kleidungsstücken, jetzt und damals, geschuldet, widerlegt der oberflächlichste Blick auf: „ Chronicon Pretiosum etc. By Bishop Fletwood. 1st edit. London 1707. 2nd edit. London 1745.“

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arbeitet werden von 5 Uhr Morgens bis zum Dunkeln, mit denselben Unterbrechungen. Ein Statut der Elisabeth von 1562 für alle Arbeiter, „gedungen für Lohn per Tag oder Woche“, lässt die Länge des Arbeitstags unberührt, sucht aber die Zwischenräume zu beschränken auf 2½ Stunden für den Sommer und 2 für den Winter. Das Mittagsessen soll nur eine Stunde dauern und „der Nachmittagsschlaf von ½ Stunde“ nur zwischen Mitte Mai und Mitte August erlaubt sein. Für jede Stunde Abwesenheit soll 1 d. (etwa 10 Pfennige) vom Lohn abgehen. In der Praxis jedoch war das Verhältniss den Arbeitern viel günstiger als im Statutenbuch. Der Vater der politischen Oekonomie und gewissermassen der Erfinder der Statistik, William Petty, sagt in einer Schrift, die er im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts veröffentlichte: „Arbeiter (labouring men, eigentlich damals Ackerbauarbeiter) arbeiten 10 Stunden täglich und nehmen wöchentlich 20 Mahlzeiten ein, nämlich an Arbeitstagen täglich drei und an Sonntagen zwei; woraus man klärlich sieht, dass, wenn sie an Freitag Abenden fasten wollten und in anderthalb Stunden zu Mittag speisen wollten, während sie jetzt zu dieser Mahlzeit zwei Stunden brauchen, von 11 bis 1 Uhr Morgens, wenn sie also mehr arbeiteten und weniger verzehrten, das Zehntel der oben erwähnten Steuer aufbringbar wäre(FN 119)“. Hatte Dr. Andrew Ure nicht Recht, die Zwölfstundenbill von 1833 als Rückgang in die Zeiten der Finsterniss zu verschreien? Allerdings gelten die in den Statuten und von Petty erwähnten Bestimmungen auch für „ apprentices“ (Lehrlinge). Wie es aber noch Ende des 17. Jahrhunderts mit der Kinderarbeit stand, ersieht man aus folgender Klage: „Unsere Jugend, hier in England, treibt gar nichts bis zu der Zeit wo sie Lehrlinge werden, und dann brauchen sie natürlich lange Zeit — sieben Jahre — um sich zu vollkommenen Handwerkern zu bilden“. Deutschland wird dagegen gerühmt, weil dort die Kinder von der Wiege auf wenigstens zu „ein bischen Beschäftigung erzogen werden“(FN 120).


(FN 119) „W. Petty: Political Anatomy of Ireland. 1672. edit. 1691“, p. 10.
(FN 120)A Discussion on the Necessity of Encouraging Mechanick Industry. London 1689“, p. 13. Macaulay, der die englische Geschichte im Whigund Bourgeoisinteresse zurechtgefälscht hat, deklamirt wie

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Noch während des grössten Theils des 18. Jahrhunderts, bis zur Epoche der grossen Industrie, war es dem Kapital in England nicht gelungen, durch Zahlung des wöchentlichen Werths der Arbeitskraft sich der ganzen Wochenarbeit des Arbeiters, mit Ausnahme jedoch des Agrikulturarbeiters, zu bemächtigen. Der Umstand, dass sie eine ganze Woche mit dem Lohn von 4 Tagen leben konnten, schien den Arbeitern kein hinreichender Grund, auch die andren zwei Tage für den Kapitalisten zu arbeiten. Eine Seite der englischen Oekonomen denuncirte im Dienst des Kapitals diesen Eigensinn auf’s Wüthendste, eine andre Seite vertheidigte die Arbeiter. Hören wir z. B. die Polemik zwischen Postlethwaite, dessen Handels-Diktionnair damals denselben Ruf genoss wie heut zu Tage ähnliche Schriften von Mac Culloch und Mac


folgt: „Die Praxis, Kinder vorzeitig an die Arbeit zu setzen, herrschte im 17. Jahrhundert in einem für den damaligen Zustand der Industrie fast unglaublichen Grad vor. Zu Norwich, dem Hauptsitz der Wollenindustrie, wurde ein Kind von 6 Jahren für arbeitsfähig gehalten. Verschiedene Schriftsteller jener Zeit, und darunter manche, die als ausserordentlich wohlgesinnt betrachtet wurden, erwähnen mit „Exultation“ (Entzücken) die Thatsache, dass in dieser Stadt allein Knaben und Mädchen einen Reichthum schaffen, der über ihren eignen Unterhalt hinaus 12,000 Pfd. St. in einem Jahr betrug. Je genauer wir die Geschichte der Vergangenheit untersuchen, desto mehr Grund finden wir die Ansicht derer zu verwerfen, die unser Zeitalter für fruchtbar an neuen socialen Uebeln halten. Das was neu ist, ist die Intelligenz, die die Uebel entdeckt, und die Humanität, die sie heilt.“ („ History of England“, v. I, p. 419.) Macaulay hätte weiter berichten können, dass „ausserordentlich wohlgesinnte“ amis du commerce im 17. Jahrhundert mit „Exultation“ erzählen, wie in einem Armenhaus in Holland ein Kind von 4 Jahren beschäftigt wurde, und dass diess Beispiel der „vertue mise en pratique“ in allen Schriften von Humanitairen à la Macaulay Muster passirt bis zur Zeit A. Smith’s. Es ist richtig, dass mit dem Aufkommen der Manufaktur im Unterschied zum Handwerk sich Spuren der Kinderexploitation zeigen. Die Tendenz des Kapitals ist unverkennbar, aber die Thatsachen selbst stehn noch so vereinzelt, wie die Erscheinung zweiköpfiger Kinder. Sie wurden daher „mit Exultation“, als besonders merkwürdig und bewundernswerth, von ahnungsvollen „ amis du commerce“ für Mitund Nachwelt aufgezeichnet und zur Nachahmung empfohlen. Derselbe schottische Sykophant und Schönredner Macaulay sagt: „man höre heute nur von Rückschritt und sehe nur Fortschritt“. Was für Augen und namentlich was für Ohren!

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Gregor, und dem früher citirten Verfasser des „ Essay on Trade and Commerce(FN 121).

Postlethwaite sagt u. a.: „Ich kann diese wenigen Bemerkungen nicht abschliessen, ohne Notiz zu nehmen von der trivialen Redensart in dem Munde zu vieler, dass wenn der Arbeiter (industrious poor) in 5 Tagen genug erhalten kann um zu leben, er nicht volle 6 Tage arbeiten will. Daher schliessen sie auf die Nothwendigkeit, selbst die nothwendigen Lebensmittel durch Steuern oder irgend welche andre Mittel zu vertheuern, um den Handwerker und Manufakturarbeiter zu unausgesetzter sechstägiger Arbeit in der Woche zu zwingen. Ich muss um die Erlaubniss bitten, andrer Meinung zu sein als diese grossen Politiker, welche für die beständige Sklaverei der Arbeiterbevölkerung dieses Königreichs („the perpetual slavery of the working people“) die Lanze einlegen; sie vergessen das Sprichwort „ all work and no play“ (nur Arbeit, und kein Spiel, macht dumm). Brüsten sich die Engländer nicht mit der Genialität und Gewandtheit ihrer Handwerker und Manufakturarbeiter, die bisher den britischen Waaren allgemeinen Kredit und Ruf verschafft haben? Welchem Umstand war diess geschuldet? Wahrscheinlich keinem andern als der Art und Weise, wie unser Arbeitsvolk, eigenlaunig, sich zu zerstreuen weiss. Wären sie gezwungen das ganze Jahr durchzuarbeiten, alle sechs Tage in der Woche, in steter Wiederholung desselben Werkes, würde das nicht ihre Genialität abstumpfen, und sie dumm-träg statt munter und gewandt machen; und


(FN 121) Unter den Anklägern der Arbeiter ist der grimmigste der im Text erwähnte anonyme Verfasser von: „ An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. London 1770“. Schon früher in seiner Schrift: „ Considerations on Taxes. London 1765.“ Auch Polonius Arthur Young, der unsägliche statistische Schwätzer, folgt in derselben Linie. Unter den Vertheidigern der Arbeiter stehn oben an: Jacob Vanderlint in: „ Money answers all things. London 1734“, Rev. Nathaniel Forster, D. D. in: „ An Enquiry into the Causes of the Present Price of Provisions. London 1766“, Dr. Price, und namentlich auch Postlethwaite, sowohl in einem Supplement zu seinem „ Universal Dictionary of Trade and Commerce“ als in: „ Great Britain’s Commercial Interest explained and improved. 2nd edit. London 1755“. Die Thatsachen selbst findet man bei vielen andern gleichzeitigen Schriftstellern konstatirt, u. a. bei Josiah Tucker.

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würden unsere Arbeiter in Folge solcher ewigen Sklaverei ihren Ruf nicht verlieren statt erhalten? Welche Art Kunstgeschick könnten wir erwarten von solch hart geplackten Thieren? (hard driven animals) . . . . Viele von ihnen verrichten soviel Arbeit in 4 Tagen als ein Franzose in 5 oder 6. Aber wenn Engländer ewige Schanzarbeiter sein sollen, so steht zu fürchten, dass sie noch unter die Franzosen entarten (degenerate) werden. Wenn unser Volk wegen seiner Tapferkeit im Krieg berühmt ist, sagen wir nicht, dass diess einerseits dem guten englischen Roastbeef und Pudding in seinem Leibe, andrerseits nicht minder unsrem konstitutionellen Geiste der Freiheit geschuldet ist? Und warum sollte die grössere Genialität, Energie und Gewandtheit unserer Handwerker und Manufakturarbeiter nicht der Freiheit geschuldet sein, womit sie sich in ihrer eignen Art und Weise zerstreuen? Ich hoffe, sie werden nie weder diese Privilegien verlieren, noch das gute Leben, woraus ihre Arbeitstüchtigkeit und ihr Muth gleichmässig herstammen“!(FN 122)

Darauf antwortet der Verfasser des „ Essay on Trade and Commerce“:

„Wenn es für eine göttliche Einrichtung gilt, den siebenten Tag der Woche zu feiern, so schliesst diess ein, dass die andern Wochentage der Arbeit (er meint dem Kapital, wie man gleich sehn wird) angehören, und es kann nicht grausam gescholten werden, diess Gebot Gottes zu erzwingen . . . . . Dass die Menschheit im Allgemeinen von Natur zur Bequemlichkeit und Trägheit neigt, davon machen wir die fatale Erfahrung im Betragen unsres Manufakturpöbels, der durchschnittlich nicht über 4 Tage die Wochearbeitet, ausser im Fall einer Theurung der Lebensmittel . . . . Gesetzt ein Bushel Weizen repräsentire alle Lebensmittel des Arbeiters, koste 5 sh., und der Arbeiter verdiene einen Shilling täglich durch seine Arbeit. Dann braucht er bloss 5 Tage in der Woche zu arbeiten; nur 4, wenn der Bushel 4 sh. beträgt . . . . Da aber der Arbeitslohn in diesem Königreich viel höher steht, verglichen mit dem Preise der Lebensmittel, so besitzt der Manufakturarbeiter, der 4 Tage arbeitet, einen Geldüberschuss, womit er während des Rests der Woche müssig lebt . . . . Ich hoffe, ich habe genug gesagt, um klar zu


(FN 122) Postlethwaite l. c. „ First Preliminary Discourse“, p. 14.

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machen, dass mässiges Arbeiten von 6 Tagen in der Woche keine Sklaverei ist. Unsere Agrikulturarbeiter thun diess und, allem Anschein nach, sind sie die Glücklichsten unter den Arbeitern (labouring poor)(FN 123), aber die Holländer thun es in den Manufakturen und scheinen ein sehr glückliches Volk. Die Franzosen thun es, so weit nicht die vielen Feiertage dazwischen kommen(FN 124) . . . . Aber unser Manufakturpöbel hat sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt, dass sie als Engländer durch das Recht der Geburt das Privilegium besitzen, freier und unabhängiger zu sein als die Arbeiter in irgend einem andern Lande von Europa. Nun, diese Idee, so weit sie auf die Tapferkeit unserer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für sie selbst und den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren Vorgesetzten („independent of their superiors“) halten . . . . Es ist ausserordentlich gefährlich, mobs in einem kommerziellen Staat wie dem unsrigen zu encouragiren, wo vielleicht 7 Theile von den 8 der Gesammtbevölkerung Leute mit wenig oder keinem Eigenthum sind(FN 125) . . . . . Die Kur wird nicht vollständig sein, bis unsre industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tage für dieselbe Summe zu arbeiten, die sie nun in 4 Tagen verdienen(FN 126). Zu diesem Zwecke, wie zur „Ausrottung der Faullenzerei, Ausschweifung und romantischen Freiheitsduselei“, ditto „zur Minderung der Armentaxe, Förderung des Geistes der Industrie und Herabdrückung des Arbeitspreises in den Manufakturen“, schlägt unser treuer Eckart des Kapitals das


(FN 123)An Essay etc.“ Er selbst erzählt p. 96, worin schon 1770 „das Glück“ der englischen Agrikulturarbeiter bestand. „Ihre Arbeitskräfte („their working powers“) sind stets auf das Aeusserste angespannt („on the stretch“); sie können nicht schlechter leben als sie thun („they cannot live cheaper than they do“), noch härter arbeiten“ („nor work harder“).
(FN 124) Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals.
(FN 125)An Essay etc.“ p. 15—57 passim.
(FN 126) l. c. p. 69. Jacob Vanderlint erklärte schon 1734, das Geheimniss der Kapitalistenklage über die Faullenzerei des Arbeitervolks sei einfach, dass sie für denselben Lohn 6 statt 4 Arbeitstage beanspruchten.

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probate Mittel vor, solche Arbeiter, die der öffentlichen Wohlthätigkeit anheimfallen, in einem Wort, paupers, einzusperren in ein „ ideales Arbeitshaus“ ( an ideal Workhouse). „Ein solches Haus muss zu einem Hause des Schreckens ( House of Terror) gemacht werden(FN 127). In diesem „ Hause des Schreckens“, diesem „ Ideal von einem Workhouse“, soll gearbeitet werden 14 Stunden täglich mit Einbegriff jedoch der passenden Mahlzeiten, so dass volle 12 Arbeitsstunden übrig bleiben“(FN 128).

Zwölf Arbeitsstunden täglich im „ Workhaus-Ideal“, im Hause des Schreckens von 1770! Drei und sechzig Jahre später, 1833, als das englische Parlament in vier Fabrikzweigen den Arbeitstag für Kinder von 13 bis 18 Jahren auf zwölf volle Arbeitsstunden herabsetzte, schien der jüngste Tag der englischen Industrie angebrochen! 1852, als L. Bonaparte bürgerlich Fuss zu fassen suchte durch Rütteln am gesetzlichen Arbeitstag, schrie das französische Arbeitervolk aus einem Munde: „Das Gesetz, das den Arbeitstag auf 12 Stunden verkürzt, ist das einzige Gut, das uns von der Gesetzgebung der Republik blieb“(FN 129)! In Zürich ist die Arbeit von Kindern über 10 Jahren auf 12 Stunden beschränkt; im Aargau wurde 1862 die Arbeit von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren von


(FN 127) l. c. p. 260: „Such ideal workhouse must be made an „ House of Terror“, and not an asylum for the poor, where they are to be plentifully fed, warmly and decently clothed, and where they do but little work.“
(FN 128) „In this ideal workhouse the poor shall work 14 hours in a day, allowing proper time for meals, in such manner that there shall remain 12 hours of neat labour.“ (l. c.) „Die Franzosen“, sagt er, „lachen über unsre enthusiastischen Ideen von Freiheit.“ (l. c. p. 78.)
(FN 129) „They especially objected to work beyond the 12 hours per day, because the law which fixed those hours is the only good which remains to them of the legislation of the Republic.“ ( Rep. of Insp. of Fact. 31. Octob. 1856, p. 80.) Das französische Zwölfstundengesetz vom 5. September 1850, eine verbürgerlichte Ausgabe des Dekrets der provisorischen Regierung vom 2. März 1848, erstreckt sich auf alle Ateliers ohne Unterschied. Vor diesem Gesetz war der Arbeitstag in Frankreich unbeschränkt. Er währte in den Fabriken 14, 15 und mehr Stunden. Siehe „ Des classes ouvrières en France, pendant l’année 1848. Par M. Blanqui.“ Herr Blanqui, der Oekonom, nicht der Revolutionär, war von Regierungswegen mit der Enquête über die Arbeiterzustände betraut.

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12½ auf 12 Stunden reducirt, in Oestreich 1860 für Kinder zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden(FN 130). Welch ein „ Fortschritt seit 1770“ würde Macaulay „mit Exultation“ aufjauchzen!

Das „ Haus des Schreckens“ für Paupers, wovon die Kapitalseele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges „ Arbeitshaus“ für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess Fabrik. Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit.

Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeitstag bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12 Stunden zu verlängern(FN 131), erfolgte nun, seit der Geburt der grossen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und


(FN 130) Lobenswerth wären die Verordnungen der Herrn v. d. Heydt und Manteuffel vom 18. August 1853 und 12. August 1854, wenn sie — ausgeführt würden. Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als bürgerlicher Musterstaat. Lord Howard de Welden, englischer Bevollmächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d. d. 12. Mai 1862: „Der Minister Rogier erklärte mir, dass weder ein allgemeines Gesetz noch Lokalregulationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; dass die Regierung sich während der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, dass sie aber stets ein unüberwindliches Hinderniss fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung im Widerspruch mit dem Prinzip vollkommener Freiheit der Arbeit“!
(FN 131) „Es ist sicher sehr bedauerlich, dass irgend eine Klasse von Personen 12 Stunden täglich sich abplacken muss. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die Zeit um zu und von der Werkstatt zu gehn, so beträgt diess in der That 14 von den 24 Tagesstunden … Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe, anstehn zuzugeben, dass vom moralischen Gesichtspunkt eine so gänzliche Absorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlass, vom frühen Alter von 13 Jahren, und in den „freien“ Industriezweigen selbst von viel früherem Alter an, ausserordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. Im Interesse der öffentlichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkerung, und um der grossen Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuss zu verschaffen, muss darauf gedrungen werden, dass in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes Arbeitstags reservirt werde für Erholung und Musse.“ ( Leonhard Horner in: „ Insp. of Fact. Reports. 31 st Dec. 1841.“)

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Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht, wurde zertrümmert. Selbst die Begriffe von Tag und Nacht, bäuerlich einfach in den alten Statuten, verschwammen so sehr, dass ein englischer Richter noch 1860 wahrhaft talmudistischen Scharfsinn aufbieten musste, um „urtheilskräftig“ zu erklären, was Tag und Nacht sei(FN 132). Das Kapital feierte seine Orgien.

Sobald die vom Produktionslarm übertölpelte Arbeiterklasse wieder einigermassen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im Geburtsland der grossen Industrie, in England. Während drei Decennien jedoch blieben die von ihr ertrotzten Konzessionen rein nominell. Das Parlament erliess 5 Arbeits-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau keinen Pfennig für ihre zwangsmässige Ausführung, das nöthige Beamtenpersonal u. s. w. zu votiren(FN 133). Sie blieben ein todter Buchstabe. „Die Thatsache ist, dass vor dem Akt von 1833 Kinder und junge Personen abgearbeitet wurden („were worked“) die ganze Nacht, den ganzen Tag, oder beide ad libitum(FN 134).

Erst seit dem Fabrikakt von 1833 — umfassend Baumwoll-, Wolle-, Flachsund Seidenfabriken — datirt für die moderne Industrie ein Normalarbeitstag. Nichts charakterisirt den Geist des Kapitals besser als die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung von 1833 bis 1864!

Das Gesetz von 1833 erklärt, „ der gewöhnliche Fabrik


(FN 132) Siehe „ Judgment of Mr. J. H. Otwey, Belfast, Hilary Sessions, 1860.“
(FN 133) Sehr charakteristisch ist es für das Régime Louis Philippe’s, des roi bourgeois, dass das einzige unter ihm erlassene Fabrikgesetz vom 22. März 1841 niemals durchgeführt worden ist. Und diess Gesetz betrifft nur Kinderarbeit. Es setzt 8 Stunden für Kinder zwischen 8 und 12, 12 Stunden für Kinder zwischen 12 und 16 Jahren u. s. w. fest, mit vielen Ausnahmen, welche die Nachtarbeit selbst für Achtjährige erlauben. Ueberwachung und Erzwingung des Gesetzes blieben in einem Lande, wo jede Maus polizeilich administrirt wird, dem guten Willen der „amis du commerce“ überlassen. Erst seit 1853 ist das Gesetz in einem einzigen Département, dem Département du Nord, durch Anstellung eines bezahlten Regierungsinspektors, wirklich durchgeführt worden. Nicht minder charakteristisch für die Entwicklung der französischen Gesellschaft überhaupt ist es, dass Louis Philippe’s Gesetz bis zur Revolution von 1848 einzig dastand in der alles umspinnenden französischen Gesetzfabrik!
(FN 134)Rep. of Insp. of Fact. 30 th April 1860“, p. 51.

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Arbeitstag solle beginnen um halb 6 Uhr Morgens und enden halb 9 Uhr Abends, und innerhalb dieser Schranken, einer Periode von 15 Stunden, solle es gesetzlich sein junge Personen (d. h. Personen zwischen 13 und 18 Jahren) zu irgend einer Zeit des Tages anzuwenden, immer vorausgesetzt, dass keine individuelle junge Person mehr als 12 Stunden innerhalb Eines Tags arbeite, mit Ausnahme gewisser speziell vorgesehner Fälle“. Die 6. Sektion des Akts bestimmt, „dass im Laufe jedes Tags jeder solchen Person von beschränkter Arbeitszeit mindestens 1½ Stunden für Mahlzeiten eingeräumt werden sollen“. Die Anwendung von Kindern unter 9 Jahren, mit später zu erwähnender Ausnahme, ward verboten, die Arbeit der Kinder von 9 bis 13 Jahren auf 8 Stunden täglich beschränkt. Nachtarbeit, d. h. nach diesem Gesetz, Arbeit zwischen halb 9 Uhr Abends und halb 6 Uhr Morgens, ward verboten für alle Personen zwischen 9 und 18 Jahren.

Die Gesetzgeber waren so weit entfernt, die Freiheit des Kapitals in Aussaugung der erwachsenen Arbeitskraft, oder, wie sie es nannten, „ die Freiheit der Arbeit“ antasten zu wollen, dass sie ein eignes System ausheckten, um solcher haarsträubenden Konsequenz des Fabrikakts vorzubeugen.

„Das grosse Uebel des Fabriksystems, wie es gegenwärtig eingerichtet ist“, heisst es im ersten Bericht des Centralraths der Kommission vom 25. Juni 1833, „besteht darin, dass es die Nothwendigkeit schafft, die Kinderarbeit zur äussersten Länge des Arbeitstags der Erwachsenen auszudehnen. Das einzige Heilmittel für diess Uebel, ohne Beschränkung der Arbeit der Erwachsenen, woraus ein Uebel entspringen würde grösser als das, dem vorgebeugt werden soll, scheint der Plan doppelte Reihen von Kindern zu verwenden“. Unter dem Namen Relaissystem („ System of Relays“; Relay heisst im Englischen wie im Französischen: das Wechseln der Postpferde auf verschiedenen Stationen) wurde daher dieser „Plan“ ausgeführt, so dass z. B. von halb 6 Uhr Morgens bis halb zwei Uhr Nachmittags eine Reihe von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb zwei Uhr Nachmittags bis halb 9 Uhr Abend eine andre Reihe vorgespannt wird u. s. w.

Zur Belohnung dafür, dass die Herrn Fabrikanten alle während der letzten 22 Jahre erlassnen Gesetze über Kinderarbeit aufs frechste ignorirt


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hatten, ward ihnen jetzt aber auch die Pille vergoldet. Das Parlament bestimmte, dass nach dem 1. März 1834 kein Kind unter 11 Jahren, nach dem 1. März 1835 kein Kind unter 12 Jahren, und nach dem 1. März 1836 kein Kind unter 13 Jahren über 8 Stunden in einer Fabrik arbeiten solle! Dieser für das „Kapital“ so schonungsvolle „Liberalismus“ war um so anerkennenswerther als Dr. Farre, Sir A. Carlisle, Sir B. Brodie, Sir C. Bell, Mr. Guthrie u. s. w., kurz die bedeutendsten physicians und surgeons London’s in ihren Zeugenaussagen vor dem Unterhaus erklärt hatten, dass periculum in mora! Dr. Farre drückte sich noch etwas gröber dahin aus: „Gesetzgebung ist gleich nothwendig für die Prävention des Tods in jeder Form, worin er vorzeitig angethan werden kann, und sicher dieser (der Fabrikmodus) muss als eine der grausamsten Methoden ihn anzuthun betrachtet werden(FN 135)“. Dasselbe „reformirte“ Parlament, das aus Zartsinn für die Herrn Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch Jahre lang in die Hölle 72stündiger Fabrikarbeit per Woche festbannte, verbot dagegen in dem Emancipationsakt, der auch die Freiheit tropfenweise eingab, von vorn herein den Pflanzern irgend einen Negersklaven länger als 45 Stunden per Woche abzuarbeiten!

Aber keineswegs gesühnt, eröffnete das Kapital jetzt eine mehrjährige und geräuschvolle Agitation. Sie drehte sich hauptsächlich um das Alter der Kategorien, die unter dem Namen Kinder auf 8stündige Arbeit beschränkt und einem gewissen Schulzwang unterworfen worden waren. Nach der kapitalistischen Anthropologie hörte das Kindesalter im 10., oder, wenn es hoch ging, im 11. Jahre auf. Je näher der Termin der vollen Ausführung des Fabrikakts, das verhängnissvolle Jahr 1836 rückte, um so wilder raste der Fabrikantenmob. Es gelang ihm in der That, die Regierung so weit einzuschüchtern, dass diese 1835 den Termin des Kindesalters von 13 auf 12 Jahre herabzusetzen vorschlug. Indess wuchs die pressure from without drohend an. Der Muth versagte dem Unterhause. Es verweigerte Dreizehnjährige länger als 8 Stunden täglich unter das Juggernautrad des Kapitals zu werfen und der


(FN 135) „Legislation is equally necessary for the prevention of death, in any form in which it can be prematurely inflicted, and certainly this must be viewed as a most cruel mode of inflicting it.“

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Akt von 1833 trat in volle Wirkung. Er blieb unverändert bis Juni 1844.

Während des Decenniums, worin er erst theilweise, dann ganz die Fabrikarbeit regulirte, strotzen die officiellen Berichte der Fabrikinspektoren von Klagen über die Unmöglichkeit seiner Ausführung. Da das Gesetz von 1833 es nämlich den Herrn vom Kapital freistellte in der fünfzehnstündigen Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends jede „junge Person“ und „jedes Kind“ zu irgend beliebiger Zeit die zwölf-, respektive 8stündige Arbeit beginnen, unterbrechen, enden zu lassen, und ebenso den verschiednen Personen verschiedne Stunden der Mahlzeiten anzuweisen, fanden die Herrn bald ein neues „ Relaissystem“ aus, wonach die Arbeitspferde nicht nach bestimmter Zeit Stationen wechselten, sondern an wechselnden Stationen stets wieder von neuem vorgespannt wurden. Wir verweilen nicht weiter bei der Schönheit dieses Systems, da wir später darauf zurückkommen müssen. So viel ist aber auf den ersten Blick klar, dass es den ganzen Fabrikakt, nicht nur seinem Geist, sondern auch seinem Buchstaben nach aufhob. Wie sollten die Fabrikinspektoren, bei dieser komplizirten Buchführung über jedes einzelne Kind und jede junge Person, die gesetzlich bestimmte Arbeitszeit und die Gewährung der gesetzlichen Mahlzeiten erzwingen? In einem grossen Theil der Fabriken blühte der alte brutale Unfug bald wieder ungestraft auf. In einer Zusammenkunft mit dem Minister des Innern (1844) wiesen die Fabrikinspektoren die Unmöglichkeit aller Kontrole unter dem neuausgeheckten Relaissystem nach(FN 136). Unterdess hatten sich aber die Umstände sehr geändert. Die Fabrikarbeiter, namentlich seit 1838, hatten die Zehnstundenbill zu ihrem ökonomischen, wie die Charter zu ihrem politischen Wahlruf gemacht. Ein Theil der Fabrikanten selbst, der den Fabrikbetrieb dem Ak von 1833 gemäss geregelt hatte, überwarf das Parlament mit Denkschriften über die unsittliche „Konkurrenz“ der „falschen Brüder“, denen grössere Frechheit oder glücklichere Lokalumstände den Gesetzesbruch erlaubten. Zudem, wie sehr immerhin der einzelne Fabrikant der alten Raubgier den Zügel frei schiessen lassen mochte, die Wortführer und politischen Leiter der Fabrikantenklasse geboten eine veränderte Haltung und veränderte Sprache gegenüber den Arbeitern. Sie


(FN 136)Rep. of Insp. of Fact. 31. October 1849“, p. 6.

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hatten den Feldzug zur Abschaffung der Korngesetze eröffnet und bedurften der Hilfe der Arbeiter zum Siege! Sie versprachen daher nicht nur Verdopplung des Laibes Brod, sondern Annahme der Zehnstundenbill unter dem tausendjährigen Reich des Free Trade(FN 137). Sie durften also um so weniger eine Massregel bekämpfen, die nur den Akt von 1833 zur Wahrheit machen sollte. In ihrem heiligsten Interesse, der Grundrente, bedroht, donnerten endlich die Tories entrüstet philanthropisch über die „ infamen Praktiken(FN 138) ihrer Feinde.

So kam der zusätzliche Fabrikakt vom 7. Juni 1844 zu Stande. Er trat am 10. September 1844 in Wirkung. Er gruppirt eine neue Kategorie von Arbeitern unter die Beschützten, nämlich die Frauenzimmer über 18 Jahre. Sie wurden in jeder Rücksicht den jungen Personen gleichgesetzt, ihre Arbeitszeit auf 12 Stunden beschränkt, Nachtarbeit ihnen untersagt u. s. w. Zum erstenmal sah sich die Gesetzgebung also gezwungen auch die Arbeit Volljähriger direkt und officiell zu kontroliren. In dem Fabrikbericht von 1844—45 heisst es ironisch: „Es ist kein einziger Fall zu unsrer Kenntniss gekommen, wo erwachsne Weiber sich über diesen Eingriff in ihre Rechte beschwert hätten“(FN 139). Die Arbeit von Kindern unter 13 Jahren wurde auf 6½ und, unter gewissen Bedingungen, 7 Stunden täglich reducirt(FN 140).

Um die Missbräuche des „ falschen Relaissystems“ zu beseitigen, traf das Gesetz u. a. folgende wichtige Detailbestimmungen: „Der Arbeitstag für Kinder und junge Personen ist von der Zeit an zu zählen, wo irgend ein Kind oder junge Person des Morgens in der Fabrik zu arbeiten anfängt.“ So dass wenn A z. B. um 8 Uhr Morgens die Arbeit beginnt, und B um 10 Uhr, der Arbeitstag dennoch für B zur selben Stunde enden muss wie für A. „Der Anfang des Arbeitstags soll angezeigt werden durch eine öffentliche Uhr, z. B. die nächste Eisenbahnuhr, wonach die Fabrikglocke zu richten. Der Fabrikant hat eine grossgedruckte


(FN 137)Rep. of Insp. of Fact. 31 st Oct. 1848“, p. 98.
(FN 138) Uebrigens braucht Leonhard Horner den Ausdruck „ nefarious practices“ officiell. („ Reports of Insp. of Fact. 31 st October 1859“, p. 7.)
(FN 139)Rep. etc. for 30 th Sept. 1844“, p. 15.
(FN 140) Der Akt erlaubt Kinder 10 Stunden anzuwenden, wenn sie nicht Tag nach Tag, sondern nur einen Tag über den andern arbeiten. Im Ganzen blieb diese Klausel wirkungslos.
I. 17

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Notiz in der Fabrik aufzuhängen, worin Anfang, Ende, Pausen des Arbeitstags angegeben sind. Kinder, die ihre Arbeit des Vormittags vor 12 Uhr beginnen, dürfen nicht wieder nach 1 Uhr Mittags verwandt werden. Die Nachmittagsreihe muss also aus andern Kindern bestehn als die Vormittagsreihe. Die 1½ Stunden für Mahlzeit müssen allen beschützten Arbeitern zu denselben Tagesperioden eingeräumt werden, eine Stunde wenigstens vor 3 Uhr Nachmittags. Kein Kind oder junge Person darf länger als 5 Stunden vor 1 Uhr Mittags verwandt werden ohne eine mindestens halbstündige Pause für Mahlzeit. Kein Kind, junge Person, oder Frauenzimmer darf während irgend einer Mahlzeit in einer Fabrikstube bleiben, worin irgend ein Arbeitsprozess vorgeht u. s. w.“

Man hat gesehn: Diese minutiösen Bestimmungen, welche die Periode, Grenzen, Pausen der Arbeit so militärisch uniform nach dem Glockenschlag regeln, waren keineswegs Produkte parlamentarischer Hirnweberei. Sie entwickelten sich allmählig aus den Verhältnissen heraus, als Naturgesetze der modernen Produktionsweise. Ihre Formulirung, officielle Anerkennung und staatliche Proklamation waren Ergebniss langwieriger Klassenkämpfe. Eine ihrer nächsten Folgen war, dass die Praxis auch den Arbeitstag der erwachsnen männlichen Fabrikarbeiter denselben Schranken unterwarf, da in den meisten Produktionsprozessen die Cooperation der Kinder, jungen Personen und Frauenzimmer unentbehrlich. Im Grossen und Ganzen galt daher während der Periode von 1844—47 der zwölfstündige Arbeitstag allgemein und uniform in allen der Fabrikgesetzgebung unterworfenen Industriezweigen.

Die Fabrikanten erlaubten diesen „Fortschritt“ jedoch nicht ohne einen kompensirenden „Rückschritt“. Auf ihren Antrieb reducirte das Unterhaus das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jahren auf 8, zur Sicherung der dem Kapital von Gott und Rechtswegen geschuldeten „ additionellen Fabrikkinderzufuhr(FN 141).

Die Jahre 1846—47 machen Epoche in der ökonomischen Geschichte Englands. Widerruf der Korngesetze, die Einfuhrzölle auf


(FN 141) „As a reduction in their hours of work would cause a large number (of children) to be employed, it was thought that the additional supply of children from eight to nine years of age, would meet the increased demand.“ (l. c. p. 13.)

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Baumwolle und andre Rohmaterialien abgeschafft, der Freihandel zum Leitstern der Gesetzgebung erklärt! Kurz das tausendjährige Reich brach an. Andrerseits erreichten in denselben Jahren Chartistenbewegung und Zehnstundenagitation ihren Höhe unkt. Sie fanden Bundesgenossen an den racheschnaubenden Tories. Trotz des fanatischen Widerstands des wortbrüchigen Freihandelsheers mit Bright und Cobden an der Spitze, ging die so lang erstrebte Zehnstundenbill durch das Parlament. —

Der neue Fabrikakt vom 8. Juni 1847 setzte fest, dass am ersten Juli 1847 eine vorläufige Verkürzung des Arbeitstags der „ jungen Personen“ (von 13 bis zu 18 Jahren) und aller Arbeiterinnen auf 11 Stunden, am 1. Mai 1848 aber die definitive Beschränkung auf 10 Stunden eintreten solle. Im übrigen war der Akt nur ein amendirender Zusatz der Gesetze von 1833 und 1844.

Das Kapital unternahm zunächst einen vorläufigen Feldzug, dessen Ziel, die volle Ausführung des Akts am 1. Mai 1848 zu verhindern. Und zwar sollten die Arbeiter selbst, angeblich durch die Erfahrung gewitzigt, ihr eignes Werk wieder zerstören helfen. Der Augenblick war geschickt gewählt. „Man muss sich erinnern, dass, in Folge der furchtbaren Krise von 1846—47, grosses Leid unter den Fabrikarbeitern vorherrschte, da viele Fabriken nur für kurze Zeit gearbeitet, andre ganz still gestanden hatten. Eine beträchtliche Anzahl der Arbeiter befand sich daher in drückendster Lage, viele in Schulden. Man konnte daher mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass sie die längere Arbeitszeit vorziehn würden, um die vergangenen Verluste gut zu machen, vielleicht Schulden abzuzahlen, oder ihre Möbel aus dem Pfandhaus zu nehmen, oder verkaufte Habseligkeiten zu ersetzen, oder neue Kleidungsstücke sich selbst und ihren Familien zu verschaffen“(FN 142). Die Herrn Fabrikanten suchten die natürliche Wirkung dieser Umstände zu steigern durch eine allgemeine Lohnherabsetzung von 10 %. Diess geschah so zu sagen zur Einweihungsfeier der neuen Freihandelsära. Dann folgte weitere Herabsetzung um 8⅓ %, sobald der Arbeitstag auf 11, und um das Doppelte, sobald er definitiv auf 10 Stunden verkürzt wurde. Wo es daher irgendwie die Verhältnisse zuliessen, fand eine Lohnherabsetzung von wenig-


(FN 142)Rep. of Insp. of Fact. 31 st Oct. 1848“, p. 16.
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stens 25 % statt(FN 143). Unter so günstig vorbereiteten Chancen begann man die Agitation unter den Arbeitern zum Repeal des Akts von 1847. Kein Mittel des Betrugs, der Verführung und der Drohung wurde dabei verschmäht, aber alles umsonst. Von dem halben Dutzend Petitionen, worin die Arbeiter klagen mussten über „ihre Unterdrückung durch den Akt.“ erklärten die Bittsteller selbst, bei mündlichem Verhör, ihre Unterschriften seien abgenöthigt worden. „Sie seien unterdrückt, aber von Jemand anders als dem Fabrikakt“(FN 144). Wenn es aber den Fabrikanten nicht gelang, die Arbeiter in ihrem Sinn sprechen zu machen, schrieen sie selbst nur um so lauter in Presse und Parlament im Namen der Arbeiter. Sie denuncirten die Fabrikinspektoren als eine Art Konventskommissäre, die ihrer Weltverbesserungsgrille den unglücklichen Arbeiter unbarmherzig aufopferten. Auch diess Manöver schlug fehl. Fabrikinspektor Leonhard Horner stellte in eigner Person und durch seine Unterinspektoren zahlreiche Zeugenverhöre in den Fabriken Lancashire’s an. Ungefähr 70 % der verhörten Arbeiter erklärten sich für 10 Stunden, eine viel geringere Prozentzahl für 11 und eine ganz unbedeutende Minorität für die alten 12 Stunden(FN 145).

Ein andres „gütliches“ Manöver war die erwachsnen männlichen Arbeiter 12 bis 15 Stunden arbeiten zu lassen und dann diese Thatsache für den besten Ausdruck der proletarischen Herzenswünsche zu erklären. Aber der „unbarmherzige“ Fabrikinspektor Leonhard Horner war wieder an Ort und Stelle. Die meisten „Ueberstündigen“


(FN 143) „Ich fand, dass Leute, die 10 sh. wöchentlich erhalten hatten, 1 sh. abgezogen erhielten auf Rechnung der allgemeinen Lohnherabsetzung von 10 %, und von den restirenden 9 sh. weiteren Abzug von 1 sh. 6 d. erlitten für die Zeitverkürzung, zusammen 2 sh. 6 d., und trotz alledem hielt die Mehrzahl fest an der Zehnstundenbill.“ (l. c.)
(FN 144) „Als ich die Petition unterzeichnete, erklärte ich zugleich, ich thue damit etwas Schlechtes. — Warum habt Ihr sie denn unterzeichnet? — Weil man mich im Weigerungsfall auf das Pflaster geworfen hätte.“ Der Bittsteller fühlte sich in der That „unterdrückt“, aber nicht grade durch den Fabrikakt.“ (l. c. p. 102.)
(FN 145) p. 17 l. c. In Herrn Horner’s Distrikt wurden so 10,270 erwachsene männliche Arbeiter in 181 Fabriken verhört. Man findet ihre Aussagen im Appendix des Fabrikreports für das Halbjahr endend October 1848. Diese Zeugenverhöre bieten auch in andrer Beziehung schätzbares Material.

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sagten aus, „sie würden es bei weitem vorziehn 10 Stunden für geringern Arbeitslohn zu arbeiten, aber sie hätten keine Wahl; so viele von ihnen seien arbeitslos, so viele Spinner gezwungen als blosse piecers zu arbeiten, dass wenn sie die längere Arbeitszeit verweigerten, andre sofort ihre Stellen einnehmen würden, so dass die Frage so für sie stehe: entweder die längere Zeit arbeiten oder auf dem Pflaster liegen“(FN 146).

Der vorläufige Feldzug des Kapitals war missglückt und das Zehnstundengesetz trat am 1. Mai 1848 in Kraft. Unterdess hatte jedoch das Fiasko der Chartistenpartei, deren Führer eingekerkert und deren Organisation zersprengt, bereits das Selbstvertrauen der englischen Arbeiterklasse erschüttert. Bald darauf vereinigte die Pariser Juniinsurrektion und ihre blutige Erstickung, wie im kontinentalen Europa, so in England, alle Fraktionen der herrschenden Klassen, Grundeigenthümer und Kapitalisten, Börsenwölfe und Krämer, Protektionisten und Freihändler, Regierung und Opposition, Pfaffen und Freigeister, junge Huren und alte Nonnen, unter dem gemeinschaftlichen Ruf zur Rettung des Eigenthums, der Religion, der Familie, der Gesellschaft! Die Arbeiterklasse wurde überall verfehmt, in den Bann gethan, unter das „ loi des suspects“ gestellt. Die Herrn Fabrikanten brauchten sich also nicht länger zu geniren. Sie brachen in offne Revolte aus, nicht nur wider das Zehnstundengesetz, sondern die ganze Gesetzgebung, welche seit 1833 die „ freie“ Aussaugung der Arbeitskraft einigermassen zu zügeln suchte. Es war eine Proslavery Rebellion in Miniatur, während mehr als zwei Jahren durchgeführt mit cynischer Rücksichtslosigkeit, mit terroristischer Energie, beide um so wohlfeiler als der rebellische Kapitalist nichts riskirte ausser der Haut seiner Arbeiter.

Zum Verständniss des Nachfolgenden muss man sich erinnern, dass die Fabrikakte von 1833, 1844 und 1847 alle drei in Rechtskraft, so weit der eine nicht den andern amendirt; dass keiner derselben den Arbeitstag des männlichen Arbeiters über 18 Jahren beschränkt, und dass seit 1833 die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Mor-


(FN 146) l. c. Siehe die von Leonhard Horner selbst gesammelten Aussagen No. 69, 70, 71, 72, 92, 93 und die von Subinspektor A. gesammelten No. 51, 52, 58, 59, 60, 62, 70 des „Appendix.“ Ein Fabrikant schenkte selbst klaren Wein ein. Siehe No. 14 nach No. 265 l. c.

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gens bis halb 9 Uhr Abends der gesetzliche „ Tag“ blieb, innerhalb dessen erst die zwölf-, später die 10stündige Arbeit der jungen Personen und Frauenzimmer unter den vorgeschriebnen Bedingungen zu verrichten war.

Die Fabrikanten begannen hier und da mit Entlassung eines Theils, manchmal der Hälfte, der von ihnen beschäftigten jungen Personen und Arbeiterinnen, und stellten dagegen die fast verschollene Nachtarbeit unter den erwachsnen männlichen Arbeitern wieder her. Das Zehnstundengesetz, riefen sie, lasse ihnen keine andre Alternative(FN 147)!

Der zweite Schritt bezog sich auf die gesetzlichen Pausen für Mahlzeiten. Hören wir die Fabrikinspektoren. „Seit der Beschränkung der Arbeitsstunden auf 10, behaupten die Fabrikanten, obgleich sie praktisch ihre Ansicht noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchführen, dass wenn sie z. B. von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends arbeiten lassen, sie den gesetzlichen Vorschriften genug thun, indem sie eine Stunde für Mahlzeit vor 9 Uhr Morgens und eine halbe Stunde nach 7 Uhr Abends, also 1½ Stunden für Mahlzeiten geben. In einigen Fällen erlauben sie jetzt eine halbe Stunde für Mittagsessen, bestehn aber zugleich darauf, sie seien durchaus nicht verpflichtet, irgend einen Theil der 1½ Stunden im Lauf des zehnstündigen Arbeitstags einzuräumen“(FN 148). Die Herrn Fabrikanten behaupteten also, die peinlich genauen Bestimmungen des Akts von 1844 über Mahlzeiten gäben den Arbeitern nur die Erlaubniss, vor ihrem Eintritt in die Fabrik und nach ihrem Austritt aus der Fabrik, also bei sich zu Hause, zu essen und zu trinken! Und warum sollten die Arbeiter auch nicht vor 9 Uhr Morgens ihr Mittagsessen einnehmen? Die Kronjuristen entschieden jedoch, dass die vorgeschriebenen Mahlzeiten „in Pausen während des wirklichen Arbeitstags gegeben werden müssen und dass es ungesetzlich 10 Stunden nach einander von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen“(FN 149).

Nach diesen gemüthlichen Demonstrationen leitete das Kapital seine Revolte ein durch einen Schritt, der dem Buchstaben des Gesetzes von 1844 entsprach, also legal war.


(FN 147)Reports etc. for 31 st October 1848“, p. 133, 134.
(FN 148)Reports etc. for 30 th April 1848“, p. 47.
(FN 149)Reports etc. for 31 st Oct. 1848“, p. 130.

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Das Gesetz von 1844 verbot allerdings, Kinder von 8 bis 13 Jahren, die vor 12 Uhr Vormittags beschäftigt würden, wieder nach 1 Uhr Mittags zu beschäftigen. Aber es regelte in keiner Weise die 6½stündige Arbeit der Kinder, deren Arbeitszeit um 12 Uhr Vormittags oder später begann! Achtjährige Kinder konnten daher, wenn sie die Arbeit um 12 Uhr Vormittags begannen, von 12 bis 1 Uhr verwandt werden, 1 Stunde; von 2 Uhr bis 4 Uhr Nachmittags, 2 Stunden; und von 5 Uhr bis halb 9 Uhr Abends, 3½ Stunden; alles in allem die gesetzlichen 6½ Stunden! Oder noch besser. Um ihre Verwendung der Arbeit erwachsner männlicher Arbeiter bis halb 9 Uhr Abends anzupassen, brauchten ihnen die Fabrikanten kein Werk zu geben vor 2 Uhr Nachmittags, und konnten sie dann ununterbrochen in der Fabrik halten bis halb 9 Uhr Abends! „Und es wird jetzt ausdrücklich zugestanden, dass neuerdings, in Folge der Fabrikantengier, ihre Maschinerie länger als 10 Stunden laufen zu lassen, sich die Praxis in England eingeschlichen hat, achtbis dreizehnjährige Kinder beiderlei Geschlechts, nach Entfernung aller jungen Personen und Weiber aus der Fabrik, allein mit den erwachsnen Männern, bis halb 9 Uhr Abends arbeiten zu lassen“(FN 150). Arbeiter und Fabrikinspektoren protestirten aus hygienischen und moralischen Gründen. Aber das Kapital antwortete: „Meine Thaten auf mein Haupt! Mein Recht verlang’ ich! Die Busse und Verpfändung meines Scheins!“

In der That waren, nach statistischer Vorlage an das Unterhaus vom 26. Juli 1850, trotz aller Proteste, am 15. Juli 1850 3742 Kinder in 275 Fabriken dieser „Praxis“ unterworfen(FN 151). Noch nicht genug! Das Luchsauge des Kapitals entdeckte, dass der Akt von 1844 fünfstündige Arbeit des Vormittags nicht ohne Pause von wenigstens 30 Minuten für Erfrischung erlaubt, aber nichts der Art für die Nachmittagsarbeit vorschreibt. Es verlangte und ertrotzte daher den Genuss, achtjährige Arbeiterkinder unausgesetzt von 2 bis halb 9 Uhr Abends nicht nur schanzen, sondern auch hungern zu lassen! „Ja, die Brust. So sagt der Schein“(FN 152).


(FN 150)Reports etc.“ l. c. p. 42.
(FN 151)Reports etc. for 31 st Oct. 1850“, p. 5, 6.
(FN 152) Die Natur des Kapitals bleibt dieselbe, in seinen unentwickelten, wie in

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Diess Shylocksche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes von 1844, soweit es die Kinderarbeit regelt, sollte jedoch nur die offne Revolte gegen dasselbe Gesetz vermitteln, so weit es die Arbeit von „ jungen Personen und Frauenzimmern“ regelt. Man erinnert sich, dass die Abschaffung des „ falschen Relaissystems“ Hauptzweck und Hauptinhalt jenes Gesetzes bildet. Die Fabrikanten eröffneten ihre Revolte mit der einfachen Erklärung, die Sektionen des Akts von 1844, welche beliebigen Niessbrauch der jungen Personen und Frauenzimmer in beliebigen kürzeren Abschnitten des fünfzehnstündigen Fabriktags verbieten, seien „ vergleichungsweise harmlos (comparatively harmless) gewesen, so lange die Arbeitszeit auf 12 Stunden eingeschränkt war. Unter dem Zehnstundengesetz seien sie eine unerträgliche Unbill“ (hard ship)(FN 153). Sie zeigten daher den Inspektoren in der kühlsten Weise an, dass sie sich über den Buchstaben des Gesetzes hinwegsetzen und das alte System auf eigne Faust wieder einführen würden(FN 154). Es geschehe im Interesse der übelberathnen Arbeiter selbst, „um ihnen höhere Löhne zahlen zu können.“ „Es sei der einzig mögliche Plan, um unter dem Zehnstundengesetz die industrielle Suprematie Grossbritanniens zu erhalten“(FN 155). „Es möge etwas schwer sein Unregelmässigkeiten unter dem Relaissystem zu entdecken, aber was heisse das? (what of that?) Soll das grosse Fabrikinteresse dieses Landes als ein


seinen entwickelten Formen. In dem Gesetzbuch, das der Einfluss der Sklavenhalter, kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs, dem Territorium von New Mexico aufoctroyirte, heisst es: der Arbeiter, so weit der Kapitalist seine Arbeitskraft gekauft hat, „ ist sein (des Kapitalisten) Geld.“ („The labourer is his (the capitalist’s) money.“) Dieselbe Anschauung herrschte bei den römischen Patriziern. Das Geld, das sie dem plebejischen Schuldner vorgeschossen, hatte sich, vermittelst der Lebensmittel, in Fleisch und Blut des Schuldners verwandelt. Diess „Fleisch und Blut“ war daher „ihr Geld.“ Daher das Shylocksche Gesetz der 10 Tafeln! Linguet’s Hypothese, dass die patrizischen Gläubiger von Zeit zu Zeit jenseits der Tiber Festschmäuse in gekochtem Schuldnerfleisch veranstalteten, bleibe ebenso dahingestellt, wie Daumer’s Hypothese über das christliche Abendmahl.
(FN 153)Reports etc. for 31 st Oct. 1848“, p. 133.
(FN 154) So unter andern Philanthrop Ashworth in einem quäkerhaft widrigen Brief an Leonhard Horner.
(FN 155) l. c. p. 134.

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sekundäres Ding behandelt werden, um den Fabrik-Inspektoren und Subinspektoren ein bischen mehr Mühe (some little trouble) zu sparen“(FN 156)?

Alle diese Flausen halfen natürlich nichts. Die Fabrikinspektoren schritten gerichtlich ein. Bald aber überschüttete eine solche Staubwolke von Fabrikantenpetitionen den Minister des Innern, Sir George Grey, dass er in einem Cirkular vom 5. August 1848 die Inspektoren anwies, „im Allgemeinen nicht einzuschreiten wegen Verletzung des Buchstabens des Akts, so oft das Relaissystem nicht erwiesnermassen missbraucht werde, um junge Personen und Frauenzimmer über 10 Stunden arbeiten zu lassen.“ Hierauf erlaubte Fabrikinspektor J. Stuart das sogenannte Ablösungssystem während der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags in ganz Schottland, wo es bald wieder in alter Weise aufblühte. Die englischen Fabrikinspektoren dagegen erklärten, der Minister besitze keine diktatorische Gewalt zur Suspension der Gesetze, und fuhren mit gerichtlicher Procedur wider die Proslavery Rebellen fort.

Wozu jedoch alle Citation vor’s Gericht, sobald die Gerichte, die county magistrates(FN 157), freisprachen? In diesen Gerichten sassen die Herrn Fabrikanten über sich selbst zu Gericht. Ein Beispiel. Ein gewisser Eskrigge, Baumwollspinner von der Firma Kershaw, Leese et Co., hatte dem Fabrikinspektor seines Distrikts das Schema eines für seine Fabrik bestimmten Relaissystems vorgelegt. Abschlägig beschieden, verhielt er sich zunächst passiv. Wenige Monate später stand ein Individuum Namens Robinson, ebenfalls Baumwollspinner, und wenn nicht der Freitag, so jedenfalls der Verwandte des Eskrigge, vor den Borough Justices zu Stockport, wegen Einführung des identischen, von Eskrigge ausgeheckten Relaisplans. Es sassen 4 Richter, darunter 3 Baumwollspinner, an ihrer Spitze derselbe unvermeidliche Eskrigge. Eskrigge sprach den Robinson frei, und erklärte nun, was dem Robinson recht, sei dem Eskrigge billig. Auf seine eigne rechtskräftige Entscheidung gestützt,


(FN 156) l. c. p. 140.
(FN 157) Diese „county magistrates“, die „great unpaid“ wie W. Cobbett sie nennt, sind eine Art unbezahlter Friedensrichter, aus den Honoratioren der Grafschaften gebildet. Sie bilden in der That die Patrimonialgerichte der herrschenden Klassen.

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führte er sofort das System in seiner eignen Fabrik ein(FN 158). Allerdings war schon die Zusammensetzung dieser Gerichte offne Verletzung des Gesetzes(FN 159). „Diese Art gerichtlicher Farcen“, ruft Inspektor Howell aus, „schreien nach einem Heilmittel . . . . entweder passt das Gesetz diesen Urtheilssprüchen an oder lasst es verwalten durch ein minder fehlbares Tribunal, das seine Entscheidungen dem Gesetz anpasst . . . . In allen solchen Fällen, wie sehnt man sich nach einem bezahlten Richter“(FN 160)!

Die Kronjuristen erklärten die Fabrikanten-Interpretation des Akts von 1844 für abgeschmackt, aber die Gesellschaftsretter liessen sich nicht beirren. „Nachdem ich“, berichtet Leonhard Horner, „durch 10 Verfolgungen in 7 verschiednen Gerichtsbezirken versucht habe das Gesetz zu erzwingen und nur in einem Fall von den Magistraten unterstützt wurde, halte ich weitere Verfolgung wegen Umgehung des Gesetzes für nutzlos. Der Theil des Akts, der verfasst wurde, um Uniformität in den Arbeitsstunden zu schaffen, existirt nicht mehr in Lancashire. Auch besitze ich mit meinen Unteragenten durchaus kein Mittel uns zu versichern, dass Fabriken, wo das sog. Relaissystem herrscht, junge Personen und Frauenzimmer nicht über 10 Stunden beschäftigen . . . . Ende April 1849 arbeiten schon 118 Fabriken in meinem Distrikt nach dieser Methode und ihre Anzahl nimmt in der letzten Zeit reissend zu. Im Allgemeinen arbeiten sie jetzt 13½ Stunden, von 6 Uhr Morgens bis halb 8 Uhr Abends; in einigen Fällen 15 Stunden, von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends“(FN 161). Schon December 1848 besass Leonhard Horner eine Liste von 65 Fabrikanten und 29 Fabrikaufsehern, die einstimmig erklärten, kein System der Oberaufsicht könne unter diesem Relaissystem die extensivste Ueberarbeit verhindern(FN 162). Bald wurden dieselben Kinder und


(FN 158)Reports etc. for 30 th April 1849“, p. 21, 22. Vgl. ähnliche Beispiele ibid. p. 4, 5.
(FN 159) Durch 1 und 2 Wm. IV. c. 24, s. 10, bekannt als Sir John Hobhouse’s Factory Act, wird verboten, dass irgend ein Besitzer einer Baumwollspinnerei oder Weberei, oder Vater, Sohn und Bruder eines solchen Besitzers in Fragen, die den Factory Act betreffen, als Friedensrichter funktioniren.
(FN 160) l. c.
(FN 161)Reports etc. for 30 th April 1849“, p. 5.
(FN 162)Rep. etc. for 31 st Oct. 1849“, p. 6.

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jungen Personen aus der Spinnstube in die Webstube u. s. w., bald, während 15 Stunden, aus einer Fabrik in die andre geschoben (shifted)(FN 163). Wie ein System kontroliren, „welches das Wort Ablösung missbraucht, um die Hände in endloser Mannichfaltigkeit wie Karten durcheinander zu mischen und die Stunden der Arbeit und der Rast für die verschiednen Individuen täglich so zu verschieben, dass ein und dasselbe vollständige Assortiment von Händen niemals an demselben Platz zur selben Zeit zusammenarbeitet“(FN 164)!

Aber ganz abgesehn von wirklicher Ueberarbeitung, war diess sog. Relaissystem eine Ausgeburt der Kapitalphantasie, wie sie Fourier in seinen genialsten Skizzen der „courtes séances“ nie übertroffen hat, nur dass die Attraktion der Arbeit verwandelt war in die Attraktion des Kapitals. Man sehe sich jene Fabrikantenschemas an, welche die gute Presse pries als Muster von dem, „was ein vernünftiger Grad von Sorgfalt und Methode ausrichten kann“ („what a reasonable degree of care and method can accomplish“). Das Arbeiterpersonal wurde manchmal in 12 bis 14 Kategorien vertheilt, die selbst wieder ihre Bestandtheile beständig wechselten. Während der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags zog das Kapital den Arbeiter jetzt für 30 Minuten, jetzt für eine Stunde an, und stiess ihn dann wieder ab, um ihn von neuem in die Fabrik zu ziehn und aus der Fabrik zu stossen, ihn hin und her hetzend in zerstreuten Zeitfetzen, ohne je den Halt auf ihn zu verlieren, bis die zehnstündige Arbeit vollgemacht. Wie auf der Bühne hatten dieselben Personen abwechselnd in den verschiednen Scenen der verschiednen Akte aufzutreten. Aber wie ein Schauspieler während der ganzen Dauer des Dramas der Bühne gehört, so gehörten die Arbeiter jetzt während 15 Stunden der Fabrik, nicht eingerechnet die Zeit, um von und zu ihr zu gehn. Die Stunden der Rast verwandelten sich so in Stunden erzwungenen Müssiggangs, welche den jungen Arbeiter in die Kneipe und die junge Arbeiterin in das Bordell trieben. Bei jedem neuen Einfall, den der Kapitalist täglich ausheckte, um seine Maschinerie ohne Vermehrung des Arbeiterpersonals 12 oder 15 Stunden im Gang zu halten, hatte der Arbeiter bald in diesem Stück Zeitabfall, bald in jenem seine Mahlzeit ein-


(FN 163)Rep. etc. for 30 th April 1849“, p. 21.
(FN 164)Rep. etc. 1. Dec. 1848“, p. 95.

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zuschlucken. Zur Zeit der Zehnstundenagitation schrien die Fabrikanten, das Arbeiterpack petitionire, in der Erwartung, zwölfstündigen Arbeitslohn für zehnstündige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die Medaille umgekehrt. Sie zahlten 10stündigen Arbeitslohn für zwölfund fünfzehnstündige Verfügung über die Arbeitskräfte(FN 165)! Diess war des Pudels Kern, diess die Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes! Es waren dieselben salbungsvollen, Menschenliebe triefenden Freihändler, die den Arbeitern 10 volle Jahre, während der Anticornlaw-Agitation, auf Heller und Pfennig vorgerechnet, dass bei freier Korneinfuhr eine zehnstündige Arbeit, mit den Mitteln der englischen Industrie, vollständig genüge, um die Kapitalisten zu bereichern(FN 166).

Die zweijährige Kapitalrevolte wurde endlich gekrönt durch den Urtheilsspruch eines der vier höchsten Gerichtshöfe von England, des Court of Exchequer, der in einem vor ihn gebrachten Fall am 8. Februar 1850 entschied, dass die Fabrikanten zwar wider den Sinn des Akts von 1844 handelten, dieser Akt selbst aber gewisse Worte enthalte, die ihn sinnlos machten. „Mit dieser Entscheidung war das Zehnstundengesetz abgeschafft“(FN 167). Eine Masse Fabrikanten, die bisher noch das Relaissystem für junge Personen und Arbeiterinnen gescheut, griffen nun mit beiden Händen zu(FN 168).

Mit diesem scheinbar definitiven Sieg des Kapitals trat aber sofort ein Umschlag ein. Die Arbeiter hatten bisher passiven, obgleich unbeugsamen und täglich erneuten Widerstand geleistet. Sie protestirten jetzt


(FN 165) Siehe „ Reports etc. for 30 th April 1849“, p. 6 und die weitläufige Auseinandersetzung des „shifting system“ durch die Fabrikinspektoren Howell und Saunders in „ Reports etc. for 31 st Oct. 1848.“ Siehe auch die Petition der Geistlichkeit von Ashton und Nachbarschaft, Frühling 1849, an die Königin. gegen das „shift system.“
(FN 166) Vgl. z. B. „ The Factory Question and the Ten Hours Bill. By R. H. Greg. 1837.“
(FN 167) F. Engels: „ Die englische Zehnstundenbill“ (in der von mir herausgegebenen: „ Neuen Rh. Zeitung. Politisch-ökonomische Revue. Aprilheft 1850“, p. 13). Derselbe „hohe“ Gerichtshof entdeckte ebenfalls während des amerikanischen Bürgerkriegs eine Wortschraube, die das Gesetz gegen Ausrüstung von Piratenschiffen in’s direkte Gegentheil verkehrt.
(FN 168)Rep. etc. for 30 th April 1850.“

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in laut drohenden Meetings in Lancashire und Yorkshire. Das angebliche Zehnstundengesetz sei also blosser Humbug, parlamentarische Prellerei, und habe nie existirt! Die Fabrikinspektoren warnten dringend die Regierung, der Klassenantagonismus sei zu einer unglaublichen Höhe gespannt. Ein Theil der Fabrikanten selbst murrte: „durch die widersprechenden Entscheidungen der Magistrate herrsche ein ganz abnormaler und anarchischer Zustand. Ein andres Gesetz gelte in Yorkshire, ein andres in Lancashire, ein andres Gesetz in einer Pfarrei von Lancashire, ein andres in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Der Fabrikant in grossen Städten könne das Gesetz umgehn, der in Landflecken finde nicht das nöthige Personal für das Relaissystem und noch minder zur Verschiebung der Arbeiter aus einer Fabrik in die andre u. s. w.“ Und gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals.

Unter diesen Umständen kam es zu einem Kompromiss zwischen Fabrikanten und Arbeitern, der in dem neuen zusätzlichen Fabrikakt vom 5. August 1850 parlamentarisch versiegelt ist. Für „ junge Personen und Frauenzimmer“ wurde der Arbeitstag in den ersten 5 Wochentagen von 10 auf 10½ Stunden erhöht, für den Samstag auf 7½ Stunden beschränkt. Die Arbeit muss in der Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends vorgehn(FN 169), mit 1½stündigen Pausen für Mahlzeiten, die gleichzeitig und gemäss den Bestimmungen von 1844 einzuräumen sind u. s. w. Damit war dem Relaissystem ein für allemal ein Ende gemacht(FN 170). Für die Kinderarbeit blieb das Gesetz von 1844 in Kraft.

Eine Fabrikantenkategorie sicherte sich diessmal, wie früher, besondere Seigneurialrechte auf Proletarierkinder. Es waren diess die Seidenfabrikanten. Im Jahr 1833 hatten sie drohend geheult, „wenn man ihnen die Freiheit raube, Kinder jeden Alters täglich


(FN 169) Im Winter kann die Periode zwischen 7 Uhr Morgens und 7 Uhr Abends an die Stelle treten.
(FN 170) „The present law (of 1850) was a compromise whereby the employed surrendered the benefit of the Ten Hours’ Act for the advantage of one uniform period for the commencement and termination of the labour of those whose labour is restricted.“ („ Reports etc. for 30 th April 1852“, p. 14.)

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10 Stunden abzurackern, setze man ihre Fabriken still“ (if the liberty of working children of any age for 10 hours a day was taken away, it would stop their works). Es sei ihnen unmöglich, eine hinreichende Anzahl von Kindern über 13 Jahren zu kaufen. Sie erpressten das gewünschte Privilegium. Der Vorwand stellte sich bei späterer Untersuchung als baare Lüge heraus(FN 171), was sie jedoch nicht verhinderte, während eines Decenniums aus dem Blut kleiner Kinder, die zur Verrichtung ihrer Arbeit auf Stühle gestellt werden mussten, täglich 10 Stunden Seide zu spinnen(FN 172). Der Akt von 1844 „beraubte“ sie zwar der „Freiheit“, Kinder unter 11 Jahren länger als 6½ Stunden, sicherte ihnen dagegen das Privilegium, Kinder zwischen 11 und 13 Jahren 10 Stunden täglich zu verarbeiten, und kassirte den für andere Fabrikkinder vorgeschriebenen Schulzwang. Diessmal der Vorwand: „Die Delikatesse des Gewebes erheische eine Fingerzartheit, die nur durch frühen Eintritt in die Fabrik zu sichern“(FN 173). Der delikaten Finger wegen wurden die Kinder ganz geschlachtet, wie Hornvieh in Südrussland wegen Haut und Talg. Endlich, 1850, wurde das 1844 eingeräumte Privilegium auf die Departements der Seidenzwirnerei und Seidenhaspelei beschränkt, hier aber, zum Schadenersatz des seiner „Freiheit“ beraubten Kapitals, die Arbeitszeit für Kinder von 11 bis 13 Jahren von 10 auf 10½ Stunden erhöht. Vorwand: „Die Arbeit sei leichter in Seidenfabriken als in den andern Fabriken und in keiner Weise so nachtheilig für die Gesundheit“(FN 174). Offizielle ärztliche Untersuchung bewies hinterher, dass umgekehrt „die durchschnittliche Sterblichkeitsrate in den Seidendistrikten ausnahmsweise hoch und unter dem weiblichen Theil der Bevölkerung selbst höher ist als in den Baumwolldistrikten von Lancashire“(FN 175). Trotz des halbjährlich wieder-


(FN 171)Reports etc. for 30 th Sept. 1844“, p. 13.
(FN 172) l. c.
(FN 173) „The delicate texture of the fabric in which they were employed requiring a lightness of touch, only to be acquired by their early introduction to these factories.“ (l. c. p. 20.)
(FN 174)Reports etc. for 31 st Oct. 1861“, p. 26.
(FN 175) l. c. p. 27. Im Allgemeinen hat sich die dem Fabrikgesetz unterworfene Arbeiterbevölkerung physisch sehr verbessert. Alle ärztlichen Zeugnisse stimmen darin überein und eigne persönliche Anschauung zu verschiednen Perioden hat

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holten Protests der Fabrikinspektoren, dauert der Unfug bis zur Stunde fort(FN 176).

Das Gesetz von 1850 verwandelte nur für „junge Personen und Frauenzimmer“ die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends in die zwölfstündige Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. Also nicht für Kinder, die immer noch eine halbe Stunde vor Beginn und 2½ Stunden nach Schluss dieser Periode verwerthbar blieben, wenn auch die Gesammtdauer ihrer Arbeit 6½ Stunden nicht überschreiten durfte. Während der Diskussion des Gesetzes wurde dem Parlament von den Fabrikinspektoren eine Statistik über die infamen Missbräuche jener Anomalie unterbreitet. Jedoch umsonst. Im Hintergrund lauerte die Absicht, den Arbeitstag der erwachsnen Arbeiter mit


mich davon überzeugt. Dennoch, und abgesehn von der ungeheuren Sterblichkeitsrate der Kinder in den ersten Lebensjahren, zeigen die officiellen Berichte des Dr. Greenhow den ungünstigen Gesundheitsstand der Fabrikdistrikte, verglichen mit „Agrikulturdistrikten von normaler Gesundheit“. Zum Beweis u. a. folgende Tabelle aus seinem Bericht von 1861:
[Tabelle]
(FN 176) Man weiss, wie widerstrebend die englischen „Freihändler“ dem Schutzzoll für Seidenmanufaktur entsagten. Statt des Schutzes gegen französische Einfuhr dient nun die Schutzlosigkeit englischer Fabrikkinder.

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Beihilfe der Kinder in Prosperitätsjahren wieder auf 15 Stunden zu schrauben. Die Erfahrung der folgenden 3 Jahre zeigte, dass solcher Versuch am Widerstand der erwachsnen männlichen Arbeiter scheitern müsse(FN 177). Der Akt von 1850 wurde daher 1853 endlich ergänzt durch das Verbot, „Kinder des Morgens vor und des Abends nach den jungen Personen und Frauenzimmern zu verwenden“. Von nun an regelte, mit wenigen Ausnahmen, der Fabrikakt von 1850 in den ihm unterworfenen Industriezweigen den Arbeitstag aller Arbeiter(FN 178). Seit dem Erlass des ersten Fabrikakts war jetzt ein halbes Jahrhundert verflossen(FN 179).

Ueber ihre ursprüngliche Sphäre griff die Fabrikgesetzgebung zuerst hinaus durch den ‚ Printwork’s Act‘ (Gesetz über Kattundruckereien u. s. w.) von 1845. Die Unlust, womit das Kapital diese neue „Extravaganz“ zuliess, spricht aus jeder Zeile des Acts! Er beschränkt den Arbeitstag für Kinder von 8—13 Jahren und für Frauenzimmer auf 16 Stunden zwischen 6 Uhr Morgens und 10 Uhr Abends, ohne irgend eine gesetzliche Pause für Mahlzeiten. Er erlaubt männliche Arbeiter


(FN 177)Reports etc. for 30 th April 1853“, p. 31.
(FN 178) Während der Zenithjahre der englischen Baumwollindustrie, 1859 und 1860, versuchten einige Fabrikanten durch die Lockangel hoher Arbeitslöhne für Extrazeit die erwachsenen männlichen Spinner u. s. w. zur Verlängerung des Arbeitstags zu bestimmen. Die Hand-Mule Spinners und Self-Actor Minders machten dem Experiment ein Ende durch eine Denkschrift an ihre Anwender, worin es u. a. heisst: „Grad herausgesprochen, unser Leben ist uns zur Last, und so lange wir fast 2 Tage die Woche (20 Stunden) länger an die Fabrik gekettet sind als die anderen Arbeiter, fühlen wir uns gleich Heloten im Lande und werfen uns selbst vor, ein System zu verewigen, das uns selbst und unsre Nachkommen physisch und moralisch beschädigt . . . . Daher geben wir hiermit respektvolle Notiz, dass wir von Neujahrstag an keine Minute mehr als 60 Stunden wöchentlich, von 6 Uhr zu 6 Uhr, mit Abzug der gesetzlichen Pausen von 1½ Stunden, arbeiten werden.“ („ Reports etc. for 30 th April 1860“, p. 30.)
(FN 179) Ueber die Mittel, die die Fassung dieses Gesetzes für seinen Bruch gewährt, cf. den Parliamentary Return: „ Factory Regulations Acts“ (6. August 1859) und darin Leonhard Horner’s „ Suggestions for Amending the Factory Acts to enable the Inspectors to prevent Illegal Working, now become very prevalent.“

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über 13 Jahre Tag und Nacht hindurch beliebig abzuarbeiten(FN 180). Er ist ein parlamentarischer Abort(FN 181).

Dennoch hatte das Prinzip gesiegt mit seinem Sieg in den grossen Industriezweigen, welche das eigenste Geschöpf der modernen Produktionsweise. Ihre wundervolle Entwicklung von 1853—1860, Hand in Hand mit der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter. schlug das blödeste Auge. Die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche Schranke und Regel des Arbeitstags durch halbhundertjährigen Bürgerkrieg Schritt für Schritt abgetrotzt, wiesen prahlend auf den Kontrast mit den noch „freien“ Exploitationsgebieten hin(FN 182). Die Pharisäer der „politischen Oekonomie“ proklamirten nun die Einsicht in die Nothwendigkeit eines gesetzlich geregelten Arbeitstags als charakteristische Neuerrungenschaft ihrer „Wissenschaft“(FN 183). Man versteht leicht, dass nachdem sich die Fabrikmagnaten in das Unvermeidliche gefügt und mit ihm ausgesöhnt, die Widerstandskraft des Kapitals graduell abschwachte, während zugleich die Angriffskraft der Arbeiterklasse wuchs mit der Zahl ihrer Verbündeten in den nicht unmittelbar interessirten Gesellschaftsschichten. Daher vergleichungsweis rascher Fortschritt seit 1860.

Die Färbereien und Bleichereien(FN 184) wurden 1860, die Spitzenfabri-


(FN 180) „Kinder von 8 Jahren und drüber sind in der That von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends während des letzten Halbjahrs (1857) in meinem Distrikt abge rackert worden.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1857“, p. 39.)
(FN 181) „The Printwork’s Act is admitted to be a failure, both with reference to its educational and protective provisions.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1862“, p. 52.)
(FN 182) So z. B. E. Potter in Brief an Times vom 24. März 1863. Die Times erinnert ihn an die Fabrikantenrevolte gegen das Zehnstundengesetz.
(FN 183) So u. a. Herr W. Newmarch, Mitarbeiter an und Herausgeber von Tooke’s: „ History of Prices“. Ist es wissenschaftlicher Fortschritt, der öffentlichen Meinung feige Concessionen zu machen?
(FN 184) Der 1860 erlassene Akt über Bleichereien und Färbereien bestimmt, dass der Arbeitstag am 1. August 1861 vorläufig auf 12, am 1. August 1862 definitiv auf 10 Stunden, d. h. 10½ für Werkeltage und 7½ für Samstage herabgesetzt werde. Als nun das böse Jahr 1862 anbrach, wiederholte sich die alte Farce. Die Herrn Fabrikanten petitionirten das Parlament, nur noch für ein einziges Jahr länger die zwölfstündige Beschäftigung von jungen Personen und Frauenzimmern zu dulden . . . . „Beim gegenwärtigen Zustand des Geschäfts (zur Zeit der Baumwollnoth) sei es ein grosser Vortheil für die Arbeiter, wenn man ihnen erlaube
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ken und Strumpfwirkereien 1861 dem Fabrikakt von 1850 unterworfen. In Folge des ersten Berichts der „ Kommission über die Beschäftigung der Kinder“ (1863) theilten dasselbe Schicksal die Manufaktur aller Erdenwaaren (nicht nur Töpfereien), der Schwefelhölzer, Zündhütchen, Patronen, Tapetenfabrik, Baumwollsammt-Scheererei (fustian cutting) und zahlreiche Prozesse, die unter dem Ausdruck „finishing“ (letzte Appretur) zusammengefasst sind. Im Jahre 1863 wurden die „ Bleicherei in offener Luft(FN 185) und die Bäckerei


12 Stunden täglich zu arbeiten und so viel Arbeitslohn als möglich herauszuschlagen … Es war bereits gelungen, eine Bill in diesem Sinn ins Unterhaus zu bringen. Sie fiel vor der Agitation der Arbeiter in den Bleichereien Schottlands.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1862“, p. 14, 15.) So geschlagen von den Arbeitern selbst, in deren Namen es zu sprechen vorgab, entdeckte das Kapital nun, mit Hilfe juristischer Brillen, dass der Akt von 1860, gleich allen Parlamentsakten zum „Schutz der Arbeit“, in sinnverwirrten Wortschraubungen abgefasst, einen Vorwand gebe, die „calenderers“ und „finishers“ von seiner Wirkung auszuschliessen. Die englische Jurisdiktion, stets getreuer Knecht des Kapitals, sanktionirte durch den Hof der „Common Pleas“ die Rabulisterei. „Es hat grosse Unzufriedenheit unter den Arbeitern erregt und ist sehr bedauerlich, dass die klare Absicht der Gesetzgebung auf Vorwand einer mangelhaften Wortdefinition vereitelt wird.“ (l. c. p. 18.)
(FN 185) Die „Bleicher in offner Luft“ hatten sich dem Gesetz von 1860 über „Bleicherei“ durch die Lüge entzogen, dass sie keine Weiber des Nachts verarbeiteten. Die Lüge wurde von den Fabrikinspektoren aufgedeckt, zugleich aber das Parlament durch Arbeiterpetitionen seiner wiesenduftigkühlen Vorstellungen von „Bleicherei in offner Luft“ beraubt. In dieser Luftbleicherei werden Trockenzimmer von 90 bis 100 Grad Fahrenheit angewandt, worin hauptsächlich Mädchen arbeiten. „Cooling“ (Abkühlung) ist der technische Ausdruck für ihr gelegentliches Entrinnen aus dem Trockenzimmer in die freie Luft. „Fünfzehn Mädchen in den Trockenzimmern. Hitze von 80 zu 90° für Leinwand, von 100° und mehr für Cambrics. Zwölf Mädchen bügeln und legen auf (die Cambrics etc.) in einem kleinen Zimmer von ungefähr 10 Quadratfuss, in der Mitte ein enggeschlossener Ofen. Die Mädchen stehn rund um den Ofen herum, der eine schreckliche Gluth ausstrahlt und die Cambrics rasch für die Bügelerinnen trocknet. Die Stundenzahl für diese Hände ist unbeschränkt. Wenn geschäftig, arbeiten sie bis 9 oder 12 Uhr Nachts viele Tage hintereinander.“ ( Reports etc. for 31 st Oct. 1862“, p. 56.) Ein Arzt erklärt: „Für die Abkühlung sind keine besondren Stunden erlaubt, aber wenn die Temperatur zu unerträglich wird, oder die Hände der Arbeiterinnen sich vom Schweiss beschmutzen, ist ihnen gestattet, ein paar

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unter eigne Akte gestellt, wovon der erste u. a. die Arbeit von Kindern, jungen Personen und Weibern zur Nachtzeit (von 8 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens) und der zweite die Anwendung von Bäckergesellen unter 18 Jahren zwischen 9 Uhr Abends und 5 Uhr Morgens verbietet. Auf die späteren Vorschläge der erwähnten Kommission, welche, mit Ausnahme des Ackerbaus, der Minen und des Transportwesens, alle wichtigern englischen Industriezweige der „Freiheit“ zu berauben drohen, kommen wir zurück.

Der Leser erinnert sich, dass die Produktion von Mehrwerth oder die Extraktion von Mehrarbeit den spezifischen Inhalt und Zweck der kapitalistischen Produktion bildet, abgesehn von einer jeden aus der Unterordnung der Arbeit unter das Kapital etwa entspringenden Umgestaltung der Produktionsweise selbst. Er erinnert sich, dass auf dem bisher entwickelten Standpunkt nur der selbstständige und daher gesetzlich mündige Arbeiter als Waaren-


Minuten fortzugehn … Meine Erfahrung in der Behandlung der Krankheiten dieser Arbeiterinnen zwingt mich zu konstatiren, dass ihr Gesundheitszustand tief unter dem der Baumwollarbeiterinnen steht (und das Kapital hatte sie in seinen Bittschriften an das Parlament als Rembrandisch übergesund gemalt!). Ihre auffallendsten Krankheiten sind Phthisis, Bronchitis, Uterinkrankheiten, Hysterie in der scheusslichsten Form und Rheumatismus. Alle diese entspringen, wie ich glaube, direkt oder indirekt, aus der überhitzten Luft ihrer Arbeitszimmer und dem Mangel genügender comfortabler Kleidung, um sie beim Nachhausegehn während der Wintermonate vor der kaltfeuchten Atmosphäre zu schützen.“ l. c. p. 56, 57. Die Fabrikinspektoren bemerken über das den jovialen „Bleichern in offner Luft“ nachträglich abgetrotzte Gesetz von 1863: „Dieser Akt hat nicht nur verfehlt den Arbeitern den Schutz zu gewähren, den er zu gewähren scheint . . . . er ist so formulirt, dass der Schutz erst eintritt, sobald man Kinder und Frauenzimmer nach 8 Uhr Abends an der Arbeit ertappt, und selbst dann ist die vorgeschriebene Beweismethode so verklausulirt, dass Bestrafung kaum erfolgen kann.“ (l. c. p. 52.) „Als ein Akt mit humanen und auf Erziehung gerichteten Zwecken ist er ganz und gar verfehlt. Man wird es doch kaum human nennen, Weibern und Kindern zu erlauben, oder, was auf dasselbe hinauskommt, sie zu zwingen, 14 Stunden täglich, mit oder ohne Mahlzeiten, wie es sich treffen mag, und vielleicht noch längere Stunden zu arbeiten, ohne Schranke mit Bezug auf das Alter, ohne Unterschied des Geschlechts, und ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Gewohnheiten der Familien der Nachbarschaft, worin die Bleichwerke liegen.“ („ Reports etc. for 30 th April 1863“, p. 40.)
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verkäufer mit dem Kapitalisten kontrahirt. Wenn in unsrer historischen Skizze also einerseits die moderne Industrie eine Hauptrolle spielt andrerseits die Arbeit physisch und rechtlich Unmündige so galt uns die eine nur als besondre Sphäre, die andre nur als besonders schlagendes Beispiel der Arbeitsaussaugung. Ohne jedoch der spätern Entwicklung vorzugreifen, folgt aus dem blossen Zusammenhang der geschichtlichen Thatsachen:

Erstens: In den durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunächst revolutionirten Industrien, in diesen ersten Schöpfungen der modernen Produktionsweise, den Baumwolle-, Wolle-, Flachs-, Seide-Spinnereien und Webereien wird der Trieb des Kapitals nach massund rücksichtsloser Verlängerung des Arbeitstags zuerst befriedigt. Die veränderte materielle Produktionsweise und die ihr entsprechend veränderten socialen Verhältnisse der Produzenten(FN 186) schaffen erst die masslose Ausschreitung und rufen dann im Gegensatz die gesellschaftliche Kontrole hervor, welche den Arbeitstag mit seinen Pausen gesetzlich beschränkt, regulirt und uniformirt. Diese Kontrole erscheint daher während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bloss als Ausnahmsgesetzgebung(FN 187). Sobald sie das Urgebiet der neuen Produktionsweise erobert hatte, fand sich, dass unter dess nicht nur viele andre Produktionszweige in das eigentliche Fabrikregime eingetreten, sondern dass Manufakturen mit mehr oder minder verjährter Betriebsweise, wie Töpfereien, Glasereien u. s. w., dass altmodische Handwerke, wie die Bäckerei, und endlich selbst die zerstreute s. g. Hausarbeit, wie Nägelmacherei u. s. w.(FN 188), seit lange der kapitalistischen Exploitation eben so sehr verfallen waren als


(FN 186) „The conduct of each of these classes (capitalists and workmen) has been the result of the relative situation in which they have been placed.“ („ Reports etc. for 31 st Oct. 1848“, p. 112.)
(FN 187) „The employments placed under restriction were connected with the manufacture of textile fabrics by the aid of steam or water power. There were two conditions to which an employment must be subject to cause it to be inspected, viz. the use of steam or water power, and the manufacture of certain specified fibres.“ („ Reports etc. for 31. October 1864“, p. 8.)
(FN 188) Ueber den Zustand dieser sogenannten häuslichen Industrie äusserst reichhaltiges Material in den letzten Berichten der „ Children’s Employment Commission“.

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die Fabrik. Die Gesetzgebung ward daher gezwungen, ihren Ausnahmscharakter allmählig abzustreifen, oder, wo sie römisch kasuistisch verfährt, wie in England, irgend ein Haus, worin man arbeitet, nach Belieben für eine Fabrik (factory) zu erklären(FN 189).

Zweitens: Die Geschichte der Reglung des Arbeitstags in einigen Produktionsweisen, in andern der noch fortdauernde Kampf um diese Reglung, beweisen handgreiflich, dass der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter als „freier“ Verkäufer seiner Arbeitskraft, auf gewisser Reifestufe der kapitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt. Die Schöpfung eines Normal-Arbeitstags ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr oder minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse. Wie der Kampf eröffnet wird im Umkreis der modernen Industrie, so spielt er zuerst in ihrem Heimathsland, England(FN 190). Die englischen Fabrikarbeiter waren die Preisfechter nicht nur der englischen, sondern der modernen Arbeiterklasse überhaupt, wie auch ihre Theoretiker der Theorie des Kapitals zuerst den Fehdehandschuh hinwarfen(FN 191). Der Fabrikphilosoph Ure denunzirt es


(FN 189) „The Acts of last Session (1864) … embrace a diversity of occupations the customs in which differ greatly, and the use of mechanical power to give motion to machinery is no longer one of the elements necessary, as formerly, to constitute in legal phrase a Factory.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1864“, p. 8.)
(FN 190) Belgien, das Paradies des kontinentalen Liberalismus, zeigt auch keine Spur dieser Bewegung. Selbst in seinen Kohlengruben und Metallminen werden Arbeiter beider Geschlechter und von jeder Altersstufe mit vollkommener „Freiheit“ für jede Zeitdauer und Zei tperiode konsumirt. Auf je 1000 darin beschäftigte Personen kommen 733 Männer, 88 Weiber, 135 Jungen und 44 Mädchen unter 16 Jahren; in den Hochöfen u. s. w. auf je 1000 668 Männer, 149 Weiber, 98 Jungen und 85 Mädchen unter 16 Jahren. Kömmt nun noch hinzu niedriger Arbeitslohn für enorme Ausbeutung reifer und unreifer Arbeitskräfte, im Tagesdurchschnitt 2 sh. 8 d. für Männer, 1 sh. 8 d. für Weiber, 1 sh. 2½ d. für Jungen. Dafür hat Belgien aber auch 1863, verglichen mit 1850, Quantum und Werth seiner Ausfuhr von Kohlen, Eisen u. s. w. ziemlich verdoppelt.
(FN 191) Als Robert Owen kurz nach dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts die Nothwendigkeit einer Beschränkung des Arbeitstags nicht nur theoretisch vertrat, sondern den Zehnstundentag wirklich in seine Fabrik zu New-Lanark einführte, ward das als kommunistische Utopie verlacht, ganz so wie seine „Verbindung von produktiver Arbeit mit Erziehung der Kinder“, ganz wie die von ihm

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daher als unauslöschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, dass sie „die Sklaverei der Fabrikakte“ auf ihre Fahne schrieb gegenüber dem Kapital, das männlich für „ vollkommene Freiheit der Arbeit“ stritt(FN 192).

Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der Februarrevolution zur Geburt des Zwölfstundengesetzes(FN 193), das viel mangelhafter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht die französische revolutionäre Methode auch ihre eigenthümlichen Vorzüge geltend. Mit einem Schlag diktirt sie allen Ateliers und Fabriken ohne Unterschied dieselbe Schranke des Arbeitstags, während die englische Gesetzgebung bald an diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck der Verhältnisse widerwillig weicht und auf dem besten Weg ist, einen neuen juristischen Rattenkönig auszubrüten(FN 194). Andrerseits proklamirt


ins Leben gerufenen Cooperationsgeschäfte der Arbeiter. Heutzutage ist die erste Utopie Fabrikgesetz, die zweite figurirt als officielle Phrase in allen „ Factory Acts“ und die dritte dient sogar schon zum Deckmantel reaktionärer Schwindeleien.
(FN 192) Ure fzs. Uebers. „ Philosophie des Manufactures. Paris 1836,“ t. II, p. 39, 40, 67, 77 etc.
(FN 193) In dem Compte Rendu des „ Internationalen Statistischen Kongresses zu Paris, 1855“, heisst es u. a.: „Das französische Gesetz, das die Dauer der täglichen Arbeit in Fabriken und Werkstätten auf 12 Stunden beschränkt, begrenzt diese Arbeit nicht innerhalb bestimmter fixer Stunden (Zeitperioden), indem nur für die Kinderarbeit die Periode zwischen 5 Uhr Vormittags und 9 Uhr Abends vorgeschrieben ist. Daher bedient sich ein Theil der Fabrikanten des Rechts, welches ihnen diess verhängnissvolle Schweigen giebt. um Tag aus Tag ein, vielleicht mit Ausnahme der Sonntage, ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen. Sie wenden dazu zwei verschiedne Arbeiterreihen an, von denen keine mehr als 12 Stunden in der Werkstätte zubringt, aber das Werk des Etablissements dauert Tag und Nacht. Das Gesetz ist befriedigt, aber ist es die Humanität ebenfalls?“ Ausser dem „zerstörenden Einfluss der Nachtarbeit auf den menschlichen Organismus“, wird auch „der fatale Einfluss der nächtlichen Association beider Geschlechter in denselben trüb erleuchteten Werkstätten“ betont.
(FN 194) „Z. B. in meinem Distrikt, in denselben Fabrikbaulichkeiten, ist derselbe Fabrikant Bleicher und Färber unter dem „Bleichereiund Färberei Akt“, Drucker unter dem „Print Works Act“ und finisher unter dem „Fabrikakt“ . . . . ( Report of Mr. Redgrave in „ Reports etc. for 31 st Oct. 1861“, p. 20.) Nach Aufzählung der verschiednen Bestimmungen dieser Akte und der daher fol-

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das französische Gesetz prinzipiell, was in England nur im Namen von Kindern, Unmündigen und Frauenzimmern erkämpft und erst neuerdings als allgemeines Recht beansprucht wird(FN 195).

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbstständige Arbeiterbewegung gelähmt, so lange die Sklaverei einen Theil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weisser Haut kann sich dort nicht emancipiren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entspross sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom atlantischen bis zum stillen Ocean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien. Der allgemeine Arbeiterkongress zu Baltimore (16. August 1866) erklärt: „Das erste und grosse Erheischniss der Gegenwart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu befreien, ist der Erlass eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den Normal-Arbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden sollen. Wir sind entschlossen alle unsre Macht aufzubieten, bis diess glorreiche Resultat erreicht ist“(FN 196). Gleichzeitig (Anfang September


genden Komplikation, sagt Herr Redgrave: „Man sieht, wie schwer es sein muss die Vollziehung dieser 3 Parlamentsakte zu sichern, wenn der Fabrikeigner das Gesetz zu umgehn beliebt.“ Was aber den Herrn Juristen dadurch gesichert ist, sind Prozesse.
(FN 195) So getrauen sich endlich die Fabrikinspektoren zu sagen: „These objections (des Kapitals gegen legale Beschränkung der Arbeitszeit) must succumb before the broad principle of the rights of labour … there is a time when the master’s right in his workman’s labour ceases and his time becomes his own, even if there was no exhaustion in the question.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1862“, p. 54.)
(FN 196) „Wir, die Arbeiter von Dunkirk, erklären, dass die unter dem jetzigen System erheischte Länge der Arbeitszeit zu gross ist und dem Arbeiter keine Zeit für Erholung und Entwickelung lässt, ihn vielmehr auf einen Zustand der Knechtschaft herabdrückt, der wenig besser als die Sklaverei ist („a condition of servitude but little better than slavery“). Desshalb beschlossen, dass 8 Stunden für einen Arbeitstag genügen und legal als genügend anerkannt werden müssen; dass wir zu unsrem Beistand die Presse anrufen, den gewaltigen Hebel … und alle, die diesen Beistand versagen, als Feinde der Arbeitsreform und Arbeiterrechte betrachten.“ ( Beschlüsse der Arbeiter zu Dunkirk, Staat New-York, 1866.)

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1866) beschloss der „ Internationale Arbeiterkongress“ zu Genf auf Vorschlag der Londoner Centralbehörde: „Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstags für eine vorläufige Bedingung, ohne welche alle andern Bestrebungen nach Emancipation scheitern müssen … Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als legale Schranke des Arbeitstags vor“.

So besiegelt die auf beiden Seiten des atlantischen Meers instinktiv aus den Produktionsverhältnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den Ausspruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders: „Weitere Schritte zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit irgend einer Aussicht auf Erfolg durchzuführen, wenn nicht zuvor der Arbeitstag beschränkt und seine vorgeschriebene Schranke strikt erzwungen wird“(FN 197).

Man muss gestehn, dass unser Arbeiter anders aus dem Produktionsprozess herauskömmt als er in ihn eintrat. Auf dem Markt trat er als Besitzer der Waare „Arbeitskraft“ andern Waarenbesitzern gegenüber, Waarenbesitzer dem Waarenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, schien durch den freien Willen von Verkäufer und Käufer vereinbartes Produkt. Nach geschlossnem Handel wird entdeckt, dass er „ kein freier Agent“ war, dass die Zeit, wofür es ihm freisteht seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofür er gezwungen ist sie zu verkaufen(FN 198), dass in der That sein Sauger nicht loslässt, „so lange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten“(FN 199). Zum „Schutze“ gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein


(FN 197)Reports etc. for 31. Oct. 1848“, p. 112.
(FN 198) „These proceedings (die Manöver des Kapitals z. B. 1848—50) have afforded, moreover, incontrovertible proof of the fallacy of the assertion so often advanced, that operatives need no protection, but may be considered as free agents in the disposal of the only property they possess, the labour of their hands, and the sweat of their brows.“ („ Reports etc. for 30. April 1850“, p. 45). „ Free Labour, if so it may be termed, even in a free country, requires the strong arm of the law to protect it.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1864“, p. 34.) „ To permit, which is tantamount to compelling . . . . to work 14 hours a day with or without meals etc.“ („ Reports etc. for 30. April 1863“, p. 40.)
(FN 199) Friedrich Engels l. c. p. 5.

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Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hinderniss, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihre Generation in Tod und Sklaverei zu verkaufen(FN 200). An die Stelle des prunkvollen Katalogs der „unveräusserlichen Menschenrechte“ tritt die bescheidne Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die „endlich klar macht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet, und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt(FN 201). Quantum mutatus ab illo!

5) Rate und Masse des Mehrwerths.

Wie bisher, wird in diesem Paragraph der Werth der Arbeitskraft, also der zur Reproduktion oder Erhaltung der Arbeitskraft nothwendige Theil des Arbeitstags, als gegebne, constante Grösse unterstellt.

Diess also vorausgesetzt, ist mit der Rate zugleich die Masse des Mehrwerths gegeben, die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten in bestimmter Zeitperiode liefert. Beträgt z. B. die nothwendige Arbeit täglich 6 Stunden, ausgedrückt in einem Goldquantum von 3 sh. = 1 Thaler, so ist 1 Thaler der Tageswerth einer Arbeitskraft, oder der im Ankauf


(FN 200) Die Zehnstundenbill hat in den ihr unterworfenen Industriezweigen „die Arbeiter vor gänzlicher Degeneration gerettet und ihren physischen Zustand beschützt.“ („ Reports etc. for 31. Oct. 1859“, p. 47—52.) „Das Kapital (in den Fabriken) kann niemals die Maschinerie in Bewegung halten über eine begrenzte Zeitperiode ohne die beschäftigten Arbeiter an ihrer Gesundheit und ihrer Moral zu beschädigen; und sie sind nicht in einer Lage, sich selbst zu schützen.“ l. c. p. 8.
(FN 201) „A still greater boon is, the distinetion at least made clear between the worker’s own time and his master’s. The worker knows now when that which he sells is ended, and when his own begins, and, by possessing a sure foreknowledge of this, is enabled to pre-arrange his own minutes for his own purposes.“ (l. c. p. 52.) „By making them masters of their own time, they (die Fabrikgesetze) have given them a moral energy which is directing them to the eventual possession of political power.“ (l. c. p. 47.) Mit verhaltner Ironie, und in sehr vorsichtigen Ausdrücken, deuten die Fabrikinspektoren an, dass das jetzige Zehnstundengesetz auch den Kapitalisten einigermassen von seiner naturwüchsigen Brutalität als blosser Verkörperung des Kapitals befreit und ihm Zeit zu einiger „Bildung“ gegeben habe. Vorher „the master had no time for anything but money: the servant had no time for anything but labour.“ l. c. p. 48.

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einer Arbeitskraft vorgeschossene Kapitalwerth. Ist ferner die Rate des Mehrwerths 100 %, so producirt diess variable Kapital von 1 Thaler eine Masse Mehrwerth von 1 Thaler, oder der Arbeiter liefert täglich eine Masse Mehrarbeit von 6 Stunden.

Das variable Kapital ist aber der Geldausdruck für den Gesammtwerth aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig in einem bestimmten Produktionsprozess verwendet. Ist der Tageswerth einer Arbeitskraft 1 Thaler, so ist also ein Kapital von 100 Thalern vorzuschiessen um 100, und von n Thalern, um n Arbeitskräfte täglich zu exploitiren. Der Werth des vorgeschossenen variablen Kapitals ist also gleich dem Durchschnittswerth einer Arbeitskraft multiplicirt mit der Anzahl der verwandten Arbeitskräfte. Bei gegebnem Werth der Arbeitskraft wechselt also Werthumfang oder Grösse des variablen Kapitals mit der Masse der angeeigneten Arbeitskräfte oder der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter.

Produzirt ein variables Kapital von 1 Thaler, der Tageswerth einer Arbeitskraft, einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler, so ein variables Kapital von 100 Thalern einen täglichen Mehrwerth von 100, und eins von n Thalern einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler × n. Die Masse des producirten Mehrwerths ist also gleich dem Mehrwerth, den der Arbeitstag des einzelnen Arbeiters liefert, multiplicirt mit der Anzahl der angewandten Arbeiter. Da aber ferner die Masse Mehrwerth, die der einzelne Arbeiter producirt, bei gegebenem Werth der Arbeitskraft, durch die Rate des Mehrwerths bestimmt ist, so folgt, unter derselben Voraussetzung: Die Masse des von einem gegebnen variablen Kapital producirten Mehrwerths ist gleich der Grösse des vorgeschossenen variablen Kapitals multiplicirt mit der Rate des Mehrwerths oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältniss zwischen der Anzahl der gleichzeitig exploitirten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad der einzelnen Arbeitskraft.

In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwerth kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andern ersetzt werden. Wird das variable Kapital vermindert und gleichzeitig in demselben Verhältniss die Rate des Mehrwerths


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erhöht, so bleibt die Masse des producirten Mehrwerths unverändert. Muss unter den früheren Annahmen der Kapitalist 100 Thaler vorschiessen, um 100 Arbeiter täglich zu exploitiren, und beträgt die Rate des Mehrwerths 50 %, so wirft diess variable Kapital von 100 einen Mehrwerth von 50 ab, oder von 100 × 3 Arbeitsstunden. Wird die Rate des Mehrwerths verdoppelt, oder der Arbeitstag statt von 6 zu 9, von 6 zu 12 Stunden verlängert, so wirft das um die Hälfte verminderte variable Kapital von 50 Thalern ebenfalls einen Mehrwerth von 50 Thalern ab oder von 50 × 6 Arbeitsstunden. Verminderung des variablen Kapitals ist also ausgleichbar durch proportionelle Erhöhung im Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder Abnahme in der Anzahl der beschäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpressbare Zufuhr der Arbeit also unabhängig von der Arbeiterzufuhr(FN 202). Umgekehrt lässt Abnahmein der Rate des Mehrwerths die Masse des producirten Mehrwerths unverändert, wenn proportionell die Grösse des variablen Kapitals oder die Anzahl der beschäftigten Arbeiter wächst.

Indess hat der Ersatz von Arbeiteranzahl oder Grösse des variablen Kapitals durch gesteigerte Rate des Mehrwerths oder Verlängerung des Arbeitstags unüberspringbare absolute Schranken. Welches immer der Werth der Arbeitskraft sei, ob daher die zur Erhaltung des Arbeiters nothwendige Arbeitszeit 2 oder 10 Stunden betrage, der Gesammtwerth, den ein Arbeiter, Tag aus Tag ein, produciren kann, ist immer kleiner als der Werth, worin sich 24 Arbeitsstunden vergegenständlichen, kleiner als 12 sh. oder 4 Thaler, wenn diess der Geldausdruck der 24 vergegenständlichten Arbeitsstunden. Unter unsrer früheren Annahme, wonach täglich 6 Arbeitsstunden erheischt, um die Arbeitskraft selbst zu reproduciren oder den in ihrem Ankauf vorgeschossenen Kapitalwerth zu ersetzen, producirt ein variables Kapital von 500 Thalern, das täglich 500 Arbeiter zur Mehrwerthsrate von 100 % oder mit zwölfstündigem Arbeitstag verwendet, täglich einen Mehrwerth von 500 Thalern


(FN 202) Diess Elementargesetz scheint den Herren von der Vulgärökonomie unbekannt, die, umgekehrte Archimedes, in der Bestimmung der Marktpreise der Arbeit durch Nachfrage und Zufuhr den Punkt gefunden zu haben glauben, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, sondern um sie stillzusetzen.

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oder 6 × 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von 100 Thalern, das 100 Arbeiter täglich verwendet zur Mehrwerthsrate von 200 % oder mit 18stündigem Arbeitstag, producirt nur eine Mehrwerths masse von 200 Thalern oder 18 × 100 Arbeitsstunden. Und sein gesammtes Werthprodukt, Aequivalent des vorgeschossenen Kapitals plus Mehrwerth, kann Tag aus Tag ein, niemals die Summe von 400 Thalern oder 24 × 100 Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von variablem Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerths oder von exploitirter Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Diess handgreifliche Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Erscheinungen, entspringend aus der später zu entwickelnden Tendenz des Kapitals, die von ihm beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheil auf die Minimalschranke zu reduciren, im Widerspruch zu seiner andern Tendenz, die möglichst grosse Masse von Mehrwerth zu produciren. Umgekehrt. Nimmt die Masse der verwandten Arbeitskräfte zu, oder die Grösse des variablen Kapitals, aber langsamer als die Rate des Mehrwerths abnimmt, so sinkt die Masse des producirten Mehrwerths.

Ein drittes Gesetz ergiebt sich aus der Bestimmung der Masse des producirten Mehrwerths durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerths und Grösse des vorgeschossenen variablen Kapitals. Die Rate des Mehrwerths oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den Werth der Arbeitskraft oder die Grösse der nothwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es selbstverständlich, dass je grösser das variable Kapital, desto grösser die Masse des producirten Werths und Mehrwerths. Ist die Grenze des Arbeitstags gegeben, ebenso die Grenze seines nothwendigen Bestandtheils, so hängt die Masse von Werth und Mehrwerth, die ein einzelner Kapitalist producirt, offenbar ausschliesslich ab von der Masse Arbeit, die er in Bewegung setzt. Diese aber hängt, unter den gegebnen Annahmen, ab von der Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er exploitirt, und diese Anzahl ihrerseits ist bestimmt durch die Grösse des von ihm vorgeschossenen variablen Kapitals. Bei gegebner


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Rate des Mehrwerths und gegebnem Werth der Arbeitskraft verhalten sich also die Massen des producirten Mehrwerths direkt wie die Grössen der vorgeschossenen variablen Kapitale. Nun weiss man aber, dass der Kapitalist sein Kapital in zwei Theile theilt. Einen Theil legt er aus in Produktionsmitteln. Diess ist der constante Theil seines Kapitals. Den andern Theil setzt er um in lebendige Arbeitskraft. Dieser Theil bildet sein variables Kapital. Auf Basis derselben Produktionsweise findet in verschiednen Produktionssphären verschiedne Theilung des Kapitals in constanten und variablen Bestandtheil statt. Innerhalb derselben Produktionssphäre wechselt diess Verhältniss mit wechselnder technologischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination des Produktionsprozesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in constanten und variablen Bestandtheil, ob der letztere sich zum ersteren verhalte wie 1 : 2, 1 : 10, oder 1 : x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht davon berührt, da, früherer Analyse gemäss, der Werth des constanten Kapitals im Produktenwerth zwar wiedererscheint, aber nicht in das neugebildete Werthprodukt eingeht. Um 1000 Spinner zu verwenden, sind natürlich mehr Rohmaterialien, Spindeln u. s. w. erheischt, als um 100 zu verwenden. Der Werth dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag steigen, fallen, unverändert bleiben, gross oder klein sein, er bleibt ohne irgend einen Einfluss auf den Verwerthungsprozess der sie bewegenden Arbeitskräfte. Das oben konstatirte Gesetz nimmt also die allgemeinere Form an: Die von verschiedenen Kapitalien producirten Massen von Werth und Mehrwerth verhalten sich, bei gegebnem Werth und gleich grossem Exploitationsgrad der Arbeitskraft, direkt wie die Grössen der variablen Bestandtheile dieser Kapitale, d. h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheile.

Diess Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründeten Erfahrung. Jedermann weiss, dass ein Baumwollspinner, der, die Prozenttheile des angewandten Gesammtkapitals berechnet, relativ viel constantes und wenig variables Kapital anwendet, desswegen keinen kleineren Gewinn oder Mehrwerth erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel variables und wenig constantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses schcinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder,


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wie es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf, um zu verstehn, dass eine wirkliche Grösse darstellen kann. Obgleich sie das Gesetz nie formulirt hat, hängt die klassische Oekonomie instinktiv daran fest, weil es eine nothwendige Konsequenz des Werthgesetzes überhaupt ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor den Widersprüchen der Erscheinung zu retten. Man wird später(FN 203) sehn, wie die Ricardo’sche Schule an diesem Stein des Anstosses gestolpert ist. Die Vulgärökonomie, die „wirklich auch nichts gelernt hat“, pocht hier, wie überall auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, dass „die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist“.

Die Arbeit, die das Gesammtkapital einer Gesellschaft täglich in Bewegung setzt, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden. Ist z. B. die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der DurchschnittsArbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaftliche Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge dieses Arbeitstags, seien seine Grenzen physisch oder social gezogen, kann die Masse des Mehrwerths nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbeiteranzahl, d. h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachsthum der Bevölkerung bildet hier die mathematische Grenze für Produktion des Mehrwerths durch das gesellschaftliche Gesammtkapital. Umgekehrt. Bei gegebner Grösse der Bevölkerung wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Verlängerung des Arbeitstags(FN 204). Man wird im folgenden Kapital sehn, dass diess Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerths gilt.

Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerths ergiebt sich, dass nicht jede beliebige Geldoder Werthsumme in Kapital verwandelt werden kann, sondern zu dieser Verwandlung vielmehr ein be-


(FN 203) Näheres darüber im „Vierten Buch“.
(FN 204) „The labour, that is the economic time of society, is a given portion, say ten hours a day of a million of people or ten millions hours . . . . Capital has its boundary of increase. The boundary may, at any given period, be attained in the actual extent of economic time employed.“ („ An Essay on the Political Economy of Nations. London 1821“, p. 48, 49.)

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stimmtes Minimum von Geld oder Tauschwerth in der Hand des einzelnen Geldoder Waarenbesitzers vorausgesetzt ist. Das Minimum von variablem Kapital ist der Kostenpreis einer einzelnen Arbeitskraft, die das ganze Jahr durch, Tag aus Tag ein, zur Gewinnung von Mehrwerth vernutzt wird. Wäre dieser Arbeiter im Besitz seiner eignen Produktionsmittel, und begnügte er sich als Arbeiter zu leben, so genügte ihm die zur Reproduktion seiner Lebensmittel nothwendige Arbeitszeit, sage von 8 Stunden täglich. Er bedürfte also auch nur Produktionsmittel für 8 Arbeitsstunden. Der Kapitalist dagegen, der ihn ausser diesen 8 Stunden sage 4 Stunden Mehrarbeit verrichten lässt, bedarf einer zusätzlichen Geldsumme zur Beschaffung der zusätzlichen Produktionsmittel. Unter unserer Annahme jedoch müsste er schon zwei Arbeiter anwenden, um von dem täglich angeeigneten Mehrwerth wie ein Arbeiter leben, d. h. die nothwendigen Bedürfnisse befriedigen zu können. In diesem Fall wäre blosser Lebensunterhalt der Zweck seiner Produktion, nicht Vermehrung des Reichthums, und das letztre ist unterstellt bei der kapitalistischen Produktion. Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein gewöhnlicher Arbeiter, und die Hälfte des producirten Mehrwerths in Kapital zurückverwandle, müsste er zugleich mit der Arbeiterzahl das Minimum des vorgeschossenen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktionsprozesse anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein „ kleiner Meister“. Ein gewisser Höhegrad der kapitalistischen Produktion bedingt, dass der Kapitalist die ganze Zeit, während deren er als Kapitalist, d. h. als personificirtes Kapital funktionirt, zur Aneignung und daher Kontrole fremder Arbeit, und zum Verkauf der Produkte dieser Arbeit verwenden könne(FN 205). Die Verwandlung des Hand-


(FN 205) „The farmer cannot rely on his own labour; and if he does, I will maintain that he is a loser by it. His employment should be, a general attention to the whole: his thrasher must be watched, or he will soon lose his wages in corn not thrashed out; his mowers, reapers etc. must be looked after; he must constantly go round his fences; he must see there is no neglect; which would be the case if he was confined to any one spot.“ „ An Enquiry into the Connection between the Price of Provisions, and the Size of Farms etc. By a Farmer. London 1773“, p. 12. Diese Schrift ist sehr interessant.

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werksmeisters in den Kapitalisten suchte die zünftige Industrie des Mittelalters dadurch gewaltsam zu verhindern, dass sie die Arbeiteranzahl, die ein einzelner Meister beschäftigen durfte, auf ein sehr geringes Maximum beschränkte. Der Geldoder Waarenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschossene Minimalsumme weit über dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in der Naturwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner Logik entdeckten Gesetzes, dass bloss quantitative Veränderungen auf einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen(FN 205a).

Das Minimum der Werthsumme, worüber der einzelne Geldoder Waarenbesitzer verfügen muss, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen, wechselt auf verschiedenen Entwicklungsstufen der kapitalistischen Produktion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in verschiedenen Produktionssphären, je nach ihren besondern technologischen Bedingungen. Gewisse Produktionssphären erheischen schon in den Anfängen der kapitalistischen Produktion ein Minimum von Kapital, das sich noch nicht in der Hand einzelner Individuen vorfindet. Diess veranlasst theils Staatssubsidien an solche Private, wie in Frankreich zur Zeit Colberts und wie in manchen deutschen Staaten bis in unsre Epoche hinein, theils die Bildung von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol für den Betrieb gewisser Industrieund Handelszweige(FN 206), — die Vorläufer der modernen Aktiengesellschaften.


Man kann darin die Genesis des „ capitalist farmer“ oder „ merchant farmer“, wie er ausdrücklich genannt wird, studiren und seiner Selbstverherrlichung gegenüber dem „small farmer“, dem es wesentlich um die Subsistenz zu thun ist, zuhören. „Die Kapitalistenklasse wird zuerst theilweise und schliesslich ganz und gar entbunden von der Nothwendigkeit der Handarbeit.“ („ Textbook of Lectures on the Polit. Economy of Nations. By the Rev. Mr. Richard Jones. Hertford 1852.“ Lecture III.)
(FN 205a) Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt angebahnte, von Prof. Würtz zu Paris zuerst wissenschaftlich entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem anderen Gesetze.
(FN 206) „Die Gesellschaft Monopolia“ nennt Martin Luther derartige Institute.

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Wir halten uns nicht beim Detail der Veränderungen auf, die das Verhältniss von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des Produktionsprozesses erfuhr, also auch nicht bei den weiteren Fortbestimmungen des Kapitals selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont.

Innerhalb des Produktionsprozesses entwickelte sich das Kapital zum Kommando über die Arbeit, d. h. über die sich bethätigende Arbeitskraft oder den Arbeiter selbst. Das personificirte Kapital, der Kapitalist, passt auf, dass der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad von Intensivität verrichte.

Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhältniss, welches die Arbeiterklasse zwingt mehr Arbeit zu verrichten als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Produzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von Arbeitskraft, übergipfelt es an Energie, Masslosigkeit und Wirksamkeit alle früheren auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.

Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den gegebenen technologischen Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwerth in der bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängerung des Arbeitstags, erschien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst unabhängig. Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der modernen Baumwollspinnerei. Betrachteten wir den Produktionsprozess daher bloss unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprozesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln nicht als Kapital, sondern als blossem Mittel und Material seiner zweckmässigen produktiven Thätigkeit. In einer Gerberei z. B. behandelt er die Felle als seinen blossen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt. Anders, sobald wir den Produktionsprozess unter dem Gesichtspunkt des Verwerthungsprozesses betrachteten. Die Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Thätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprozesses, und der Lebensprozess des Kapitals besteht nur in seiner

I. 19

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Bewegung als sich selbst verwerthender Werth. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhn und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind „reiner Verlust“ („a mere loss“) für den Kapitalisten. Darum konstituiren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen „Anspruch auf die Nachtarbeit“ der Arbeitskräfte. Die blosse Verwandlung des Geldes in gegenständliche Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalistischen Produktion eigenthümliche und sie charakterisirende Verkehrung, ja Verrückung des Verhältnisses von todter und lebendiger Arbeit, von Werth und werthschöpferischer Kraft, sich im Bewusstsein der Kapitalistenköpfe abspiegelt, zeige schliesslich noch ein Beispiel. Während der englischen Fabrikantenrevolte von 1848—50 schrieb „der Chef der Leinenund Baumwollspinnerei zu Paisley, einer der ältesten und respektabelsten Firmen von Westschottland, der Herrn Carlile, Söhne und Co., deren Kompagnie seit 1752 besteht und Generation nach Generation von derselben Familie geführt wird“, — dieser äusserst intelligente Gentleman also schrieb in die „Glasgow Daily Mail“ vom 25. April 1849 einen Brief(FN 207) unter dem Titel: „ das Relaissystem“, worin u. a. folgende grotesk naive Stelle unterläuft: „Lasst uns nun die Uebel betrachten, die aus einer Reduktion der Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden fliessen . . . . Sie „belaufen“ sich auf die allerernsthafteste Beschädigung der Aussichten und des Eigenthums des Fabrikanten. Arbeitete er (d. h. seine „Hände“) 12 Stunden und wird er auf 10 beschränkt, dann schrumpfen je 12 Maschinen oder Spindeln seines Etablissements auf 10 zusammen, („then every 12 machines or spindles, in his establishment, shrink to 10“), und wollte er seine Fabrik verkaufen, so würden sie nur als 10 gewerthschätzt werden, so dass so ein sechster Theil vom Werth einer jeden Fabrik im ganzen Lande abgezogen würde“(FN 208).


(FN 207)Reports of Insp. of Fact. for 30 th April 1849“, p. 59.
(FN 208) l. c. p. 60. Fabrikinspektor Stuart, selbst Schotte, und im Gegensatz zu den englischen Fabrikinspektoren, ganz in kapitalistischer Denkart befangen, bemerkt ausdrücklich, dieser Brief, den er seinem Bericht einverleibt, „sei die allernützlichste Mittheilung, die irgend einer der Fabrikanten, welche das Relaissystem anwenden, gemacht, und ganz besonders darauf berechnet, die Vorurtheile und Skrupel gegen jenes System zu beseitigen.“

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Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland verschwimmt der Werth der Produktionsmittel, Spindeln u. s. w., so sehr mit ihrer Kapitaleigenschaft, sich selbst zu verwerthen, oder täglich ein bestimmtes Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, dass der Chef des Hauses Carlile und Co. in der That wähnt, beim Verkauf seiner Fabrik werde ihm nicht nur der Werth der Spindeln gezahlt, sondern obendrein ihre Verwerthung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur Produktion von Spindeln derselben Art nöthig ist, sondern auch die Mehrarbeit, die sie täglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen, und eben desshalb, meint er, schrumpfe mit der Kontraktion des Arbeitstags um zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf den von je 10 zusammen!


Viertes Kapitel. Die Produktion des relativen Mehrwerths.

1) Begriff des relativen Mehrwerths.

Der Theil des Arbeitstags, der bloss ein Aequivalent für den vom Kapital gezahlten Werth der Arbeitskraft produzirt, galt uns bisher als constante Grösse, was er in der That ist unter gegebnen Produktionsbedingungen, auf einer vorhandnen ökonomischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft. Ueber diese seine nothwendige Arbeitszeit hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, 6 u. s. w. Stunden arbeiten. Von der Grösse dieser Verlängerung hingen Rate des Mehrwerths und Grösse des Arbeitstags ab. War die nothwendige Arbeitszeit constant, so dagegen der Gesammtarbeitstag variabel. Unterstelle jetzt einen Arbeitstag, dessen Grösse und dessen Theilung in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit gegeben sind. Die Linie a c a-------------b---c stelle z. B. einen zwölfstündigen Arbeitstag vor, das Stück a b 10 Stunden nothwendige Arbeit, das Stück b c 2 Stunden Mehrarbeit. Wie kann nun die Produktion von Mehrwerth vergrössert, d. h. die Mehrarbeit verlängert werden, ohne jede weitere Verlängerung oder unabhängig von jeder weiteren Verlängerung von a c?

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Trotz gegebner Grenzen des Arbeitstags a c scheint b c verlängerbar, wenn nicht durch Ausdehnung über seinen Endpunkt c, der zugleich der Endpunkt des Arbeitstags a c ist, so durch Verschiebung seines Anfangspunkts b in entgegengesetzter Richtung nach a hin. Nimm an, b' b a-------------b'--b----c sei gleich der Hälfte von b c oder gleich einer Arbeitsstunde. Wird nun in dem zwölfstündigen Arbeitstag a c der Punkt b nach b' verrückt, so dehnt sich b c aus zu b' c, die Mehrarbeit wächst um die Hälfte, von 2 auf 3 Stunden, obgleich der Arbeitstag nach wie vor nur 12 Stunden zählt. Diese Ausdehnung der Mehrarbeit von b c auf b' c, von 2 auf 3 Stunden, ist aber offenbar unmöglich ohne gleichzeitige Zusammenziehung der nothwendigen Arbeit von a b auf a b', von 10 auf 9 Stunden. Der Verlängerung der Mehrarbeit entspräche die Verkürzung der nothwendigen Arbeit, oder ein Theil der Arbeitszeit, die der Arbeiter bisher in der That für sich selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit für den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge des Arbeitstags, sondern seine Theilung in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit.

Andrerseits ist die Grösse der Mehrarbeit offenbar selbst gegeben mit gegebner Grösse des Arbeitstags und gegebnem Werth der Arbeitskraft. Der Werth der Arbeitskraft, d. h. die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit, bestimmt die zur Reproduktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit. Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von einem halben Shilling oder 6 d. dar, und beträgt der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., so muss der Arbeiter täglich 10 Stunden arbeiten, um den ihm vom Kapital gezahlten Tageswerth seiner Arbeitskraft zu ersetzen oder ein Aequivalent für den Werth seiner nothwendigen täglichen Lebensmittel zu produziren. Mit dem Werth dieser Lebensmittel ist der Werth seiner Arbeitskraft(FN 1), mit dem Werth seiner Arbeitskraft ist


(FN 1) Der Werth des täglichen Durchschnittslohns ist bestimmt durch das, was der Arbeiter braucht „so as to live, labeur, and generate.“ ( William Petty: „ Political Anatomy of Ireland“ 1672, p. 64.) „The Price of Labour is always constituted of the price of necessaries.“ Der Arbeiter erhält nicht den entsprechenden Lohn „whenever . . . . the labouring man’s wages will not, suitably to his low rank and station, as a labouring man, support such a family as is often the lot of many of them to have.“ (J. Vanderlint l. c. p. 19.) „Le simple ouvrier, qui n’a que ses bras et son industrie, n’a rien qu’autant qu’il

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die Grösse seiner nothwendigen Arbeitszeit gegeben. Die Grösse der Mehrarbeit aber wird erhalten durch Subtraktion der nothwendigen Arbeitszeit vom Gesammtarbeitstag. Zehn Stunden subtrahirt von zwölf lassen zwei, und es ist nicht abzusehn, wie die Mehrarbeit unter den gegebnen Bedingungen über zwei Stunden hinaus verlängert werden kann. Allerdings mag der Kapitalist statt 5 sh. dem Arbeiter nur 4 sh. 6 d. oder noch weniger zahlen. Zur Reproduktion dieses Werths von 4 sh. 6 d. würden 9 Arbeitsstunden genügen, von dem zwölfstündigen Arbeitstag daher 3 statt 2 Stunden der Mehrarbeit anheimfallen und der Mehrwerth selbst von 1 sh. auf 1 sh. 6 d. steigen. Diess Resultat wäre jedoch nur erzielt durch Herabdrückung des Lohns des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft. Mit den 4 sh. 6 d., die er in 9 Stunden producirt, verfügt er über ⅒ weniger Lebensmittel als vorher und so findet nur eine verkümmerte Reproduktion seiner Arbeitskraft statt. Die Mehrarbeit würde hier nur verlängert durch Ueberschreitung ihrer normalen Grenzen, ihre Domäne nur ausgedehnt durch usurpatorischen Abbruch von der Domäne der nothwendigen Arbeitszeit. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Methode in der wirklichen Bewegung des Arbeitslohnes spielt, ist sie hier ausgeschlossen durch die Voraussetzung, dass die Waaren, also auch die Arbeitskraft, zu ihrem vollen Werth gekauft und verkauft werden. Diess einmal unterstellt, kann die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Reproduktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil der Lohn des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft, sondern nur weil dieser Werth selbst sinkt. Bei gegebner Länge des Arbeitstags muss die Verlängerung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit entspringen, nicht umgekehrt die Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit aus der Verlängerung der Mehrarbeit. In unsrem Beispiel muss der Werth der Arbeitskraft wirklich um ⅒ sinken, damit die nothwendige


parvient à vendre à d’autres sa peine … En tout genre de travail il doit arriver et il arrive en effet, que le salaire de l’ouvrier se borne à ce qui lui est nécessaire pour lui procurer la subsistance.“ ( Turgot: „ Réflexions sur la Formation et la Distribution des Richesses“ (1766). Oeuvres ed. Daire, t. I, p. 10.) „The price of the necessaries of life is, in fact, the cost of producing labour.“ ( Malthus: „ Inquiry into etc. Rent.“ Lond. 1815, p. 48 Note.)

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Arbeitszeit um ⅒ abnehme, von 10 auf 9 Stunden, und daher die Mehrarbeit sich von 2 auf 3 Stunden verlängere.

Eine solche Senkung des Werths der Arbeitskraft um ⅒ bedingt aber ihrerseits, dass dieselbe Masse Lebensmittel, die früher in 10, jetzt in 9 Stunden producirt wird. Diess ist jedoch unmöglich ohne eine Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit. Mit gegebnen Mitteln kann ein Schuster z. B. ein Paar Stiefel in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muss sich die Produktivkraft seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine Aenderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder beiden zugleich. Es muss daher eine Revolution in den Produktionsbedingungen seiner Arbeit, d. h. in seiner Produktionsweise und daher im Arbeitsprozess selbst eintreten. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit verstehn wir hier überhaupt eine Veränderung im Arbeitsprozess, wodurch die zur Produktion einer Waare gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleineres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt ein grösseres Quantum Gebrauchswerth zu produciren(FN 2). Während also bei der Produktion des Mehrwerths in der bisher betrachteten Form die Produktionsweise als gegeben unterstellt war, genügt es für die Produktion von Mehrwerth durch Verwandlung nothwendiger Arbeit in Mehrarbeit keineswegs, dass das Kapital sich des Arbeitsprozesses in seiner historisch überlieferten oder vorhandenen Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlängert. Es muss die technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Werth der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werths nothwendigen Theil des Arbeitstages zu verkürzen.


(FN 2) „Quando si perfezionano le arti, che no è altero che la scoperta di nuove vie, onde si possa compiere una manufattura con meno gente o (che è lo stesso) in minor tempo di prima.“ Galiani l. c. p. 159. „L’économie sur les frais de production ne peut être autre chose que l’économie sur la quantité de travail employé pour produire.“ Sismondi: Études etc. t. I. p. 22.)

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Durch Verlängerung des Arbeitstags producirten Mehrwerth nenne ich absoluten Mehrwerth; den Mehrwerth dagegen, der aus Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Veränderung im Grössenverhältniss der beiden Bestandtheile des Arbeitstags entspringt, — relativen Mehrwerth.

Um den Werth der Arbeitskraft zu senken, muss die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Werth der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmässigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. Der Werth einer Waare ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der Arbeit, welche ihr die letzte Form giebt, sondern ebensowohl durch die in ihren Produktionsmitteln enthaltene Arbeitsmasse. Z. B. der Werth eines Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Werth von Leder, Pech, Draht u. s. w. Steigerung der Produktivkraft und entsprechende Verwohlfeilerung der Waaren in den Industrien, welche die stofflichen Elemente des constanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das Arbeitsmaterial, zur Erzeugung der nothwendigen Lebensmittel liefern, senken also ebenfalls den Werth der Arbeitskraft. In Produktionszweigen dagegen, die weder nothwendige Lebensmittel liefern, noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, lässt die erhöhte Produktivkraft den Werth der Arbeitskraft unberührt.

Die verwohlfeilerte Waare senkt natürlich den Werth der Arbeitskraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältniss, worin sie in die Reproduktion der Arbeitskraft eingeht. Hemden z. B. sind ein nothwendiges Lebensmittel, aber nur eins von vielen. Ihre Verwohlfeilerung vermindert nur die Ausgabe des Arbeiters für Hemden. Die Gesammtsumme der nothwendigen Lebensmittel besteht zwar nur aus einzelnen Waaren, lauter Produkten besondrer Industrien, und der Werth jeder besondern Waare bildet immer nur einen aliquoten Theil vom Werth der Arbeitskraft. Die Gesammtabnahme dieses Werths, und daher der zu seiner Reproduktion nothwendigen Arbeitszeit, ist jedoch gleich der Summe der Verkürzungen der nothwendigen Arbeitszeit in allen jenen besondren Produktionszweigen. Wir behandeln diess allgemeine Resultat hier so, als wäre es unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in jedem einzelnen Fall, obgleich die Sache anders erscheint. Wenn ein einzel-


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ner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z. B. Hemden verwohlfeilert, schwebt ihm keineswegs nothwendig der Zweck vor, den Werth der Arbeitskraft und daher die nothwendige Arbeitszeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er schliesslich zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des Mehrwerths(FN 3). Die allgemeinen und nothwendigen Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren Erscheinungsformen.

Die Darstellung der Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äussern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen, und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewusstsein kommen, fällt ausserhalb der Schranken dieser Schrift. Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist überhaupt nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist. Ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt. Dennoch ist zum Verständniss der Produktion des relativen Mehrwerths, und bloss auf Grundlage der bereits gewonnenen Resultate, Folgendes zu bemerken.

Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von 6 d. oder ½sh. dar, so wird in zwölfstündigem Arbeitstag ein Werth von 6 sh. producirt. Gesetzt mit der gegebnen Produktivkraft der Arbeit würden 12 Stück Waaren in diesen 12 Arbeitsstunden verfertigt. Der Werth der in jedem Stück vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial u. s. w., sei 6 d. Unter diesen Umständen kostet die einzelne Waare 1 sh., nämlich 6 d. für den Werth der Produktionsmittel, 6 d. für den in ihrer Verarbeitung neu zugesetzten Werth. Es gelinge nun einem Kapitalisten die Produktivkraft der Arbeit zu verdoppeln und daher 24 Stück dieser Waarenart statt 12 in dem zwölfstündigen Arbeitstag zu produciren. Bei unverändertem Werth der Produktionsmittel sinkt der Werth der einzelnen Waare jetzt auf 9 d., nämlich 6 d.


(FN 3) „Wenn der Fabrikant durch Verbesserung der Maschinerie seine Produkte verdoppelt . . . . gewinnt er (schliesslich) bloss, sofern er dadurch befähigt wird, den Arbeiter wohlfeiler zu kleiden u. s. w. und so ein kleinerer Theil des Gesammtertrags auf den Arbeiter fällt.“ ( Ramsay l. c. p. 168.)

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für den Werth der Produktionsmittel, 3 d. für den durch die letzte Arbeit neu zugesetzten Werth. Trotz der verdoppelten Produktivkraft schafft der Arbeitstag nach wie vor nur einen Neuwerth von 6 sh. Aber dieser Werth vertheilt sich auf doppelt so viel Produkte. Auf jedes einzelne Produkt fällt daher nur noch dieses Gesammtwerths statt früher , 3 d. statt 6 d., oder, was dasselbe ist, den Produktionsmitteln wird bei ihrer Verwandlung in Produkt, jedes Stück berechnet, jetzt nur noch eine halbe statt wie früher eine ganze Arbeitsstunde zugesetzt. Der individuelle Werth dieser Waare steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Werth, d. h. sie kostet weniger Arbeitszeit als der grosse Haufen derselben Artikel, producirt unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. Das Stück kostet im Durchschnitt 1 sh. oder stellt 2 Stunden gesellschaftlicher Arbeit dar; mit der veränderten Produktionsweise kostet es nur 9 d. oder enthält nur 1½ Arbeitsstunden. Der wirkliche Werth einer Waare ist aber nicht durch ihren individuellen, sondern durch ihren gesellschaftlichen Werth bestimmt, d. h. nicht durch die Arbeitszeit, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten thatsächlich kostet, sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit. Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, seine Waare zu ihrem gesellschaftlichen Werth von 1 sh., so verkauft er sie 3 d. über ihrem individuellen Werth und realisirt so einen Extra-Mehrwerth von 3 d. Andrerseits stellt sich aber der zwölfstündige Arbeitstag jetzt für ihn in 24 Stück Waare dar statt früher in 12. Um also das Produkt eines Arbeitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zweifach grösseren Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern seine Waaren nur grösseren Marktraum durch Kontraktion ihrer Preise. Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Werth verkaufen, sage zu 10 d. das Stück. So schlägt er an jedem einzelnen Stück immer noch einen Extra-Mehrwerth von 1 d. heraus. Diese Steigerung des Mehrwerths findet für ihn statt, ob oder ob nicht seine Waare dem Umkreis der nothwendigen Lebensmittel angehört und daher bestimmend in den allgemeinen Werth der Arbeitskraft eingeht. Vom letztren Umstand abgesehn, existirt also für jeden einzelnen Kapitalisten das Motiv die Waare durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit zu verwohlfeilern.

Indess entspringt selbst in diesem Fall die gesteigerte Produktion von


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Mehrwerth aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verlängerung der Mehrarbeit(FN 3a). Die nothwendige Arbeitszeit betrug 10 Stunden oder der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., die Mehrarbeit 2 Stunden, der täglich producirte Mehrwerth daher 1 sh. Unser Kapitalist producirt aber jetzt 24 Stück, die er zu 10 d. per Stück oder zusammen zu 20 sh. verkauft. Da der Werth der Produktionsmittel gleich 12 sh., ersetzen 14⅖ Stück Waare nur das vorgeschossene constante Kapital. Der zwölfstündige Arbeitstag stellt sich in den übrigbleibenden 9⅗ Stück dar. Da der Preis der Arbeitskraft = 5 sh., stellt sich im Produkt von 6 Stück die nothwendige Arbeitszeit dar und in 3⅗ Stück die Mehrarbeit. Die nothwendige Arbeitszeit beträgt jetzt weniger als ⅔, die Mehrarbeit mehr als ⅓ des Arbeitstags, während unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen die nothwendige Arbeit ⅚ und die Mehrarbeit nur ⅙ des Arbeitstags einnimmt. Dasselbe Resultat erhält man so: Der Produktenwerth des zwölfstündigen Arbeitstags ist 20 sh. Davon gehören 12 sh. dem nur wieder erscheinenden Werth der Produktionsmittel. Bleiben also 8 sh. als Geldausdruck des Werths, worin sich der Arbeitstag darstellt. Dieser Geldausdruck ist höher als der Geldausdruck der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit von derselben Sorte, wovon sich 12 Stunden nur in 6 sh. ausdrücken. Die Arbeit von ausnahmsweiser Produktivkraft wirkt als potenzirte Arbeit oder schafft in gleichen Zeiträumen höhere Werthe als die gesellschaftliche Durchschnittsarbeit derselben Art. Aber unser Kapitalist zahlt nach wie vor nur 5 sh. für den Tageswerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter bedarf daher statt früher 10, jetzt weniger als 8 Stunden zur Reproduktion dieses Werths. Seine Mehrarbeit wächst daher von 2 Stunden auf mehr als 4, der von ihm producirte Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. 6 d. Der Kapitalist, der die verbesserte Produktionsweise anwendet, eignet sich daher einen grösseren Theil des Arbeitstags für Mehrarbeit an, als die übrigen Kapita-


(FN 3a) „A man’s profit does not depend upon his command of the produce of other men’s labour, but upon his command of labour itself. If he can sell his goods at a higher price, while his workmen’s wages remain unaltered, he is clearly benefited … A smaller proportion of what he produces is sufficient to put that labour into motion, and a larger proportion consequently remains for himself.“ („ Outlines of Polit. Econ.“ Lond. 1832, p. 49, 50.)

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listen in demselben Geschäft. Er thut im Einzelnen, was das Kapital bei der Produktion des relativen Mehrwerths im Grossen und Ganzen thut. Andrerseits aber verschwindet jener Extra-Mehrwerth, sobald die neue Produktionsweise sich verallgemeinert und damit die Differenz zwischen dem individuellen Werth der wohlfeiler producirten Waaren und ihrem gesellschaftlichen Werth verschwindet. Dasselbe Gesetz der Werthbestimmung durch die Arbeitszeit, das dem Kapitalisten mit der neuen Methode in der Form fühlbar wird, dass er seine Waare unter ihrem gesellschaftlichen Werth verkaufen muss, treibt seine Mitbewerber als Zwangsgesetz der Konkurrenz zur Einführung der neuen Produktionsweise(FN 4). Die allgemeine Rate des Mehrwerths wird also durch den ganzen Prozess schliesslich nur berührt, wenn die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit Produktionszweige ergriffen, also Waaren verwohlfeilert hat, die in den Kreis der nothwendigen Lebensmittel eingehn, daher Elemente des Werths der Arbeitskraft bilden.

Der Werth der Waaren steht in umgekehrtem Verhältniss zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Waarenwerthe bestimmt, der Werth der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwerth in direktem Verhältniss zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12 Stunden, Geldwerth als gleichbleibend vorausgesetzt, producirt stets dasselbe Werthprodukt von 6 sh., wie diese Werthsumme sich immer vertheile zwischen Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth. Fällt aber in Folge gesteigerter Produktivkraft der Werth der täglichen Lebensmittel und daher der Tageswerth der Arbeitskraft von 5 sh. auf 3 sh., so wächst der Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. Um den Werth der Arbeitskraft zu reproduciren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Ar-


(FN 4) „If my neighbour by doing much with little labour, can sell cheap, I must contrive to sell as cheap as he. So that every art, trade, or engine, doing work with labour of fewer hands, and consequently cheaper, begets in others a kind of necessity and emulation, either of using the same art, trade, or engine, or of inventing something like it, that every man may be upon the square, that no man may be able to undersell his neighbour.“ („ The Advantages of the EastIndia Trade to England. Lond. 1720“, p. 67.)

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beitsstunden nöthig. Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und können der Domäne der Mehrarbeit annexirt werden. Es ist daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Waare und durch die Verwohlfeilerung der Waare den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern(FN 5).

Der absolute Werth der Waare ist dem Kapitalisten, der sie producirt, an und für sich gleichgültig. Ihn interessirt nur der in ihr steckende und im Verkauf realisirbare Mehrwerth. Realisirung von Mehrwerth schliesst von selbst Ersatz des vorgeschossenen Werths ein. Da nun der relative Mehrwerth in direktem Verhältniss zur Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wächst, während der Werth der Waaren in umgekehrtem Verhältniss zur selben Entwicklung fällt, da also derselbe identische Prozess die Waaren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltenen Mehrwerth steigert, löst sich das Räthsel, dass der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwerth zu thun ist, den Tauschwerth der Waaren beständig zu senken strebt, ein Widerspruch, womit einer der Gründer der politischen Oekonomie, Dr. Quesnay, seine Gegner quälte und worauf sie ihm die Antwort schuldig blieben. „Ihr gebt zu“, sagt Quesnay, „dass je mehr man, ohne Nachtheil für die Produktion, Kosten oder kostspielige Arbeiten in der Fabrikation industrieller Produkte ersparen kann, desto vortheilhafter diese Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks vermindert. Und trotzdem glaubt ihr, dass die Produktion des Reich-


(FN 5) „In whatever proportion the expences of a labourer are diminished, in the same proportion will his wages be diminished, if the restraints upon industry are at the same time taken off.“ („ Considerations concerning taking off the Bounty on Corn exported etc. Lond. 1752“, p. 7.) „The interest of trade requires, that corn and all provisions should be as cheap as possible; for whatever makes them dear, must make labour dear also … in all countries, where industry is not restrained, the price of provisions must affect the Price of Labour. This will always be diminished when the necessaries of life grow cheaper.“ (l. c. p. 3.) „Wages are decreased in the same proportion as the powers of production increase. Machinery, it is true, cheapens the necessaries of life, but it also cheapens the labourer too.“ („ A Prize Essay on the comparative merits of Competition and Cooperation. Lond. 1834“, p. 27.)

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thums, der aus den Arbeiten der Industriellen resultirt, in der Vermehrung des Tauschwerths ihres Machwerks besteht“(FN 6).

Oekonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit(FN 7) bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produktion eines bestimmten Waarenquantums nothwendigen Arbeitszeit. Dass der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer Stunde z. B. 10 mal mehr Waare als früher producirt, also für jedes Stück Waare 10 mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach wie vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1200 statt früher 120 Stück produciren zu lassen. Ja sein Arbeitstag mag gleichzeitig verlängert werden, so dass er jetzt in 14 Stunden 1400 Stück producirt u. s. w. Man kann daher bei Oekonomen vom Schlag eines Mac Culloch, Ure, Senior und tutti quanti auf einer Seite lesen, dass der Arbeiter dem Kapital für die Entwicklung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie die nothwendige Arbeitszeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, dass er diesen Dank beweisen muss, indem er statt 10 künftig 15 Stunden arbeitet. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, bezweckt den Theil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muss, zu verkürzen, um grade dadurch den andern Theil des Arbeitstags, den er


(FN 6) „Ils conviennent que plus on peut, sans préjudice, épargner de frais ou de travaux dispendieux dans la fabrication des ouvrages des artisans, plus cette épargne est profitable par la diminution des prix de ces ouvrages. Cependant ils croient que la production de richesse qui résulte des travaux des artisans consiste dans l’augmentation de la valeur vénale de leurs ouvrages.“ ( Quesnay: „ Dialogues sur le Commerce et sur les Travaux des Artisans“, p. 188, 189.)
(FN 7) „Ces spéculateurs si économes du travail des ouvriers qu’il faudrait qu’ils payassent.“ (J. N. Bidault: „ Du Monopole qui s’établit dans les arts industrielles et le commerce. Paris 1828“, p. 13.) „The employer will be always on the stretch to economise time and labour.“ ( Dugald Stewart: Works ed. by Sir W. Hamilton. Edinburgh, v. III, 1855, „ Lectures on Polit. Econ.“, p. 318.) „Their (the capitalists’) interest is that the productive powers of the labourers they employ should be the greatest possible. On promoting that power their attention is fixed and almost exclusively fixed.“ (R. Jones l. c. Lecture IlI.)

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für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern. Wie weit diess Resultat auch ohne Verwohlfeilerung der Waaren erreichbar, wird sich zeigen in den besondern Produktionsmethoden des relativen Mehrwerths, zu deren Betrachtung wir jetzt übergehn.

2) Cooperation.

Die kapitalistische Produktion, wie wir sahen, beginnt in der That erst, wo dasselbe individuelle Kapital eine grössere Anzahl Arbeiter gleichzeitig beschäftigt, der Arbeitsprozess also seinen Umfang erweitert und Produkt auf grösserer quantitativer Stufenleiter liefert. Nur wo die Arbeiteranzahl hinreicht, damit die von ihr producirte Masse von Mehrwerth den Arbeitsanwender selbst von der Arbeit entbinde, wird der letztere vollbürtiger Kapitalist. Das Wirken einer grössern Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Waarensorte, unter dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet daher historisch und begrifflich den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug auf die Produktionsweise selbst unterscheidet sich z. B. die Manufaktur in ihren Anfängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als durch die grössere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftigten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert.

Der Unterschied ist also zunächst bloss quantitativ. Man sah, dass die Masse des Mehrwerths, welche ein gegebnes Kapital producirt, gleich dem Mehrwerth, den der einzelne Arbeiter liefert, multiplicirt mit der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Diese Anzahl ändert an und für sich nichts an der Rate des Mehrwerths oder dem Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Was aber die Produktion von Waarenwerth überhaupt betrifft, so scheint für sie selbst jede qualitative Veränderung des Arbeitsprozesses gleichgültig. Es folgt diess aus der Natur des Tauschwerths, der nichts ist als ein bestimmtes Quantum vergegenständlichter Arbeit. Vergegenständlicht sich ein zwölfstündiger Arbeitstag in 6 sh., so 1200 solcher Arbeitstage in 6 sh. × 1200. In dem einen Fall haben sich 12 × 1200, in dem andern 12 Arbeitsstunden den Produkten einverleibt. In der Werthproduktion zählen Viele immer nur als viele Einzelne. Für die Werthproduktion macht es also keinen


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qualitativen Unterschied, ob 1200 Arbeiter vereinzelt oder ob sie unter dem Kommando desselben Kapitals vereint produciren.

Indess findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation statt. Die im Werth vergegenständlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaftlicher Durchschnittsqualität und so ist der Werth der Arbeitskraft der Werth durchschnittlicher Arbeitskraft. Eine Durchschnittsgrösse existirt aber immer nur als Durchschnitt vieler verschiedner Grössenindividuen derselben Art. In jedem Industriezweig weicht der individuelle Arbeiter, Peter oder Paul, mehr oder minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese individuellen Abweichungen oder was man mathematisch „Irrthümer“ nennt, kompensiren sich und verschwinden, sobald man eine grössere Anzahl Arbeiter zusammennimmt. Der berühmte Sophist und Sykophant Edmund Burke will aus seinen praktischen Erfahrungen als Pächter sogar wissen, dass schon „für ein so geringes Peloton“ wie 5 Ackerknechte aller individuelle Unterschied der Arbeit verschwindet, also die ersten besten im Mannesalter befindlichen fünf englischen Ackerknechte zusammengenommen in derselben Zeit grad so viel Arbeit verrichten als beliebige andre fünf englische Ackerknechte(FN 8). Die von ihm angegebne Zahl ist hier gleichgültig, aber es ist klar, dass der Gesammtarbeitstag einer grössern Anzahl gleichzeitig beschäftigter Arbeiter an und für sich ein Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. Der Arbeitstag des Einzelnen sei z. B. zwölfstündig. So bildet der Arbeitstag von 12 gleichzeitig beschäftigten Arbeitern einen Gesammtarbeitstag von 144 Stunden, und obgleich die Arbeit eines Jeden des Dutzend mehr oder minder von der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der Einzelne daher etwas mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung brauchen mag, besitzt der Arbeitstag jedes Einzelnen als ein Zwölftel des Ge-


(FN 8) „Unquestionably, there is a great deal of difference between the value of one man’s labour and that of another, from strength, dexterity and honest application. But I am quite sure, from my best observation, that any given five men will in their total, afford a proportion of labour equal to any other five within the periods of life I have stated; that is, that among such five men there will be one possessing all the qualifications of a good workman, one bad, and the other three middling, and approximating to the first and the last. So that in so small a platoon as that of even five, you will find the full complement of all that five men can earn.“ (E. Burke l. c. p. 16.) cf. Quételet über das Durchschnittsindividuum.

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sammtarbeitstags von 144 Stunden die gesellschaftliche Durchschnittsqualität. Für den Kapitalisten aber, der ein Dutzend beschäftigt, existirt der Arbeitstag als Gesammtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes Einzelnen existirt als aliquoter Theil des Gesammtarbeitstags, ganz unabhängig davon, ob die Zwölf einander in die Hand arbeiten oder ob der ganze Zusammenhang ihrer Arbeiten nur darin besteht, dass sie für denselben Kapitalisten arbeiten. Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei von einem kleinen Meister beschäftigt, so wird es zufällig, ob jeder einzelne Meister dieselbe Werthmasse producirt und daher die allgemeine Rate des Mehrwerths realisirt. Es fänden individuelle Abweichungen statt. Verbrauchte ein Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Produktion einer Waare als gesellschaftlich erheischt ist, wiche die für ihn individuell nothwendige Arbeitszeit bedeutend ab von der gesellschaftlich nothwendigen oder der Durchschnitts-Arbeitszeit, so gälte seine Arbeit nicht als Durchschnittsarbeit, seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche Arbeitskraft. Sie verkaufte sich gar nicht oder nur unter dem Durchschnittswerth der Arbeitskraft. Ein bestimmtes Minimum der Arbeitsfertigkeit ist also vorausgesetzt, und wir werden später sehn, dass die kapitalistische Produktion Mittel findet, diess Minimum zu messen. Nichts desto weniger weicht das Minimum vom Durchschnitt ab, obgleich auf der andern Seite der Durchschnittswerth der Arbeitskraft gezahlt werden muss. Von den sechs Kleinmeistern würde der eine daher mehr, der andre weniger als die allgemeine Rate des Mehrwerths herausschlagen. Die Ungleichheiten würden sich für die Gesellschaft kompensiren, aber nicht für den einzelnen Meister. Das Gesetz der Verwerthung überhaupt realisirt sich also für den einzelnen Produzenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist producirt, viele Arbeiter gleichzeitig anwendet, also von vorn herein gesellschaftliche Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt(FN 9).

Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleich-


(FN 9) Herr Professor Roscher will entdeckt haben, dass eine Nähmamsell, die während zwei Tagen von der Frau Professorin beschäftigt wird, mehr Arbeit liefert, als zwei Nähmamsellen, welche die Frau Professorin am selben Tage beschäftigt. Der Herr Professor stelle seine Beobachtungen über den kapitalistischen Produktionsprozess nicht in der Kinderstube an, und nicht unter Umständen, worin die Hauptperson fehlt, der Kapitalist.

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zeitige Anwendung einer grösseren Arbeiteranzahl eine Revolution in den gegenständlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses. Die Baulichkeiten, worin die Vielen arbeiten, die Lager für Rohmaterial, halbfertige Waaren u. s. w., die Gefässe, Instrumente, Apparate u. s. w., die von vielen gleichzeitig oder abwechselnd gebraucht werden können, kurz ein Theil der Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam im Arbeitsprozess konsumirt. Einerseits wird der Tauschwerth von Waaren, also auch von Produktionsmitteln, durchaus nicht erhöht durch irgend welche erhöhte Ausbeutung ihres Gebrauchswerths. Andrerseits wächst zwar der Massstab der gemeinsam gebrauchten Produktionsmittel. Ein Zimmer, worin 20 Weber mit ihren 20 Webstühlen arbeiten, muss weiter gestreckt sein als das Zimmer eines unabhängigen Webers mit zwei Gesellen. Aber die Produktion einer Werkstatt für 20 Personen kostet weniger Arbeit als die von 10 Werkstätten für je zwei Personen, und so wächst überhaupt der Werth massenweise koncentrirter und gemeinsamer Produktionsmittel nicht verhältnissmässig mit ihrem Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam vernutzte Produktionsmittel geben geringeren Werthbestandtheil an das einzelne Produkt ab, theils weil der Gesammtwerth, den sie abgeben, sich gleichzeitig auf eine grössere Produktenmasse vertheilt, theils weil sie in Folge ihres vergrösserten Umfangs zwar mit absolut grösserem, aber, im Verhältniss zu ihrem Wirkungskreis, mit relativ kleinerem Werth als vereinzelte Produktionsmittel in den Produktionsprozess eintreten. Damit sinkt ein Werthbestandtheil, welcher constantes Kapital ersetzt, also, proportionell zur Grösse dieses Bestandtheils, auch der Gesammtwerth der Waare. Die Wirkung ist dieselbe, als hätte sich die Produktivkraft der Arbeit vermehrt in solchen Industriezweigen, die Produktionsmittel liefern. Diese Oekonomie in der Anwendung der Produktionsmittel entspringt nur aus ihrem gemeinsamen Konsum im Arbeitsprozess Vieler. Und sie erhalten diesen Charakter als Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit oder gesellschaftliche Bedingungen der Arbeit im Unterschied von den zersplitterten und relativ theureren Produktionsbedingungen vereinzelter selbstständiger Arbeiter oder Kleinmeister, selbst wenn die Vielen nur räumlich zusammen, nicht mit einander arbeiten. Ein Theil der Arbeitsmittel erwirbt diesen gesellschaftlichen Charakter, bevor ihn der Arbeitsprozess selbst erwirbt.

I. 20

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Die Oekonomie der Produktionsmittel ist überhaupt von doppeltem Gesichtspunkt zu betrachten. Das einemal, so weit sie Waaren verwohlfeilert und dadurch den Werth der Arbeitskraft senkt. Das andremal, so weit sie das Verhältniss des Mehrwerths zum vorgeschossnen Gesammtkapital, d. h. zur Werthsumme seiner constanten und variablen Bestandtheile, verändert. Der letztere Punkt wird erst im dritten Buch dieses Werks erörtert, wohin wir des Zusammenhangs wegen auch manches schon hierher gehörige verweisen. Einerseits gebietet der Gang der Analyse diese Zerreissung des Gegenstands. Andrerseits entspricht sie dem Geist der kapitalistischen Produktion. Da nämlich die Arbeitsbedingungen hier dem Arbeiter selbststäudig gegenübertreten, erscheint auch ihre Oekonomie als eine besondere Operation, die ihn nichts angeht und daher getrennt ist von den Methoden, wodurch die Produktivität der vom Kapital konsumirten Arbeitskraft erhöht wird.

Die Form der Arbeit Vieler, die in demselben Produktionsprozess oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen, planmässig neben und mit einander arbeiten, heisst Cooperation(FN 10).

Wie die Angriffskraft einer Kavalerieschwadron oder die Widerstandskraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe der vereinzelten Angriffsund Widerstandskräfte, welche jeder Kavalerist und Infanterist für sich entwickeln könnte, so die mechanische Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der mechanischen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben ungetheilten Operation zusammenwirken, z. B. wenn es gilt eine Last zu heben, eine Kurbel zu drehn oder einen Widerstand aus dem Weg zu räumen(FN 11). Die Wirkung der kombinirten Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in viel längeren Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmassstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht


(FN 10) „Concours de forces.“ ( Destutt de Tracy l. c. p. 78.)
(FN 11) „There are numerous operations of so simple a kind as not to admit a division into parts, which cannot be performed without the cooperation of many pairs of hands. For instance the lifting of a large tree on a wain … every thing in short, which cannot be done unless a great many pairs of hands help each other in the same undivided employment, and at the same time.“ (E. G. Wakefield: „ A View of the Art of Colonization. Lond. 1849“, p. 168.)

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nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft durch die Cooperation, sondern um die Schöpfung einer Produktivkraft, die an und für sich Massenkraft ist(FN 11a).

Abgesehn von der neuen mechanischen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler Kräfte in eine Gesammtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven Arbeiten der blosse gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirit), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der Einzelnen erhöhen, so dass ein Dutzend Personen zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel grösseres Gesammtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jeder 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nach einander arbeitet(FN 12). Diess rührt daher, dass der Mensch von Natur, wenn nicht, wie Aristoteles meint, ein politisches(FN 13), jedenfalls ein gesellschaftliches Thier ist.

Obgleich Viele Dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig mit einander verrichten, kann die individuelle Arbeit eines Jeden dennoch als Theil der Gesammtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitsprozesses selbst darstellen, die der Arbeitsgegenstand, in Folge der Coo-


(FN 11a) „As one man cannot, and 10 men must strain, to lift a tun of weight, yet one hundred men can do it only by the strength of a finger of each of them.“ ( John Bellers: „ Proposals for raising a colledge of industry. Lond. 1696“, p. 21.)
(FN 12) „There is also“ (wenn dieselbe Arbeiterzahl von einem Pächter auf 300, statt von 10 Pächtern auf je 30 acres angewandt wird) „an advantage in the proportion of servants, which will not easily be understood but by practical men; for it is natural to say, as 1 is to 4, so are 3:12: but this will not hold good in practice; for in harvest-time and many other operations which require that kind of despatch, by the throwing many hands together, the work is better, and more expeditiously done: f. i., in harvest, 2 drivers, 2 loaders, 2 pitchers, 2 rakers, and the rest at the rick, or in the barn, will despatch double the work, that the same number of hands would do, if divided into different gangs, on different farms.“ („ An Enquiry into the Connection between the present price of provisions and the size of farms. By a Farmer. Lond. 1773“, p. 7, 8)
(FN 13) Aristoteles’ Definition ist eigentlich die, dass der Mensch von Natur Stadtbürger. Sie ist ebenso charakteristisch für das klassische Alterthum, als Franklin’s Definition, dass der Mensch von Natur Instrumentenmacher, für das Yankeethum.
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peration, rascher durchläuft. Z. B., wenn Maurer eine Reihe von Händen bilden, um Bausteine vom Fuss eines Gestells bis zu seiner Spitze zu befördern, thut jeder von ihnen dasselbe, aber dennoch bilden die einzelnen Verrichtungen continuirliche Theile einer Gesammtverrichtung, besondre Phasen, die jeder Baustein im Arbeitsprozess durchlaufen muss, und wodurch ihn etwa die 24 Hände des Gesammtarbeiters rascher befördern, als die zwei Hände jedes einzelnen Arbeiters, der das Gerüst aufund abstiege(FN 14). Der Arbeitsgegenstand durchläuft denselben Raum in kürzerer Zeit. Andrerseits findet Kombination der Arbeit statt, wenn ein Bau z. B. von verschiednen Seiten gleichzeitig angegriffen wird, obgleich die Cooperirenden Dasselbe oder Gleichartiges thun. Der kombinirte Arbeitstag von 144 Stunden, der den Arbeitsgegenstand vielseitig im Raum angreift, weil der kombinirte Arbeiter oder Gesammtarbeiter vorn und hinten Augen und Hände hat und in gewissem Grad Allgegenwart besitzt, fördert das Gesammtprodukt rascher als 12 zwölfstündige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter Arbeiter, die ihr Werk einseitiger angreifen müssen. In derselben Zeit reifen verschiedne Raumtheile des Produkts.

Wir betonten hier, dass die Vielen, die einander ergänzen, Dasselbe oder Gleichartiges thun, weil diese einfache Form der Cooperation, wie man später sehn wird, auch in ihrer ausgebildetsten Gestalt eine grosse Rolle spielt. Ist der Arbeitsprozess komplicirt, so erlaubt die blosse Masse der Zusammenarbeitenden die verschiedenen Operationen unter verschiedne Hände zu vertheilen, daher gleichzeitig zu verrichten, und dadurch die zur Herstellung des Gesammtprodukts nöthige Arbeitszeit zu verkürzen(FN 15).


(FN 14) „On doit encore remarquer que cette division partielle du travail peut se faire quand même les ouvriers sont occupés d’une même bésogne. Des maçons par exemple, occupés de faire passer de mains en mains des briques à un échafaudage supérieur, font tous la même bésogne, et pourtant il existe parmi eux une espèce de division de travail, qui consiste en ce que chacun d’eux fait passer la brique par un espace donné, et que tous ensemble la font parvenir beaucoup plus promptement à l’endroit marqué qu’ils ne feraient si chacun d’eux portait sa brique séparement jusqu’à l’échafaudage supérieur.“ (F. Skarbek: „ Théorie des richesses sociales. 2ème ed. Paris 1840,“ t. I, p. 97, 98.)
(FN 15) „Est-il question d’exécuter un travail compliqué? plusieurs choses doivent

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In vielen Produktionssphären giebt es kritische Momente, d. h. durch die Natur des Arbeitsprozesses selbst bestimmte Zeitepochen, während deren bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden müssen. Soll z. B. eine Heerde Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemäht und geherbstet werden, so hängt Quantität und Qualität des Produkts davon ab, dass die Operation zu einer gewissen Zeit begonnen und zu einer gewissen Zeit beendet wird. Der Zeitraum, den der Arbeitsprozess einnehmen darf, ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Häringsfang. Der Einzelne kann aus einem Tag nur einen Arbeitstag herausschneiden, sage von 12 Stunden, aber die Cooperation von 100 z. B. erweitert einen zwölfstündigen Tag zu einem Arbeitstag von 1200 Stunden. Die Kürze der Arbeitsfrist wird kompensirt durch die Grösse der Arbeitsmasse, die im entscheidenden Augenblick auf das Produktionsfeld geworfen wird. Die rechtzeitige Wirkung hängt hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vieler kombinirten Arbeitstage, der Umfang des Nutzeffekts von der Arbeiteranzahl, die jedoch stets kleiner bleibt als die Anzahl der Arbeiter, die vereinzelt in demselben Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfüllen würden(FN 16). Es ist der Mangel dieser Cooperation, wodurch im Westen der Vereinigten Staaten eine Masse Korn, und in den Theilen Ostindiens, wo englische Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstört hat, eine Masse Baumwolle jährlich verwüstet wird(FN 17).


être fait simultanément. L’un en fait une pendant que l’autre en fait une autre, et tous contribuent à l’effet qu’un seul homme n’aurait pu produire. L’un rame pendant que l’autre tient le gouvernail, et qu’un troisième jette le filet ou harponne la poison, et la pêche a un succès impossible sans ce concours.“ ( Destutt de Tracy l. c.)
(FN 16) „The doing of it (der Arbeit in der Agrikultur) at the critical juncture. is of so much the greater consequence.“ ( An Inquiry into the Connection between the present price etc., p. 9.) „In der Agrikultur giebt es keinen wichtigeren Faktor, als den Faktor der Zeit.“ ( Liebig: „ Ueber Theorie und Praxis in der Landwirthschaft. 1856“, p. 23.)
(FN 17) „The next evil is one which one would scarcely expect to find in a country which exports more labour than any other in the world, with the exception perhaps of China and England — the impossibility of procuring a sufficient number of hands to clean the cotton. The consequence of this is that large quantities of the crop are left unpicked, while another portion is gathered from the ground,

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Auf der einen Seite erweitert die Cooperation die Raumsphäre der Arbeit und wird daher für gewisse Arbeitsprozesse schon durch die räumliche Continuität des Arbeitsgegenstandes erheischt, wie bei Trockenlegung von Land, Eindämmung, Bewässerung, Kanal-, Strassen-, Eisenbahnbauten u. s. w. Andrerseits erlaubt sie, verhältnissmässig zur Stufenleiter der Produktion, räumliche Kontraktion des Produktionsgebiets. Diese Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei gleichzeitiger Ausdehnung ihrer Wirkungssphäre, wodurch eine Masse falscher Kosten (faux frais) erspart werden, entspringt aus der Konglomeration der Arbeiter, dem Zusammenrücken verschiedner Arbeitsprozesse, und der Koncentration der Produktionsmittel(FN 18).

Verglichen mit einer gleich grossen Summe vereinzelter individueller Arbeitstage, producirt der kombinirte Arbeitstag grössere Massen von Gebrauchswerth und vermindert daher die zur Produktion eines bestimmten Nutzeffekts nöthige Arbeitszeit. Ob er im gegebenen Fall diese gesteigerte Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit erhöht, oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt, oder das räumliche Produktionsfeld im Verhältniss zur Stufenleiter der Produktion kontrahirt, oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht, oder den Wetteifer der Einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt, oder den gleichartigen Verrichtungen Vieler den Stempel der Kontinuität und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedene Operationen gleichzeitig verrichtet, oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch ökonomisirt, oder der individuellen Arbeit den Cha-


when it has fallen, and is of course discoloured and partially rotted, so that for want of labour at the proper season the cultivator is actually forced to submit to the loss of a large part of that crop for which England is so anxiously looking.“ ( Bengal Hurcuru. Bi-Monthly Overland Summary of News. 22 nd July 1861.)
(FN 18) „In the progress of culture all, and perhaps more than all the capital and labour which once loosely occupied 500 acres, are now concentrated for the more complete tillage of 100.“ Obgleich „relatively to the amount of capital and labour employed, space is concentrated, it is an enlarged sphere of production, as compared to the sphere of production formerly occupied or worked upon by one single, independent agent of production.“ (R. Jones: „ On Rent. Lond. 1831“, p. 191, 199.)

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rakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit verleiht, unter allen Umständen ist die spezifische Produktivkraft des kombinirten Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Cooperation selbst. Im planmässigen Zusammenwirken mit Andern streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen(FN 19).

Wenn Arbeiter überhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken können, ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum daher Bedingung ihrer Cooperation ist, können Lohnarbeiter nicht cooperiren, ohne dass dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie gleichzeitig anwendet, also ihre Arbeitskräfte gleichzeitig kauft. Der Gesammtwerth dieser Arbeitskräfte, oder die Lohnsumme der Arbeiter für den Tag, die Woche u. s. w., muss daher in der Tasche des Kapitalisten vereint sein, bevor die Arbeitskräfte selbst im Produktionsprozess vereint werden. Zahlung von 300 Arbeitern auf einmal, auch nur für einen Tag, bedingt mehr Kapitalauslage als Zahlung weniger Arbeiter Woche für Woche während des ganzen Jahrs. Die Anzahl der cooperirenden Arbeiter, oder die Stufenleiter der Cooperation, hängt also zunächst ab von der Grösse des Kapitals, das der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeitskraft auslegen kann, d. h. von dem Umfang, worin je ein Kapitalist über die Lebensmittel vieler Arbeiter verfügt.

Und wie mit dem variablen, verhält es sich mit dem constanten Kapital. Die Auslage für Rohmaterial z. B. ist 30 mal grösser für den einen Kapitalisten, der 300, als für jeden der 30 Kapitalisten, der je 10 Arbeiter beschäftigt. Werthumfang und Stoffmasse der gemeinsam benutzten Arbeitsmittel wachsen zwar nicht in demselben Mass wie die beschäftigte Arbeiteranzahl, aber sie wachsen beträchtlich. Koncentration grösserer Massen von Produktionsmitteln in der Hand einzelner Kapitalisten ist also materielle Bedingung für die Cooperation von Lohnarbeitern, und der Umfang der Cooperation, oder


(FN 19) „La forza di ciascuno uomo è minima, ma la riniunione delle minime forze forma una forza totale maggiore anche della somma delle forze medesime fino a che le forze per essere riunite possono diminuere il tempo ed accrescere lo spazio della loro azione.“ (G. R. Carli l. c. t. XV, p. 176 Note.)

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die Stufenleiter der Produktion, hängt ab vom Umfang dieser Koncentration.

Ursprünglich erschien eine gewisse Minimalgrösse des Kapitals in der Hand des einzelnen Arbeitsanwenders nothwendig, damit die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, daher die Masse des producirten Mehrwerths hinreiche, ihn selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus einem Kleinmeister in einen Kapitalisten zu verwandeln und so das Kapitalverhältniss formell herzustellen. Sie erscheint jetzt als materielle Bedingung für die Verwandlung vieler zersplitterter und von einander unabhängiger individueller Arbeitsprozesse in einen kombinirten gesellschaftlichen Arbeitsprozess.

Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die Arbeit nur als formelle Folge davon, dass der Arbeiter, statt für sich, für den Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Cooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum Erheischniss für die Ausführung des Arbeitsprozesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld.

Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf grösserem Massstab braucht mehr oder minder eine Direktion, welche die Harmonie der individuellen Thätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesammtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbstständigen Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigirt sich selbst, ein Orchester bedarf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung, Ueberwachung und Vermittlung wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit cooperativ wird. Als spezifische Funktion des Kapitals erhält die Funktion der Leitung spezifische Charaktermale.

Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des kapitalistischen Produktionsprozesses möglichst grosse Selbstverwerthung des Kapitals(FN 20), d. h. möglichst grosse Produktion von Mehrwerth, also möglichst grosse Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Kapi-


(FN 20)Profits … is the sole end of trade.“ (J. Vanderlint l. c. p. 11.)

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talisten. Mit der Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst ihr Widerstand und damit nothwendig der Druck des Kapitals zur Bewältigung dieses Widerstands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses entspringende und ihm angehörige besondere Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die dem Lohnarbeiter als fremdes Eigenthum gegenüberstehn, die Nothwendigkeit der Kontrole über deren sachgemässe Verwendung(FN 21). Die Cooperation der Lohnarbeiter ist ferner blosse Wirkung des Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre Einheit als produktiver Gesammtkörper liegen ausser ihnen, im Kapital, das sie zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan des Kapitalisten, ihre eigne Einheit praktisch als seine Autorität gegenüber, die Macht des fremden Willens, der ihr Thun seinem Zweck unterwirft. Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlächtig, wegen der Zwieschlächtigkeit des zu leitenden Produktionsprozesses selbst, da er einerseits gesellschaftlicher Arbeitsprozess zur Herstellung eines Produkts, andrerseits Verwerthungsprozess des Kapitals ist, so ist sie der Form nach despotisch. Mit der Entwicklung der Cooperation auf grösserem Massstab entwickelt dieser


(FN 21) Ein englisches Philisterblatt, der Spectator vom 3. June 1866, berichtet, dass nach Einführung einer Art von Kompagniegeschäft zwischen Kapitalist und Arbeitern in der „wirework company of Manchester“: „the first result was a sudden decrease in waste, the men not seeing why they should waste their own property any more than any other masters, and waste is perhaps, next to bad debts, the greatest source of manufacturing loss.“ Dasselbe Blatt entdeckt als Grundmangel der Rochdale cooperative experiments: „They showed that associations of workmen could manage shops, mills, and almost all forms of industry with success, and they immensely improved the condition of the men, but then they did not leave a clear place for masters.“ („Sie bewiesen, dass Arbeiterassociationen Boutiquen, Fabriken und beinahe alle Formen der Industrie mit Erfolg handhaben können, und sie verbesserten ausserordentlich die Lage der Leute selbst, aber!, aber dann liessen sie keinen sichtbaren Platz für Kapitalisten offen.“ Quelle horreur!)

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Despotismus seine eigenthümlichen Formen. Wie der Kapitalist zunächst entbunden wird von der Handarbeit, sobald sein Kapital jene Minimalgrösse erreicht hat, womit die eigentlich kapitalistische Produktion erst beginnt, so tritt er jetzt die Funktion unmittelbarer und fortwährender Beaufsichtigung der einzelnen Arbeiter und Arbeitergruppen selbst wieder ab an eine besondre Sorte von Lohnarbeitern. Wie eine Armee militärischer, bedarf eine unter dem Kommando desselben Kapitals zusammenwirkende Arbeitermasse industrieller Oberofficiere (Dirigenten, managers) und Unterofficiere (Arbeitsaufseher, foremen, overlookers, contre-maîtres), die während des Arbeitsprozesses selbst im Namen des Kapitals kommandiren. Die Arbeit der Oberaufsicht befestigt sich zu ihrer ausschliesslichen Funktion. Bei Vergleichung der Produktionsweise unabhängiger Bauern oder selbstständiger Handwerker mit der auf Sklaverei beruhenden Plantagenwirthschaft, zählt der politische Oekonom diese Arbeit der Oberaufsicht zu den faux frais de production(FN 21a). Bei Betrachtung der kapitalistischen Produktionsweise identificirt er dagegen die Funktion der Leitung, soweit sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprozesses entspringt, mit derselben Funktion, soweit sie durch den kapitalistischen und daher antagonistischen Charakter dieses Prozesses bedingt wird(FN 22). Der Kapitalist ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter ist, sondern er wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Oberbefehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigenthums war(FN 22a).


(FN 21a) Nachdem Prof. Cairnes die „superintendence of labour“ als einen Hauptcharakter der Sklavenproduktion in den südlichen Staaten von Nordamerika dargestellt hat, fährt er fort: „The peasant proprietor (des Nordens) appropriating the whole produce of his soil, needs no other stimulus to exertion. Superintendence is here completely dispensed with.“ ( Cairnes l. c. p. 48, 49.)
(FN 22) Sir James Steuart, überhaupt ausgezeichnet durch offnes Auge für die charakteristisch gesellschaftlichen Unterschiede verschiedner Produktionsweisen, bemerkt: „Pourquoi l’industrie des particuliers est-elle ruinée par des grandes entreprises en manufactures, si ce n’est parce que celles-ci se rapprochent davantage à la simplicité du régime des esclaves?“ („ Princ. of Pol. Econ.“ Fzs. Uebers. Paris 1789, t. I, p. 308, 309.)
(FN 22a) Auguste Comte und seine Schule könnten daher in derselben Art die ewige Nothwendigkeit von Feudalherrn beweisen, worin sie diess für die Kapitalisten thun. Bei näherer Analyse der „Philosophie Positive“ entdeckt man

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Eigenthümer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, so lange er als Verkäufer derselben mit dem Kapitalisten marktet, und er kann nur verkaufen, was er besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Diess Verhältniss wird in keiner Weise dadurch verändert, dass der Kapitalist 100 Arbeitskräfte statt einer kauft oder mit 100 von einander unabhängigen Arbeitern Kontrakte schliesst statt mit einem einzelnen. Er kann die 100 Arbeiter anwenden ohne sie cooperiren zu lassen. Der Kapitalist zahlt daher den Werth der 100 selbstständigen Arbeitskräfte, aber er zahlt nicht die kombinirte Arbeitskraft der Hundert. Als unabhängige Personen sind die Arbeiter Vereinzelte, die in ein Verhältniss zu demselben Kapital, aber nicht zu einander treten. Ihre Cooperation beginnt erst im Arbeitsprozess, aber im Arbeitsprozess haben sie bereits aufgehört sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben sind sie dem Kapital einverleibt. Als Cooperirende, als Glieder eines werkthätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondre Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeldlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft.

Kolossal zeigt sich die Wirkung der einfachen Cooperation in den Riesenwerken der alten Asiaten, Aegypter, Etrusker u. s. w. „Es geschah in vergangnen Zeiten, dass diese asiatischen Staaten nach Bestreitung ihrer Civilund Militairausgaben, sich im Besitz eines Ueberschusses von Lebensmitteln befanden, die sie für Werke der Pracht und des Nutzens verausgaben konnten. Ihr Kommando über die Hände und Arme fast der


überhaupt, dass sie trotz aller scheinbaren Freigeisterei mit ihren Wurzeln tief in katholischer Erde steckt. Die Methode encyklopädischer Zusammenfassung gab dem A. Comte den Umlauf in Frankreich. Verglichen mit Hegel’s „Encyklopädie“, die ungefähr 1½ Decennien früher erschien, ist die Comte’sche Kom bination eine Schülerarbeit von bloss lokaler Bedeutung.

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ganzen nicht ackerbauenden Bevölkerung und die ausschliessliche Verfügung des Monarchen und der Priesterschaft über jenen Ueberschuss boten ihnen die Mittel zur Errichtung jener mächtigen Monumente, womit sie das Land erfüllten … In der Bewegung der kolossalen Statuen und der enormen Massen, deren Transport Staunen erregt, wurde fast nur menschliche Arbeit verschwenderisch angewandt. Die Zahl der Arbeiter und die Koncentration ihrer Mühen genügte. So sehn wir mächtige Korallenriffe aus den Tiefen des Oceaus zu Inseln anschwellen und festes Land bilden, obgleich jeder individuelle Ablagerer (depositary) winzig, schwach und verächtlich ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter einer asiatischen Monarchie haben ausser ihren individuellen körperlichen Bemühungen wenig zum Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist ihre Kraft, und die Macht der Direktion über diese Massen gab jenen Riesenwerken den Ursprung. Es war die Koncentration der Revenüen, wovon die Arbeiter leben, in eine Hand oder wenige Hände, welche solche Unternehmungen möglich machte“(FN 23). Diese Macht asiatischer und ägyptischer Könige oder etruskischer Theokraten u. s. w. ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitalisten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinirter Kapitalist.

Die Cooperation im Arbeitsprozess, wie wir sie in den Kulturanfängen der Menschheit, bei Jägervölkern(FN 23a) oder etwa in der Agrikultur indischer Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem Gemeineigenthum an den Produktionsbedingungen, andrerseits darauf, dass das einzelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes oder des Gemeinwesens noch ebensowenig losgerissen hat, wie das Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von der kapitalistischen Cooperation. Die sporadische Anwendung der Cooperation auf grossem Massstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien, beruht auf unmittelbaren Herrschaftsund Knechtschafts-Verhältnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapita-


(FN 23) R. Jones: Textbook of Lectures etc., p. 77, 78. Die altassyrischen, ägyptischen u. s. w. Sammlungen in London und andern europäischen Hauptstädten machen uns zu Augenzeugen jener cooperativen Arbeitsprozesse.
(FN 23a) Linguet in seiner „ Théorie des Lois civiles“ hat vielleicht nicht Unrecht, wenn er die Jagd für die erste Form der Cooperation, und Menschenjagd (Krieg) für eine der ersten Formen der Jagd erklärt.

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listische Form setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft. Historisch jedoch entwickelt sie sich im Gegensatz zur Bauernwirthschaft und zum unabhängigen Handwerksbetrieb, ob dieser zünftige Form besitze oder nicht(FN 24). Ihnen gegenüber erscheint die kapitalistische Cooperation nicht als eine besondre historische Form der Cooperation, sondern die Cooperation selbst als eine dem kapitalistischen Produktionsprozess eigenthümliche und ihn spezifisch unterscheidende historische Form.

Wie die durch die Cooperation entwickelte gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals erscheint, so die Cooperation selbst als eine spezifische Form des kapitalistischen Produktionsprozesses im Gegensatz zum Produktionsprozess vereinzelter unabhängiger Arbeiter oder auch Kleinmeister. Es ist die erste Aenderung, welche der wirkliche Arbeitsprozess durch seine Subsumtion unter das Kapital erfährt. Diese Aenderung geht naturwüchsig vor sich. Ihre Voraussetzung, gleichzeitige Beschäftigung einer grösseren Anzahl von Lohnarbeitern in demselben Arbeitsprozess, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Dieser fällt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusammen. Wenn sich die kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als historische Nothwendigkeit für die Verwandlung des Arbeitsprozesses in einen gesellschaftlichen Prozess darstellt, so andrerseits diese gesellschaftliche Form des Arbeitsprozesses als eine vom Kapital angewandte Methode, um ihn durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten.

In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fällt die Cooperation zusammen mit der Produktion auf grösserer Stufenleiter, bildet aber keine feste, charakteristische Form einer besondern Entwicklungs epoche der kapitalistischen Produktionsweise. Höchstens er-


(FN 24) Die kleine Bauernwirthschaft und der unabhängige Handwerksbetrieb, die beide theils die Basis der feudalen Produktionsweise bilden, theils nach deren Auflösung neben dem kapitalistischen Betrieb erscheinen, bilden zugleich die ökonomische Grundlage der klassischen Gemeinwesen zu ihrer besten Zeit, nachdem sich das ursprünglich orientalische Gemeineigenthum aufgelöst, und bevor sich die Sklaverei der Produktion ernsthaft bemächtigt hat.

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scheint sie annähernd so in den noch handwerksmässigen Anfängen der Manufaktur(FN 25) und in jener Art grosser Agrikultur, welche der Manufakturperiode entspricht, und sich wesentlich nur durch die Masse der gleichzeitig angewandten Arbeiter und den Umfang der koncentrirten Produktionsmittel von der Bauernwirthschaft unterscheidet. Die einfache Cooperation ist stets noch vorherrschende Form solcher Produktionszweige, worin das Kapital auf grosser Stufenleiter operirt, ohne dass Theilung der Arbeit oder Maschinerie eine bedeutende Rolle spielte.

Die Cooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als besondere Form neben ihren weiter entwickelten Formen erscheint.

3) Theilung der Arbeit und Manufaktur.

Die auf Theilung der Arbeit beruhende Cooperation schafft sich ihre klassische Gestalt in der Manufaktur. Als charakteristische Form des kapitalistischen Produktionsprozesses herrscht sie vor während der eigentlichen Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum letzten Dritttheil des achtzehnten währt.

Die Manufaktur entspringt auf doppelte Weise.

Entweder werden Arbeiter von verschiedenartigen, selbstständigen Handwerken, durch deren Hände ein Produkt bis zu seiner letzten Reife laufen muss, in eine Werkstatt unter dem Kommando desselben Kapitalisten vereinigt. Z. B. eine Kutsche war das Gesammtprodukt der Arbeiten einer grossen Anzahl unabhängiger Handwerker, wie Stellmacher, Sattler, Schneider, Schlosser, Gürtler, Drechsler, Posamentirer, Glaser, Maler, Lackirer, Vergolder u. s. w. In der Kutschenmanufaktur wurden alle diese verschiednen Handwerker in einem Arbeitshaus vereinigt, um einander gleichzeitig in die Hand zu arbeiten. Man kann eine Kutsche zwar nicht vergolden, bevor sie gemacht ist. Werden aber viele Kutschen gleichzeitig gemacht, so kann ein Theil beständig vergoldet werden, während ein andrer Theil eine frühere Phase des Produktionsprozesses durchläuft. Soweit stehn wir


(FN 25) „Whether the united skill, industry and emulation of many together on the same work be not the way to advance it? And whether it had been otherwise possible for England, to have carried on her Woollen Manufacture to so great a perfection?“ ( Berkeley: „The Querist.“ Lond. 1750, p. 521.)

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noch auf dem Boden der einfachen Cooperation, die ihr Material an Menschen und Dingen vorfindet. Indess tritt sehr bald eine wesentliche Veränderung ein. Der Schneider, Schlosser, Gürtler u. s. w., der nur im Kutschenmachen beschäftigt ist, verliert nach und nach mit der Gewohnheit auch die Fähigkeit, sein altes Handwerk in seiner ganzen Ausdehnung zu betreiben. Andrerseits erhält sein vereinseitigtes Thun jetzt die zweckmässigste Form für die verengte Wirkungssphäre. Ursprünglich erschien die Kutschenmanufaktur als eine Kombination selbstständiger Handwerke. Sie wird allmälig Theilung der Kutschenproduktion in ihre verschiednen Sonderoperationen, wovon jede einzelne zur ausschliesslichen Funktion eines Arbeiters krystallisirt und deren Gesammtheit vom Verein dieser Theilarbeiter verrichtet wird. Ebenso entstand die Tuchmanufaktur, und eine ganze Reihe andrer Manufakturen, aus der Kombination verschiedner Handwerke unter dem Kommando desselben Kapitals(FN 26).

Die Manufaktur entspringt aber auch auf entgegengesetztem Wege. Es werden viele Handwerker, die Dasselbe oder Gleichartiges thun, z. B. Papier oder Typen oder Nadeln machen, von demselben Kapital gleichzeitig in derselben Werkstatt beschäftigt. Es ist diess Cooperation in der einfachsten Form. Jeder dieser Handwerker (vielleicht mit einem oder zwei Gesellen) macht die ganze Waare und vollbringt also die verschiednen zu ihrer Herstellung erheischten Operationen der Reihe nach. Er arbeitet in seiner alten handwerksmässigen Weise fort. Indess veranlassen bald äussere Umstände die Kon-


(FN 26) Um ein mehr modernes Beispiel dieser Bildungsart der Manufaktur anzuführen, folgendes Citat: Die Seidenspinnerei und Weberei von Lyon und Nimes „est toute patriarcale; elle emploie beaucoup de femmes et d’enfants, mais sans les épuiser ni les corrompre; elle les laisse dans leurs belles vallées de la Drôme, du Var, de l’Isère, de Vaucluse, pour y élever des vers et divider leurs cocons; jamais elle n’entre dans une véritable fabrique. Pour être aussi bien observé … le principe de la division du travail, s’y revêt d’un caractère spécial. Il y a bien des divideuses, des moulineurs, des teinturieurs, des encolleurs, puis des tisserands; mais ils ne sont pas réunis dans un même établissement, ne dépendent pas d’un même maître; tous ils sont indépendants.“ (A. Blanqui: „ Cours d’Econ. Industrielle. Recueilli par A. Blaise. Paris (1838—39)“, p. 44—80 passim.) Seit Blanqui diess schrieb, sind die verschiednen unabhängigen Arbeiter zum Theil in Fabriken vereinigt worden.

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centration der Arbeiter in demselben Raum und die Gleichzeitigkeit ihrer Arbeiten anders zu vernutzen. Es soll z. B. ein grösseres Quantum fertiger Waare in einer bestimmten Zeitfrist geliefert werden. Die Arbeit wird daher vertheilt. Statt die verschiedenen Operationen von demselben Handwerker in einer zeitlichen Reihefolge verrichten zu lassen, werden sie von einander losgelöst, isolirt, räumlich neben einander gestellt, jede derselben einem andern Handwerker zugewiesen und alle zusammen von den Cooperirenden gleichzeitig ausgeführt. Diese zufällige Vertheilung wiederholt sich, zeigt ihre eigenthümlichen Vortheile, und verknöchert nach und nach zur systematischen Theilung der Arbeit. Aus dem individuellen Produkt eines selbstständigen Handwerkers, der vielerlei thut, verwandelt sich die Waare in das gesellschaftliche Produkt eines Vereins von Handwerkern, von denen jeder fortwährend nur eine und dieselbe Theiloperation verrichtet. Dieselben Operationen, die in einander flossen als successive Verrichtungen des deutschen zünftigen Papiermachers, verselbstständigten sich in der holländischen Papiermanufaktur zu nebeneinander laufenden Theiloperationen vieler cooperirenden Arbeiter. Der zünftige Nadler von Nürnberg bildet das Grundelement der englischen Nadelmanufaktur. Während aber jener eine Nadler eine Reihe von vielleicht 20 Operationen nach einander durchlief, verrichteten hier bald 20 Nadler neben einander, jeder nur eine der 20 Operationen, die in Folge von Erfahrungen noch viel weiter gespaltet, isolirt, und zu ausschliesslichen Funktionen einzelner Arbeiter verselbstständigt wurden.

Die Ursprungsweise der Manufaktur, ihre Herausbildung aus dem Handwerk, ist also zwieschlächtig. Einerseits geht sie von der Kombination verschiedenartiger, selbstständiger Handwerke aus, die bis zu dem Punkt verunselbstständigt und vereinseitigt werden, wo sie nur noch einander ergänzende Theiloperationen im Produktionsprozess einer und derselben Waare bilden. Andrerseits geht sie von der Cooperation gleichartiger Handwerker aus, zersetzt dasselbe individuelle Handwerk in seine verschiednen besondern Operationen, und isolirt und verselbstständigt diese bis zu dem Punkt, wo jede derselben zur ausschliesslichen Funktion eines besondern Arbeiters wird. Einerseits führt daher die Manufaktur Theilung der Arbeit in einen Produktionsprozess ein oder entwickelt sie weiter, andrerseits kombinirt sie früher geschiedene Handwerke. Welches aber immer ihr besondrer Ausgangs-


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punkt, ihre Schlussgestalt ist dieselbe — ein Produktionsmechanismus, dessen Organe Menschen sind.

Zum richtigen Verständniss der Theilung der Arbeit in der Manufaktur ist es wesentlich folgende Punkte festzuhalten: Zunächst fällt die Analyse des Produktionsprozesses in seine besondern Phasen hier ganz und gar zusammen mit der Zersetzung einer handwerksmässigen Thätigkeit in ihre verschiedenen Theiloperationen. Zusammengesetzt oder einfach, die Verrichtung bleibt handwerksmässig und daher abhängig von Kraft, Geschick, Schnelle, Sicherheit des Einzelarbeiters in Handhabung seines Instruments. Das Handwerk bleibt die Basis. Diese enge technologische Basis schliesst wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprozesses aus, da jeder Theilprozess, den das Produkt untergeht, als handwerksmässige Theilarbeit ausführbar sein muss. Eben weil das handwerksmässige Geschick so die Grundlage des Produktionsprozesses bleibt, wird jeder Arbeiter ausschliesslich einer Theilfunktion angeeignet und seine Arbeitskraft in das lebenslängliche Organ dieser Theilfunktion verwandelt. Endlich ist diese Theilung der Arbeit eine besondere Art der Cooperation, und manche ihrer Vortheile entspringen aus dem allgemeinen Wesen, nicht aus dieser besonderen Form der Cooperation.

Gehn wir nun näher auf das Einzelne ein, so ist zunächst klar, dass ein Arbeiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet, seinen ganzen Körper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt und daher weniger Zeit dazu verbraucht als der Handwerker, der eine ganze Reihe von Operationen abwechselnd ausführt. Der kombinirte Gesammtarbeiter, der den lebendigen Mechanismus der Manufaktur bildet, besteht aber aus lauter solchen einseitigen Theilarbeitern. Im Vergleich zum selbstständigen Handwerk wird daher mehr in weniger Zeit producirt oder die Produktivkraft der Arbeit gesteigert(FN 27). Auch vervollkommnet sich die Methode der Theilarbeit, nachdem sie zur ausschliesslichen Funktion einer Person verselbstständigt ist. Die stete Wieder-


(FN 27) „The more any manufacture of much variety shall be distributed and assigned to different artists, the same must needs be better done and with greater expedition, with less loss of time and labour.“ („ The Advantages of the East India Trade. Lond. 1720“, p. 71.)
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holung desselben beschränkten Thuns und die Koncentration der Aufmerksamkeit auf diess Beschränkte lehren erfahrungsmässig den bezweckten Nutzeffekt mit geringstem Kraftaufwand erreichen. Da aber immer verschiedne Arbeitergenerationen gleichzeitig zusammenleben und in denselben Manufakturen zusammenwirken, befestigen, häufen und übertragen sich bald die so gewonnenen technischen Kunstgriffe(FN 28). Die Manufaktur producirt in der That die Virtuosität des Detailarbeiters, indem sie die naturwüchsige Sonderung der Gewerbe, die sie in der Gesellschaft vorfand, im Innern der Werkstatt reproducirt und systematisch zum Extrem treibt. Andrerseits entspricht ihre Verwandlung der Theilarbeit in den Lebensberuf eines Menschen dem Trieb früherer Gesellschaften, die Gewerbe erblich zu machen, sie in Kasten zu versteinern, oder, wo bestimmte historische Bedingungen dem Kastenwesen widersprechende Variabilität des Individuums erzeugen, die Arbeitssonderung wenigstens in Zünfte zu verknöchern. Die Entstehung dieser Kasten und Zünfte folgt demselben Naturgesetz, das die Sonderung von Pflanzen und Thieren in Arten und Unterarten regelt, nur dass auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Erblichkeit der Kasten oder die Ausschliesslichkeit der Zünfte als gesellschaftliches Gesetz dekretirt wird(FN 29). „Die Musline von Dakka sind an Feinheit, die Kattune und andre Zeuge von Koromandel an Pracht und Dauerhaftigkeit der Farben, niemals übertroffen worden. Und dennoch werden sie producirt ohne Kapital, Maschinerie, Theilung der Arbeit, oder irgend eins der andern Mittel, die der Fabrikation in


(FN 28) „Easy labour is transmitted skill.“ ( Th. Hodgskin l. c. p. 125.)
(FN 29) „Auch die Künste sind … in Aegypten zu dem gehörigen Grad von Vollkommenheit gediehn. Denn in diesem Lande allein dürfen die Handwerker durchaus nicht in die Geschäfte einer andern Bürgerklasse eingreifen, sondern bloss den nach dem Gesetz ihrem Stamme erblich zugehörigen Beruf treiben … Bei andern Völkern findet man, dass die Gewerbsleute ihre Aufmerksamkeit auf zu viele Gegenstände vertheilen … Bald versuchen sie es mit dem Landbau, bald lassen sie sich in Handelsgeschäfte ein, bald befassen sie sich mit zwei oder drei Künsten zugleich. In Freistaaten laufen sie meist in die Volksversammlungen … In Aegypten dagegen verfällt jeder Handwerker in schwere Strafen, wenn er sich in Staatsgeschäfte mischt, oder mehrere Künste zugleich treibt. So kann nichts ihren Berußfleiss stören … Zudem, wie sie von ihren Vorfahren viele Regeln haben, sind sie eifrig darauf bedacht, noch neue Vortheile aufzufinden.“ ( Diodorus Siculus: Historische Bibliothek l. I, c. 74.)

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Europa so viele Vortheile bieten. Der Weber ist ein vereinzeltes Individuum, der das Gewebe auf Bestellung eines Kunden verfertigt und mit einem Webstuhl von der einfachsten Konstruktion, manchmal nur bestehend aus hölzernen Stangen, die roh zusammengefügt sind. Er besitzt selbst keinen Apparat zum Aufziehn der Kette, der Webstuhl muss daher in seiner ganzen Länge ausgestreckt bleiben und wird so unförmlich und weit, dass er keinen Raum findet in der Hütte des Producenten, der seine Arbeit daher in freier Luft verrichten muss, wo sie durch jede Wetteränderung unterbrochen wird“(FN 30). Es ist nur das von Generation auf Generation gehäufte und von Vater auf Sohn vererbte Sondergeschick, das dem Hindu wie der Spinne diese Virtuosität verleiht. Und dennoch verrichtet ein solcher indischer Weber sehr komplicirte Arbeit, verglichen mit der Mehrzahl der Manufakturarbeiter.

Ein Handwerker, der die verschiedenen Theilprozesse in der Produktion eines Machwerks nach einander ausführt, muss bald den Platz, bald die Instrumente wechseln. Der Uebergang von einer Operation zur andern unterbricht den Fluss seiner Arbeit und bildet gewissermassen Poren in seinem Arbeitstag. Diese Poren verdichten, sobald er den ganzen Tag ein und dieselbe Operation kontinuirlich verrichtet oder sie verschwinden in dem Masse, wie der Wechsel seiner Operationen abnimmt. Die gesteigerte Produktivität ist hier entweder der zunehmenden Ausgabe von Arbeitskraft in einem gegebnen Zeitraum geschuldet, also wachsender Intensivität der Arbeit, oder einer Abnahme des unproduktiven Verzehrs von Arbeitskraft. Der Ueberschuss von Kraftaufwand nämlich, den jeder Uebergang aus der Ruhe in die Bewegung erheischt, kompensirt sich bei längerer Fortdauer der einmal erreichten Normalgeschwindigkeit. Andrerseits zerstört die Kontinuität gleichförmiger Arbeit die Spannund Schwungkraft der Lebensgeister, die im Wechsel der Thätigkeit selbst ihre Erholung und ihren Reiz finden.

Die Produktivität der Arbeit hängt nicht nur von der Virtuosität des Arbeiters ab, sondern auch von der Vollkommenheit seiner Werk-


(FN 30)Historical and descriptive Account of Brit. India etc. by Hugh Murray, James Wilson etc.“ Edinburgh 1832, v. II, p. 449. Der indische Webstuhl ist hochschäftig, d. h. die Kette ist vertikal aufgespannt.
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zeuge. Werkzeuge derselben Art, wie Schneide-, Bohr-, Stoss-, Schlaginstrumente u. s. w. werden in verschiedenen Arbeitsprozessen gebraucht, und in demselben Arbeitsprozess dient dasselbe Instrument zu verschiednen Verrichtungen. Sobald jedoch die verschiednen Operationen eines Arbeitsprozesses von einander losgelöst sind und jede Theiloperation in der Hand des Theilarbeiters eine möglichst entsprechende und daher ausschliessliche Form erhält, werden Veränderungen der vorher zu verschiednen Zwecken dienenden Werkzeuge nothwendig. Die Richtung ihres Formwechsels ergiebt sich aus der Erfahrung der besondern Schwierigkeiten, welche die unveränderte Form in den Weg legt. Die Differenzirung der Arbeitsinstrumente, wodurch Instrumente derselben Art besondre feste Formen für jede besondre Nutzanwendung erhalten, und ihre Spezialisirung, wodurch jedes solches Sonderinstrument nur in der Hand spezifischer Theilarbeiter in seinem ganzen Umfang wirkt, charakterisiren die Manufaktur. Zu Birmingham allein producirt man etwa 500 Varietäten von Hämmern, wovon jeder nicht nur für einen besondern Produktionsprozess, sondern eine Anzahl Varietäten oft nur für verschiedne Operationen in demselben Prozess dient. Die Manufakturperiode vereinfacht, verbessert und vermannigfacht die Arbeitswerkzeuge durch deren Anpassung an die ausschliesslichen Sonderfunktionen der Theilarbeiter(FN 31). Sie schafft damit zugleich eine der materiellen Bedingungen der Maschinerie, die aus einer Kombination einfacher Instrumente besteht.

Der Detailarbeiter und sein Instrument bilden die einfachen Elemente der Manufaktur. Wenden wir uns jetzt zu ihrem Gesammtmechanismus.

Die Gliederung der Manufaktur besitzt zwei Grundformen, die


(FN 31) Darwin bemerkt in seinem Epoche machenden Werk über „ die Entstehung der Arten“ mit Bezug auf die natürlichen Organe der Pflanzen und Thiere: „So lange ein und dasselbe Organ verschiedene Arbeiten zu verrichten hat, lässt sich ein Grund für seine Veränderlichkeit vielleicht darin finden, dass natürliche Züchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorgfältig erhält oder unterdrückt, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondern Zwecke allein bestimmt wäre. So mögen Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Ganzen so ziemlich von einerlei Form sein, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug für jeden andern Gebrauch auch eine andre Form haben muss.“

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trotz gelegentlicher Verschlingung zwei wesentlich verschiedne Arten bilden und namentlich auch bei der späteren Verwandlung der Manufaktur in die maschinenartig betriebene, grosse Industrie eine ganz verschiedne Rolle spielen. Dieser Doppelcharakter entspringt aus der Natur des Machwerks selbst. Es wird entweder gebildet durch bloss mechanische Zusammensetzung selbstständiger Theilprodukte oder verdankt seine fertige Gestalt einer Reihenfolge zusammenhängender Prozesse und Manipulationen.

Eine Lokomotive z. B. besteht aus mehr als 5000 selbstständigen Theilen. Sie kann jedoch nicht als Beispiel der ersten Art der eigentlichen Manufaktur gelten, weil sie ein Gebilde der grossen Industrie ist. Wohl aber die Uhr, an welcher auch William Petty die manufakturmässige Theilung der Arbeit veranschaulicht. Aus dem individuellen Werk eines Nürnberger Handwerkers verwandelte sich die Uhr in das gesellschaftliche Produkt einer Unzahl von Theilarbeitern, wie Rohwerkmacher, Uhrfedermacher, Zifferblattmacher, Spiralfedermacher, Steinlochund Rubinhebelmacher, Zeigermacher, Gehäusemacher, Schraubenmacher, Vergolder, mit vielen Unterabtheilungen, wie z. B. Räderfabrikant (Messingund Stahlräder wieder geschieden), Triebmacher, Zeigerwerkmacher, acheveur de pignon (befestigt die Räder auf den Trieben, polirt die facettes u. s. w.), Zapfenmacher, planteur de finissage (setzt verschiedne Räder und Triebe in das Werk), finisseur de barillet (lässt Zähne einschneiden, macht die Löcher zur richtigen Weite, härtet Stellung und Gesperr), Hemmungmacher, bei der Cylinderhemmung wieder Cylindermacher, Steigradmacher, Unruhemacher, Raquettemacher (das Rückwerk, woran die Uhr regulirt wird), planteur d’échappement (eigentliche Hemmungmacher); dann der repasseur de barillet (macht das Federhaus und Stellung ganz fertig), Stahlpolirer, Räderpolirer, Schraubenpolirer, Zahlenmaler, Blattmacher (schmelzen das Email auf das Kupfer), fabricant de pendants (macht bloss die Bügel des Gehäuses), finisseur de charnière (steckt das Messingstift in die Mitte des Gehäuses u. s. w.), faiseur de secret (macht die Federn im Gehäuse, die den Deckel aufspringen machen), graveur, ciliceur, polisseur de boite u. s. w., u. s. w., endlich der repasseur, der die ganze Uhr zusammensetzt und sie gehend abliefert. Nur wenige Theile der Uhr laufen durch verschiedne Hände und alle diese membra disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schliesslich in ein


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mechanisches Ganze verbindet. Diess äusserliche Verhältniss des fertigen Produkts zu seinen verschiedenartigen Elementen lässt hier, wie bei ähnlichem Machwerk, die Kombination der Theilarbeiter in derselben Werkstatt zufällig. Die Theilarbeiten können selbst wieder als von einander unabhängige Handwerke betrieben werden, wie im Kanton Waadt und Neufchatel, während in Genf z. B. grosse Uhrenmanufakturen bestehn, d. h. unmittelbare Cooperation der Theilarbeiter unter dem Kommando eines Kapitals stattfindet. Auch im letztren Fall werden Zifferblatt, Feder und Gehäuse selten in der Manufaktur selbst verfertigt. Der kombinirte manufakturmässige Betrieb ist hier nur unter ausnahmsweisen Verhältnissen profitlich, weil die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zu Hause arbeiten wollen, am grössten ist, die Zersplitterung der Produktion in eine Masse heterogener Prozesse wenig Verwendung gemeinschaftlicher Arbeitsmittel erlaubt, und der Kapitalist bei der zerstreuten Fabrikation die Auslage für Arbeitsgebäude u. s. w. erspart(FN 32). Indess ist auch das Verhältniss dieser Detailarbeiter, die zu Hause, aber für einen Kapitalisten (Fabrikant, établisseur) arbeiten, ganz und gar verschieden von dem des selbstständigen Handwerkers, der für seine eignen Kunden arbeitet(FN 33).


(FN 32) Genf hat im Jahr 1854 80,000 Uhren producirt, noch nicht ein Fünftheil der Uhrenproduktion des Kanton Neufchatel. Chaux-de-Fonds, das man als eine einzige Uhrenmanufaktur betrachten kann, liefert allein jährlich doppelt so viel als Genf. Von 1850—61 lieferte Genf 750,000 Uhren. Siehe: „ Report from Geneva on the Watch Trade“ in „ Reports by H. M’s. Secretaries of Embassy and Legation on the Manufactures, Commerce etc. No. 6. 1863.“ Wenn die Zusammenhangslosigkeit der Prozesse, worin die Produktion nur zusammengesetzter Machwerke zerfällt, an und für sich die Verwandlung solcher Manufakturen in den Maschinenbetrieb der grossen Industrie sehr erschwert, kommen bei der Uhr noch zwei andre Hindernisse hinzu, die Kleinheit und Delikatesse ihrer Elemente, und ihr Luxuscharakter, daher ihre Varietät, so dass z. B. in den besten Londoner Häusern das ganze Jahr hindurch kaum ein Dutzend Uhren gemacht werden, die sich ähnlich sehn. Die Uhrenfabrik von Vacheron et Constantin, die mit Erfolg Maschinerie anwendet, liefert auch höchstens 3—4 verschiedne Varietäten von Grösse und Form.
(FN 33) In der Uhrmacherei, diesem klassischen Beispiel der heterogenen Manufaktur, kann man sehr genau die oben erwähnte, aus der Zersetzung der handwerksmässigen Thätigkeit entspringende Differenzirung und Spezialisirung der Arbeitsinstrumente studiren.

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Die zweite Art der Manufaktur, ihre vollendete Form, producirt Machwerke, die zusammenhängende Entwicklungsphasen, eine Reihenfolge von Stufenprozessen durchlaufen, wie z. B. der Draht in der Nähnadelmanufaktur die Hände von 72 und selbst 92 spezifischen Theilarbeitern durchläuft.

Soweit solche Manufaktur ursprünglich zerstreute Handwerke kombinirt, vermindert sie die räumliche Trennung zwischen den besondern Produktionsphasen des Machwerks. Die Zeit seines Uebergangs aus einem Stadium in das andre wird verkürzt, ebenso die Arbeit, welche diese Uebergänge vermittelt(FN 34). Im Vergleich zum Handwerk wird so Produktivkraft gewonnen, und zwar entspringt dieser Gewinn aus dem allgemeinen cooperativen Charakter der Manufaktur. Andrerseits bedingt ihr eigenthümliches Prinzip der Theilung der Arbeit eine Isolirung der verschiednen Produktionsphasen, die als eben so viele handwerksmässige Theilarbeiten gegen einander verselbstständigt sind. Die Herstellung und Erhaltung des Zusammenhangs zwischen den isolirten Funktionen ernöthigt beständigen Transport des Machwerks aus einer Hand in die andre und aus einem Prozess in den andern. Vom Standpunkt der grossen Industrie tritt diess als eine charakteristische, kostspielige und dem Prinzip der Manufaktur immanente Beschränktheit hervor(FN 35).

Betrachtet man ein bestimmtes Quantum Rohmaterial, z. B. von Lumpen in der Papiermanufaktur oder von Draht in der Nadelmanufaktur, so durchläuft es in den Händen der verschiednen Theilarbeiter eine zeitliche Stufenfolge von Produktionsphasen bis zu seiner Schlussgestalt. Betrachtet man dagegen die Werkstatt als einen Gesammtmechanismus, so befindet sich das Rohmaterial gleichzeitig in allen seinen Produktionsphasen auf einmal. Mit einem Theil seiner vielen instrumentbewaffneten Hände zieht der aus den Detailarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter


(FN 34) „In so close a cohabitation of the People, the carriage must needs be less.“ („ The Advantages of the East India Trade“, p. 166.)
(FN 35) „The isolation of the different stages of manufacture consequent upon the employment of manual labour adds immensely to the cost of production, the loss mainly arising from the mere removals from one process to another.“ („ The Industry of Nations. Lond. 1855“, Part II, p. 200.)

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den Draht, während er gleichzeitig mit andern Händen und Werkzeugen ihn streckt, mit andern schneidet, spitzt u. s. w. Aus einem zeitlichen Nacheinander sind die verschiednen Stufenprozesse in ein räumliches Nebeneinander verwandelt. Daher Lieferung von mehr fertiger Waare in demselben Zeitraum(FN 36). Jene Gleichzeitigkeit entspringt zwar aus der allgemeinen cooperativen Form des Gesammtprozesses, aber die Manufaktur findet nicht nur die Bedingungen der Cooperation vor, sondern schafft sie theilweise erst durch die Zerlegung der handwerksmässigen Thätigkeit. Andrerseits erreicht sie diese gesellschaftliche Organisation des Arbeitsprozesses nur durch Festschmieden desselben Arbeiters an dasselbe Detail.

Da das Theilprodukt jedes Theilarbeiters zugleich nur eine besondre Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert jeder Arbeiter oder jede Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das Arbeitsresultat des einen bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des andern. Der eine Arbeiter beschäftigt daher hier unmittelbar den andern. Die nothwendige Arbeitszeit zur Erreichung des bezweckten Nutzeffekts in jedem Theilprozess wird erfahrungsmässig festgestellt und der Gesammtmechanismus der Manufaktur beruht auf der Voraussetzung, dass in gegebner Arbeitszeit ein gegebnes Resultat erzielt wird. Nur unter dieser Voraussetzung können die verschiednen, einander ergänzenden Arbeitsprozesse ununterbrochen, gleichzeitig und räumlich neben einander fortgehn. Es ist klar, dass diese unmittelbare Abhängigkeit der Arbeiten und daher der Arbeiter von einander jeden Einzelnen zwingt, nur die nothwendige Zeit zu seiner Funktion zu verwenden, und so eine ganz andere Kontinuität, Gleichförmigkeit, Regelmässigkeit, Ordnung(FN 37) und namentlich auch Intensivität der Arbeit erzeugt wird als im unabhängigen Handwerk oder selbst der einfachen Cooperation. Dass


(FN 36) „It (the division of labour) produces also an economy of time, by separating the work into its different branches, all of which may be carried on into execution at the same moment … By carrying on all the different processes at once, which an individual must have executed separately, it becomes possible to produce a multitude of pins for instance completely finished in the same time as a single pin might have been either cut or pointed.“ ( Dugald Stewart l. c. p. 319.)
(FN 37) „The more variety of artists to every manufacture … the greater the order and regularity of every work, the same must needs be done in less time, the labour must be less.“ („ The Advantages etc.“ p. 68.)

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auf eine Waare nur die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit verwandt wird, erscheint bei der Waarenproduktion überhaupt als äusserer Zwang der Konkurrenz, weil, oberflächlich ausgedrückt, jeder einzelne Producent die Waare zu ihrem Marktpreis verkaufen muss. Lieferung von gegebnem Produktenquantum in gegebner Arbeitszeit wird dagegen hier in der Manufaktur technologisches Gesetz des Produktionsprozesses selbst(FN 38).

Verschiedne Operationen bedürfen jedoch ungleicher Zeitlängen und liefern daher in gleichen Zeiträumen ungleiche Quanta von Theilprodukten. Soll also derselbe Arbeiter Tag aus Tag ein stets nur dieselbe Operation verrichten, so müssen für verschiedne Operationen verschiedne Verhältnisszahlen von Arbeitern verwandt werden, z. B. 4 Giesser und 2 Abbrecher auf einen Frottirer in einer Typenmanufaktur, wo der Giesser stündlich 2000 Typen giesst, der Abbrecher 4000 abbricht und der Frottirer 8000 blank reibt. Hier kehrt das Prinzip der Cooperation in seiner einfachsten Form zurück, gleichzeitige Beschäftigung Vieler, die Gleichartiges thun, aber jetzt als Ausdruck eines organischen Verhältnisses. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit vereinfacht und vermannigfacht also nicht nur die qualitativ unterschiednen Organe des gesellschaftlichen Gesammtarbeiters, sondern schafft auch ein mathematisch festes Verhältniss für den quantitativen Umfang dieser Organe, d. h. für die relative Arbeiteranzahl oder relative Grösse der Arbeitergruppen in jeder Sonderfunktion. Sie entwickelt mit der qualitativen Gliederung die quantitative Regel und Proportionalität des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses.

Ist die passendste Verhältnisszahl der verschiednen Gruppen von Theilarbeitern erfahrungsmässig festgesetzt für eine bestimmte Stufenleiter der Produktion, so kann man diese Stufenleiter nur ausdehnen, indem man ein Multipel jeder besondern Arbeitergruppe verwendet(FN 39). Es


(FN 38) Indess erreicht der manufakturmässige Betrieb diess Resultat in vielen Zweigen nur unvollkommen, weil er die allgemeinen chemischen und physischen Bedingungen des Produktionsprozesses nicht mit Sicherheit zu kontroliren weiss.
(FN 39) „Wenn die Erfahrung, je nach der besondren Natur der Produkte jeder Manufaktur, sowohl die vortheilhafteste Art die Fabrikation in Theiloperationen zu spalten, als auch die für sie nöthige Arbeiterzahl kennen gelehrt hat, werden

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kommt hinzu, dass dasselbe Individuum gewisse Arbeiten eben so gut auf grösserer als kleinerer Staffel ausführt, z. B. die Arbeit der Oberaufsicht, den Transport der Theilprodukte aus einer Produktionsphase in die andre u. s. w. Die Verselbstständigung dieser Funktionen, oder ihre Zuweisung an besondere Arbeiter, wird also erst vortheilhaft mit Vergrösserung der beschäftigten Arbeiterzahl, aber diese Vergrösserung muss sofort alle Gruppen proportionell ergreifen.

Die einzelne Gruppe, als eine Anzahl von Arbeitern, die dieselbe Theilfunktion verrichten, besteht aus homogenen Elementen und bildet ein einfaches Organ des Gesammtmechanismus. In verschiednen Manufakturen jedoch ist die Gruppe selbst ein gegliederter Arbeitskörper, während der Gesammtmechanismus durch die Wiederholung oder Vervielfältigung dieser produktiven Elementarorganismen gebildet wird. Nehmen wir z. B. die Manufaktur von Glasflaschen. Sie zerfällt in drei wesentlich unterschiedne Phasen. Erstens die vorbereitende Phase, wie Bereitung der Glaskomposition, Mengung von Sand, Kalk u. s. w. und Schmelzung dieser Komposition zu einer flüssigen Glasmasse(FN 40). In dieser ersten Phase sind verschiedne Theilarbeiter beschäftigt, ebenso in der Schlussphase, der Entfernung der Flaschen aus den Trockenöfen, ihrer Sortirung, Verpackung u. s. w. Zwischen beiden Phasen steht in der Mitte die eigentliche Glasmacherei oder Verarbeitung der flüssigen Glasmasse. An demselben Munde eines Glasofens arbeitet eine Gruppe, die in England das „hole“ (Loch) heisst, und aus einem bottle maker oder finisher, einem blower, einem gatherer, einem putter up oder whetter off und einem taker in zusammengesetzt ist. Diese fünf Theilarbeiter bilden eben so viele Sonderorgane eines einzigen Arbeitskörpers, der nur als Einheit, also nur durch unmittelbare Cooperation der Fünf wirken kann. Fehlt ein Glied des fünftheiligen Körpers, so ist er paralysirt. Derselbe Glasofen hat aber verschiedne Oeffnungen, in Eng-


alle Etablissements, die kein exaktes Multiplum dieser Zahl anwenden, mit weniger Oekonomie fabriziren . . . . Diess ist eine der Ursachen der kolossalen Ausdehnung industrieller Etablissements.“ ( Ch. Babbage: „ On the Economy of Machinery.“ 2nd ed. Lond. 1832, ch. XX.)
(FN 40) In England ist der Schmelzofen getrennt vom Glasofen, an dem das Glas verarbeitet wird, in Belgien z. B. dient derselbe Ofen zu beiden Prozessen.

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land z. B. 4—6, deren jede einen irdenen Schmelztiegel mit flüssigem Glas birgt, und wovon jede eine eigne Arbeitergruppe von derselben fünfgliedrigen Form beschäftigt. Die Gliederung jeder einzelnen Gruppe beruht hier unmittelbar auf der Theilung der Arbeit, während das Band zwischen den verschiednen gleichartigen Gruppen einfache Cooperation ist, die eins der Produktionsmittel, hier den Glasofen, durch gemeinsamen Konsum ökonomischer verbraucht. Ein solcher Glasofen mit seinen 4—6 Gruppen bildet eine Glashütte, und eine Glasmanufaktur umfasst eine Mehrzahl solcher Hütten, zugleich mit den Vorrichtungen und Arbeitern für die einleitenden und abschliessenden Produktionsphasen.

Endlich kann die Manufaktur, wie sie theilweis aus der Kombination verschiedner Handwerke entspringt, sich zu einer Kombination verschiedner Manufakturen entwickeln. Die grösseren englischen Glashütten z. B. fabriciren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren Güte das Gelingen oder Misslingen des Produkts wesentlich abhängt. Die Manufaktur eines Produktionsmittels wird hier mit der Manufaktur des Produkts verbunden. Umgekehrt kann die Manufaktur des Produkts verbunden werden mit Manufakturen, worin es selbst wieder als Rohmaterial dient, oder mit deren Produkten es später zusammengesetzt wird. So findet man z. B. die Manufaktur von Flintglas kombinirt mit der Glasschleiferei und der Gelbgiesserei, letztere für die metallische Einfassung mannigfacher Glasartikel. Die verschiednen kombinirten Manufakturen bilden dann mehr oder minder räumlich getrennte Departemente einer Gesammtmanufaktur, zugleich von einander unabhängige Produktionsprozesse, jeder mit eigner Theilung der Arbeit. Trotz mancher technischer und ökonomischer Vortheile, welche die kombinirte Manufaktur bietet, gewinnt sie, auf eigner Grundlage, keine wirklich technologische Einheit. Diese entsteht erst bei ihrer Verwandlung in den maschinenmässigen Betrieb.

Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Waarenproduktion nothwendigen Arbeitszeit bald als bewusstes Prinzip ausspricht(FN 41), entwickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen, namentlich für gewisse einfache erste Prozesse, die massenhaft


(FN 41) Man kann diess unter andern ersehn aus den Schriften von W. Petty, John Bellers, Andrew Yarranton, „ The Advantages of the East India Trade“ und J. Vanderlint.

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und mit grossem Kraftaufwand auszuführen sind. So wird z. B. bald in der Papiermanufaktur das Zermalmen der Lumpen durch Papiermühlen und in der Metallfabrik das Zerstossen der Erze durch sogenannte Pochmühlen verrichtet(FN 42). Die elementarische Form aller Maschinerie hatte das römische Kaiserreich überliefert in der Wassermühle(FN 43). Die Handwerksperiode vermachte die grossen Erfindungen des Kompasses, des Pulvers, der Buchdruckerei und der automatischen Uhr. Im Grossen und Ganzen jedoch spielt die Maschinerie jene Nebenrolle, die Adam Smith ihr neben der Theilung der Arbeit anweist(FN 44). Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der Maschinerie im 17. Jahrhundert, weil sie den grossen Mathematikern jener Zeit praktische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schöpfung der modernen Mechanik darbot.

Die spezifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vielen Theilarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter selbst. Die verschiednen Operationen, die der Producent einer Waare abwechselnd verrichtet und die sich im Ganzen seines Arbeitsprozesses verschlingen, nehmen ihn verschiedenartig in Anspruch. In der einen muss er mehr Kraft entwickeln, in der andern mehr Gewandtheit, in der dritten


(FN 42) Noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts bedient sich Frankreich der Mörser und Siebe zum Pochen und Waschen der Erze.
(FN 43) Die ganze Entwicklungsgeschichte der Maschinerie lässt sich verfolgen an der Geschichte der Getreidemühlen. Die Fabrik heisst im Englischen immer noch mill. In deutschen technologischen Schriften aus den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts findet man noch den Ausdruck Mühle nicht nur für alle mit Naturkräften getriebne Maschinerie, sondern selbst für alle Manufakturen, die maschinenartige Apparate anwenden.
(FN 44) Wie man aus dem Vierten Buch dieser Schrift näher sehn wird, hat A. Smith keinen einzigen neuen Satz über die Theilung der Arbeit aufgestellt. Was ihn aber als den zusammenfassenden politischen Oekonomen der Manufakturperiode charakterisirt, ist der Accent, den er auf die Theilung der Arbeit legt. Die untergeordnete Rolle, die er der Maschinerie anweist, rief im Beginn der grossen Industrie Lauderdale’s, in einer weiter entwickelten Epoche Ure’s Polemik hervor. A. Smith verwechselt auch die Differenzirung der Instrumente, wobei die Theilarbeiter der Manufaktur selbst sehr thätig waren, mit der Maschinenerfindung. Es sind nicht Manufakturarbeiter, sondern Gelehrte, Handwerker, selbst Bauern (Brindley) u. s. w., die hier eine Rolle spielen.

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mehr geistige Aufmerksamkeit u. s. w., und dasselbe Individuum besitzt diese Eigenschaften nicht in gleichem Grad. Nach der Trennung, Verselbstständigung und Isolirung der verschiednen Operationen werden die Arbeiter ihren vorwiegenden Eigenschaften gemäss getheilt, klassificirt und gruppirt. Bilden ihre Naturbesonderheiten die Grundlage, worauf sich die Theilung der Arbeit pfropft, so entwickelt die Manufaktur, einmal eingeführt, Arbeitskräfte, die von Natur nur zu einseitiger Sonderfunktion taugen. Der Gesammtarbeiter besitzt jetzt alle produktiven Eigenschaften in gleich hohem Grad der Virtuosität und verausgabt sie zugleich auf’s ökonomischste, indem er alle seine Organe, individualisirt in besondern Arbeitern oder Arbeitergruppen, ausschliesslich zu ihren spezifischen Funktionen verwendet(FN 45). Die Einseitigkeit und selbst die Unvollkommenheit des Theilarbeiters werden zu seiner Vollkommenheit als Glied des Gesammtarbeiters(FN 46). Die Gewohnheit einer einseitigen Funktion verwandelt ihn in ihr naturgemäss sicher wirkendes Organ, während der Zusammenhang des Gesammtmechanismus ihn zwingt, mit der Regelmässigkeit eines Maschinentheils zu wirken(FN 47). Da die verschiednen Funktionen des Gesammtarbeiters einfacher oder zusammengesetzter, niedriger oder höher, erheischen seine Organe, die individuellen Arbeitskräfte, sehr verschiedne Grade der Ausbildung und besitzen daher sehr verschiedne Werthe. Die Manufaktur entwickelt also eine Hierarchie der Arbeitskräfte, der eine Stufenleiter der Arbeitslöhne entspricht. Wird einerseits der individuelle Arbeiter einer einseitigen Funktion angeeignet und lebens-


(FN 45) „Indem man das Machwerk in mehrere verschiedne Operationen theilt, deren jede verschiedne Grade von Gewandtheit und Kraft erheischt, kann der Manufakturherr sich genau das jeder Operation entsprechende Quantum von Kraft und Gewandtheit verschaffen. Wäre dagegen das ganze Werk von einem Arbeiter zu verrichten, so müsste dasselbe Individuum genug Gewandtheit für die delikatesten und genug Kraft für die mühseligsten Operationen besitzen.“ ( Ch. Babbage l. c. ch. XIX.)
(FN 46) Z. B. einseitige Muskelentwicklung, Knochenverkrümmung u. s. w.
(FN 47) Sehr richtig antwortet Herr Wm. Marschall, der general manager einer Glasmanufaktur, auf die Frage des Untersuchungskommissärs, wie die Arbeitsamkeit unter den beschäftigten Jungen aufrecht erhalten werde: „They cannot well neglect their work; when they once begin, they must go on; they are just the same as parts of a machine.“ („ Child. Empl. Comm. Fourth Report“ 1865, p. 247.)

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lang annexirt, so werden eben so sehr die verschiednen Arbeitsverrichtungen jener Hierarchie der natürlichen und erworbnen Geschicklichkeiten angepasst(FN 48). Jeder Produktionsprozess bedingt indess gewisse einfache Hanthierungen, deren jeder Mensch, wie er geht und steht, fähig ist. Auch sie werden jetzt von ihrem flüssigen Zusammenhang mit den inhaltvolleren Momenten der Thätigkeit losgelöst und zu ausschliesslichen Funktionen verknöchert. Die Manufaktur erzeugt daher in jedem Handwerk, das sie ergreift, eine Klasse sogenannter ungeschickter Arbeiter, die der Handwerksbetrieb streng ausschloss. Wenn sie die durchaus vereinseitigte Spezialität auf Kosten des ganzen Arbeitsvermögens zur Virtuosität entwickelt, beginnt sie auch schon den Mangel aller Entwicklung zu einer Spezialität zu machen. Neben die hierarchische Abstufung tritt die einfache Scheidung der Arbeiter in geschickte und ungeschickte. Für letztere fallen die Erlernungskosten ganz weg, für erstere sinken sie, im Vergleich zum Handwerker, in Folge vereinfachter Funktion. In beiden Fällen sinkt der Werth der Arbeitskraft(FN 49). Ausnahme findet statt, soweit die Zersetzung des Arbeitsprozesses neue zusammenfassende Funktionen erzeugt, die im Handwerksbetrieb gar nicht oder nicht in demselben Umfang vorkamen. Die relative Entwerthung der Arbeitskraft, die aus dem Wegfall oder der Verminderung der Erlernungskosten entspringt, schliesst unmittelbar höhere Verwerthung des Kapitals ein, denn alles, was die zur Reproduktion der


(FN 48) Dr. Ure in seiner Apotheose der grossen Industrie fühlt die eigenthümlichen Charaktere der Manufaktur schärfer heraus als frühere Oekonomen, die nicht sein polemisches Interesse hatten, und selbst als seine Zeitgenossen, z. B. Babbage, der ihm zwar durchaus überlegen ist als gelehrter Mathematiker und Mechaniker, aber dennoch die grosse Industrie eigentlich nur vom Standpunkt der Manufaktur auffasst. Ure bemerkt: „ Die Aneignung der Arbeiter an jede Sonderoperation bildet das Wesen der Vertheilung der Arbeiten.“ Andrerseits bezeichnet er diese Vertheilung als „ Anpassung der Arbeiten an die verschiednen individuellen Fähigkeiten“ und charakterisirt endlich das ganze Manufaktursystem als „ein System von Gradationen nach dem Rang der Geschicklichkeit“, als „eine Theilung der Arbeit nach den verschiednen Graden des Geschicks“ u. s. w. Ure l. c. t. I, p. 28—35 passim.
(FN 49) „Un ouvrier, en se perfectionnant par la pratique sur un seul et même point, devient … moins coûteux.“ (l. c. p. 28.)

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Arbeitskraft nothwendige Zeit verkürzt, verlängert die Domaine der Mehrarbeit.

Wir betrachteten erst den Ursprung der Manufaktur aus der Cooperation, dann ihre einfachen Elemente, den Theilarbeiter und sein Werkzeug, endlich ihren Gesammtmechanismus. Wir berühren jetzt kurz das Verhältniss zwischen der manufakturmässigen Theilung der Arbeit und der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit, welche die allgemeine Grundlage aller Waarenproduktion bildet.

Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der gesellschaftlichen Produktion in ihre grossen Gattungen, wie Agrikultur, Industrie u. s. w., als Theilung der Arbeit im Allgemeinen, die Sonderung dieser Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Theilung der Arbeit im Besondern, und die Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als Theilung der Arbeit im Einzelnen bezeichnen(FN 50).

Die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, und die entsprechende Beschränkung der Individuen auf besondre Berufssphären, entwickelt sich, wie die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur, von entgegengesetzten Ausgangspunkten. Innerhalb einer Familie, weiter entwickelt eines Stammes, entspringt eine naturwüchsige Theilung der Arbeit aus den Geschlechtsund Altersverschiedenheiten, also auf rein physiologischer Grundlage, die mit der Ausdehnung des Gemeinwesens, der Zunahme der Bevölkerung, und namentlich dem Konflikt zwischen verschiednen Stämmen und der Unterjochung eines Stamms durch


(FN 50) „Die Theilung der Arbeit geht von der Trennung der verschiedenartigsten Professionen fort bis zu jener Theilung, wo mehrere Arbeiter sich in die Anfertigung eines und desselben Produkts theilen, wie in der Manufaktur.“ ( Storch: „ Cours d’Econ. Pol.“ Pariser Ausgabe, t. I, p. 173.) „Nous rencontrons chez les peuples parvenus à un certain degré de civilisation trois genres de divisions d’industrie: la première, que nous nommons générale, amène la distinction des producteurs en agriculteurs, manufacturiers et commerçans, elle se rapporte aux trois principales branches d’industrie nationale; la seconde, qu’on pourrait appeler spéciale, est la division de chaque genre d’industrie en espèces . . . . la troisième division d’industrie, celle enfin qu’on devrait qualifier de division de la besogne ou de travail proprement dit, est celle qui s’établit dans les arts et les métiers séparés … qui s’établit dans la plupart des manufactures et des ateliers.“ ( Skarbek l. c. p. 84, 86.)

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den andern ihr Material ausweitet. Andrerseits, wie ich früher bemerkt, entspringt der Produktenaustausch an den Punkten, wo verschiedne Familien, Stämme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht Privatpersonen, sondern Familien, Stämme u. s. w. treten sich in den Anfängen der Kultur selbstständig gegenüber. Verschiedne Gemeinwesen finden verschiedne Produktionsmittel und verschiedne Lebensmittel in ihrer Naturumgebung vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind daher verschieden. Es ist diese naturwüchsige Verschiedenheit, die bei dem Kontakt der Gemeinwesen den Austausch der wechselseitigen Produkte und daher die allmälige Verwandlung dieser Produkte in Waaren hervorruft. Der Austausch schafft nicht den Unterschied der Produktionssphären, sondern bezieht die unterschiednen auf einander und verwandelt sie so in mehr oder minder von einander abhängige Zweige einer gesellschaftlichen Gesammtproduktion. Hier entsteht die gesellschaftliche Theilung der Arbeit durch den Austausch ursprünglich verschiedner, aber gegen einander selbstständiger Produktionssphären. Dort, wo die physiologische Theilung der Arbeit den Ausgangspunkt bildet, lösen sich die besondern Organe eines unmittelbar zusammengehörigen Ganzen von einander ab, zersetzen sich, zu welchem Zersetzungsprozess der Waarenaustausch mit fremden Gemeinwesen den Hauptanstoss giebt, und verselbstständigen sich bis zu dem Punkt, wo der Zusammenhang der verschiednen Arbeiten durch den Austausch der Produkte als Waaren vermittelt wird. Es ist in dem einen Fall Verunselbstständigung der früher Selbstständigen, in dem andern Verselbstständigung der früher Unselbstständigen.

Die Grundlage aller entwickelten und durch Waarenaustausch vermittelten Theilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und Land(FN 51). Man kann sagen, dass die ganze ökonomische Geschichte der Gesellschaft sich in der Bewegung dieses Gegensatzes resümirt, auf den wir jedoch hier nicht weiter eingehn.


(FN 51) Sir James Steuart hat diesen Punktam besten behandelt. Wie wenig sein Werk, welches zehn Jahre vor dem „Wealth of Nations“ erschien, heut zu Tage bekannt ist, sieht man u. a. daraus, dass die Bewunderer des Malthus nicht einmal wissen, dass dieser in der ersten Ausgabe seiner Schrift über die „Population“, vom rein deklamatorischen Theil abgesehn, neben den Pfaffen Wallace und Townsend fast nur den Steuart abschreibt.

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Wie für die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine gewisse Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraussetzung bildet, so für die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die Grösse der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit, die hier an die Stelle der Agglomeration in derselben Werkstatt tritt(FN 52). Indess ist diese Dichtigkeit etwas relatives. Ein relativ spärlich bevölkertes Land mit entwickelten Kommunikationsmitteln besitzt eine dichtere Bevölkerung als ein mehr bevölkertes Land mit unentwickelten Kommunikationsmitteln, und in dieser Art sind z. B. die nördlichen Staaten der amerikanischen Union dichter bevölkert als Indien(FN 53).

Da Waarenproduktion und Waarencirkulation die allgemeine Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, erheischt manufakturmässige Theilung der Arbeit eine schon bis zu gewissem Entwicklungsgrad gereifte Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Umgekehrt entwickelt und vervielfältigt die manufakturmässige Theilung der Arbeit rückwirkend jene gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Mit der Differenzirung der Arbeitsinstrumente differenziren sich mehr und mehr die Gewerbe, welche diese Instrumente produciren(FN 54). Ergreift der manufakturmässige Betrieb ein Gewerb, das bisher als Hauptoder Nebengewerb mit andern zusammenhing und von demselben Producenten ausgeführt wurde, so findet sofort Scheidung und gegenseitige Verselbstständigung statt. Ergreift er eine besondre Produktionsstufe einer Waare, so verwandeln sich ihre verschiednen Produktionsstufen in verschiedne unabhängige Ge-


(FN 52) „There is a certain density of population which is convenient, both for social intercourse, and for that combination of powers by which the produce of labour is increased.“ ( James Mill l. c. p. 50.) „As the number of labourers increases, the productive power of society augments in the compound ratio of that increase, multiplied by the effects of the division of labour.“ ( Th. Hodgskin l. c. p. 125, 126.)
(FN 53) In Folge der grossen Baumwollnachfrage seit 1861 wurde in einigen, sonst zahlreich bevölkerten Distrikten Ostindiens die Baumwollproduktion auf Kosten der Reisproduktion ausgedehnt. Es entstand daher partielle Hungersnoth, weil wegen mangelnder Kommunikationsmittel und daher mangelnden physischen Zusammenhangs der Reisausfall in einem Distrikt nicht durch Zufuhr aus andern Distrikten ausgeglichen werden konnte.
(FN 54) So bildete die Fabrikation der Weberschiffchen schon während des 17. Jahrhunderts einen besondern Industriezweig in Holland.
I. 22

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werbe. Es ward bereits angedeutet, dass wo das Machwerk ein bloss mechanisch zusammengesetztes Ganze von Theilprodukten, die Theilarbeiten sich selbst wieder zu eignen Handwerken verselbstständigen können. Um die Theilung der Arbeit vollkommner innerhalb einer Manufaktur auszuführen, wird derselbe Produktionszweig, je nach der Verschiedenheit seiner Rohstoffe oder den verschiednen Formen, die derselbe Rohstoff erhalten kann, in verschiedne zum Theil ganz neue Manufakturen gespaltet. So wurden bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich allein über 100 verschiedenartige Seidenzeuge gewebt, und in Avignon z. B. war es Gesetz, dass „jeder Lehrling sich immer nur einer Fabrikationsart widmen und nicht die Verfertigung mehrerer Zeugarten zugleich lernen durfte.“ Die territoriale Theilung der Arbeit, welche besondre Produktionszweige an besondre Distrikte eines Landes bannt, erhält neuen Anstoss durch den manufakturmässigen Betrieb, der alle Besonderheiten ausbeutet(FN 55). Reiches Material zur Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft liefert der Manufakturperiode die Erweiterung des Weltmarkts und das Kolonialsystem, die zum Umkreis ihrer allgemeinen Existenzbedingungen gehören. Es ist hier nicht der Ort weiter nachzuweisen, wie sie neben der ökonomischen jede andre Sphäre der Gesellschaft inficirt und überall die Grundlage zu jener Ausbildung des Fachwesens, der Specialitäten, und zu einer Parcellirung des Menschen legt, die schon A. Ferguson, den Lehrer A. Smiths, in den Ausruf ausbrechen liess: „Wir sind ganze Nationen von Heloten, und es giebt keine Freien unter uns“(FN 56).

Trotz der zahlreichen Analogien jedoch und der Zusammenhänge zwischen der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und der Theilung innerhalb einer Werkstatt, sind beide nicht nur graduell, sondern wesentlich unterschieden. Am schlagendsten scheint die Analogie unstreitig, wo ein inneres Band verschiedne Geschäftszweige ver-


(FN 55) „Whether the Woollen Manufacture of England is not divided into several parts or branches appropriated to particular places, where they are only or principally manufactured; fine clothes in Somersetshire, coarse in Yorkshire, long ells at Exeter, soies at Sandbury, crapes at Norwich, linseys at Kendal, blankets at Whitney, and so forth!“ ( Berkeley: „ The Querist“ 1750, p. 520.)
(FN 56) A. Ferguson: „ History of Civil Society“, Part IV, ch. II.

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schlingt. Der Viehzüchter z. B. producirt Häute, der Gerber verwandelt die Häute in Leder, der Schuster das Leder in Stiefel. Jeder producirt hier ein Stufenprodukt und die letzte fertige Gestalt ist das kombinirte Produkt ihrer Sonderarbeiten. Es kommen hinzu die mannigfachen Arbeitszweige, die dem Viehzüchter, Gerber, Schuster Produktionsmittel liefern. Man kann sich nun mit A. Smith einbilden, diese gesellschaftliche Theilung der Arbeit unterscheide sich von der manufakturmässigen nur subjektiv, nämlich für den Beobachter, der hier die mannigfachen Theilarbeiten auf einen Blick räumlich zusammensieht, während dort ihre Zerstreuung über grosse Flächen und die grosse Zahl der in jedem Sonderzweig Beschäftigten den Zusammenhang verdunklen(FN 57). Was aber stellt den Zusammenhang her zwischen den unabhängigen Arbeiten von Viehzüchter, Gerber, Schuster? Das Dasein ihrer respektiven Produkte als Waaren. Was charakterisirt dagegen die manufakturmässige Theilung der Arbeit? Dass der Theilarbeiter keine Waare producirt(FN 58). Erst das gemeinsame Produkt der Theilarbeiter verwandelt sich in Waare.


(FN 57) In den eigentlichen Manufakturen, sagt er, scheint die Theilung der Arbeit grösser, weil „those employed in every different branch of the work can often be collected into the same workhouse, and placed at once under the view of the spectator. In those great manufactures (!), on the contrary, which are destined to supply the great wants of the great body of the people, every different branch of the work employs so great a number of workmen, that it is impossible to collect them all into the same workhouse … the division is not near so obvious.“ (A. Smith: „ Wealth of Nations“, b. I, ch. I.) Der berühmte Passus in demselben Kapitel, der mit den Worten beginnt: „Observe the accomodation of the most common artificer or day labourer in a civilized and thriving country etc.“ und dann weiter ausmalt, wie zahllos mannigfaltige Gewerbe zur Befriedigung der Bedürfnisse eines gewöhnlichen Arbeiters zusammenwirken, ist ziemlich wörtlich kopirt aus B. deMandeville’s Remarks zu seiner: „ The Fable of the Bees, or Private Vices, Publick Benefits.“ (Erste Ausgabe ohne Remarks 1706, mit den Remarks 1714.)
(FN 58) „There is no longer anything which we can call the natural reward of individual labonr. Each labourer produces only some part of a whole, and each part, having no value or utility of itself, there is nothing on which the labourer can seize, and say: it is my product, this I will keep for myself.“ („ Labour defended against the claims of Capital. Lond. 1825“, p. 25.) Der Verfasser dieser vorzüglichen Schrift ist der früher citirte Th. Hodgskin.
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Die Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft ist vermittelt durch den Kauf und Verkauf der Produkte verschiedner Arbeitszweige, der Zusammenhang der Theilarbeiten in der Manufaktur durch den Verkauf verschiedner Arbeitskräfte an denselben Kapitalisten, der sie als kombinirte Arbeitskraft verwendet. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit unterstellt Koncentration der Produktionsmittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesellschaftliche Theilung der Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter viele von einander unabhängige Waarenproducenten. Statt dass in der Manufaktur das eherne Gesetz der Verhältnisszahl oder Proportionalität bestimmte Arbeitermassen unter bestimmte Funktionen subsumirt, treiben Zufall und Willkühr ihr buntes Spiel in der Vertheilung der Waarenproducenten und ihrer Produktionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen Arbeitszweige. Zwar suchen sich die verschiednen Produktionssphären beständig ins Gleichgewicht zu setzen, indem einerseits jeder Waarenproducent einen Gebrauchswerth produciren, also ein besondres gesellschaftliches Bedürfniss befriedigen muss, der Umfang dieser Bedürfnisse aber quantitativ verschieden ist und ein innres Band die verschiedenen Bedürfnissmassen zu einem naturwüchsigen System verkettet; indem andrerseits das Werthgesetz der Waaren bestimmt, wie viel die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besondern Waarenart verausgaben kann. Aber diese beständige Tendenz der verschiednen Produktionssphären sich ins Gleichgewicht zu setzen, bethätigt sich nur als Reaktion gegen die beständige Aufhebung dieses Gleichgewichts. Bei der Theilung der Arbeit im Innern der Werkstatt beherrscht die Verhältnisszahl die jeder Sonderfunktion zugewiesne Arbeitermasse a priori als bewusste und planmässig befolgte Regel; bei der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft wirkt sie nur a posteriori als innere, stumme, im Barometerwechsel der Marktpreise wahrnehmbare, die regellose Willkühr der Waarenproducenten überwältigende Naturnothwendigkeit. Die manufakturmässige Theilung der Arbeit unterstellt die unbedingte Autorität des Kapitalisten über Menschen, die blosse Glieder eines ihm gehörigen Gesammtmechanismus bilden; die gesellschaftliche Theilung der Arbeit stellt unabhängige Waarenproducenten einander gegenüber, die keine andere Autorität anerkennen als die der Konkurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt, wie auch im Thierreich das bellum omnium contra omnes die


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Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhält. Dasselbe bürgerliche Bewusstsein, das die manufakturmässige Theilung der Arbeit, die lebenslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und die unbedingte Unterordnung der Theilarbeiter unter das Kapital, als eine Organisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigere, denuncirt daher eben so laut jede bewusste gesellschaftliche Kontrole und Reglung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses als einen Eingriff in die unverletzlichen Eigenthumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende „Genialität“ des individuellen Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch, dass die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts ärgeres gegen jede allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als dass sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln würde.

Wenn die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der manufakturmässigen Arbeitstheilung einander in der Gesellschaft der kapitalistischen Produktionsweise bedingen, bieten dagegen frühere Gesellschaftsformen, worin die Besonderung der Gewerbe sich naturwüchsig entwickelt, dann krystallisirt und endlich gesetzlich befestigt, einerseits das Bild einer planund autoritätsmässigen Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, während sie anderseits die Theilung der Arbeit innerhalb der Werkstatt ganz ausschliessen, oder nur auf einem Zwergmassstab, oder nur sporadisch und zufällig entwickeln(FN 59).

Jene uralterthümlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z. B., die zum Theil noch fortexistiren, beruhn auf gemeinschaftlichem Besitz des Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und Handwerk, und auf einer festen Theilung der Arbeit, die bei Anlage neuer Gemeinwesen als gegebner Plan und Grundriss dient. Sie bilden sich selbst genügende Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis auf einige 1000 Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird für den unmittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde producirt, nicht als Waare, und die Produktion selbst ist daher unabhängig von der durch Waaren-


(FN 59) „On peut … établir en règle générale, que moins l’autorité préside à la division du travail dans l’intérieur de la société, plus la division du travail se développe dans l’intérieur de l’atélier, et plus elle y est soumise à l’autorité d’un seul. Ainsi l’autorité dans l’atélier et celle dans la société, par rapport à la division du travail, sont en raison inverse l’une de l’autre.“ ( Karl Marx l. c. p. 130, 131.)

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austausch vermittelten Theilung der Arbeit im Grossen und Ganzen der indischen Gesellschaft. Nur der Ueberschuss der Produkte verwandelt sich in Waare, zum Theil selbst wieder erst in der Hand des Staats, dem ein bestimmtes Quantum seit undenklichen Zeiten als Naturalrente zufliesst. In verschiedenen Theilen Indiens besitzt diess Gemeinwesen verschiedne herrschende Formen. In der einfachsten Form bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und vertheilt seine Produkte unter ihre Glieder, während jede Familie Spinnen, Weben u. s. w. als häusliches Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig beschäftigten Masse finden wir den „ Haupteinwohner“, Richter, Polizei und Steuereinnehmer in einer Person; den Buchhalter, der die Rechnung über den Ackerbau führt und alles darauf Bezügliche katastrirt und registrirt; einen dritten Beamten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reisende beschützt und von einem Dorf zum andern geleitet; den Grenzmann, der die Grenzen der Gemeinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den Wasseraufseher, der das Wasser aus den gemeinschaftlichen Wasserbehältern zu Ackerbauzwecken vertheilt; den Braminen, der die Funktionen des religiösen Kultus verrichtet; den Schulmeister, der die Gemeindekinder im Sand schreiben und lesen lehrt; den Kalenderbraminen, der als Astrolog die Zeiten für Saat, Ernte und die guten oder bösen Stunden für alle besondern Ackerbauarbeiten angiebt; einen Schmidt und einen Zimmermann, welche alle Ackerbauwerkzeuge verfertigen und ausbessern; den Töpfer, der alle Gefässe für das Dorf macht; den Barbier, den Wäscher für die Reinigung der Kleider, den Silberschmidt, hier und da den Poeten, der in einigen Gemeinden den Silberschmidt, in andern den Schulmeister ersetzt. Diess Dutzend Personen wird auf Kosten der ganzen Gemeinde erhalten. Wächst die Bevölkerung, so wird eine neue Gemeinde nach dem Muster der alten auf unbebautem Boden angesiedelt. Den Gesammtmechanismus der Gemeinde betrachtet, findet sich hier planmässige Theilung der Arbeit, aber ihre manufakturmässige Theilung ist unmöglich, indem der Markt für Schmidt, Zimmermann u. s. w. unverändert bleibt und höchstens, je nach dem Grössenunterschied der Dörfer, statt eines Schmidts, Töpfers u. s. w. ihrer zwei oder drei vorkommen(FN 60). Das Gesetz, das die Theilung der Gemeinde-


(FN 60) Lieut. Col. Mark Wilks: „ Historical Sketches of the South of India. Lond. 1810—17“, v. I, p. 118—20. Eine gute Zu-

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arbeit regelt, wirkt hier mit der unverbrüchlichen Autorität eines Naturgesetzes, während jeder besondre Handwerker, wie Schmidt u. s. w., nach überlieferter Art, aber selbstständig, und ohne Anerkennung irgend einer Autorität in seiner Werkstatt, alle zu seinem Fach gehörigen Operationen verrichtet. Der einfache produktive Organismus dieser selbstgenügenden Gemeinwesen, die sich beständig in derselben Form reproduciren, und, wenn zufällig zerstört, an demselben Ort, mit demselben Namen, wieder aufbauen(FN 61), liefert den Schlüssel zum Geheimniss der Unveränderlichkeit asiatischer Gesellschaften, so auffallend kontrastirt durch die beständige Auflösung und Neubildung asiatischer Staaten und rastlosen Dynastenwechsel. Die Struktur der ökonomischen Grundelemente der Gesellschaft bleibt von den Stürmen der politischen Wolkenregion unberührt.

Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmässig, durch äusserste Beschränkung des Maximums der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunftmeister beschäftigen durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in dem ausschliesslichen Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersüchtig jeden Uebergriff des Kaufmannskapitals ab, der einzig freien Form des Kapitals, die ihr gegenüberstand. Der Kaufmann konnte alle Waaren kaufen, nur nicht die Arbeit als Waare. Er war nur geduldet als Verleger der Handwerksprodukte. Riefen äussere Umstände eine fortschreitende Theilung der Arbeit hervor, so zerspalteten sich bestehende Zünfte in Unterarten oder lagerten sich neue Zünfte neben die alten hin,


sammenstellung der verschiednen Formen des indischen Gemeinwesens findet man in George Campbell’s: „ Modern India. London 1852.“
(FN 61) „Under this simple form … the inhabitants of the country have lived since time immemorial. The boundaries of the villages have been but seldom altered; and though the villages themselves have been sometimes injured, and even desolated by war, famine, and disease, the same name, the same limits, the same interests, and even the same families, have continued for ages. The inhabitants give themselves no trouble about the breaking up and division of kingdoms; while the village remains entire, they care not to what power it is transferred or to what sovereign it devolves; its internal economy remains unchanged.“ ( Th. Stafford Raffles, late Lieut. Gov. of Java: „ The History of Java. Lond. 1817“, v. II, p. 285, 286.)

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jedoch ohne Zusammenfassung verschiedner Handwerke in eine Werkstatt. Die Zunftorganisation, so sehr ihre Besonderung, Isolirung und Ausbildung der Gewerbe zu den materiellen Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehören, schloss daher die manufakturmässige Theilung der Arbeit aus. Im Grossen und Ganzen blieben der Arbeiter und seine Produktionsmittel mit einander verbunden, wie die Schnecke mit dem Schneckenhaus, und so fehlte die erste Grundlage der Manufaktur, die Verselbstständigung der Produktionsmittel als Kapital gegenüber dem Arbeiter.

Während die Theilung der Arbeit im Ganzen einer Gesellschaft, ob vermittelt oder unvermittelt durch den Waarenaustausch, den verschiedenartigsten ökonomischen Gesellschaftsformationen angehört, ist die manufakturmässige Theilung der Arbeit eine ganz spezifische Schöpfung der kapitalistischen Produktionsweise.

Eine grössere Arbeiteranzahl unter dem Kommando desselben Kapitals bildet den naturwüchsigen Ausgangspunkt, wie der Cooperation überhaupt, so der Manufaktur. Umgekehrt entwickelt die manufakturmässige Theilung der Arbeit das Wachsthum der angewandten Arbeiterzahl zur technologischen Nothwendigkeit. Das Arbeiterminimum, das ein einzelner Kapitalist anwenden muss, ist ihm jetzt durch die vorhandene Theilung der Arbeit vorgeschrieben. Andrerseits sind die Vortheile weiterer Theilung bedingt durch weitere Vermehrung der Arbeiteranzahl, die nur noch in Multiplen ausführbar. Mit dem variablen muss aber auch der constante Bestandtheil des Kapitals wachsen, neben dem Umfang der gemeinsamen Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten, Oefen u. s. w., namentlich auch und viel rascher als die Arbeiteranzahl, das Rohmaterial. Seine Masse, verzehrt in gegebner Zeit durch gegebnes Arbeitsquantum, nimmt in demselben Verhältniss zu wie die Produktivkraft der Arbeit in Folge ihrer Theilung. Wachsender Minimalumfang von Kapital in der Hand der einzelnen Kapitalisten, oder wachsende Verwandlung der gesellschaftlichen Lebensmittel und Produktionsmittel in Kapital ist also ein aus dem technologischen Charakter der Manufaktur entspringendes Gesetz(FN 62).


(FN 62) „Es genügt nicht, dass das zur Unterabtheilung der Handwerke nöthige Kapital (sollte heissen, die dazu nöthigen Lebensund Produktionsmittel) sich

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Wie in der einfachen Cooperation ist in der Manufaktur der funktionirende Arbeitskörper eine Existenzform des Kapitals. Der aus vielen individuellen Theilarbeitern zusammengesetzte gesellschaftliche Produktionsmechanismus gehört dem Kapitalisten. Die aus der Kombination der Arbeiten entspringende Produktivkraft erscheint daher als Produktivkraft des Kapitals. Die eigentliche Manufaktur unterwirft nicht nur den früher selbstständigen Arbeiter dem Kommando und der Disciplin des Kapitals, sondern schafft überdem eine hierarchische Gliederung unter den Arbeitern selbst. Während die einfache Cooperation die Arbeitsweise der Einzelnen im Grossen und Ganzen unverändert lässt, revolutionirt die Manufaktur sie von Grund aus und ergreift die individuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel. Sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmässig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen, wie man in den La Plata Staaten ein ganzes Thier abschlachtet, um sein Fell oder seinen Talg zu erbeuten. Die besondren Theilarbeiten werden nicht nur unter verschiedne Individuen vertheilt, sondern das Individuum selbst wird getheilt, in das automatische Triebwerk einer Theilarbeit verwandelt(FN 63) und die abgeschmackte Fabel des Menenius Agrippa verwirklicht, die einen Menschen als blosses Fragment seines eignen Körpers darstellt(FN 64). Wenn der Arbeiter ursprünglich seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, weil ihm die materiellen Produktionsbedin-


in der Gesellschaft vorhanden vorfinde; es ist ausserdem nöthig, dass es in den Händen der Unternehmer in hinreichend beträchtlichen Massen accumulirt sei, um sie zur Arbeit auf grosser Stufenleiter zu befähigen … Je mehr die Theilung zunimmt, erheischt die beständige Beschäftigung einer selben Zahl von Arbeitern immer beträchtlicheres Kapital in Werkzeugen, Rohstoffen u. s. w.“ ( Storch: „ Cours d’Écon. Polit.“ Pariser Ausg. t. I, p. 250, 251.) „La concentration des instrumens de production et la division du travail sont aussi inséparables l’une de l’autre que le sont, dans le régime politique, la concentration des pouvoirs publics et la division des intérêts privés.“ ( Karl Marx l. c. p. 134.)
(FN 63) Dugald Stewart nennt die Manufakturarbeiter „living automatons … employed in the details of the work.“ (l. c. p. 318.)
(FN 64) Bei den Korallen bildet jedes Individuum in der That den Magen für die ganze Gruppe. Es führt ihr aber Nahrungsstoff zu, statt wie der römische l’atricier ihn wegzuführen.

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gungen einer Waare fehlen, existirt seine individuelle Arbeitskraft jetzt überhaupt nur noch, wann und sofern sie an das Kapital verkauft wird. Sie funktionirt nur noch in einem Zusammenhang, der erst nach ihrem Verkauf, in der Werkstatt des Kapitalisten, existirt. Seiner natürlichen Beschaffenheit nach verunfähigt, etwas Selbstständiges zu machen, entwickelt der Manufakturarbeiter produktive Thätigkeit nur noch als Zubehör zur Werkstatt des Kapitalisten(FN 65). Wie dem auserwählten Volk auf der Stirn geschrieben stand, dass es das Eigenthum Jehovas, so drückt die Theilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel auf, der ihn zum Eigenthum des Kapitals brandmarkt.

Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbstständige Bauer oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Massstab entwickelt, wie der Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur noch für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der Produktion erweitern ihren Massstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Theilarbeiter verlieren, koncentrirt sich ihnen gegenüber im Kapital(FN 66). Es ist ein Produkt der manufakturmässigen Theilung der Arbeit ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigenthum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozess beginnt in der einfachen Cooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Theilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der grossen Industrie, welche die Wissenschaft als selbstständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals presst(FN 67).


(FN 65) „L’ouvrier qui porte dans ses bras tout un métier, peut aller partout exercer son industrie et trouver des moyens de subsister: l’autre (der Manufakturarbeiter) n’est qu’un accessoire qui, séparé de ses confrères, n’a plus ni capacité, ni indépendance, et qui se trouve forcé d’accepter la loi, qu’on juge à propos de lui imposer.“ ( Storch l. c. Petersb. édit. 1815, t. I, p. 204.)
(FN 66) A. Ferguson l. c. Fzs. Uebers. 1783, t. II, p. 135, 136. „L’un peut avoir gagné ce que l’autre a perdu.“
(FN 67) „Der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit von einander getrennt, und die Wissenschaft, statt in der Hand des Arbeiters seine eignen Produktivkräfte für ihn selbst zu vermehren, hat sich fast überall ihm gegenüber-

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In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesammtarbeiters, und daher des Kapitals, an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt durch die Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften. „Die Unwissenheit ist die Mutter der Industrie wie des Aberglaubens. Nachdenken und Einbildungskraft sind dem Irrthum unterworfen; aber die Gewohnheit den Fuss oder die Hand zu bewegen hängt weder von dem einen, noch von der andern ab. So könnte man sagen, dass mit Bezug auf Manufakturen ihre Vollkommenheit darin besteht, sich des Geistes entschlagen zu können, in der Art, dass die Werkstatt als eine Maschine betrachtet werden kann, deren Theile Menschen sind(FN 68). In der That wandten einige Manufakturen in der Mitte des 18. Jahrhunderts für gewisse einfache Operationen, welche aber Fabrikgeheimnisse bildeten, mit Vorliebe halbe Idioten an(FN 69).

„Der Geist der grossen Mehrzahl der Menschen“, sagt A. Smith, „entwickelt sich nothwendig aus und an ihren Alltagsverrichtungen. Ein Mensch, der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Operationen verausgabt … hat keine Gelegenheit seinen Verstand zu üben … Er wird im Allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine menschliche Kreatur möglich ist.“ Nachdem Smith den Stumpfsinn des Theilarbeiters geschildert, fährt er fort: „Die Einförmigkeit seines stationären Lebens verdirbt natürlich auch den Muth seines Geistes … Sie zerstört selbst die Energie seines Körpers und verunfähigt ihn, seine Kraft schwunghaft und ausdauernd anzuwenden ausser in der Detailbeschäftigung, wozu er herangezogen ist. Sein Geschick in seinem besondern Gewerke scheint so erworben auf Kosten seiner intellektuellen, socialen und kriegerischen Tugenden. Aber in jeder industriellen und civilisirten Gesellschaft ist diess der Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor), d. h. die grosse Masse des Volks nothwendig verfallen muss“(FN 70). Um


gestellt . . . . Kenntniss wird ein Instrument, fähig von der Arbeit getrennt und ihr entgegengesetzt zu werden.“ (W. Thompson: „ An Inquiry into the Principles of the Distribution of Wealth. Lond. 1824“, p. 274.)
(FN 68) A. Ferguson l. c. p. 134, 135.
(FN 69) J. D. Tuckett: „ A History of the Past and Present State of the Labouring Population. Lond. 1846“, v. I, p. 149.
(FN 70) A. Smith: „ Wealth of Nations.“ B. V, ch. I, art. II. Als Schüler A. Ferguson’s, der die nachtheiligen Folgen der Theilung der Arbeit ent-

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die aus der Theilung der Arbeit entspringende völlige Verkümmerung der Volksmasse zu verhindern, empfiehlt A. Smith Volksunterricht von Staatswegen, wenn auch in vorsichtig homöopathischen Dosen. Konsequent polemisirt dagegen sein französischer Uebersetzer und Kommentator, G. Garnier, der sich unter dem ersten französischen Kaiserthum naturgemäss zum Senator entpuppte. Volksunterricht verstosse wider die ersten Gesetze der Theilung der Arbeit und mit demselben „ proscribire man unser ganzes Gesellschaftssystem“. „Wie alle andern Theilungen der Arbeit“, sagt er, „wird die zwischen Handarbeit und Verstandesarbeit(FN 71) ausgesprochner und entschiedner im Masse wie die Gesellschaft (er wendet richtig diesen Ausdruck an für das Kapital, das Grundeigenthum und ihren Staat) reicher wird. Gleich jeder andern ist diese Theilung der Arbeit eine Wirkung vergangner und eine Ursache künftiger Fortschritte … Darf die Regierung denn dieser Theilung der Arbeit entgegenwirken und sie in ihrem naturgemässen Gang aufhalten? Darf sie einen Theil der Staatseinnahme zum Versuch verwenden, zwei Klassen von Arbeit, die ihre Theilung und Trennung erstreben, zu verwirren und zu vermischen“?(FN 72)

Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrennlich selbst von der Theilung der Arbeit im Ganzen und Grossen der Gesellschaft. Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspaltung der Arbeitszweige viel weiter führt, andrerseits erst mit der ihr eigenthümlichen Theilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift,


wickelt hatte, war A. Smith über diesen Punkt durchaus klar. Im Eingang seines Werks, wo die Theilung der Arbeit ex professo gefeiert wird, deutet er sie nur vorübergehend als Quelle der gesellschaftlichen Ungleichheiten an. Erst im 5. Buch über das Staatseinkommen reproducirt er Ferguson. Ich habe in „ Misère de la Philosophie“ das Nöthige über das historische Verhältniss von Ferguson, A. Smith, Lemontey und Say in ihrer Kritik der Theilung der Arbeit gegeben und dort auch zuerst die manufakturmässige Theilung der Arbeit als spezifische Form der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt. (l. c. p. 122 sq.)
(FN 71) Ferguson sagt bereits: „l’art de penser, dans un période où tout est séparé, peut lui-même former un métier à part.“
(FN 72) G. Garnier, t. V seiner Uebersetzung, p. 2—5.

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liefert sie auch zuerst das Material und den Anstoss zur industriellen Pathologie(FN 73).

„Einen Menschen unterabtheilen, heisst ihn hinrichten, wenn er das Todesurtheil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht verdient. Die Unterabtheilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines Volks“(FN 74).

Die auf Theilung der Arbeit beruhende Cooperation oder die Manufaktur ist in ihren Anfängen ein naturwüchsiges Gebild der kapitalistischen Produktion. Sobald sie einige Konsistenz und Breite des Daseins gewonnen, wird sie zur bewussten, planmässigen und systematischen Form der kapitalistischen Produktionsweise. Die Geschichte der eigentlichen Manufaktur zeigt, wie die ihr eigenthümliche Theilung der Arbeit zunächst erfahrungsmässig, gleichsam hinter dem Rücken der handelnden Personen, die sachgemässen Formen gewinnt, dann aber, gleich dem zünftigen Handwerke, die einmal gefundene Form traditionell festzuhalten strebt und in einzelnen Fällen Jahrhundertlang festhält. Aendert sich diese Form, so, ausser in Nebendingen, immer nur in Folge einer Revolution der Arbeitsinstrumente. Die moderne Manufaktur — ich spreche hier nicht von der auf Maschinerie beruhenden grossen Industrie — findet entweder, wie


(FN 73) Ramazzini, Professor der praktischen Medizin zu Padua, veröffentlichte 1713 sein Werk: „ De morbis artificum“, 1781 in’s Französische übersetzt, wieder abgedruckt 1841 in der „ Encyclopédie des Sciences Médicales. 7me Dis. Auteurs Classiques.“ Die Periode der grossen Industrie hat seinen Katalog der Arbeiterkrankheiten natürlich sehr vermehrt. Siehe u.a. Hygiène physique et morale de l’ouvrier dans les grandes villes en général, et dans la ville de Lyon en particulier. Par le Dr. A. L. Fonterel. Paris 1858“ und „ Die Krankheiten, welche verschiedenen Ständen, Altern und Geschlechtern eigenthümlich sind. 6 Bände. Ulm 1860.“ Im Jahr 1854 ernannte die Society of Arts eine Untersuchungskommission über industrielle Pathologie. Die Liste der von dieser Kommission gesammelten Dokumente findet man im Katalog des „ Twickenham Economic Museum.“ Sehr wichtig auch die officiellen Reports des „ Board of Health“.
(FN 74) „To subdivide a man is to execute him, if he deserves the sentence, to assassinate him if he does not … The subdivision of labour is the assassination of a people.“ (D. Urquhart: „ Familiar Words. London 1855“, p. 119.) Hegel hatte sehr ketzerische Ansichten über die Theilung der Arbeit. „Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche verstehn, die Alles machen können, was Andere thun“, sagt er in seiner Rechtsphilosophie.

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z. B. die Kleidermanufaktur, in den grossen Städten, wo sie entsteht, die disjecta membra poetae bereits fertig vor und hat sie nur aus ihrer Zerstreuung zu sammeln, oder das Prinzip der Theilung liegt auf flacher Hand, indem einfach die verschiednen Verrichtungen der handwerksmässigen Produktion (z. B. beim Buchbinden) besondern Arbeitern ausschliesslich angeeignet werden. Es kostet noch keine Woche Erfahrung in solchen Fällen die Verhältnisszahl zwischen den für jede Funktion nöthigen Händen zu finden(FN 75).

Die manufakturmässige Theilung der Arbeit schafft durch Analyse der handwerksmässigen Thätigkeit, Spezificirung der Arbeitsinstrumente, Bildung der Theilarbeiter, ihre Gruppirung und Kombination in einem Gesammtmechanismus, die qualitative Gliederung und die quantitative Proportionalität gesellschaftlicher Produktionsprozesse, also eine bestimmte Organisation gesellschaftlicher Arbeit und entwickelt damit zugleich neue, gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit. Als spezifisch kapitalistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses — und auf den vorgefundnen Grundlagen konnte sie sich nicht anders als in der kapitalistischen Form entwickeln — ist sie nur eine besondre Methode relativen Mehrwerth zu erzeugen oder die Selbstverwerthung des Kapitals — was man gesellschaftlichen Reichthum, „ Wealth of Nations“ u. s. w. nennt — auf Kosten der Arbeiter zu erhöhn. Sie entwickelt die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit nicht nur für den Kapitalisten, statt für den Arbeiter, sondern durch die Verkrüpplung des individuellen Arbeiters. Sie producirt neue Bedingungen der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit. Wenn sie daher einerseits als historischer Fortschritt und nothwendiges Entwicklungsmoment im ökonomischen Bildungsprozess der Gesellschaft erscheint, so andrerseits als ein Mittel civilisirter und raffinirter Exploitation.


(FN 75) Der gemüthliche Glaube an das Erfindungsgenie, das der einzelne Kapitalist in der Theilung der Arbeit a priori ausübe, findet sich nur noch bei deutschen Professoren, wie Herrn Roscher z. B., der dem Kapitalisten, aus dessen Jupiterhaupt die Theilung der Arbeit fertig hervorspringt, zum Dank „diverse Arbeitslöhne“ widmet. Die grössere oder geringere Anwendung der Theilung der Arbeit hängt von der Länge der Börse, nicht von der Grösse des Genies ab.

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Die politische Oekonomie, die als eigne Wissenschaft erst in der Manufakturperiode aufkommt, betrachtet die gesellschaftliche Theilung der Arbeit überhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmässigen Theilung der Arbeit(FN 76), als Mittel mit demselben Quantum Arbeit mehr Waare zu produciren, daher die Waaren zu verwohlfeilern und die Accumulation des Kapitals zu beschleunigen. Im strengsten Gegensatz zu dieser Accentuirung der Quantität und des Tauschwerths halten sich die Schriftsteller des klassischen Alterthums ausschliesslich an Qualität und Gebrauchswerth(FN 77). In Folge der Scheidung der gesellschaftlichen Produktionszweige werden die Waaren besser gemacht, die verschiedenen Triebe und Talente der Menschen wählen sich entsprechende Wirkungssphären(FN 78) und ohne Beschränkung ist nirgendwo Bedeutendes zu leisten(FN 79). Also Produkt und Producent werden verbessert durch die


(FN 76) Die älteren Schriftsteller wie Petty, „Advantages of the East India Trade“ etc., fixiren mehr denn A. Smith die manufakturmässige Theilung als kapitalistische Form der Produktion.
(FN 77) Ausnahme unter den Modernen bilden einige Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, die in Bezug auf Theilung der Arbeit fast nur den Alten nachsprechen, wie Beccaria und James Harris. So Beccaria: „Ciascuno prova coll’ esperienza, che applicando la mano e l’ingegno sempre allo stesso genere di opere e di produtte, egli più facili, più abbondanti e migliori ne traca resultati, di quello che se ciascuno isolatamente le cose tutte a se necessarie soltanto facesse .... Dividendosi in tal maniera per la comune e privata utilità gli uomini in varie classe e condizioni.“ ( Cesare Beccaria: „ Elementi di Econ. Publica“, ed. Custodi, Part. Moderna t. XI, p. 28.) James Harris, später Earl of Malmesbury, berühmt durch die „ Diaries“ über seine Gesandtschaft in Petersburg, sagt selbst in einer Note zu seinem Dialogue concerning Happiness. Lond. 1741, später wieder abgedruckt in „ Three Treatises etc. 3. ed. Lond. 1772“: „The whole argument, to prove society natural (nämlich durch die „division of employments“) is taken from the second book of Plato’s republic.“
(FN 78) So in der Odyssee XIV, 228: „Ἄλλος γάϱ τ᾽ ἄλλοισιν ἀνὴϱ ἐπιτέϱπεται ἔϱγοις“ und Archilochus beim Sextus Empiricus: „ἄλλος ἄλλῳ ἐπ᾽ ἔϱγῳ ϰαϱδίην ἰαίνεται.“
(FN 79)Πολλ᾽ ἠπίστατο ἔϱγα, ϰαϰῶς δ᾽ ἠπίστατο πάντα.“ Indess, so sehr sich der Athenienser als Waarenproducent dem Spartaner überlegen fühlte, weil dieser im Krieg wohl über Menschen, nicht aber über Geld verfügen könne, wie Thucydides den Pericles sagen lässt in der Rede, worin er die Athenienser zum peloponnesischen Krieg aufstachelt: „σώμασί τε ἑτοιμότεϱοι οἱ αὐτουϱγοὶ τῶν

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Theilung der Arbeit. Wird gelegentlich auch das Wachsthum der Produktenmasse erwähnt, so nur mit Bezug auf die grössere Fülle des Gebrauchswerths. Es wird mit keiner Silbe des Tauschwerths, der Verwohlfeilerung der Waaren gedacht. Dieser Standpunkt des Gebrauchswerths herrscht sowohl bei Plato(FN 80), der die Theilung der Arbeit als Grundlage der gesellschaftlichen Scheidung der Stände behandelt, als bei Xenophon(FN 81), der mit seinem charakteristisch bürgerlichen In-


ἀνϑϱώπων ἢ χϱήμασι πολεμεῖν“ ( Thuc. l. I, c. 41), blieb ihnen auch in der materiellen Produktion die αὐταϱϰεία, die der Theilung der Arbeit gegenübersteht, das Ideal, „παϱ᾽ ὧν γὰϱ τὸ εὖ, παϱὰ τούτων ϰαὶ τὸ αὔταϱϰες.“ Man muss dabei erwägen, dass es noch zur Zeit des Sturzes der 30 Tyrannen keine 5000 Athener ohne Grundeigenthum gab.
(FN 80) Plato entwickelt die Theilung der Arbeit innerhalb des Gemeinwesens aus der Vielseitigkeit der Bedürfnisse und der Einseitigkeit der Anlagen der Individuen. Hauptgesichtspunkt bei ihm, dass der Arbeiter sich nach dem Werk richten müsse, nicht das Werk nach dem Arbeiter[,] was unvermeidlich, wenn er verschiedne Künste zugleich, also eine oder die andere als Nebenwerk treibe. „Οὐ γὰϱ ἐϑέλει τὸ πϱαττόμενον τὴν τοῦ πϱάττοντος σχολὴν πεϱιμένειν, ἀλλ᾽ ἀνάγϰη τὸν πϱάττοντα τῷ πϱαττομένῳ ἐπαϰολουϑεῖν μὴ ἐν παϱέϱγου μέϱει. Ἀνάγϰη. Ἐϰ δὴ τούτων πλείω τε ἕϰαστα γίγνεται ϰαὶ ϰάλλιον ϰαὶ ῥᾷον, ὅταν εἷς ἓν ϰατὰ φύσιν ϰαὶ ἐν ϰαιϱῷ, σχολὴν τῶν ἄλλων ἄγων, πϱάττῃ.“ ( Rep. l. 2. ed. Baiter, Orelli etc.) Aehnlich bei Thucydides l. c. c. 42: „Das Seewesen ist eine Kunst so sehr wie irgend etwas anderes und kann nicht bei etwa vorkommenden Fällen als Nebenwerk betrieben werden, sondern vielmehr nichts andres neben ihm als Nebenwerk.“ Muss das Werk, sagt Plato, auf den Arbeiter warten, so wird oft der kritische Zeitpunkt der Produktion verpasst und das Machwerk verdorben, „ἔϱγου ϰαιϱὸν διόλλυται.“ Dieselbe platonische Idee findet man wieder im Protest der englischen Bleichereibesitzer gegen die Klausel des Fabrikakts, die eine bestimmte Essstunde für alle Arbeiter festsetzt. Ihr Geschäft könne sich nicht nach den Arbeitern richten, denn „in the various operations of singeing, washing, bleaching, mangling, calendering, and dyeing, none of them can be stopped at a given moment without risk of damage … to enforce the same dinner hour for all the work people might occasionally subject valuable goods to the risk of danger for incomplete operations.“ Le platonisme où va-t-il se nicher!
(FN 81) Xenophon erzählt, es sei nicht nur ehrenvoll Speisen von der Tafel des Perserkönigs zu erhalten, sondern diese Speisen seien auch viel schmackhafter als andere. „Und diess ist nichts Wunderbares, denn wie die übrigen Künste in den grossen Städten besonders vervollkommnet sind, ebenso werden die königlichen Speisen ganz eigens zubereitet. Denn in den kleinen Städten macht Derselbe Bettstelle, Thüre, Pflug, Tisch; oft baut er obendrein noch Häuser und

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stinkt schon der Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt näher rückt. Plato’s Republik, soweit in ihr die Theilung der Arbeit als das gestaltende Prinzip des Staats entwickelt wird, ist nur atheniensische Idealisirung des ägyptischen Kastenwesens, wie Aegypten als industrielles Musterland auch andern seiner Zeitgenossen gilt, z. B. dem Isokrates(FN 82), und diese Bedeutung selbst noch für die Griechen der römischen Kaiserzeit behielt(FN 83).

Während der eigentlichen Manufakturperiode, d. h. der Periode, worin die Manufaktur die herrschende Form der kapitalistischen Produktionsweise, stösst die volle Ausführung ihrer eigenen Tendenzen auf vielseitige Hindernisse. Obgleich sie, wie wir sahen, neben der hierarchischen Gliederung der Arbeiter eine einfache Scheidung zwischen geschickten und ungeschickten Arbeitern schafft, bleibt die Zahl der letztern durch den überwiegenden Einfluss der erstern sehr beschränkt. Obgleich sie die Sonderoperationen dem verschiednen Grad von Reife, Kraft und Entwick-


ist zufrieden, wenn er selbst so eine für seinen Unterhalt ausreichende Kundschaft findet. Es ist rein unmöglich, dass ein Mensch, der so vielerlei treibt, alles gut mache. In den grossen Städten aber, wo jeder Einzelne viele Käufer findet, genügt auch ein Handwerk, um seinen Mann zu nähren. Ja oft gehört dazu nicht einmal ein ganzes Handwerk, sondern der eine macht Mannsschuhe, der andere Weiberschuhe. Hier und da lebt einer bloss vom Nähen, der andere vom Zuschneiden der Schuhe; der eine schneidet bloss Kleider zu, der andere setzt die Stücke nur zusammen. Nothwendig ist es nun, dass der Verrichter der einfachsten Arbelt sie unbedingt auch am besten macht. Ebenso steht’s mit der Kochkunst.“ ( Xen. Cyrop. l. VIII, c. 2.) Die zu erzielende Güte des Gebrauchswerths wird hier ausschliesslich fixirt, obgleich schon Xenophon die Stufenleiter der Arbeitstheilung vom Umfang des Markts abhängig weiss.
(FN 82) „Er (Busiris) theilte Alle in besondere Kasten … befahl, dass immer die Nämlichen die gleichen Geschäfte treiben sollten, weil er wusste, dass die, welche mit ihren Beschäftigungen wechseln, in keinem Geschäft gründlich werden; die aber, welche beständig bei denselben Beschäftigungen bleiben, jedes aufs vollendetste zu Stande bringen. Wirklich werden wir auch finden, dass sie in Beziehung auf Künste und Gewerbe ihre Rivalen mehr übertroffen haben als sonst der Meister den Stümper und in Beziehung auf die Einrichtung, wodurch sie die Künigsherrschaft und übrige Staatsverfassung erhalten, so vortrefflich sind, dass die berühmtesten Philosophen, welche darüber zu sprechen unternehmen, die Staatsverfassung Aegyptens vor andern lobten.“ ( Isocr. Busiris, c. 8.)
(FN 83) cf. Diod. Sic.
I. 23

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lung ihrer lehendigen Arbeitsorgane anpasst und daher zu produktiver Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im Grossen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männlichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmässigen Thätigkeit die Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt für schwierigere Detailarbeit eine längere Erlernungszeit nöthig und wird auch da, wo sie vom Ueberfluss, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht erhalten. Wir finden z. B. in England die laws of apprenticeship mit ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Vollkraft und erst von der grossen Industrie über Haufen geworfen. Da das Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt, und der in ihr funktionirende Gesammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unabhängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Natur,“ ruft Freund Ure aus, „ist so gross, dass der Arbeiter; je geschickter, desto eigenwilliger und schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Capricen schweren Schaden zufügt“(FN 84). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die Klage über den Disciplinmangel der Arbeiter(FN 85). Und hätten wir nicht die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, dass es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der grossen Industrie dem Kapital misslingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter zu bemächtigen, dass die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Einoder Auswanderung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen und in dem andern aufschlagen, würden Bibliotheken sprechen. „ Ordnung muss auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden“, ruft 1770 der wiederholt citirte Verfasser des „ Essay on Trade and Commerce“. Ordnung, hallt es 66 Jahre später zurück aus dem Mund des Dr. Andrew Ure, „Ordnung“ fehlte in der auf „dem scholastischen Dogma der Theilung der Arbeit“ beruhenden Manufaktur, und „ Arkwright schuf die Ordnung.“

Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder in i